Nahezu alles, was Sie schrieben, Herr Müller bzw. Lampe, teile ich so.
Allerdings wäre es m. E. ein Fehler, die weitgehend nicht vorhandene Liebe für´s Detail, aus der heraus erst eine wirkliche Liebe zur Stadt erwachsen kann, NUR 40 Jahren DDR anzulasten. Das schreibe ich als Nicht-DDR-Bürger.
Es gab eine systemübergreifende Modernitätsvorstellung, die mit voller Wucht nach dem Krieg praktiziert wurde und gewiss gibt es in anderer Hinsicht wiederum Unterschiede entlang der Systemgrenzen, was Kirchen und was Bauten angeht, die mit Herrschaft verbunden waren. Insofern handelt es sich mit Geld ausstaffierte Machbarkeitsvorstellungen, nachdem derartige Vorstellungen zu Weimarer Zeiten weitgehend Papier blieben. Soweit der Staatssozialismus mit mehrfacher Wucht den Letzgenannten - Kirchen und mit Herrschaft verbundenen Bauwerken - zu Leibe rückte und dies der GEMACHTEN Gleichheit und dem Atheismus entsprach, um so vergleichsweise größer war die Wucht des freiheitlicheren "westlichen" Systems, was die Vernichtung von Profanbauten angeht.
Potsdam als mit Herrschaft verbundener Stadt hat mehr zu leiden gehabt als vglw. Dresden. Das liegt an der Berlin-Nähe und an den zahllosen staatsnahen Einrichtungen zu DDR-Zeiten und dass ca. die Hälfte der Potsdamer Einwohner in den selbst ernannten Segnungen des sozialistischen Wohnungsbaus ihre Unterkunft fanden, die bis heute in ihrer Bewohnerschaft bemerkenswert stabil blieben. Dementsprechend sehen dann auch die Wahlergebnisse aus, die dort, wo Altbaugebiete und Neubaugebiete direkt handtuchbreit aneinander angrenzen, die Straße dazwischen zur Scheidelinie zwischen verschiedenen Welten macht.
Das ist der Nachhang, aus dem das Folgende m. E. nicht unbedingt verstanden werden kann. Deshalb möchte ich um Nachsicht bitten, auch wenn es zunächst ausschweifend klingen mag.
Wie ich das mitbekomme, hat sich das instrumentelle Stadtbild, sprich: dass die Stadt zuallererst eine funktionierende Stadt wäre mit einem möglichst reibungslosen Ablauf des Auto-, des Bahn- und neuerdings eben des Radverkehrs, weit stärker in den Köpfen festgesetzt als der Gedankengang, dass die Stadt im Innern anders aussehen muss als außen. Dies deshalb, weil sie von innen nach außen entstanden ist, sie sich also von innen nach außen entwickelt hat. Das haben die Protagonisten der Wende in Potsdam sehr wohl verstanden - Stichwort: Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss, nach all den Jahrzehnten, der Stadt förmlich VON AUSSEN den Stempel aufzudrücken -, doch mittlerweile steht ein Großteil, wenn nicht sogar der Großteil der Wende-Protagonisten eher am Rand. Das liegt m. E. daran, dass von den maßgeblich in der Stadt Entscheidenden so gut wie keiner mit Herzblut und Vision zu Werke geht, eher schon sich entlang des Kompromisses des Kompromisses des Kompromisses sich über Wasser hält.
Was wäre all das, was Sie hier weitestgehend zu Recht benennen und was auch ich so sehe, was wäre das ohne eben diese empfundene Liebe zur Stadt, die den Investoren gleichgültig ist und die die maßgeblich Verantwortlichen der Stadt als Romantisiererei, als antiquiertes Beiwerk mehr oder minder von sich weisen?
Der Umgang mit diesem städtbaulichen Monstrum namens Mercure will ich als Musterbeispiel herausgreifen, weil sich darin vieles konzentriert.
