Beiträge von camillositte

    Und man fragt sich: Was machen die Wiener? Wollen sie noch lange den architektonischen und stadtplanerischen Untergang ihrer Stadt zusehen ? Wo sind die Kämpfer für ein schönes Wien? Wenn es sie ja gibt, wovon ich überzeugt bin, warum verschaffen sie sich nicht Gehör in der Öffentlichkeit? Weil die Stadtregierung im Filz versumpft und alle Bemühungen nutzlos wären? Weil die Bauherren reine Spekulanten sind? Das kann sein, das sind aber niemals Argumente, um sich resigniert zurückzulehnen. Liebe Wiener, ihr habt (noch) die schönste Metropole Europas (das sagt ein in Paris Geborener!), organisiert Euch aber bald, damit wir alle mit Euch das, was diese Stadt und ihre Bewohner zunehmend gefährdet, abwehren können! Ein Argument unter vielen: Verschlechterung des Stadtbildes heißt immer Verminderung der Lebensqualität.

    Klostergasse 14 ist in der Tat gute Architektur und fügt sich gut ins Straßenbild. Das kann man aber von der Ritterstrasse 15 nicht sagen! Die armseligen Vor- und Rücksprünge unterstreichen nur die Banalität der Fassade.

    Nicht zu vergessen Halberstadt mit der Wiederbebauung des Holzmarktes , und der Rekonstruktion der Ratslaube mit Originalteilen.

    Leider wurde in Halberstadt nur die Ratslaube wieder hergestellt, der Holzmarkt selbst wurde mit banal-postmodernem Schnickschnack neu bebaut. In anderen Teilen der Altstadt, auf der anderen Seite des heute die Stadt zerschneidenden Hohen Weges, wurde aber Großartiges in Sachen Rettung alter Bausubstanz geleistet.

    Mit diesen völlig falsch proportionierten und billigen Fenstern ist dieses Haus eine eindeutige Schwachstelle im gesamten Gründerviertel. Schaut man auf die alt aussehenden Backsteine (was ein Pluspunkt hätte sein können), so hat man den Eindruck, vor einem dieser alten Lübecker Häuser zu stehen, die in den 1960er/70er Jahren insbesondere durch Änderung der Fensteröffnungen verhunzt worden waren.

    Unglaublich, dass die Führung des Axel-Springer-Verlages nicht einsieht, dass diese monströse Zentrale alte und neue Klischees über diese Mediengruppe unweigerlich bestätigen bzw. aufleben wird: mächtig, finster, selbstherrlich, im schlechten Sinne nicht-zeitgemäß. Unglaublich dass das Unternehmen, das z. T. konservative Medien hervorgebracht hat, sich eine modernistische Architektur aus der Mottenkiste der damals angeblich progressiven 1970/80er Jahre gibt, die alle Grundregel der Baukunst verletzt. Unglaublich, dass die Manager eines Verlags, in dem seit langem ein namhafter Architekturkritiker wie Dankwart Guratzsch wirkt, dessen Beiträge offenbar nicht gelesen haben. Guratzsch hatte doch schon 1997 Rem Koolhaas, den Architekten der Springer-Zentrale, und seine "Stadt ohne Eigenschaften" einer gründlichen, zukunftsweisenden Kritik unterzogen:

    https://www.welt.de/print-welt/art…enschaften.html

    Für meine akademisch verbildeten Ohren klingt das alles verdächtig nach gefährlichem Halbwissen.

    Ich möchte davon ausgehen, dass in diesem Forum nur Menschen mit Anstand und Kenntnis der Materie verkehren. Daher will ich diesen nicht sehr freundlichen Einwurf schnell vergessen. Wenn es aber UrPotsdamer und allen Vollwissenden gefällt: ja, ich bin Halbwissender, seit 30 Jahren Deutschlandforscher zwischen zwei Ländern und Architekturjournalist, der ständig und mit großer Freude recherchiert und lernt - und dabei, Gott sei Dank, nicht den Anfang vom Ende der Fahnenstange sieht.

    UrPotsdamer: Aus den in Frankreich und in der französisch- und englischsprachigen Fachliteratur üblichen Bezeichnungen. "Barockklassizismus" ist schon ein Quäntchen richtiger als nur "Barock" - aber auch nur ein Quäntchen. Denn man muss das Gesamtbild der Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts in Frankreich sehen. Außer im Elsaß, in Savoyen und im Baskenland, teilweise in einigen flandrischen Gemeinden, alles Territorien, die noch nicht dem damaligen Frankreich einverleibt worden waren, trifft man heute in diesem Land so gut wie nirgendwo auf Barockarchitektur, die diesen Namen verdient. Frankreich steht eindeutig außerhalb der barocken Welt Europas. Das ist einerseits das Zeichen einer zutiefst zentralstaatlich verordneten Kultur und zentralstaatlich organisierten Gesellschaft, andererseits hat das enorme Wirkung auf die Mentalitäten gehabt - bis heute.

