• Ich würde sagen: mit 'nem blauen Auge davongekommen..

    In der ersten Planung drohte die nördliche und südliche Seite (d. h. die beiden Längsseiten!) mit unterschiedlichen Aufstandspostamenten gestaltet zu werden. Das hat man wohl noch rechtzeitig als völliger Humbug erkannt (Ursache: das Renaissancemodell zeigte zwei unterschiedliche Seiten, da im Modell natürlich zwei unterschiedliche Gestaltungsvarianten für den Kurfürsten zum Vorschlag kamen). Im Wesentlichen würde ich sagen ist alles richtig, aber wirklich sehr nobel und proportional stimmig sind die Profile nicht. Auch fehlen völlig die etwas wertigeren Profile, wie Kymation, Perl- und Eierstab sowie Zahnschnitt, die es beim originalen Bau dort mit Sicherheit gegeben hat (denn außen am Portal und an den Wendelsteinen gibt es sie bis heute auch!) . Aber ok, die waren, zumal in ihrer exakten Position nicht nachweisbar, dann lieber schlichter gestalten.....

    Es tut mir leid, aber ich muss mich nach genauerem Hinsehen auf die heruntergeladenen Bilder etwas korrigieren: Das Auge ist sehr blau. Die Art und Weise, wie schmal und gequetscht die Profile aus den Hauptkörpern herauskommen, ist, sorry, unklassisch und unproportional hoch zehn. Ein simpler Blick in Palladios Quattro Libri hätte gut getan..... 😔

  • ..... Und zwar mit sehr prachtvollen Malereien: die Rippen weißlich mit goldenen Sternen an der Kreuzungspunkten, die Kappen himmelblau und mit Putten bemalt. An verschiedenen Achsen der Scheitelpunkte waren zudem plastische Engel mit den Marterwerkzeugen Christi angebracht, die drei oder fünf rotgefasste Schlangen (= Satan) bekämpften.

  • Wird das Gewölbe eigentlich noch verputzt? Das war im Original doch bestimmt nicht steinsichtig.

    Die Frage habe ich mir auch gestellt, ich hoffe jemand hat hier eine Antwort. Wenn ich richtig verstanden habe, wurde eine Rekonstruktions ausgeschlossen wegen fehlende Quellen wie die Bemahlung ausssah, richtig? Wenn es so ist, warum behält mann diesen Baustellen-Flair?

    Diese Visualisierung der TU Darmstadt finde ich sehr schön :

    tud_ika_02.jpg

  • Die Schlangen sind eindeutig zuviel des Guten.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Was die Orgel betrifft, ist die Visualisierung schon ziemlich gut gemacht. Nach ca. 20 Jahren Beschäftigung mit ihr habe ich nun durch diese Darmstädter Visualisierung wirklich zum ersten Mal das Gefühl, sie in echt zu "sehen". Die Fritzsche-Orgel ist nur durch den Conrad-Stich überliefert, aber das Gehäuse bzw. der Prospekt in der Bergkirche St. Marien Schleiz von 1638 wurde offenbar ganz in ihrer Tradition erbaut und kann noch am ehesten als Kronzeuge und Anschauungsobjekt dienen. Von Fritzsche gab es eine relativ ähnliche Orgel von 1637 in der Dreieinigkeitskirche in Hamburg-Allermöhne.

    Auf der Visualisierung ist die Werkaufteilung mit den vielen kleinen Details ziemlich gut herübergebacht, so z.B. das Positiv auf beiden Seiten links und rechts der Spielanlage, mit dem Prospekt-Principal 4´ und dem vergoldeten Krummhorn 8´ davor. Diese Tradition bestand noch knapp ein Jahrhundert später bei Wender in Thüringen weiter, so in Arnstadt oder St. Severi Erfurt.

    Das Brustwerk befand sich im Untergehäuse im Gehäuseinneren über den Klaviaturen und hinter dem Notenpult. Es wurde zusammen mit dem Hauptmanual gespielt bzw. war daran koppelbar.

    Im Hauptwerk gab es vor dem Hauptwerks-Principal 8´ die Octav 4´ und davor eine Trompete 8´, von der überliefert ist, daß sie verkürzte Becher hatte. Wären es 4´ - Becher, wäre kaum die Stimmung zu halten gewesen. Da Michael Praetorius bereits in seinem zeitgleichen Syntagma musicum sein Credo einfügte, daß eine Trompete 6´- Becher haben muß, damit sie richtig prahlen und prangen kann, kann es durchaus sein, daß das in Dresden genauso war und der Conrad-Stich bei solchen Spezialdetails etwas ungenau ist. Von der Fritzsche-Orgel sind die verbauten Materialien überliefert (Beitrag Frank-Harald Greß, Acta organologica).

