Potsdams historische Mitte - Allgemeines und Stadtpolitik

  • @ Der Kurfürst,

    komisch - ich kenne viele, sehr viele Leute in Potsdam, die nach 1989/90 geboren sind und/oder aus dem Westen kommen und ebenfalls ein Interesse daran haben, das ein oder andere DDR-Gebäude zu erhalten. Schlicht und einfach, weil die Gebäude nun mal da sind, oft noch genutzt werden und auch Teil der Geschichte Potsdams sind. Es gibt natürlich Ostalgiker unter den Bewahrern, aber eben nicht nur. Bei weitem nicht. Vielleicht passt das nicht in Ihr manichäisches Weltbild, aber es ja nun einmal so...

    Beste Grüße

  • Kritiker, das ist doch alles nichts Neues. Die Begründung zum Thema, warum "das ein oder andere DDR-Gebäude" erhalten werden solle ("weil es nunmal da ist") finde ich allerdings besonders flach. Da hatten wir schon bessere: die Gestaltung z. B. des FH-Gebäudes übertrifft an Witz und Qualität fast jedes zeitgenössische Haus, der Bau ist natürlich zeittypisch und erwärmt natürlich nicht nur die Herzen der in Berlin wohnenden Studenten sondern auch der Ostalgiker.

    Hierbei wird jedoch (von manchen bewußt) übersehen, dass es gerade die FH und das Rechenzentrum sind, die eine maßstäbliche Altstadt, die überwiegend in zeitgenössischer Architektur errichtet werden soll, verhindern. Alleim auf dem FH-Areal werden etwa 30 Einzelbauten entshen, davon nur 4 Fassadenrekos.

    Somit werden beide Gebäude zu Schlüsselbauten der Gesamtumgestaltung der Altstadt, weil sie bewusst quer zum historischen Stadtgrundriss errichtet wurden um diesen Vergessen zu machen (was offenkundig nicht gelungen ist). Besonders putzig finde ich die Bemühungen für diese Gebäude bauliche Nutzungen zu finden (bei der FH ist das neue Heim an der Pappelallee ja schon im Bau. Natürlich könnte man die FH zu allem Möglichem umbauen - jede dieser Idee bedingt jedoch eine Rückführung auf den Rohbauzustand, sodass die Umbauten mit dem Ursprungsbau soviel tun haben werden wie eine Ente mit einem Adler. Der Efekt kann (auch was die Kosten betrifft) bei der Stadtbibliothek besichtigt werden.

    Zum Schluß findet ein Umbau nicht einmal die Zustimmung der Ostalkiger und leistet nur eines: Verhinderung von Altstadt. Das ist ja für die meisten Kalkül.

    Wer im übrigen tatsächlich DDR-Architektur retten wollte könnte dies an vielen Stellen tun. Auch die These in Potsdam könne man vergesen, dass die Stadt Bezirkshauptstadt der DDR gewesen sei. In der Altstadt sind 80 Prozent der Wohnungen kommunal in Plattenbauten angesiedelt - die bedarf es für eine stadtische Mischung eben genau des Gegenteils, nämlich privater Bautätigkeit.

  • ... und ebenfalls ein Interesse daran haben, das ein oder andere DDR-Gebäude zu erhalten. Schlicht und einfach, weil die Gebäude nun mal da sind, oft noch genutzt werden und auch Teil der Geschichte Potsdams sind.

    Ich bitte da zu unterscheiden zwischen Bauen innerhalb der Geschichte und Bauten der Geschichte.
    Der Unterschied liegt in der zeitübergreifenden Bedeutung. - Ansonsten hätte keine Generation eine Handhabe, den einen Bau durch einen anderen zu ersetzen, was sie immer getan hat.

