Lieber Beton als Barock
Von Ulrich Wolf
Ein 84-jähriger Rheinländer überzieht Sachsen mit Einkaufszentren. Die einen feiern ihn als Investor, andere sehen in ihm einen Schänder von Stadtbildern. Den Streit hält er aus – solange es sich rechnet.
Die architektonischen Entwürfe für die Shoppingcenter der Florana KG von Heinz Nettekoven zeigen oft eines nicht: ein Gesicht. Dieses Gebäude soll an der Bautzner Straße in der Dresdner Neustadt entstehen. Noch werden die Fundamente gemacht, schon ist es an eine Millionärsfamilie in Hessen verkauft. Repro: Florana KG
Seinetwegen macht die rothaarige Dame am Informationsschalter des Görlitzer Rathauses Überstunden. Normalerweise hätte sie um 19 Uhr Schluss gehabt, doch daraus wird nichts. „Da ist noch was im großen Saal“, sagt sie. Seit einer Stunde tagt dort der Stadtrat. Außerordentlich. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Seinetwegen.
Der, um den es geht, ist ein alter Mann: Heinz Nettekoven, 84. Genauer gesagt, geht es weniger um ihn, sondern um eines seiner Bauprojekte: um ein 30 Millionen Euro teures Einkaufszentrum in der Innenstadt. Dafür müssten einige marode Gründerzeithäuser weichen. Und das in Görlitz, wo nahezu jeder Bordstein Geschichte ist. Wo man sich im nächsten Sommer um den Weltkulturerbe-Titel bewerben will.
Nettekoven spaltet die Stadt: Die einen feiern ihn als Großinvestor, die anderen sehen in ihm einen Schänder des historischen Stadtbilds. Solche Streitereien schrecken ihn nicht. „Wichtig ist für mich, dass ich bauen kann, denn davon lebe ich“, sagt Nettekoven. Er meint das ernst, dieser ältere Herr, der – würde man ihm die Haare zerzausen und mit Hornbrille und Schnäuzer versehen – stark an den Kölner Schauspieler Willy Millowitsch erinnert.
Sein Leben lang hat er nichts anderes gemacht als zu bauen. Erst im Westen, dann im Osten. Über das Görlitzer Projekt hinaus will seine Firma Florana KG allein in Sachsen derzeit rund 100 Millionen Euro in Beton gießen. In Leipzig hat er schon das „Reudnitz-Center“ hochgezogen, zwei ähnliche Bauten im thüringischen Suhl und im pfälzischen Wittlich. Referenzen, die nicht alle überzeugen: Sieben Jahre lang versuchte Nettekoven vergebens, in Radeberg Fuß zu fassen. Sein Projekt in Heidenau verkaufte er vorzeitig, weil die Verwaltung andere Vorstellungen hatte. Das in Schneeberg platzte, weil Post und Evangelische Kirche zu Gegnern wurden, noch ehe der erste Bagger rollte. Vorhaben in Bautzen und Bischofswerda ließ er frühzeitig fallen, weil ihm die Ideen der Stadtverwaltungen zu teuer waren.
Gleich sieben Großprojekte aber hat Nettekovens Florana in Dresden an Land gezogen. Wie zuvor schon in Leipzig, Suhl und Wittlich, gibt es auch um diese Streit: mit Grundstückseigentümern, mit kleinen Einzelhändlern, mit Nachbarn, mit Denkmal- und Umweltschützern, mit Stadtplanern. Sogar eine Bürgerinitiative läuft Sturm gegen seine „08/15-Architektur“. Von „überdimensionierten Mülleimern“ ist die Rede, „von Büchsenbuden“, von „hässlichen Klötzen“. Hat der Mann denn gar keinen eigenen Anspruch an Baukultur?
Der 84-Jährige lacht. „Dat muss sich alles rechne“, sagt er in einer Mischung aus Hochdeutsch und rheinländischem Singsang. „Dat Barockjedöns es jo ganz nett, lohnt sich ävver nit.“ Nettekoven sitzt im Restaurant eines Görlitzer Vier-Sterne-Hotels, hat zum Abendbrot nur eine Pilzsuppe gegessen und trinkt nun sein drittes Pils. Der Seidenschal ist leicht verrutscht, am kleinen Finger seiner linken Hand glänzt ein brillantbesetzter Ring.
Ganz offen und ohne Schnörkel spricht er über seine Projekte. Über den Grundstücksstreit mit einem Nachbarn um das Einkaufs- und Parkprojekt „Bautzener Straße“ in Dresden zum Beispiel. „Dem hann ich Jeld jejevve, dann war Ruh‘. Der wollt doch nix anders.“ Der besagte Nachbar dementiert das zwar und wirft Nettekoven vor, ihn eingeschüchtert zu haben. Tatsache jedoch ist: Der Rechtsstreit war schon beim Oberverwaltungsgericht gelandet, der Nachbar juristisch auf der Siegerstraße – da einigten sich die Parteien überraschend. Statt eines mehrjährigen Baustopps wird nun bereits am Fundament gearbeitet.
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Erst sieben Jahre nach dem Umzug von Gotha nach Weimar sollte für die Nettekoven-Fischer-Familie der erste Großauftrag Wirklichkeit werden: Im Leipziger Stadtteil Reudnitz wurde aus einem ehemaligen Straßenbahndepot ein Einkaufszentrum. Der architektonische Anspruch des Gebäudes läuft gegen Null, die Bewohner des Viertels nahmen es trotzdem an. Kaum eröffnet, hatte Nettekoven es schon wieder verkauft: „För ein paar Millionen am Telefon, an die Kaufland-Stiftung.“
Nach Grundstücken und Mietern bilden Investoren die dritte Säule in Nettekovens Geschäftsmodell: Er sorgt dafür, dass die, die sehr viel Geld haben, es auf Wunsch in Beton gießen können. Die Kaufhäuser in Suhl, Wittlich und Dresden-Löbtau gehören inzwischen britischen Fonds. Das noch nicht fertige Wohn- und Geschäftshaus in der Dresdner Hauptstraße ist an einen Millionär in Düsseldorf gegangen, das künftige Einkaufszentrum in der Bautzner Straße an eine Familie im hessischen Bad Soden. Für die 11,5 Millionen Euro teure „Schillerpassage“ in Zwickau steht ein Arzt als Geldgeber bereit. Auch für das „Forum Großzschachwitz“ im Dresdner Süden habe er Investoren an der Hand, „wenn dat dort nur endlich voran jäng“. Seit Ende 2008 kämpfe er um das Projekt, inzwischen gebe es allein drei Verkehrsgutachten.
Architekten, Planungsbüros, Gutachten, Baumersatzpflanzungen, Grundstückskäufe – bei allen Projekten sind das die Kosten, die allein zulasten der Florana gehen – auch, wenn aus dem Bau nichts werden sollte. „Unternehmerrisiko“, sagt Nettekoven nur. Die eigentlichen Baukosten finanziert er über Bankkredite, teilt sie sich mit der Baufirma, oder der künftige Eigentümer übernimmt sie. 15 bis 20 Prozent Rendite will er machen mit seinen Projekten. Das ist fast Deutsche-Bank-Niveau.
Die Rechnung scheint aufzugehen. Von seiner Billig-Architektur kann er ganz gut leben. Er hat einen Chauffeur und einen Jaguar-Jahreswagen, Diesel. Er sammelt Stillleben aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Sein Handgelenk schmückt eine Schweizer Uhr, die Unruh ist in einen Gold-Dollar eingebaut. Die Florana KG macht Millionen, seine Schwimmrunden dreht er im Weimarer Luxushotel „Leonardo“. Warum er sich dann immer noch einen Zwölf-Stunden-Tag antut? „Ich bin Katholik, un ich bin ene Rhingländer. Su lang der leeve Jott will, un ich Spaß dran han, bau ich wigger.“
Als er das sagt, ist es fast Mitternacht an diesem Tag in Görlitz. Nettekoven zieht sich zurück auf sein Zimmer, will noch etwas Zeitung lesen. Morgen, sagt er, morgen habe er schon wieder Termine. In Dresden.