    Die beiden separaten Positive auf der Vorempore scheinen nicht näher bekannt zu sein.

  • Die Schlangen sind eindeutig zuviel des Guten.

    Die Putti im Gewölbescheitel ebenso, könnte man von mir aus auch weglassen (wird es ja eh). So bliebe die wunderbare Kurvaturenarchitektur des Gewölbes ungestört erfahrbar. Die Sterne auf den Rippenkreuzungen finde ich apart und einen Akzent setzend. Die Putti an den Rippenanfängern verleihen dem Raum noch etwas Anmutiges. Alles zusammen wäre halt üppig manieristisch, oder!? Eine skulptural gewordene, aber überfrachtende Theologie auf viel zu geringer Gewölbefläche! Doch nur einen Teil davon darstellen würde eine rudimentäre theologische Aussage hinterlassen, auch wieder unlogisch!

  • Bei einer protestantischen Schloßkapelle dieser Zeit wird man auf jeden Fall einsehen müssen, daß der Wiederaufbau ohne eine Annäherung an die protestantische Theologie der damaligen Zeit Fragment bleiben wird, wie genau die Dokumentationslage dazu auch immer sein mag. Die Putti in den Scheiteln stehen in direktem Zusammenhang zu den himmelblauen Gewölbekappen und den vergoldeten Sternen; bei den Marterwerkzeugen Christi und den Schlangen dürfte es sich wohl um einen singulären Fall handeln. Die Einheit von Altar und der Orgel darüber war für den Protestantismus schulbildend. Das Problem bei dem Wiederaufbau dürfte also in dem sehr schwierigen Spagat Dokumentationslage, Manierismus und Abbildungen liegen, die Vorarbeiten des VEB wären wahrscheinlich in dieser Hinsicht sehr wertvoll.

  • Bezüglich der baulichen Zukunft des Kapellengewölbes verweise ich auf einen Beitrag von Eli Kny im Nachbarforum DAF ( Strang Dresden / Residenzkomplex, dort Seite 25). Demnach werden die Gewölbeflächen steinsichtig bleiben. Diese Aussage stammt von einem involvierten Vertreter des SIB.

    Und eine wichtige Information, die eventuell noch nicht jeder kennt: Die große Schloss-"Triologie" wird um einen vierten Band erweitert. Angepeilter Erscheinungstermin ist Ende Mai. Es soll eine Art Zusammenfassung der bisherigen Bände beinhalten, aber längst nicht nur das. Es gab ja zwischenzeitliche neue Erkenntnisse, die vorgestellt werden. Auch wird der Wiederaufbau schwerpunktmäßig behandelt.

  • Betrachtet man den Orgelprospekt in der Schleizer Bergkirche, kann man tatsächlich einen Eindruck gewinnen, wie die Fritzsche-Orgel in der Schlosskapelle wohl ausgesehen hat. Ebenso finde ich, dass in Schleiz die Emporenbrüstungen mit den Schrifttafeln zumindest der optischen Wirkung nach Parallelen zu Dresden aufweisen.

    Vielleicht dürfen wir uns ja auch in der Schlosskapelle in näherer oder fernerer Zukunft mal auf so etwas freuen:

    Matthias Grünert unterwegs | Schleiz | Bergkirche | Kutter-Orgel | Bach | Präludium h-moll (youtube.com)

  • Das war im Original doch bestimmt nicht steinsichtig.

    Das war in der Tat im 16. Jh. nicht üblich. Nur haben wir leider die Situation, dass spätere Epochen den Originalzustand häufig überlagert oder gar zerstört haben. Bemerkenswert ist allerdings auch die blaue Farbe, sollte es sich dabei um den Originalbefund handeln. So etwas kenne ich ad hoc nur aus der Marienkirche in Pirna, dort aber nur partiell und aus dem 17. Jh. Das Gewölbe selbst ist ungefähr zeitgleich mit dem in Dresden entstanden.

    20081004035DR_Pirna_Marienkirche_Fischblasengew%C3%B6lbe.jpgQuelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:200…ew%C3%B6lbe.jpg, Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ob der 1591 geborene Jacob Schedlich, der Erbauer der ursprünglichen Schleizer Orgel Schüler oder Geselle von Gottfried Fritzsche war, ist m.W. nicht bekannt. Von der Zeit gesehen könnte es aber passen, daß Schedlich um 1612 ff. bei Fritzsche Geselle gewesen wäre. Die Gehäusegeometrie in Schleiz, in Verbindung mit dem Conrad-Stich, oder auch dem neuen Darmstädter Modell, ist im gleichen Geist geschaffen und kann in diesem Fall kaum ein Zufall sein (siehe Hamburg-Allermöhne).