    Um es am Beispiels Potsdams zu illustrieren:
    Die Seerose an der Neustädter Havelbucht hat eine große Bedeutung aufgrund der Einmaligkeit des Baus, das FH-Gebäude (eh. Institut für Lehrerfortbildung) wie auch das Mercure-Hotel (eh. Interhotel) hat faktisch null Bedeutung, dies aufgrund der Austauschbarkeit ihrer Fassadenelemente. Jenseits des vergangenen Ost-West-Gegensatzes, wie an so vielen anderen Orten Gebäude in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], in Frankfurt an der Oder, in Stuttgart, [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Hamburg oder sonstwo.

    Insofern geht es schlicht und einfach darum, ein völlig bedeutungsloses Gebäude durch mehrere Gebäude zu ersetzen, die an das Spezifische, an das zeitübergreifend Prägende kurzum: an das Bedeutende des Stadtraums anknüpfen.

    Einzig an den Spagat hochgehender Mieten und der Beibehaltung soziokultureller Mischung im Zentrum gilt es m. E. heranzugehen. Da sind die letzte Worte noch nicht gesprochen. Dies zu tun, darin läge ggf. ein Verdienst der Iniative "Die Mitte neu denken", wenn sie denn dies vorhätte, anstatt nur bedeutungslose Gebäude auf Deubel kumm raus zu retten.


  • Insofern geht es schlicht und einfach darum, ein völlig bedeutungsloses Gebäude durch mehrere Gebäude zu ersetzen, die an das Spezifische, an das zeitübergreifend Prägende kurzum: an das Bedeutende des Stadtraums anknüpfen.

    Einzig an den Spagat hochgehender Mieten und der Beibehaltung soziokultureller Mischung im Zentrum gilt es m. E. heranzugehen. Da sind die letzte Worte noch nicht gesprochen. Dies zu tun, darin läge ggf. ein Verdienst der Iniative "Die Mitte neu denken", wenn sie denn dies vorhätte, anstatt nur bedeutungslose Gebäude auf Deubel kumm raus zu retten.

    Jeder schätzt dabei die Prioritäten anders ein. Die wirkliche Umformung der Stadt ist zur Zeit durch den Mietzins getrieben. Sprich, wenn die Sozialwohnung keine soziale Miete hat, hat auch der Mieter keine Präferenz mehr für den Bau, so setzen sich dann repräsentativere Formen wirtschaftlich durch. Der Versuch einer Aufwertung des Bestandes durch Besprechung (der Mitteneudenker) lässt sich nicht verhindern, er zerstört aber zugleich die sozialen Intentionen. Ganz gleich wie der Wandel des Revolutionären Dichters zum staatstragenden Poeten, wird auch das DDR-Geraffel am Bau allenfalls Wertgewinne verbuchen, die seinen Abriss nicht verhindern aber das Umfeld schon vorher um so stärker gentrifizieren und die Meßlatte hoch setzen. Für ein sozial lebendiges Potsdam ist die Mitte schon verloren.

  • Für ein sozial lebendiges Potsdam ist die Mitte schon verloren.

    Die Befürchtung will ich keineswegs in Abrede stellen, auch wenn ich nach wie vor persönlich damit hadere.
    Hierbei mangelte es seit Jahren an der nötigen Sensibilität, was selbstverständlich in keinster Weise gegen Rekonstruktionen an sich spricht, allenfalls gegen den üblichen Standard, mit dem sie erfolgen. Je weniger etwas (noch) zu ändern ist, umso mehr von Omnipotenzgefühlen getrieben scheinen diejenigen, die sich als Gegner des Gesamten begreifen.

  • Also zuerst ist doch einmal festzustellen, dass hier auch zu DDR-Zeiten keine "sozial lebendige" Mitte herrschte. Wenn diese je existiert hat, dann vor 1933 mit allein 5 Gasthäusern an dem kleinen Stück Alte Fahrt und dem Barberini, dass seit FW IV eine Art Kreiskulturhaus war mit Festsälen, allerlei Vereinskultur und dem Standesamt. Dazu kamen die Ausflügler, Bierheimbraureien und Schnapsdestillen. Sicher nicht "sozial ausgewogen" im Sinne einer politisch korrekten Sicht der Weltgeschichte, aber lebendig und bunt.