Von seiner Form her und von seinem Standort her ist es in vielem gleich, was diesseits und jenseits von Systemgrenzen gebaut worden ist, in Hamburg wurde das Ding Ost-West-Straße genannt, heute Ludwig-Erhard-Straße und Willy-Brandt-Straße, ...
... als Gebäude dem Stadtschloss die kalte Schulter zeigend, ein Torso, weil eine ganze Reihe von derartigen Hochhäusern an der seinerzeit so genannten sozialistischen Magistrale Dr.-Wilhelm-Külz-Straße hätten stehen sollen und schon zu DDR-Zeiten der Denkmalschutz zu einer Umplanung veranlasste. Deshalb steht das alles jetzt - ersatzweise - an der Neustädter Havelbucht, an der West-Verlängerung der Breiten Straße ...
Die Kreuzung zu Füßen des Hotels: Ein Musterbeispiel der Verhunzung der Stadt in ihrem wesentlichen Kern. Wenn die Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss irgendwo seinen trefflichen Kristallisiationspunkt fand, dann hier ...
... die Zerstückelung des hier vormals vorhandenen Lustgartens zu einer simplen Restgrün- und Abstandsfläche zu eben dieser Kreuzung, zu eben diesem Hochhaus und zum benachbarten seinerzeitigen Stadion, nach vorheriger Abtrennung durch das Militär und der Höherlegung des Bahndamms vor gut 100 Jahren ...
... NACH DER WENDE ist dies alles wieder in den Sinn gekommen UND zur Veröffentlichung.
Wer die Stadt in ihrem Kern anders will als sie jahrzehntelang mehr geschunden als tatsächlich gebaut worden ist, der kommt um eine Änderung des eigenen Verkehrsverhaltens nicht drum herum. Mehr als andere Städte betrifft dies Potsdam, weil eine Agglomeration von mittlerweile über 150.000 Einwohner dasjenige zum Zentrum hat, was für ursprünglich gut 10.000 Einwohner gedacht war. Ansonsten statt des brutalen Zerschneidens der Stadt infolge von Umgehungsstraßen ein Zerschneiden der Potsdam-Berliner Kulturlandschaft die Folge wäre, wo es doch selbst die Nazis waren, die ihre Autobahn A 10 mit einer "großen Beule" um die Berlin-Potsdamer-Kulturlandschaft herumführten. Da war es der DDR vorbehalten, mit ihrem Sputnik - der Umkreisung West-Berlins - einen großen Teil der Kulturlandschaft zu zerschneiden.
Mehr als auf den Radverkehr und damit auf die umweltfreundlichere Variante des Individualverkehrs zu setzen, ginge dies mit einer deutlichen Aufwertung der Straßenbahn als dem stadtverträglichsten aller Verkehrsmittel. Wo die Stärke des Radverkehrs in der Streuung liegt, liegt die Stärke der Straßenbahn wiederum gerade in der Bündelung. Das geht dann über die bloße Mitnahme von Fördergeldern hinaus. In diesem Sinne sind die Potsdamer Straßenbahnwagen noch zu günstig und sollten weit mehr hermachen, wofür es sehr viele Beispiele mit exzellentem Design - sowohl von den Fahrzeugen als auch von den Tram-Anlagen - in unserem Nachbarland Frankreich gibt. Ein Fahrtakt von 1 1/2 - 2 Minuten in der Innenstadt, ausschließlich bewätligt von Straßenbahnen, wäre m. E. nicht unrealistisch. Was in diesem Zusammenhang gar nicht geht, ist die Diskussion über eben jene liebe- und kunstvollen Details an Stadtschlossfassade und Ringerkolonnade (die ich von Herzen übrigens teile) und der städtische Verkehrsbetrieb stellt dann monströse Fahrleitungsmasten incl. Hochkette (Doppelfahrleitung) hin, so, als hätte die Deutsche Bahn AG eine ICE-Trasse durch den Potsdamer Stadtkern geschossen.