Rettung mit der Abrissbirne
Von Frank Seibel
Stadtrat. Um sanierte Häuser vor dem Verfall zu schützen, sollen marode Denkmale geopfert werden.
„Vor zehn Jahren hätte ich noch laut aufgeschrien, vor fünf Jahren wäre ich immer noch empört gewesen. Heute sage ich: Wir können nicht mehr anders.“ Mit Gottfried Semmling (Bündnisgrüne) plädierte ausgerechnet einer der leidenschaftlichen Befürworter des Denkmalschutzes in Görlitz am Donnerstagabend im Stadtrat dafür, dass auch einzelne denkmalgeschützte Häuser abgerissen werden dürfen.
Mit diesem Schritt sollen die anderen Besitzer von Häusern in der Innenstadt unterstützt werden, die zurzeit Probleme mit der Vermietung ihrer Wohnungen haben. Dadurch fehle immer mehr Eigentümern das Geld, ihre Häuser in Schuss zu halten.
Um den massenhaften Verfall von Baudenkmalen vor allem in den Gründerzeit-Gebieten zu verhindern, müssten an anderen Stellen Häuser abgerissen werden, die jetzt schon in sehr schlechtem Zustand seien. Denn „wenn die saniert würden, wäre das eine zusätzliche Belastung für den Wohnungsmarkt“, sagte Semmling.
200 Wohnungen weniger
Mit großer Mehrheit hat sich der Stadtrat dafür ausgesprochen, elf Objekte mit insgesamt 200 Wohnungen zum Abriss freizugeben. Mit einer entsprechenden Liste soll Oberbürgermeister Joachim Paulick (CDU) die Landesdenkmalbehörde in Dresden überzeugen, ihre Abrissverbote zurückzuziehen.
Gegen den Antrag sprach Volker Dähn (Die Linke/PDS). Er sprach sich für die Zerstörung von Vermögen aus und sagte, die Eigentümer von Mietshäusern müssten sich selbst um attraktivere Wohnbedingungen kümmern. Sie müssten investieren und das unternehmerische Risiko tragen.
Nach seiner Einschätzung ziehen nur deshalb wenig Menschen in die Innenstadt, weil das Wohnumfeld nicht stimme: „Viele Hinterhöfe sind verbaut. Es ist dunkel, es gibt kaum Grün und kaum Autostellplätze.“ Man könne Mieter nicht „auf Kosten der Allgemeinheit umlenken“. Er selber, so Dähn, würde auch nicht in der Innenstadt wohnen wollen. Gleichwohl appellierte er dafür, mit der Attraktivität von Görlitz noch stärker zu werben, um den Bevölkerungsschwund aufzuhalten.
Stephan Lechner (CDU) zeigte sich betroffen von den Äußerungen Dähns: „Sie können doch hier kein Bild zeichnen, als sei alles fürchterlich!“ Es habe sich schließlich viel getan, und manche historischen Quartiere seien mittlerweile wieder beliebt.
74 000 Euro für leere Häuser?
Lechner rechnete die finanziellen Effekte für die Wohnungsbaugesellschaft (WBG) vor: Pro Jahr spare sie sich 74 000 Euro an Zins und Tilgung für so genannte Altschulden aus der DDR-Zeit. Es sei sinnlos, wenn eine städtische Gesellschaft für Schulden und leere Häuser so viel ausgebe.