    Die marxistische These, dass eine Steigerung des Mietzinses repräsentativere Fassaden nach sich zieht wird ja zur Zeit allüberall falsifiziert. Der Gedanke beruhte auf einem Wettstreit des Bürgertums um mehr Wohlstand und des Zeigen desselben. Zentrale Plätze deutscher Städte wie der Schinkelplatz in Berlin oder auch der neue Otto-Braun-Platz in Potsdam zeigen, dass hier kein Zusammenhang mehr besteht. Je teurer die Miete - desto üppiger die Fassade: das war mal. Jetzt wird auch an prominenten Orten rumgestyroport und schlichtester Konstruktivismus errichtet.

    Zudem befinden sich 85 % der Wohnungen der Potsdamer Altstadt in Stadtbesitz und sind preisgebunden. Insofern scheint mir hier - was den Preis betrifft - keine Gefahr. Jedoch was die "Lebendigkeit" betrift, denn die Nutzungsmischung besteht in den Bauten der Stadt eben nicht.

  • Wo wir uns gerade über den Mietspiegel in Potsdam und seiner historische Mitte sollte dieser Bericht für die Forumteilnehmer interessant sein.

    http://www.pnn.de/potsdam/1009022/
    (Quelle: Potsdamer Neuste Nachrichten -PNN- )

    "Die Wohnungen seien bereits alle verkauft, hieß es – mit Quadratmeterpreisen von durchschnittlich 5000 Euro selbst für Potsdamer Verhältnisse teuer. Für die Gewerberäume würden noch Nutzer gesucht."

  • Wie die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) am 24.09.2015 bereits berichtet hat, hat der Kulturausschuss mit knapper Mehrheit dafür votiert, dass das Potsdam-Museum nicht mit den Kosten belastet werden soll, die durch den Abbau der gefängnisartigen Gitterkonstruktion im Treppenhaus entstehen. Der Architekt machte künstlerische Freiheit geltend. Laut Bauverwaltung hingegen war der Einbau ungenehmigt.

    http://www.maz-online.de/Lokales/Potsda…ung-des-Museums

  • Vorstoß zum Staudenhof chancenlos

    "Angesichts der Flüchtlingskrise versuchen die Potsdamer Oppositionsfraktionen von Die Andere und Die Linke einmal mehr, ihr baupolitisches Ziel durchzusetzen, den Wohnblock Staudenhof am Alten Markt 10 langfristig zu erhalten. (...) Nach PNN-Informationen hat sich die Rathauskooperation aus SPD, CDU/ANW, Grünen und Potsdamer Demokraten bereits darauf verständigt, den Antrag in der heutigen Stadtverordnetenversammlung abzulehnen.
    "

    http://www.pnn.de/potsdam/1012604/

    Die Linke versucht es immer wieder. Es wird ein freudiger Tag sein wenn Fachhochschule und Staudenhof endlich abgerissen werden.

  • Pressestimmen: Potsdamer Neuste Nachrichten (PNN) hat am 12.10.2015 berichtet, das der SPD Parteitag sich zur "Historischen Mitte" bekennt. Anbei zwei Zitate die allerdings auch missverständlich klingen können.

    „Bisher hat mir noch niemand überzeugend darlegen können, was man mit einem 8000 Quadratmeter großen Hochschulgebäude macht – ohne eine Hochschule.“ Auf historischem Baugrund und in historischen Dimensionen zu bauen bedeute nicht, den Barock wieder auferstehen zu lassen. In der Mitte sei ohne das FH-Gebäude viel Platz für „moderne, den Bedürfnissen von heute gerecht werdende Architektur“. (Oberbürgermeister Jann Jakobs)

