• Wesentlich ist nun die Entdeckung von Tübinger, der auf die Nosseni-Möbel von 1580 verweist. Hätte man diese 50 oder gar 60 Jahre später zum Vorbild genommen? Kann man eine provinzielle Herkunft des Kabinetts mit retardierenden Elementen ausschließen - oder ist es eben doch eine Fälschung bzw. ´Nachempfindung´?

    Der Hinweis von Tübinger auf die Nosseni-Möbel ist richtig und bemerkenswert, zumal die Stuhllehnen und die Innenseiten der Schranktüren eine sehr starke Übereinstimmung aufweisen. Der Schreiner des Schrankes muss die Möbel aus Dresden aber nicht zwangsläufig gekannt haben. Zu dieser Zeit verbreiteten sich solche Vorlagen als Musterdrucke rasend über ganz Europa und waren das entscheidende Instrument für die Verbreitung von Stilelementen und Ornamenten. Das gilt sowohl für die Architektur als auch für die Innenausstattung.

    Weil hier die Scharniere mit den Schrauben erwähnt wurden: Meines Wissens wurde Metallschrauben in erwähnenswerter Anzahl und Qualität erst seit dem 18. Jahrhundert hergestellt. Wie aber auch bei Klappaltären ist es nicht ungewöhnlich, wenn diese Elemente im Laufe der Zeit ersetzt wurden, weil sie dem größten Verschleiß ausgesetzt waren. Das gilt natürlich auch für den Magneten, der hier angebracht worden zu sein scheint.

    Letztlich lässt sich der Schrank mit allen hier zusammengefügten Kriterien doch gut datieren. Mit den abgebildeten Herzögen und Kurfürsten sind wir bei einem Datum post quem von ca. 1630 und mit der kunsthistorischen Einordnung der Ornamente bin ich bei einem Datum ante quem von ebenfalls 1630, maximal 1640. Ich denke, wir sind nicht so falsch, wenn wir den Kabinettschrank in die 1630er Jahre datieren.

  • Der Schreiner des Schrankes muss die Möbel aus Dresden aber nicht zwangsläufig gekannt haben.

    Das glaube ich aber doch. Die Nosseni-Stühle zeigen in den Lehnen römische Kaiser, beim Schrank sind es sächsische Fürsten. Der Schreiner wollte sehr deutlich einen Bezug zu Sachsen / Dresden herstellen.

    Ich denke, wir sind nicht so falsch, wenn wir den Kabinettschrank in die 1630er Jahre datieren.

    Falls es nicht ein Möbel aus dem Historismus ist.

  • Wir haben bisher noch nicht angesprochen, daß man das gute (oder wunderliche, je nach Betrachtung) Stück vielleicht als Schreibmöbel ansehen könnte. Es kann ein - nicht zu hoher - Hocker (Tabouret) oder Stuhl untergeschoben werden und bei 138 cm Gesamthöhe geht sich die sitzende Person auch gerade aus. Schubläden für Briefschaften und Dokumente fehlen zwar, aber das hätte dann auch Platzprobleme gegeben. Abgesehen davon weiß man nicht, wie die rückwärtige Innenwand ursprünglich ausgesehen hat.

    https://www.lot-tissimo.com/de-de/auction -catalogues/costablanca/catalogue-id-costa-10005/lot-439199b4-7573-483f-9b0e-b18100b05379

    Durch die Gestaltung des Unterbaus hat man die nötige Beinfreiheit, die z.B. bei zwei Stollen hinten und gekreuzten Stegen gefehlt hätte. Dieser Unterbau spricht in meinen Augen auch eher gegen eine Fälschung. Da hätte man sich doch den schwer sichtbaren Herzog Heinrich sparen können!? Das sähe ich eher als Wunsch eines Auftraggebers an, daß da noch ein fünftes Portrait dazugesetzt werden müsse (das aber deplaziert wirkt und gar nicht zur Geltung kommt).

    Wenn man vor dem Hintergrund des Dreissigjährigen Krieges einen gewissen Qualitätsabfall der Leistungen der (Kunst-)Handwerker zumindest in bestimmten Regionen Deutschlands in Rechnung stellen will, dann ist das rümpelige Ding vielleicht doch nicht Hempels Barschrank.

  • Aus dem Detail Leder könnten natürlich auch noch weitere Infos gewonnen werden. Nach Original von vor knapp 400 Jahren sieht es nun gerade nicht aus.

    Wenn man vor dem Hintergrund des Dreissigjährigen Krieges einen gewissen Qualitätsabfall der Leistungen der (Kunst-)Handwerker zumindest in bestimmten Regionen Deutschlands in Rechnung stellen will

    In Kursachsen nicht!

  • Ich habe die SKD schriftlich auf die Auktion hingewiesen.

    Ich habe eine Antwort bekommen. Die SKD ist dankbar für den Hinweis und deren Provenienzforschungsteam schaut sich an, was es mit dem Objekt auf sich hat.

  • Die Farbe oder Lackierung des Schrankes geht auch über die ziemlich neumodisch aussehenden Scharniere und über die Schlitzschrauben. Für mich wäre das eindeutig ein Gründerzeitschrank, eher Anfang 20. Jh. als Ende 19. Jh. Auch die Grobheit der Schnitzereien würde mich für ein Hofmöbel, zumal für das Dresdener Schloss, eher verwundern.

    Allenfalls könnte es eine Kopie eines Schrankes von 1630 sein. Da das mögliche Original aber bestimmt verschwunden ist, mag diese Kopie vielleicht trotzdem seinen gewissen Wert haben. (Aber diese Einschätzung gebe ich als Laie ab.)

    Bildquelle ist die Auktionsseite: https://www.lot-tissimo.com/de-de/auction-…0e-b18100b05379

  • Neue Idee: Es könnte ein Sakristeischrank irgendeiner Sächsischen Kirche sein, die im Historismus neu eingerichtet oder umgebaut wurde, dann wäre der Schrank keine Kopie, sondern für ein Historismus-Inventar neu erstellt worden.

    Das würde zu den Ausführungen von Jakob in Beitrag 3778 auch gut passen.

  • .. .... Das gilt natürlich auch für den Magneten, der hier angebracht worden zu sein scheint.

    .....

    Da ich den Magnetverschluss weiter vorn bereits angesprochen habe - seit wann sind denn Magnetverschlüsse überhaupt im Möbelbau in Nutzung?

    Im angegebenen Zeitrahmen der Herstellung dürfte es noch keine Magneten für diese Nutzungsart gegeben haben -oder??

  • Hängt euch mal nicht am Magnetverschluss auf, der kann leicht im Nachhinein unsachgemäß angebracht worden sein, weil ein Vorbesitzer wollte, dass der Schrank richtig schließt und nicht immer wieder aufgeht.

  • Die Albrecht von Sachsen-Eisenach Porträts sehen sich sogar ähnlich, insbesondere der Spitzbart mit drei Zacken und die Tränensäcke. Vielleicht ist das Abbild am Schrank später entstanden, denn die Haarlinie ist etwa zurückgegangen.

    Dieser Albertus von Sachsen-Eisenach ist der Schlüssel zur Herkunft. Es gibt eigentlich keinen Grund für die Fürsten in Dresden, diesen Nebenfürsten auf dem Schrank abzubilden. Denkbar ist, dass der Schrank für diesen Albertus hergestellt wurde, der sich in die Linie der Hauptfürsten stellen will und übertrieben als "Dux Saxonia" bezeichnet, zudem mit glorreicher Rüstung. Herkunft könnte demnach das (ursprüngliche) Eisenacher Schloss sein.

    Alternativ wäre der Schrank später angefertigt, wobei ein Verwechslung des Porträts stattgefunden hat mit Albrecht dem Beherzten. Laut Wiki "Den Habsburgern treu ergeben, wurde er von Kaiser Friedrich III. zum „gewaltigen Marschall und Bannerträger“ ernannt,", was die Rüstung erklären könnte. Auf dem Fürstenzug wird AdB auch mit Rüstung dargestellt.

  • Die SKD wird sicher auch Fotos der Rückseite anfordern. Die Angelegenheit wird aber fast noch ein wenig verzwickter.

    Die Rückwand des oberen Teils ("Kabinetts") ist neu, was schon zu erwarten war.

    Der untere Abschluß des HENRICUS-Bildnisses ist bemerkenswerterweise auch hinten beschnitzt, jedoch nicht die Rückseite des Portraits selbst (diese evtl. auch neu).

    Die eigenartige Anbringung dieses Portraits hat mich ja schon irritiert. Jetzt würde ich nicht ausschließen, daß es sich beim HENRICUS ursprünglich um eine Stuhllehne gehandelt haben könnte, ganz vergleichbar den Nosseni-Stücken. Der jetzige untere Abschluß mit der Wappenkartusche wäre ursprünglich oben auf der Lehne angebracht gewesen.

    Wenn das eine Stuhllehne war, kommt natürlich mindestens der "Unterbau" in die Diskussion. Vielleicht handelt es sich partiell (oder insgesamt?) um eine Neuzusammenfügung (des 19. Jahrhunderts?) von alten Teilen. Das Oberteil ohne den Unterbau könnte aber auch ein weitgehend unverändertes Tischkabinett gewesen sein. Falls es auf einem kleinen Tisch stand, könnten sich auf der Rückseite zwei weitere Fürstenportrais befunden haben. Auch da käme natürlich der HENRICUS ins Spiel.

  • Wenn sich in einem Architekturforum über ein Versteigerungsobjekt eine solch beachtliche Dynamik entwickelt, dann darf man sicher davon ausgehen, daß Museen oder sonstigen Kunstsammlungen bei der Problematik der Bildthematik und der unbestreitbar schlechten handwerklichen Ausführung diese Details nicht verborgen bleiben. Es wäre mehr als problematisch, wenn ein Kauf zustandekommt, ohne daß sich dort zuvor ähnliche und notwendige Fragestellungen ergeben. Eine Beschreibung wie "höchster Level" und "würdig der besten Kunstsammlungen der Welt" zieht zwangsläufig auch das Resultat nach sich, daß die Fragen zu diesem Möbelstück nur um so größer werden, was auch wieder sein gutes hat. Es wäre sehr zu wünschen, daß ein Restaurator und ein Experte für die sächsische Schreinerkunst des 17. Jhd. sich dieses Möbelstück einmal näher betrachten würden. Recht kritisch wäre sehr schön.

  • Schlimm. Einfach nur schlimm. Da wird ein extra-rares Objekt aus dem Dresdner Schloss angeboten, das sich auf dem höchsten Level bewegt und würdig der größten Kunstsammlungen der Welt ist; und nachher will´s keiner haben... Eine Schande ist das. Um Troubadix zu zitieren: "Kunstbanausen...".

  • Ist das Ironie lieber Weingeist oder meinst du das ernst?

    Dein Absatz besteht nämlich fast nur aus orginalen (ins Deutsche übersetzten) Fragmenten der affirmativen Losbeschreibung. ;)
    Abwarten ob das so „ schlimm“ war. Die SKD wusste von der Auktion, die Summe war gering. Hier war erstmal gar nichts auf „höchstem Level“. Das hat die sehr kluge und differenzierte Diskussion hier im Forum gezeigt. Auch im weiteren Bekannntenkreis. Es gab auch hier von allen Seiten präzise geäußerte Zweifel an Alter und konkreter Herkunft. Im Übrigen ist die Sammlung der SKD kein Gnadenhof für Möbelstücke sächsischer, anhaltinische oder sonstiger Nebenlinien. Und ja, das Ding wollte am Ende niemand kaufen.

    Über eine inhaltliche Einschätzung der SKD wäre aber auch ich natürlich sehr gespannt.

  • Schlimm. Einfach nur schlimm. Da wird ein extra-rares Objekt aus dem Dresdner Schloss angeboten, das sich auf dem höchsten Level bewegt und würdig der größten Kunstsammlungen der Welt ist; und nachher will´s keiner haben... Eine Schande ist das. Um Troubadix zu zitieren: "Kunstbanausen...".

    Tja, das ist die heutige Gesellschaft und ihr kulturelles Niveau. Wenn es eine Unterhose von irgendeinem Fußballgott oder Rockidol gewesen wäre, hätte man vermutlich das Geld fließen lassen ohne Ende.

  • Tja, das ist die heutige Gesellschaft und ihr kulturelles Niveau. Wenn es eine Unterhose von irgendeinem Fußballgott oder Rockidol gewesen wäre, hätte man vermutlich das Geld fließen lassen ohne Ende.

    Es ist die Pflicht von Museen, vor einem Ankauf mit Steuergeldern die Echtheit, Provenienz usw. von im Kunsthandel angebotenen Stücken zu prüfen. Nur weil der Anbieter behauptet, dass das Stück aus Dresden kommt, stimmt das noch lange nicht. Selbst ohne das Objekt "live" gesehen zu haben und ohne wirkliches Expertenwissen, hatten schon die meisten hier im Forum extreme Zweifel an dem Stück. So ginge es auch der SKD! Also kein Grund zur so beliebten Klage vom Untergang des Abendlandes. Die Dresdner Sammlungen haben in den letzten Jahren tolle Stücke erwerben können.....genau hinschauen und informieren bevor wieder losgeschimpft wird