    Von der Dresdner Fritzsche-Orgel sind neben den verbauten Materialien sogar Anordnung und Stand der Registerzüge bekannt, was ein einzigartiger Glücksfall ist.

    Fritzsche muß wohl zweidimensional gesehen werden. In der Frühphase wurde er sicher hauptsächlich durch sein Heimat geprägt. Später begann er ein zweites Leben in Hamburg. Wie sehr ihn die Werkstattnachfolge der herausragend großen Orgelbauerfamilie Scherer geprägt hat, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Seine spätere Zeit, als er die großen Hamburger Hauptkirchen-Orgeln unter den Fingern hatte, wie z.B. der Umbau in St. Jakobi, wirkten außerordentlich schulbildend und regionprägend.

  • Anordnung und Stand der Registerzüge an der Orgel von Gottfried Fritzsche in der Dresdner Schloßkirche.

    links links v.o.n.u.: Quintadena 4´ (Brustwerk) - Gedactflötlein 2´ (Brustwerk) - Regal 4´ (Brustwerk) - liebliche Flautten 8´ (Seitenwerk) - Spitz Pfeiffen 4´ (Seitenwerk) - Quinta 1 1/2´ (Seitenwerk) - Krummhorn 8´ (Seitenwerk, Prospekt) - Posaunen 16´ (Pedal) - Ventil Positiff - Ventil Pedal.

    links rechts v.o.n.u.: Scharffe Octava 2´ (Brustwerk) - Schwiegel 1´ (Brustwerk) - Tremulant (Brustwerk) - Principal 4´ (Seitenwerk) - Superoctava 2´ (Seitenwerk) - Zimbel 2fach (Seitenwerk) - Tremulant (Seitenwerk) - SubBaß gedact 16´ (Pedal) - Spitzflötlein 1´ (Pedal) - Zimbelglöcklein (Nebenzug)

    rechs links v.o.n.u.: (sämtlich Züge für Oberwerk): Principal 8´- Quintadena 8´- Octava 4´- Quinta 3´- SuperQuinta 1 1/2´- Zimbel 2fach - Tremulant - Pedal: Principal 8´- Vogelgesang (Pedal) - Coppel Positiff zum Pedal.

    rechts rechts v.o.n.u.: (sämlich Züge für Hauptwerk): Groß Quintadena 16´- Höltzern Principal 8´- Gembshorn 8´- Coppel 4´- GedactNassat 3´- Mixtur 4fach - Trompeta 8´- Groß Quintadena 16´ (Pedal) - Cornett 2´ (Pedal) - Ventil HauptManual - Calcant.

  • Aufgrund des Artikels von Hans-Christoph Walther und Stefan Bürger erwarte ich schon, dass die Kanzel in die Schlosskapelle zurückkehrt.

    Der Artikel ist sehr spannend; allerdings bezweifle ich sowohl, dass die Denkmalpflege ein seit bald 300 Jahren bestehendes Ensemble zugunsten einer Rekonstruktion auseinanderreißt, als auch dass die Pfarrgemeinde einer Abgabe zustimmen wird.

  • Nach der ernüchternden Nachricht von bautzenfan bezüglich des Gewölbes gehe ich nicht davon aus, daß in der Kapelle noch groß weiter rekonstruiert wird.

    Steinsichtiges Gewölbe, noch nicht mal verputzt. Uff. Da haben sich die SKD und die aktuelle Leitung des LfD durchgesetzt. Nun ja, die Zeit der Rekonstruktionen in Dresden ist wohl vorbei. "Esch over". Aber Schäuble lebt ja auch nicht mehr....

  • Wenn sich eine Grundhaltung herausbildet, die besagt, daß man wegen der Dokumentationslage Schloßhof, Altan, die Sgraffiti und die Fresken rekonstruieren könne, die Schloßkapelle aber nicht, dann ist das etwas problematisch.

  • Ich verstehe die Enttäuschung von Resurrectus, wir sollten uns aber freuen, dass so viel vom Schloss wieder da ist. Die Kapelle mit den Schlangen ist wirklich total abgefahren - hat was von Gaudi. Weniger wäre für mich auch ok, die Steinsichtigkeit des Gewölbe ist aber schon daneben. Dennoch glaube ich, dass die Kapelle gut aussehen wird. Man kan ja später weitermachen, wenn die Stimmung sich wieder pro Reko dreht.

    Hatte Resurrectus auch nicht geschrieben, dass das Königsufer eine Katastrophe sein würde? Das ist ja Gott sei Dank nicht so schlimm gelaufen. Manchmal gibt es positive Überraschungen - selbst in Dresden :zwinkern:.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker