Beiträge von Mündener

    Ich vermute, dass die Malereien irgendwann während der letzten Jahrzehnte aufgedeckt, freigelegt und die Fehlstellen rekonstruiert wurden, wie in so vielen anderen Fällen. Dass dabei der Großteil der Bemalung überlebt hat, wundert mich nicht sonderlich, da man in der Vergangenheit altes Mauerwerk in aller Regel bei Umbauten soweit wie eben möglich erhalten hat. So wurden solide gemauerte Zinnen nicht zugunsten eines sauberen Ansatzes abgetragen, sondern - trotz der zwangsläufig entstehenden durchlaufenden Fugen - erhalten. Das entlang der Zinnen verlaufende Profil im ersten Beispiel wird hingegen wahrscheinlich eine Rekonstruktion sein.

    Zitat von VonSalza

    Wie kann es eigentlich sein, dass in der Denkmalliste falsche Angaben stehen?

    In diesem Fall kann ich mir durchaus vorstellen, dass das Fachwerk zum Zeitpunkt der Begehung (der durchaus ein paar Jahrzehnte zurückliegen kann) noch vollständig verputzt war. Der Eintrag in der Denkmalliste...

    Zitat

    Gasthaus Zur Linde, zweigeschossiger und traufständiger Halbwalmdachbau mit Fußwalm und Fachwerkobergeschoss, 17./18. Jh.

    ...jedenfalls lässt die Vermutung zu, dass das Fachwerk zwar anhand der baulichen Struktur des Gebäudes anzunehmen war, aber dennoch unter Putz verborgen lag. Dennoch ist selbst bei verputztem Fachwerk der Giebel mit Fußwalm und insbesondere mit sichtbarem Rauchloch ein klares Indiz für eine Datierung deutlich vor dem 17./18. Jahrhundert.

    Ein ähnliches Beispiel ist das Heilig-Geist-Spital im nahen Berching, mit einem vergleichbaren Giebel, dessen Fachwerk noch heute komplett unter Putz liegt. Auch hier ist die Datierung in der Denkmalliste...

    Zitat

    Spitalbau, zweigeschossiger und traufständiger Halbwalmdachbau, 16. Jh., mit ehem. Spitalkapelle Hl. Geist, heute Lesesaal, rechteckiger Saalbau, wohl 2. Hälfte 16. Jh.

    ...unwahrscheinlich spät angesetzt. Auch hierbei handelt es sich mit großer Sicherheit zumindest um ein Gebäude des 15. Jahrhunderts, wenn es nicht sogar noch älter ist (Gründung des Spitals 1354).

    Um mich kurz zu fassen: Ich habe keine Erklärung dafür, wie trotz der doch recht eindeutigen Datierungsmerkmale die Denkmalbehörden beide Bauten derart spät datieren und damit einen Teil ihres historischen Werts verkennen.

    Ein sehr schöner Ort auf bemerkenswertem Grundriss, der mir überhaupt nicht geläufig war, obwohl ich dort sehr regelmäßig in der Nähe vorbeikomme.

    Dieses Gebäude (das Gasthaus zur Linde) ist zwar auch in der Denkmalliste als ein Bauwerk des 17./18. Jahrhunderts vermerkt; die angeblatteten X-Streben des Giebels und rechten Gebäudeteils sowie der Fußwalm und das Rauchloch am First weisen das Fachwerkhaus aber definitiv als einen Bau des Spätmittelalters, vermutlich des späten 15. Jahrhunderts, aus.

    Klar, wenn man einen Ort schafft, der sich zum Feiern eignet, dann wird er dafür auch wohl genutzt werden - aber ich würde die Situation im bayerischen Städtchen Berching nicht unbedingt mit der Studentenstadt Marburg vergleichen, wo man eine Vielzahl an Leuten findet, die solche Partys veranstalten würden.

    Darüber hinaus erschien mir die Neugestaltung im Fluss und auch das Kulturhaus durchaus gelungen. Klar, die Gestaltung ist nicht gerade traditionell, dennoch durchaus hochwertig. Und dadurch, dass das Kulturhaus in einer Hinterhofsituation steht und außerdem in etwa die Kubatur einer Scheune hat, stört es meines Erachtens das Stadtbild nicht.

    Ein Paar Bilder vom Oktober letzten Jahres:

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    Die Südseite zeigt in etwa das gleiche Bild, mit dem romanischen Chorjoch, dessen Mauerkrone wohl wiederhergestellt wurde (jedenfalls fehlen jegliche Spuren einer Verankerung des Gewölbeschildbogens oberhalb des erhaltenen Rests). Das Korbbogenportal im hinteren Joch entstammt der Verkleinerungsphase.

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    Noch einmal das romanische Nordfenster des Chors. Laut Infotafel soll der Chorraum frühromanisch sein, was ich aufgrund stilistischer Erwägungen zumindest für den oberen Teil des aufgehenden Mauerwerks aber bezweifle. Was ich sehe, sieht eher nach der Zeit um 1200 aus und wäre mit anderen Kirchen der Region vergleichbar (Brilon-Thülen, Wormbach bei Schmallenberg). Unterhalb des Fensters befindet sich die älteste Grabplatte, die ich finden konnte, mit einer fragmentarisch erhaltenen Inschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert ( m ° ccccc ° [...] ).

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    Die übrigen Begräbnisse sind allesamt nach der Reformation entstanden und deren Grabplatten weisen meist Renaissance- oder barocke Dekorationen auf. Dabei wurden die älteren und wertvolleren Platten zum Schutz vor Verwitterung größtenteils entlang der Innenwände der Kirchenruine aufgestellt.

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    In den mittleren nördlichen Gewölbepfeiler ist eine recht große Nische eingelassen, deren Funktion mir nicht bekannt ist. Sakramentsnischen sind eher in der Nordwand des Chors angesiedelt, und eine Nische für einen Seitenaltar würde man auch eher im Seitenschiff unterbringen. Die Balkenlöcher in der barocken Nordwand des Westjochs sind vermutlich Überreste einer Empore - die geringe Höhe deutet darauf hin, dass das damalige Bodenniveau erheblich tiefer lag, was auch die sehr gedrungenen Proportionen der mittelalterlichen Bauteile erklären würde.

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    Die Kämpfer der romanischen Gewölbe weisen als einzige Elemente des Innenraums Verzierungen auf. Der recht einfache Flechtbandfries passt gut ins Bild einer spätromanischen Landkirche.

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    Im großen und ganzen wird die Kirche recht schlicht gewesen sein, innen wie außen. Einzig ein romanisches Tympanon, dass man im barocken Südportal wiederverwendet hat, weicht ab von der gestalterischen Strenge und ist aufgrund seiner archaisch anmutenden Gestaltung vermutlich Hauptursache für die erstaunlich frühe Datierung der Kirche in den Quellen. Vergleichsbeispiele für derartige Tympana sind mir leider nicht bekannt.

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    Noch einmal die gesamt Südseite der Kirche mit dem barocken Korbbogenfenster links, dem romanischen Chorfenster sowie dem barocken Portal mit dem zweitverwendeten Tympanon. Zwischen den beiden Jochen sieht man noch den Ansatz des ehemaligen Seitenschiffs. Die vordere Ecke wurde beim barocken Umbau mit einer mächtigen Verstärkung versehen, um den Gewölbeschub der verbleibenden Joche abzufangen.

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    Parallel dazu die Nordseite - man sieht den vermauerten Arkadenbogen. Außerdem fällt die Baunaht zwischen Chorjoch und verleibendem Langhausjoch auf, die aber durch die Ausbesserung des Mauerwerks im Bereich der ehemaligen Seitenschiffwand durch Steinaustausch stark überbetont ist.

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    Zuletzt noch die schlecht erhaltene Westfassade mit einem vermauerten Rundbogenportal, das entweder romanisch ist und versetzt wurde oder erst im Barock so geschaffen wurde. Dass die Kirche ehemals länger war, wird hier durch den an der Außenseite liegenden Gewölbekämpfer an der rechten Ecke deutlich.

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    Damit wäre der der baugeschichtliche Teil der Galerie fertig. Da aber die Atmosphäre vor Ort sehr schön war und ich noch eine ganze Reihe weiterer Bilder hab, werde ich diese einfach unkommentiert anhängen.