    Tegula: dass in Deutschland Versailles vielfach als "barock" gilt, bedeutet noch nicht, dass diese Zuschreibung auch richtig ist. Es ist wohl eher so, dass die Annahme (eigentlich eine Floskel), viele deutschen Residenzen des Barock seien auf das Vorbild von Versailles zurückzuführen, im Rückschluss dazu verleitet, Versailles zum Barock zuzurechnen. In Frankreich und in der Fachliteratur wird aber Versailles dem classicisme à la française in ausdrücklicher Abgrenzung zum Barock zugerechnet, auch wenn der französische Klassizismus dem damals im Ausland vorherrschenden Barock einiges zu verdanken hat.

    Ludwig XIV. hat ungefähr soviel vom Barock verstanden, wie Michelangelo von der Renaissance.

    Tut mir leid: Versailles gehört nicht zum Barock, sondern zur Gattung des Klassizismus, so nennt man diesen Stil in Frankreich. Barock verbreitete sich von Italien aus ins Alte Reich und nach Spanien, aber nicht in Frankreich, wo die dominante Mischung aus Gallikanismus, Jansenismus und Cartesianismus sich dem römisch und katholischen Barock verweigerte und einen eigenen Stil entwickelte. Man kann zu diesem Stil stehen wie man will, er hat aber weder die originale, fröhliche, gerne experimentierende Formensprache des Barock noch seine Vielfalt. Im Barock gibt es viele Versionen: spanisch, lateinamerikanisch, flämisch, norddeutsch und die vielen regionalen Varianten des süddeutschen und des italienischen Barock. Klassizismus ist eine einheitlichere, politische Architektur, die vor allem dem Machtgebaren des "Sonnenkönigs" dienen sollte. Es ist aber auch eine unausgegorene, zögerliche Architektur: jeglicher Leichtigkeit abgeneigt, aber aus machtpolitischen Gründen nicht dem Prunk, so dass im Ergebnis obsessive Symmetrie und ungeschickte, aufgeladene Zier aus Gold und Marmor gegeneinander wirken. Erst später, unter Louis XV. entsteht eine kohärentere Architektur, die etwa in den hôtels particuliers von Paris überzeugen kann. Aber auch das bayerische Rokoko, das sich angeblich am diesem, "rocaille" genannten Stil anlehnen soll, hat damit kaum etwas zu tun: es ist viel einfallsreicher und ist für die Kirchenkunst und -architektur prägend, während Klassizismus und Rocaille vor allem zivile Architektur produzierten. Die unter den beiden französischen Königen gebauten Kirchen sind nicht sehr zahlreich und selten gelungen.

    Am alten Potsdamer Schlossbild sieht man vor allem, dass die Dächer des Haupthauses steiler, besser proportioniert und auch bekrönt waren. Stattdessen sehen sie heute banal und kasernenhaft. Erst die Rückkehr der Attikafiguren und -vasen könnte eine Verbesserung bewirken. Das Gold ist dagegen zweitrangig, zeugt mehr vom Protz-und Machtgebaren als vom Sinn für Schönheit. In Versailles ist das besonders krass, hier sieht man wie wenig Louis XIV. vom Barock verstanden hat.

    Brandenburg war und ist insofern deutsch als es selbstständiger Teil des Hl. Römischen Reiches war - mit dem Attribut der Kurfürstenwürde. Dann aber kamen die brandenburgischen Hohenzollern auf die Idee, sich das Herzogtum Preußen, ein polnisches Lehnsterritorium, einzuverleiben und später (1701) außerhalb des Reichs (in Königsberg) ein preußisches Königtum zu gründen, mit der Genehmigung von Kaiser Leopold I. Der Kaiser dachte sich dabei, wenn der Brandenburger König "in" (nicht "von") Preußen wird, dann ist das nicht so schlimm: wenig früher war nämlich der sächsische Kurfürst König von Polen geworden, ohne dass dies an der Treue der Sachsen zum Reich zweifeln ließ. Da irrte aber der Kaiser, denn der Brandenburger hatte ganz anderes im Sinne, nämlich Unabhängigkeit vom Reich zu erlangen - d.h. von Deutschland, das für Friedrich II. das gleiche war wie Habsburg, nämlich fremd. Und so kam es peu à peu zur von Berlin gezielt vorangetriebenen Trennung des neuen Preußen, das inzwischen Brandenburg vergessen ließ, von Deutschland. 1797 ("Frieden" von Basel) verbündete sich dieses Preußen insgeheim mit Frankreich mit dem Einverständnis, das linksrheinische Deutschland den Franzosen zu schenken. Damit begann die Zerstörung des Alten Reichs. 1866 begann die zweite Zerstörung Deutschlands : gegen die Mehrheit der deutschen Staaten schloß Bismarck Österreich aus dem Bund aus und annektierte völlig illegal die ganze Mitte Deutschlands von Kiel bis Frankfurt. Dann begann der ausgiebig bekannte Weg Deutschlands in den Abgrund. Erst die Auflösung Preußens 1948 konnte Deutschland den Wiederaufstieg ermöglichen und (1990) Brandenburg wieder zu dem machen, das es ursprünglich war: ein Teil Deutschlands und ein mit allen Attributen der staatlichen Selbstständigkeit versehenes Land.

    Das Commerzbank-Haus ist direkt an den Gründerzeitler angebaut. Die spiegelnde Fassade ist leicht gebogen. Passt zwar nicht, aber egal. Ursus Carpaticus und die Rekofans schimpfen nur über den "Kaufhausklotz" auf der anderen Platzseite.

    Ich aber schimpfe gerne auf die furchtbare Glasfassade der Commerzbank. Sie ist die weitaus größte Bausünde am Haller Markt, wäre selbst im Gewerbegebiet kaum erträglich. Haben die Stadtplaner die Baugenehmigung etwa im Koma unterzeichnet?

    Magdeburgs zentrale Gebiete, wo fast nichts mehr an alter Bausubstanz steht, bieten die Gelegenheit, kreativ mit dem Konzept der Rekonstruktion umzugehen. "Neue Altbauten" müssen nämlich nicht immer genau dort entstehen, wo der Vorgängerbau stand. Schließlich geht es in erster Linie darum, unsere Städte wieder schöner zu machen. In Magdeburg ist diese Aufgabe so gewaltig, dass das Projekt eines neuhistorischen Stadtkerns eine gute Nachricht ist, egal ob die Häuser nicht genau am ursprünglichen Standort entstehen. Wichtig ist allerdings, möglichst große "neu-historische" Ensembles zu bauen, damit die Rekonstruktionen nicht die allzu große Nähe der Scheußlichkeiten, die Magdeburgs Zentrums heute ausmachen, erleiden müssen. Schon jetzt sollte die Aufgabe darin bestehen, in diesem zentralen Gebiet Bausünden, wie die vom Prämonstratenserkloster geplante (https://www.kloster-magdeburg.de/front_content.php?idcat=2215) unmöglich zu machen, und mittelfristig eine neu-historische, architektonisch anspruchsvolle Schneise (nach den Vorgaben des Instituts für Stadtbaukunst) vom Hasselbachplatz bis zu St. Petri über Dom und Domplatz zu ermöglichen.

    Die Wiederherstellung des Hohenzollern-"Kaisers" aus Bismarcks Gnaden hätten sich die Koblenzer ersparen können. Das ist pure Geschichtsklitterung, wenn man bedenkt wie fremd Preußen den Rheinländern geblieben ist und wie zerstörerisch es sowohl im Alten Reich als im Deutschen Bund gewirkt hat, um am Ende 1866/1871 gegen die Mehrheit der deutschen Staaten und nur aufgrund militärischer Stärke ganz Deutschland zur Selbstentfremdung und zum Untergang zu führen. Von der monströsen Hässlichkeit des Denkmals gar nicht zu sprechen.

    Und vor allem: ist der Anbau wirklich eine gute Idee? Welche Architektur ist da geplant? Wir wissen leider allzu gut, dass Anbauten sich in Deutschland am Ende oft als furchtbare Warzen entpuppen. Statt der Neubau in Formen zu gestalten, die ihn als Fortsetzung des Altbaus gelten lassen, wird in der Regel ein billiger Klotz mit Glasverbindung angedockt. Das Ensemble wird damit regelrecht zerstört, was das schroffe Gegenteil einer denkmalgerechten Sanierung bedeutet. Das Ziel einer Sanierung kann nicht einzig und allein eine neue Nutzung sein, sondern diese neue Nutzung mit der zu schützenden bzw. wiederherzustellenden Gesamtwirkung in Einklang zu bringen. Wie kann es sein, dass hier eine historisch gerechte Sanierung zu Recht die Entfernung von nachträglich zugefügten Anbauten voraussetzt, dort aber mit einem neuen unpassenden Anbau einher gehen darf ? Diesen Widerspruch kann man an vielen Beispielen feststellen, etwa auch am geplanten, skandalösen Riesenglaskasten am Schloss Gottorf.

    Das wird nicht reichen, fürchte ich. Mist ist Mist, schon die unfassbare Höhe der Häuser macht eine richtige Verbesserung der Fassaden illusorisch, von geneigten Dächern nicht zu sprechen. Der Leipziger Platz wird langfristig eine der schlimmsten Fehlplanungen im Berlin der Nach-Wende-Zeit bleiben, so etwas wie ein aus den Fugen geratener Schwanengesang der 1980er Postmoderne und einer der wenigen Schwachpunkte in der sonst ansehnlichen Bilanz von Senatsbaudirektor Stimmann.