Sehr geehrte(r) Herr/Frau [...]!
Fragen des Denkmalschutzes und des Erhalts historischer Altstädte werden heutzutage nicht mehr nur am Ort des Geschehens wahrgenommen und diskutiert, sondern schlagen bundesweit, wenn nicht sogar international Wellen. Insofern möchte ich auch als Nicht-Memminger Stellung nehmen zu den derzeitigen Entwicklungen in Ihrer Altstadt.
In den letzten Jahren häufen sich Abrisse von wertvollen Altbauten in der Memminger Altstadt in einem erschreckenden Maße. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang z. B. die kürzlichen Abbrüche von Lindentorstraße 3, Gerberplatz 1 & 2, An der Hohen Wacht 2 & 4 oder Am Einlaß 3 & 4. Der Gerberplatz, wo man nach dem Krieg liebevoll das schwer beschädigte Siebendächerhaus wiederaufbaute, ist nun leider de facto zu einem Neubauplatz geworden. Teile der Memminger Altstadt zeigen Verfallserscheinungen, die man eigentlich eher in wirtschaftlich gebeutelten Städten in den neuen Bundesländern vermuten würde. Doch anders als in vielen Städten Ostdeutschlands scheint die Wertschätzung für das Gesamtensemble der Altstadt in Memmingen nicht allzu stark ausgeprägt zu sein. Vielmehr scheint der Glaube vorzuherrschen, man habe doch noch eine historische Altstadt und könnte ruhig an allen möglichen Stellen großzügig Abrisse vornehmen. Solche Gedanken sind fatal. Memmingen hat nicht nur im Krieg in der südlichen Altstadt, sondern insbesondere seit etwa 1970 heftige Verluste hinnehmen müssen. Die Fähigkeit, alte Gebäude zu sanieren und einer neuen Funktion zuzuführen, scheint uns leider sukzessive abhanden zu kommen. Abrissgenehmigungen werden viel zu oft bedenkenlos erteilt, eine Sanierung oftmals vermutlich gar nicht erst angedacht.
Der Häuserbestand einer Altstadt ist ein wertvolles Gut, das es zu schützen gilt. In Deutschland haben wir weiß Gott in dieser Hinsicht durch Bombenkrieg und die unreflektiert modernistisch-fortschrittsgläubige Ideologie der Nachkriegsjahrzehnte bereits viel zu viele schwere Verluste erleiden müssen. Städte wie Dresden, Frankfurt, Potsdam oder Berlin rekonstruieren heute Teile ihrer im Krieg untergegangenen Altstädte. Und in Memmingen rollt zur gleichen Zeit eine Abrisswelle über den Altbaubestand der Altstadt, die unter den bedeutenden verbliebenen Altstädten Süddeutschlands ihres Gleichen sucht?! Setzen Sie diese schlechte Tradition bitte nicht fort. Sie tun der Stadt damit definitiv nichts Gutes. Auch die besten Neubauten führen praktisch immer zu einer Sterilisierung des betreffenden Altstadtbereichs, nicht selten auch zu einer offensichtlichen Bausünde. Eine historische Altstadt stellt v. a. in ihrer baulichen Geschlossenheit einen hohen kulturellen Wert dar.
Es kann demnach nicht nur darum gehen, lediglich einige in die Denkmalliste eingetragene Einzeldenkmäler zu schützen und den Rest der Altstadt durch fortlaufende Abrisse sukzessive in ein Neubaugebiet umzuwandeln, sondern es muss grundsätzlich das Ziel sein, den Altbaubestand der Altstadt in seiner Gesamtheit zu bewahren. Ein reiches und kulturbewusstes Land muss es sich leisten können, kurzfristige wirtschaftliche Überlegungen bei elementaren Fragen des Erhalts architektonischer Kulturwerte hintanzustellen. Die Klein- und Mittelstädte in Deutschland stehen in einer besonderen Verantwortung, ihr architektonisches Erbe zu wahren, nachdem die Altstädte der meisten deutschen Großstädte im Verlauf des 2. Weltkriegs vernichtet worden sind. Andere Städte wären froh, ein Altstadtensemble wie Memmingen zu haben, mit dem in Memmingen jedoch bisher nicht sorgfältig genug umgegangen wird.
Es gilt unter den gegebenen demographischen Realitäten von Außen nach Innen zu schrumpfen, d. h. im Neubausiedlungsgürtel außerhalb der Altstadt vermehrt Abrisse vorzunehmen, aber eben nicht in der Altstadt selbst mit ihrem wertvollen Gebäudebestand, mit dem die unverwechselbare Identität eines Ortes verknüpft ist. Sanierungsbedürftige Häuser in einem Altstadtkunstwerk sind keine "Schandflecken", die vertilgt werden müssten - wir zerstören schließlich auch keine Gemälde, die nach langer Zeit wieder einmal zum Restaurator müssen. In Bayern häufen sich in letzter Zeit Fälle wie die jetzigen in Memmingen. Sei es eine uralte Mühle in Rothenburg oder das Rosenzweighaus im mittelfränkischen Mühlhausen - überall führt der Verlust wertvoller Altbauten zu einer Degradierung des Stadtbilds und überdies nicht selten auch zu einer schlechten Presse.
In naher Zukunft muss in Memmingen nicht nur die Sanierung des Versunkenen Rathauses (Kempter Straße 29, 31) angegangen werden. V. a. Gießergasse 7, Herrenstraße 16, Kuttelgasse 10, Maximilianstraße 2, Maximilianstraße 20 a, 20 b, 20 c, Rosengasse 5 (wäre saniert ein echtes Schmuckstück), Rosengasse 11 a, 11 b, 11 c, Waldhornstraße 15, 17, 19 (steht nicht in der Denkmalliste, ein Verlust wäre nichtsdestotrotz dramatisch), Lindentorstraße 10 (ein für das Stadtbild ungemein wichtiges Eckgebäude), Obere Bachgasse 10 (hier drängt die Zeit, das Haus steht unverständlicherweise ebenfalls nicht in der Denkmalliste, ein Verlust wäre unverzeihlich), Rotergasse 7, Weberstraße 44, Kalchstraße 28 und Heidengasse 9 harren bis heute ihrer Rettung. Ein Abriss dieser Häuser hätte, abgesehen vom kulturellen Verlust, schreckliche Folgen für das Stadtbild. Sie sind auch nicht durch noch so gute Neubauten zu ersetzen. Ihre Sanierung muss zu einer Hauptaufgabe der Stadtentwicklung bzw. der Altstadtsanierung in nächster Zeit werden.
Ein Sanierungskonzept, das darauf abzielt, in den bestehenden Gebäuden Gastronomie, Wohnungen, Büros etc. unterzubringen, ist allemal einem allfälligen Abriss vorzuziehen. Möglicherweise kleinere Nutzflächen oder geringfügig höhere Kosten als bei einem Neubau sollten hier in Kauf genommen werden - das muss einem die eigene Geschichte und Kultur einfach wert sein. Vielleicht wäre mittelfristig ein Sanierungskonzept mit direkten Fördermitteln und steuerlichen Absatzmöglichkeiten bei der Sanierung von Altbauten ähnlich dem in Ostdeutschland nach der Wende anzustreben, um dem gesamten Problemkomplex richtig zu begegnen. Hierzu müssten jedoch viele Städte und Gemeinden sich zusammentun und in München vorsprechen.
Mit freundlichen Grüßen [...]