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    Als letztes Bild habe ich noch den Blick auf die neue Stadt Rhoden mit Schloss und Pfarrkirche.

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    Die Stadt Diemelstadt ist wahrscheinlich den wenigsten Ortsfremden ein Begriff - allenfalls, wenn man regelmäßig auf der A44 zwischen Kassel und Westfalen unterwegs ist, könnte man den Namen der Ausfahrt kennen. Allzu einprägsam ist der Name auch nicht, für mich steht er etwa auf einer Stufe mit Schwalmstadt und ähnlichen Kreationen der Kreisreform 1970, die auch der Schöpfungsakt für Diemelstadt war. Gleichwohl verbergen sich, wie so oft, hinter dem neuen Namen Ortschaften mit bedeutend längerer Geschichte - einen davon werde ich heute vorstellen.

    Kernort von Diemelstadt ist Rhoden - Neu-Rhoden, um genau zu sein. Rhoden ist ein typisches Waldecker Landstädtchen, eine Gründung des 13. Jahrhunderts mit Burg, Kirche, Resten einer Befestigung und viel Fachwerk, all das strategisch günstig auf einem Hügel in einem südlichen Seitental der später namensgebenden Diemel gelegen. Seit dem 14. Jahrhundert liegt Rhoden ziemlich allein in seinem Tal - die nächstgelegenen Ortschaften sind 3 bzw 4 km entfernt. Das damalige Zusammenspiel von Stadtflucht und Bevölkerungsverlusten durch die Pestepidemie hat allen anderen Orten in der Nähe den Garaus gemacht, unter anderem auch der Vorgängersiedlung Alt-Rhoden.

    Alt-Rhoden, um das es heute gehen soll, war das ursprüngliche Zentrum der Pfarrei Rhoden, die sich in einem weiten Umkreis um Alt- und Neu-Rhoden erstreckte. Die Kirche ist eine Gründung des 9. Jahrhunderts. Ab dem 12. Jahrhunderts entstand eine Hallenkirche westfälischer Bauart von 2 Jochen mit Turm und Chorjoch, die im Spätmittelalter um seitliche Anbauten - evtl ein Querhaus - erweitert wurde. Bis ins 16. Jahrhundert war die Alt-Rhodener Kirche Pfarrkirche und die Stadtkirche Neu-Rhoden deren Filialkirche. Mit der Reformation wurde die Hierarchie umgedreht; die Alt-Rhodener Kirche wurde zur Friedhofskapelle degradiert. Das führte offenbar schnell zum Verfall der nun deutlich überdimensionierten Kirche, denn schon im 17. Jahrhundert wurde der Großteil des Bauwerks abgerissen, sodass nur noch ein Rumpf aus 2 Jochen übrigblieb, der noch bis 1817 als Friedhofskapelle diente. Danach überließ man das Bauwerk endgültig sich selbst, sodass es heute nur noch eine Ruine ist.

    Nun zu den Bildern:

    Zunächst ein Blick durch das von Laubach und vom Rhodenerbach durchflossene Tal mit der kreuzenden Trasse der A44.

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    Ein Schotterweg führt auf die Kirchenruine zu, die sich in der Baumgruppe im Hintergrund verbirgt. Direkt dahinter führt die A44 vorbei.

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    Durch das erhaltene gotische Tor betritt man den Kirchhof auf der Ostseite. Der kleine kubische Bau in der Achse des Tors ist vermutlich ein Mausoleum, genau habe ich es nicht herausfinden können.

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    Die Kirchenruine liegt an der Spitze des kleinen Hügels. Die Ostwand des Chors wurde 1858 / 60 vermutlich aufgrund von Einsturzgefahr abgetragen. Eine Apsis besaß die Kirche anscheinend nie.

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    Da sich auch die Nordwand des Chors in Folge fehlender Abstützung bedenklich nach außen neigte, behalf man sich zur Sicherung großer Zuganker aus Stahl, die ihren Zweck zwar wunderbar erfüllen, aber der Atmosphäre des Ortes nicht gerade zuträglich sind. Davon unabhängig kann man hier schön den Restbau der Friedhofskapelle mit den zwei erhaltenen Jochen der alten Kirche überblicken.

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    Weiter gehts in Teil 2.

    Zitat von Tegula

    Deutschland besitzt als ein Kernland der christlichen Missionierung im Mittelalter ein sehr dichtes Netz an Bischofssitzen. Frankreich, England und vielleicht Italien dürften wohl auf ähnlichem Niveau mitspielen, ohne dass ich das auf die Schnelle mit konkreten Zahlen belegen könnte.

    Dem würde ich teilweise zustimmen, nämlich für das Rheintal, wo die großen Städte im Wesentlichen römische Gründungen sind. Generell haben die Regionen des ehem. römischen Reichs eine sehr hohe Dichte an Bistümern, aufgrund der Stellung der Bischöfe im frühen Christentum, die als Metropoliten jeweils einer (i. d. Regel städtischen) Gemeinde vorstanden, sodass jede Civitas und damit jede Gemeinde ein Bistum bildete. Die heute übliche Stellung der Bischöfe in der kirchlichen Hierarchie ist ein Resultat der christlichen Missionierung in der Breite seit der Spätantike, aufgrund derer die Bischöfe von Gemeindevorstehern zu Metropoliten einer ganzen Diözese von Pfarreien wurden (die Entwicklung von Pfarreien im heutigen Sinne ist die Antwort des Christentums auf die Gegebenheiten ländlicher Regionen außerhalb der römischen Gebiete, wo die Methoden der städtischen Gemeinde an Grenzen stießen). Als Folge dieses Bedeutungswandels der Bischöfe und deren hoher Stellung in der sich bildenden kirchlichen Hierarchie im Frühmittelalter gab es für die neu christianisierten Gebiete dieser Zeit (Hessen, Bayern, Sachsen) erheblich weniger Bistümer, die allesamt Missionszentren waren - im Gebiet der Sachsen Münster, Osnabrück, Paderborn und Minden, in Hessen und Thüringen Büraburg, Fulda und später Erfurt. Letztere wurden allerdings alle wieder von Mainz aufgelöst, als man deren Aufgabe - die Missionierung - als erledigt ansah, was die große Lücke ohne Bischofssitze in Hessen und Thüringen erklärt.

    Das gleiche Prinzip wiederholte sich etwa 200 Jahre später bei der Slawenmission, deren Bistümer mangels einer klaren Oberhoheit einer Erzdiözese (Madgeburg als Solche war selbst noch jung und nicht in der Stellung wie Mainz) aber im Wesentlichen bis zur Reformation überlebten (der Verlust der Bistümer Havelberg und Brandenburg in Folge des Slawenaufstands 983 blieb eine Episode, die Rückverlegung des Bistums Zeitz nach Naumburg hatte Bestand). Dennoch waren alle diese Diözesen deutlich größer bemessen als jede mit römischen Wurzeln an Rhein und Donau.

    Zur gleichen Zeit wie die deutschen Bistümer der Slawenmission ist übrigens auch der Großteil der Diözesen in Polen (Posen 10. Jhd, Gnesen 1000, Krakau ebenfalls ca. 1000), in Böhmen/Mähren (Prag 973, Olmütz 1063) und in Ungarn (Gran 1000, Vác 1004, Eger 10. Jahrhundert, Pécs 1009) entstanden - die Strukturen und Größen sind dabei vergleichbar.

    Zitat von Onkel Henry

    Reden wir jetzt von Deutschland oder den heiligen römischen Reich?

    Ich sprach bewusst vom HRR, weil ich es für widersinnig halte, Entwicklungen und Themen des Mittelalters in den politischen Grenzen größtenteils des 19. und 20. Jahrhunderts zu beurteilen, und damit unter Umständen wichtige Aspekte auszuklammern.

    Zitat von tegula

    Dort wo sie der Spätgotik zuzurechnen sind oder in einer Region entstanden, in der die Hallenkirche sich bereits seit dem 12. Jahrhundert heimisch war (z.B. Westfalen), die Hallenkirche auch im Kathedralbau wie selbstverständlich auftaucht.

    Ich denke, dass es auch ein gewisses Nord-Süd-Gefälle gibt - bemerkenswert finde ich die Bauten in Augsburg (der Chor ist vermutlich ein Werk der Parler-Familie) und Passau (begonnen mit einem Baumeister, der zuvor mit der Landshuter Martinskirche eine der bedeutendsten Hallenkirchen begonnen hatte), die beide in sonst von Hallenkirchen dominierten Regionen stehen. Aber auch hier passen sie ins Bild der Assoziation von Basiliken mit der Würde einer Kathedralkirche; nicht umsonst hat man diese Bauform hier auch bei besonders ambitionierten Stadtkirchen (Ulm nach Planwechsel, Freiburg im Breisgau, Bern, Freiburg im Üechtland, Reutlingen, Colmar, Schlettstadt, Nabburg, Deggendorfer Heilig-Blut-Kirche, Amberger Georgskirche, Münchener Peterskirche) noch im 14. und 15. Jahrhundert gerne gewählt.

    Dagegen sind in Norddeutschland Beispiele für dieses Phänomen seltener, in Westfalen, Friesland, sämtlichen Welfischen Territorien, Sachsen, Mecklenburg jenseits der Küstenstädte, Pommern und in der Mark Brandenburg waren Hallenkirchen ja nach Region spätestens seit dem 14. Jahrhundert das Nonplusultra, Ausnahmen sind hier selten (Norden, Lüneburg, Hildesheim, Eberswalde), die Basiliken der Hanseatischen Backsteingotik werden ihren Ursprung aber vermutlich in derselben Überlegung haben wie die oben genannten süddeutschen Stadtkirchen. Schlesien fällt hier ein wenig aus dem Rahmen, wo während des gesamten Mittelalters großformatige Basiliken ebenso häufig wie Hallenkirchen errichtet wurden, genau wie im Südlich angrenzenden Böhmen und Mähren.

    Interessant ist der Westen - die Häufung von Basiliken im Elsass hatte ich bereits oben erwähnt. Nach Norden nimmt die Konzentration ab, die spätgotischen Basiliken entlang des gesamten Rheins zeigen aber, dass man sich während der gesamten Gotik noch kreativ und teils innovativ mit dem Bautypus der Basilika beschäftigt hat (Oppenheim, Oberwesel, Münstermaifeld, Xanten, Wesel).

    Zitat

    Da ist die Frage bereits falsch gestellt. Natürlich ist Deutschland voller gotischer Kathedralen. In Deutschland nahm die Gotik aber einen etwas anderen Weg als in Frankreich. So war hier vor allem im Spätmittelalter die Halle die prägende Raumform.

    Schaut man sich die (während des Mittelalters als Solche fungierenden) Kathedralen im Heiligen Römischen Reich an, die im gotischen Stil neu- oder bedeutend umgebaut wurden, so stellt man fest, dass im Gegensatz zur Situation bei den Stadtkirchen die Basilika noch eine recht bedeutende Stellung hat.

    Von Nord nach Süd:

    -Lübeck (Halle, gotischer Neubau)

    -Cammin (Basilika)

    -Schwerin (Basilika, gotischer Neubau)

    -Verden/Aller (Halle, gotischer Neubau)

    -Havelberg (Basilika, Umbau der romanischen Basilika)

    -Brandenburg/Havel (Basilika, Umbau der romanischen Basilika)

    -Utrecht (Basilika, gotischer Neubau)

    -Minden (Halle, gotischer Neubau)

    -Osnabrück (Basilika, Neubau des 13. Jahrhunderts im Übergangsstil)

    -Magdeburg (Basilika, gotischer Neubau)

    -Halberstadt (Basilika, gotischer Neubau)

    -Fürstenwalde/Spree (de-facto Kathedrale des Bistums Lebus, Halle, gotischer Neubau)

    -Münster (Basilika, Neubau des 13. Jahrhunderts im Übergangsstil unter Einbeziehung ottonischer Bauteile)

    -Paderborn (Halle, gotischer Neubau)

    -Merseburg (Halle, gotisches Langhaus des frühen 16. Jahrhunderts)

    -Meißen (Halle, gotischer Neubau)

    -Köln (Basilika, gotischer Neubau)

    -Tournai (Basilika, gotischer basilikaler Chor)

    -Lüttich (Basilika, gotischer Neubau)

    -Cambrai (Basilika, gotischer Neubau)

    -Prag (Basilika, gotischer Neubau)

    -Leitomischl (vermutlich Basilika, gotischer Neubau)

    -Olmütz (Basilika, Umbau der romanischen Basilika)

    -Metz (Basilika, gotischer Neubau)

    -Eichstätt (Halle, gotischer Neubau)

    -Regensburg (Basilika. gotischer Neubau)

    -Toul (Basilika, gotischer Neubau)

    -Straßburg (Basilika. gotischer Neubau unter Einbeziehung des spätromanischen Chors)

    -Passau (Basilika, gotischer Neubau)

    -Augsburg (Basilika, gotischer West- und Ostchor und Umbau des romanischen Langhauses)

    -Chiemsee (wahrscheinlich gotischer Umbau der romanischen Basilika des Klosters Herrenchiemsee, de facto - St. Mariä Himmelfahrt in St. Johann i. Tirol, Saalkirche)

    -Wien (Halle, gotischer Neubau)

    -Brixen (Halle, gotischer Hallenchor)

    -Lausanne (Basilika, gotischer Neubau)

    Lässt man die Kathedralen, die nicht im weitestgehend deutschen Sprachraum lagen, aus (Niederlande, Flandern, Wallonien, Böhmen & Mähren, Lothringen) , so kommt man immer noch auf 13 Basiliken gegenüber 10 Hallenkirchen. Bei Stadtkirchen hingegen muss man abseits der deutschen Ostseeküste, Böhmens und des Elsasses schon fast suchen, um mal eine Basilika anzutreffen - vom klassischen Kathedralschema frz. Provenienz noch ganz zu schweigen. Letzterem fehlte im deutschen Sprachraum schlicht und ergreifend die Verankerung in der Tradition, die ja jene der normannischen und französischen Romanik war. Ausnahmen wie Köln, Regensburg, Straßburg und Limburg (an alle Kunsthistoriker - ja, rheinische Romanik hin oder her - ich weigere mich, Limburg der Spätromanik zuzuordnen, während die stilistisch auf gleicher Stufe stehenden Kathedralen in Laon und Roskilde schon zur Frühgotik gezählt werden) bestätigen da die Regel.

    Ich denke, die Basilika als der Kathedrale angemessene Bauform behielt ihre Stellung während des gesamten Mittelalters zu einem gewissen Maße, wobei auch oft der Mode vor der Tradition Vorrang gegeben wurde. Vergleicht man die Situation bei den Kathedralen mit den Stadtkirchen, so stellt man jedoch ein deutlich ausgeprägteres Traditionsbewusstsein fest als bei den i. d. Regel der Mode folgenden Stadtkirchen.

    PS: Ich hab Cammin in der Aufzählung vergessen, aber was solls, ist ja ne Basilika und spielt daher in der Statistik keine große Rolle mehr :biggrin:

    PPS: Eichstätt fehlt auch noch.

    PPS die Zweite: Das unfassbar relevante Bistum Chiemsee fehlt auch noch ablachen:) Nehm ich jetzt die Herrenchiemseer Klosterkirche als Kathedrale oder die für einen Großteil seiner Existenzzeit de-facto-Kathedrale, die Dekanatskirche St. Mariä Himmelfahrt in St. Johann in Tirol? :lachen:

    Zitat

    Zumal sich hier die Frage stellt, woher man bis ins Detail zuverlässiger Vorlagen bekommen möchte, um den Turm in seiner ursprünglichen Gestalt präzise zu rekonstruieren.

    Wenn ich mich richtig erinnere (Quellen würde ich bei Interesse recherchieren), wurde der Nordturm der Kirche seinerzeit, nachdem die statischen Probleme schon länger bekannt waren, unter Leitung von Viollet-le-Duc nach akribischer Planung und unter genauer Dokumentation Stein für Stein abgebaut und teilweise für eine spätere Rekonstruktion eingelagert.

    Unter anderen Umständen würde man die Rekonstruktion vermutlich auch nicht in Betracht ziehen.

    Außerordentlich herzlichen Dank für die Belehrung!

    Mit „Spätgotik im Wald-/Mühl- und Mostviertel“ meinte ich jedoch ausschließlich jene Sonderformen, die Ursus hier in diesem Strang thematisiert, und die nahezu komplett in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts und im frühen 16. Jahrhundert auftraten.

    Damit war nicht beabsichtigt, die beiden böhmischen Vorläuferbauten ebendieser Spätgotik als Hochgotik zu bezeichnen, wobei zumindest die Maßwerkformen beider Kirchen durchaus noch hochgotisch sind und noch nichts vom Parler‘schen Avantgardismus der Parger, Kolíner und Kuttenberger Kirchen an sich haben.

    Ich denke, Kájov/Gojau dürfte mit ihren schlanken kapitelllosen Pfeilern und dem Springrautengewölbe noch in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts und damit zu den Vorläufern der Spätgotik in Wald-/Mühl- und Mostviertel gehören, ähnlich wie die wahrscheinlich noch etwas älteren Ägidiuskirchen in Milevsko/Mühlhausen und Wittingau/Třeboň mit weitgehend identischen Gewölbekonfigurationen (wobei das Langhausgewölbe in Milevsko vermutlich nie eingezogen wurde; die Rippenansätze lassen aber keinen Zweifel an der geplanten Form).

    Unabhängig von Mutmaßungen zur Urheberschaft der Brände muss man leider auch sagen, dass Hann. Münden nicht zu den Städten gehört, die ihren Bürgern in historischer Zeit die Errichtung von Brandmauern abverlangt haben, ähnlich wie auch die meisten anderen Städte des südniedersächsischen Raums. Die Folge daraus ist eben auch, dass der bauliche Brandschutz immer noch auf dem Stand des Mittelalters/der frühen Neuzeit ist, und großflächige Stadtbrände bis teils ins frühe 20. Jahrhundert hinein zeigen, dass auch der heutige sehr gute Brandschutz der Haustechnik nicht immer vor Allem schützen kann. Und wenn es erst einmal brennt, dann auch schnell recht großflächig.

    Der einzige Trost für mich ist, dass keiner der Brände in den vergangenen Jahren die kunst- bzw bauhistorisch wertvollste Substanz betraf (Bauten des 14. und 15. Jahrhunderts sowie die Prachtbauten der Renaissance und des Barocks).

    Nein, Sázava / Sasau ist es nicht, wiewohl dieses Kloster auch einstmals befestigt war. Aber eine komplette Burg gab es dort nicht. Zudem ist der heutige Zustand des Langhauses der Kirche in Sázava auch der Mittelalterliche; man hat das Langhaus nie vollendet (aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund der Plünderung(en) durch die Hussiten. Dabei erging es Sázava (und auch dem von mir gezeichneten Kloster) recht glimpflich; die Klostergebäude blieben weitgehend intakt. Andere Klöster wie etwa Skalitz wurden von den Hussiten nahezu komplett zerstört.

    Ein weiterer Tipp: In Böhmen ist es nicht.

    Gut, einen Hinweis sollte ich vielleicht schon geben, zumal die stilistische Einordnung nicht ganz einfach ist und heute nur noch wenig mittelalterliche Substanz existiert (Der Chor der Kirche, Kernsubstanz des Langhauses, drei Joche Kreuzgang und ein Gewölbekeller).

    Die Befestigungsanlagen wurden als Reaktion auf eine Brandschatzung durch die Hussiten errichtet.

    Was denkt ihr über das Haus schräg gegenüber?

    3, Rue du Général Braun: (noch nicht verifiziert)

    https://goo.gl/maps/uKYW37fggp3Lc6kr9

    Gestern hab ichs noch als neuzeitlich betrachtet. Bei näherer Betrachtung gerade eben fiel mir auf, dass sich am rechten Ständer ein leerer Blattsitz für einen aufgeblatteten Riegel befindet. Kann also für meine Begriffe durchaus auf die Liste. Vermutlich ist es auch ein recht später Bau, Anfang 16. Jahrhundert.