Quote from "Heimdall"
Inwiefern sich Kultur und und eine "grundlegende Ästhetik" und "Funktionalität" (diese wird ja gerade von Anhängern der Baumoderne oft als Argument wider eine historisierende Ästhetik ins Feld gebracht) widersprechen, verstehe ich nicht.
Ich sagte nicht, daß es sich widerspricht. Ich meinte, daß diese Ästhetik keine besondere kulturelle bzw. künstlerische Schöpfungshöhe voraussetzt, nach der hier anscheinend gerne gerufen wird. Ein Gründerzeitler aus dem Katalog tut es voll und ganz.
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Das alles mag architektonisch auch nett sein, wenn die Bauten sich primär danach ausrichten, inhaltlich wirklich befriedigen wird es aber längerfristig nicht.
Wonach richteten sich übliche Gründerzeitwohnblocks sonst? Oder überhaupt der Bauschmuck jeglicher Epochen, abgesehen von einigen repräsentativen Werken wie Kirchen. Da ging es doch nicht hochtrabend um Inhalte.
Hier wurde einfach Schönheit geschaffen, ähnlich wie bei klassischer Landschaftsmalerei, die Kunstkritiker heute für ihren "dumpfen Realismus" tadeln.
Für inhaltliche Befriedigung bieten modernistische Bauten mit ihren abstrakten Formen wohl mehr.
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Zudem hinkt der Vergleich des China-Dorfes mit dem Historismus der Gründerzeit natürlich etwas. Der Historismus spielte - von geringen Ausnahmen abgesehen (z.B. orientalische Badehäuser o.ä.) - immerhin mit den überkommenen Elementen der eigenen Baugeschichte.(...) Dabei stimmt das Bild nicht ganz, daß in der Gründerzeit sämtliche Stilelemente "munter durcheinandergewürfelt" wurden. Das kam vielleicht in der Spätphase des öfteren mal vor
Nun, ich habe da schon auf ein reales Beispiel abgezielt. Ein denkmalgeschütztes Arbeiterwohnhaus von 1879 unter dem Rest HH-Hammerbrooks, direkt an der Bahnstrecke. Als es unter Schutz gestellt wurde, wurde in der entsprechenden Bekanntmachung auf die Durchmischung von Stilen inklusive italienischem Stil (der 1. Stock sieht wirklich wie ein italienisches Wohnhaus aus) auf engem Raum hingewiesen. Es war teilweise schon recht abgefahren, und '79 ist ja nun kaum die Spätphase.
Aber selbst wenn eigene Stile verarbeitet werden, na und? Die profane Weise der Entleihung bei der Masse der Gebäude war doch auch nur auf dem Niveau heutiger Popkultur. So kommt mir das zumindest vor. Falls es stimmt, daß man damals Fassadenelemente von der Stange aus dem Katalog aussuchen konnte, dürfte der Eindruck auch berechtigt sein.
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Ich habe über dieses Thema einmal eine Seminararbeit verfasst.
Studierst du Architektur? Kann man die Arbeit irgendwo lesen?
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Schon damals hieß das nicht, daß man auf schöne Optik, auf Funktionalität und Kleinteiligkeit im Städtebau verzichten soll. Und daß guter Städtebau das Entstehen von Kultur begünstigen kann, ist selbstverständlich unwidersprochen. Ich denke, hier ist überhaupt kein Gegensatz in unseren Positionen.
Der Gegensatz ist wohl die Frage, ob es auf die besagte kulturelle Schöpfungshöhe ankommt. Und da meine ich, es kommt allein auf das Ergebnis und die Wirkung auf die Lebensqualität im Viertel an, und wenn man ohne jegliche Kreativität einfach 1:1-kopiert hat.
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Daß allerdings die heutige Architektur beliebig irgendwelche Baustile der Weltkulturen kopieren sollte, um sie dann als Retortenareale in unsere Landschaft zu klotzen, bedient nur einen oberflächlichen Event-Drang für Ausflügler
Das Bauwerk in meinem Avatarbild wurde anfänglich als genau so eine Effekthascherei verdammt. Künstler gaben öffentlich bekannt, daß das nicht mehr 'ihr Paris' sei und sie wegziehen werden.
Ich halte dagegen: die Wirkung von Gebäuden _ist_ oberflächlich. Ansonsten müßte man tiefsinnige Texte auf die Fassade schreiben. Den gescheiterten Versuch, durch abstrakte Ausdrucksformen einen Mehrwert zu schaffen, beobachten wir beim Modernismus.
Die Wirkung eines typischen Altbaus ist nun einmal unmittelbar, es bedarf nur eines Blickes und keiner konzentrierten Beschäftigung mit dem Bauwerk. Diese kann die Wirkung höchstens noch vertiefen, aber zunächst einmal kommt sie aus dem Bauch.
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China-Dörfer bedienen also nur.
Besser bedienen als von oben herab diktieren oder gar abschrecken, wie das heute leider oft passiert.
Um es klarzustellen, ich sehe da auch durchaus Risiken. Vor allem die Gefahr einer deplatzierten und kitschigen Wirkung.
Aber im Angesicht der gigantischen Masse an gähnend langweiligen und häßlichen Bauten in Deutschland ist dieses Risiko denkbar gering. So viel China kann man hier gar nicht hinbauen, daß das ach so schreckgespenstische Disneyland Wirklichkeit wird.
Und abgesehen davon, daß in Ordnung ist, was den Leuten gefällt (ansonsten kommen wir wieder zur Emporhebung des Künstlers bzw. Fachmanns über die Bedürfnisse der Bürger): Ästhetik ist anders als durch solche Experimente momentan eben nicht zu erwarten.
Ihr habt wahrscheinlich einen fachlichen Hintergrund?