    „Stadt ist Heimat und wenn eine Stadt zu rasant ihr Gesicht verändert, dann läuft sie Gefahr nicht mehr für alle Heimat zu sein.“ (Vorsitzender der SPD Fraktion Mike Schubert)

    http://www.pnn.de/potsdam/1014051/

  • Zur Veranschaulichung

    Gibt es für das Eckgrundstück denn schon vage Planungen oder Aussagen? Allzu breit ist es ja offenbar nicht.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Eine solche Diskussion wird in Potsdam innerhalb der Stadtverordneten nicht ernsthaft geführt. Ein entsprechender Antrag der Linksalternativen in der SVV wurde aktuell ohne nenneswerte Debatte kensequent abgelehnt. Es bleibt also bei der Beschlußlage zur Umsetzung des Leitbautenkonzeptes.

    In der Folge schreibt die Stadt das nächste Grundstück (ehem. Gasthaus zum Einsiedler) zum Neubau aus, das von einer Weiterführung des Planes ausgeht.

  • Es wird so wenig über diese gesprochen, weil sie offenkundig sind. In Potsdam muss man niemandem erzählen, dass die Altstadt so nicht funktioniert - das ist augenfällig. Deshalb steht auch die Mehrheit der Befürworter des Leitbautenkonzeptes aus SPD, CDU, FDP und Grünen. Entscheidend sind im übrigen nicht nur die Gestaltungsfragen sondern natürlich die darauf resultieren wirtschaftlichen Konsequenzen, die mit Tourismus zu tun haben. Da Potsdam kaum Industrie hat ist dieser Wirtschaftszweig lebensnotwendig.

    Die kleine Truppe, die jedes Stück DDR erhalten möchte, wechselt die Argumente ja wie andere Leute die Unterschäsche: mal ist es die einzigartige Architektur, mal ist es der bezahlbare Wohnraum (obwohl neben dem Alten Markt mit dem "Zentrum Süd" etw 5.000 staatliche Wohnungen zur Verfügung stehen), dann sind es Flüchtlinge, Kultur, Wissenschaft, Hochschule, Theater, Jugendzentren - je nachdem was gerade passt. Dabei zeigt der Umbau der DDR-Bibliothek, dass eine Umnutzung der Bauten aus den 70ern teuer ist und im Ergebnis ästhetisch weder Ostalgiker noch Modernisten befriedigt.

  • Wie Potsdamer Neuste Nachrichten (PNN) in der Wochenendausgabe am 24.10.2015 berichtete, möchte die Initiative "Potsdamer Mitte neu denken" ab dem 25.10.2015 jeden Samstag kostenlose, alternative Führungen anbieten. „Wir möchten Konfliktlagen im Gespräch betrachten“. Die Initiative lehnt den Abriss der Fachhochschule und des Rechenzentrum ab.

    http://www.pnn.de/potsdam/1017968/

    In der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) wurde darüber nicht berichtet!

  • Den Rundgang habe ich mir angeschaut. Die einzigen Teilnehmer unter 65 Jahren waren die beiden Referenten und die paar Journalisten, der Rest waren sechs Rentner in Fallschirmseide mit den bekannten Ansichten. Tenor der "Stadtführer": Kontraste sind toll - die Stadt muss aus der FH ein Kreiskulturhaus (oder irgendwas anderes Öffentliches) machen, Geld ist ja genug da (muss man nur den Reichen wegnehmen).

    Kurzum: ich hatte nicht den Eindruck, dass hier eine neue Volksbewegung zu Samstagsdemos heranwächst.

  • ^Na, dann muss unser spezieller DAF-Freund Klarenbach dabei gewesen sein :biggrin:
    Aber mal im Ernst: schon traurig, dass es offenbar recht naive "Denkmalschützer" wie v. Buttlar gibt, die sich von einer Initiative vor den Karren spannen lassen, deren einziger Sinn und Zweck doch wohl darin besteht, den Befürwortern eines wiedergewonnenen Alten Markts noch mal so richtig kräftig in die Suppe zu spucken.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir