• Architekten und Denkmalpfleger bekräftigen Forderungen nach Abrissmoratorium

    Zitat

    Statt Abriss und Neubau drängen sie auf Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Der Architekturtheoretiker Alexander Stumm sagte im Sender RBB, es gebe bundespolitische Forderungen, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen und bis 2045 für Klimaneutralität zu sorgen. Beide Ziele könnten nicht erreicht werden, solange weiter abgerissen werde, führte der Professor der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aus. Der vorübergehende Abrissstopp solle genutzt werde, um klare Kriterien zu entwickeln, nach denen unter ökologischen und sozialen Maßgaben Gebäude ausnahmsweise entfernt werden dürften. Wenn man alle Energie zusammenzähle, sei der Bedarf bei einer Sanierung immer günstiger, betonte Stumm.

Er und rund 170 Unterzeichner hatten einen offenen Brief an Bauministerin Geywitz, SPD, verfasst. Auch die Vereine „Architects for Future“ und „Deutsche Umwelthilfe“ forderten zuletzt ein Abrissmoratorium.

    Quelle: Dlf-Nachrichten

    Man wird genau hinschauen müssen, welche Gebäude „ausnahmsweise“ entfernt werden sollen/dürfen…

  • Es geht bei diesem Abrissmoratorium nur darum, die bekannten Bausünden der 1960er und 70er Jahren vor dem meist verdienten Abriss zu retten. Schon die Tatsache, dass der RBB berichtet und ein Blick auf die Unterzeichnerliste sollte einem klar werden lassen, woher der Wind hier weht.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Der Initiator ist am Institut von Oswald tätig. Hier geht es darum Nachkriegsbausünden vor dem Abriss zu retten - wie zuletzt beim Juridicum in Frankfurt am Main.

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  • Was unserer Sache mehr dient als Fronten aufzubauen, wäre zu verstehen, dass ein Moratorium gegen Abriss genau das ist was unserer Sache dient. Das hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz schon längst begriffen und wirbt für das Bauerbe unter dem Aspekt seiner Nachhaltigkeit und somit seiner ungebrochenen Aktualität.

    In der Forschung zur Baukonstruktion geht es aktuell um die Frage, wie wir zurück zu einfachen Konstruktionen kommen können, trotz DIN und Lobbyarbeit der Dämm- Fensterbau, Trockenbauindustrie etc. Der Blick zu den hybriden und Intelligenten Konstruktionen der Vergangenheit bspw. Fachwerkbau, Steinfundamente, Holzfundamente(!), Stroh, Lehm etc. als Materialen ist längst wieder interessiert geöffnet. Für die jüngere Generation von Architekten sind die Altlasten (Betonmonster) ebenso eine Bürde. Strategische Abrisse, Teilabrisse und Überformungen (Parzellierung, Gliederung der Fassaden) unter Erhalt sind allesamt mögliche Szenarien. Hier ist viel mehr möglich als wir uns zumeist derzeit vorstellen. Neue Mitte Potsdam und Neumarkt sind größtenteils Betongroßstrukturen, letztlich kommt es auch bei Umbau, auf die Adressbildung, Qualität der Fassaden, Eingänge und Sockelzonen an. Hier kann man mit den ungegliederten Großbauten viel ideenreicher umgehen als bisher. Im Sinne der Baukultur.

    Für mich ist jeder existierende Altbau 2023 in diesem Sinne ein einzelner, von vielen Beteiligten über Jahrhunderte eingehaltener Generationenvertrag das Erbe bis ins jetzt gepflegt und getragen zu haben. Dazu gehören bis zu einem gewissen Grad aber auch ein paar ungeliebte (große) Kinder, die heute zumeist 40 oder 50 Jahre alt sind. Ihnen gewissermaßen eine zweite Chance zu geben sich "neu anzukleiden" oder durch Rück- und Umbau an ihrem "Charakter zu Arbeiten" und sie im Stadtraum endlich gesellschaftsfähiger zu machen, ist für meine Begriffe die Aufgabe unserer Generation. Ich denke also hier kategorisch Abriss als einzige Option zu sehen, verengt die eigenen Handlungsoptionen immens.

    Also insgesamt: Gegen jeden drohenden Abriss von Altsubstanz -ob Sinzig oder Stuttgart- kann und sollte mit dem Argument für Erhalt geworben werden. Dieses Argument ist inhaltliche stark und wird mitgetragen. Dient also unserer Sache.

  • Strelizius : das ist ja alles schön und gut. Aber man sollte auch nicht den falschen Leuten auf den Leim gehen. Beim Kampf um die Abrisshäuser, über die hier im Forum so berichtet wird, wirst Du die Unterzeichner vom "abrissmoratorium" eher nicht in der ersten Reihe finden. Deshalb ist es schon sinnvoll, erst einmal zu überlegen, wer denn hier ein Abrissmoratorium fordert. Das Problem bei den meisten Betongroßbauten der 1960er und 70er ist doch, dass sie Stadtstrukturen zerstört haben und den intuitiven Sinn für Schönheit beleidigen. Niemand weint ihnen eine Träne nach, außer eben ein paar Modernismus-Architekten und ihre Freunde in den Denkmalämtern und Architekturfakultäten. Nach Deiner Logik hätte die Potsdam-FH auch bestenfalls umgebaut werden dürfen, was für die Stadt keinerlei Nutzen gehabt hätte.

    Eine tatsächliche Verbesserung unserer großteils immer noch unwirtlichen, verhunzten Städte muss weiterhin möglich sein. Dafür stehen wir doch mit unserem Verein.

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  • Git es eigentlich brauchbare Untersuchungsergebnisse über die Energieeffizienz von Hochhäusern als Funktion zu ihrer Bauhöhe? Eigentlich müsste mit zunehmender Höhe (Wolkenkratzer) die erforderliche Isolierdicke unrealisierbar werden.

  • Völlige Zustimmung. Die Abrisse von Technischem Rathaus Frankfurt, Polizeipräsidium Dresden oder eben FH-Potsdam sind aus dem Argument heraus hier echte, altstadtgerechte Stadtbildreperatur leisten zu können im Einzelfall völlig richtig und verständlich. Es muss dogmatiefrei möglich bleiben hier strategisch städtebauliche Fehler zu beheben!

    Worauf ich mich hier eher beziehe: Die Hochhäuser in Frankfurt wird man aber im Sinne klassischer, tektonischer Fassadenordnungen (Sockel und würdiger Abschluss/Krone fehlen fast immer!)insgesamt umgestalten müssen/können und braucht sie nicht abreißen. Bei diesen Bauten braucht es gutes Vorstellungsvermögen aller Planungsbeteiligten und kein Abrissunternehmen.

  • Aktuell ist mir kein Abrissvorhaben bezüglich eines Hochhauses in Frankfurt bekannt. Es sei denn, man betrachtet das Juridikum als Hochhaus (was es im Frankfurter Rahmen eigentlich nicht ist).

    Sollte ein Hochhaus zur Diskussion stehen, wird dieses sicher nicht aus Jux und Dollerei abgerissen, sondern schlicht aus ökonomischen Gründen, weil das Gebäude in der bestehenden Form und Größe nicht mehr benötigt wird und weil es auch nicht einfach mit einigen Umbaumaßnahmen für eine gewünschte neue Nutzung hergerichtet werden kann. Da gehört es dann zur Kalkulation, ein Gebäude so zu entkernen, dass nur ein Rohbau-Betonskelett übrig bleibt, oder das Skelett abzureißen und einen Neubau zu errichten, bei dem man viel freier der neuen Nutzung entsprechende Planungen durchführen kann.

    Aktuell sehe ich die Gefahr, bei diesem Anti-Abriss-Vorhaben, dass es dazu führen könnte, dass Sanierungsideen für die Städtischen Bühnen wieder Auftrieb erhalten. Allerdings ist dieser Bau mittlerweile derart marode, dass das ein finanzielles Milliardengrab wäre. Insofern glaube ich an eine Rest-Vernunft der Verantwortlichen, weshalb ich die Gefahr als eher gering ansehe.

  • Man wird genau hinschauen müssen, welche Gebäude „ausnahmsweise“ entfernt werden sollen/dürfen…

    Es geht bei diesem Abrissmoratorium nur darum, die bekannten Bausünden der 1960er und 70er Jahren vor dem meist verdienten Abriss zu retten.

    Zumindest, wenn die Argumentation "graue Energie" lautet, könnte da was dran sein. Ein 400 Jahre altes Fachwerkhaus, hat seinen CO2 Fußabdruck quasi allein schon durch sein Alter, aber vor allem auch durch seine erneuerbaren Rohstoffe kompensiert, könnte also nach einem solchen Maßstab abgerissen werden. Dagegen ein Galeria Karstadt aus den 70ern hat sogar in seiner Fassade tonnenweise CO2 fressenden Beton und Glas, ist noch "jung", und hat damit eine erzwungen lange Standzeit vor sich.

    Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass das Gros an grauer Energie in den tragenden Strukturen und den Geschossdecken steckt, weshalb je nach Ausgestaltung so eines Moratoriums Betongeschosse mit Säulen und sonstigen tragenden Elementen stehen bleiben, und neue Einteilungen und Fassaden kommen können.

  • Aktuell sehe ich die Gefahr, bei diesem Anti-Abriss-Vorhaben, dass es dazu führen könnte, dass Sanierungsideen für die Städtischen Bühnen wieder Auftrieb erhalten. Allerdings ist dieser Bau mittlerweile derart marode, dass das ein finanzielles Milliardengrab wäre. Insofern glaube ich an eine Rest-Vernunft der Verantwortlichen, weshalb ich die Gefahr als eher gering ansehe.

    Nur am Rande, eventuell interessant für Dich bezüglich Milliardengrab hier ein Vortrag bereitgestellt vom Deutschen Architekturmuseum. Ab Minute 55 kommt der entsprechende Vortrag zu einer Sanierung dieses typischen heruntergekommenen Zustands solcher Häuser am Beispiel Köln.

  • Keiner der Protagonisten des Abrissmoratoriums und ähnlicher Initiativen hat sich bisher gegen den Abriss eines historischen Hauses gestemmt. Die Klimakarte wird ausschließlich bei hoffnungslos häßlichen Abrisskandidaten der Nachkriegsmoderne gezogen. Das macht die Initiativen leider komplett unglaubwürdig.

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  • Lustigerweise macht die Initiative für das Abrissmoratorium aus der Trüby-Clique aber ausgerechnet mit dem Abriss des Immerather Domes "Werbung"... Leicht durchschaubar das Ganze. Dem sollten wir nicht auf den Leim gehen.

    Wir können uns gern für einen Abriss-Stop von Altbauten einsetzen (vor 1945). Denn diese haben bewiesen, dass sie standfest sind und erhalten werden.

  • Lustigerweise macht die Initiative für das Abrissmoratorium aus der Trüby-Clique aber ausgerechnet mit dem Abriss des Immerather Domes "Werbung"... Leicht durchschaubar das Ganze. Dem sollten wir nicht auf den Leim gehen.

    Wir können uns gern für einen Abriss-Stop von Altbauten einsetzen (vor 1945). Denn diese haben bewiesen, dass sie standfest sind und erhalten werden.

    Bei den Altbauten argumentieren die "Klimaschützer" dann wahrscheinlich für Abriss, das diese "nicht ausreichend energetisch Sanierbar" seien.

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  • Keiner der Protagonisten des Abrissmoratoriums und ähnlicher Initiativen hat sich bisher gegen den Abriss eines historischen Hauses gestemmt. Die Klimakarte wird ausschließlich bei hoffnungslos häßlichen Abrisskandidaten der Nachkriegsmoderne gezogen. Das macht die Initiativen leider komplett unglaubwürdig

    Exakt das ist der Punkt. Tatsächlich wird die Klimakarte sogar nur gezogen, wenn traditionelle Architektur an die Stelle des abgerissenen Betonungetüms treten soll, so wie in Potsdam beim Staudenhof. Profitieren hingegen die modernistischen Kollegen von Abriss und Neubau, werden Abrisse von Preziosen der 1970er ohne Einspruch akzeptiert.

    Dieser 1970er-Bau an der Urania/Ecke Schillstraße in Berlin wurde sang- und klanglos letztes Jahr abgerissen, für einen großen Neubau des Berliner Büros Barkow Leibinger:

    Screenshot-2022-12-07-183116-Urania-Ecke-Schillstrase-Ausschnitt.jpeg

    (c) Google

    Geplanter Neubau: https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropo…sicht-li.227525

    Und als Ergänzung (der Abriss des Ergänzungsbaus des Zehlendorfer Rathauses ist seit längerer Zeit geplant, aber noch nicht definitiv feststehend):

    Vergleichsbild-Staudenhof-vs-Zehlendorf.jpeg

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • So geht übrigens Emotionalisierung für das Thema, schaut mal das Webseitendesign an:

    abrissmoratorium
    Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des…
    abrissmoratorium.de

    Hart an der Grenze zur Panikmache, aber ich denke es funktioniert, mir zieht es die Zehennägel hoch, wenn ich sehe, wie der Turm zertrümmert wird.

  • lost in … demolition? warum wir alte Häuser lieben
    Der Gebäudesektor ist zu einem immens hohen Anteil für die weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die Energiebilanz von Gebäuden anhand von…
    fb.me

    Fragt sich nur, welche "alten Häuser" der BDA liebt? Die von 1950-80? :/

    Ich bin der Meinung, Erhalt um jeden Preis ist im Fall der Nachkriegsmoderne Unsinn, wie die immensen Sanierungskosten (z.B. der Kölner Oper) zeigen. Nachhaltig bauen heißt die Devise, und hier ist nichts beständiger als klassisch-traditionelle Architektur. Ob das der BDA auch so sieht?

    In dubio pro reko

  • Keiner der Protagonisten des Abrissmoratoriums und ähnlicher Initiativen hat sich bisher gegen den Abriss eines historischen Hauses gestemmt. Die Klimakarte wird ausschließlich bei hoffnungslos häßlichen Abrisskandidaten der Nachkriegsmoderne gezogen. Das macht die Initiativen leider komplett unglaubwürdig.

    So isses!!!

    Das hängt aber vor allem mit den Anreizen zusammen. Ein historisches Gebäude bietet viele dieser Reiz-Vorteile:

    - für den Investor: aufgrund der hohen Decken lässt sich bei einem Abriss mehr Fläche generieren. Wo vorher drei Etagen waren, gibt es jetzt plötzlich eine Verdoppelung der Gebäudefläche. Beworben wird das Ganze dann mit "Hochwertiger Innenausstattung".

    - für die Architekten: endlich, endlich gibt es wieder neue, lukrative Aufträge. Ein Architekt will bauen, das steht an erster Stelle. Entweder kann er das, wenn neue Baugebiete erschlossen werden oder aber, wenn es zu Abrissen mit angehängten Neubauprojekten kommt.

    - für die Politik. Händeringend werden Wohnungen gesucht. Jeder, der diese schafft, wird mit Handkuss empfangen.

    Das wären die Gruppen, die auf entsprechende Anreize, die historische Architektur bietet, reagiert.

    Schauen wir uns nun den Gebäudebestand ab den 1950-Jahren an:

    Mit den überwiegend modern ausgerichteten Gebäudeformen lässt sich nicht mehr so viel Fläche schaffen wie mit historischen Gebäuden. Da ist eigentlich schon alles ausgereizt -die Decken sind schon nicht mehr so hoch wie bei alten Gebäuden - es sei denn, die Nachfolgebauten werden noch höher, noch breiter, noch tiefer gestaltet. Das wäre dann wieder ein Anreiz. Ein Beispiel aus Bremen wäre der Abriss der ehemaligen Landeszentralbank im Bremer Viertel. Jetzt sollen da über 200 Wohneinheiten entstehen. Das lohnt sich natürlich für die Hamburger Investoren. Zumal die grüne Bausenatorin verkündete: im Viertel gibt es einen Wohnungsdruck, da wollen so viele hin, deshalb unterstützen wir das Projekt. Gegen die Bewohner des Viertels. Denen wird dann Egoismus vorgeworfen (Nimby). Das sind die ewig gleichen Strategien, ich glaube inzwischen, so wird wohl in allen Städten bei ähnlichen Projekten argumentiert.

    Nun gibt es also die Initiativen

    MusterUMbauordnung von Architects for Future, der Charta von Rom von Bauhaus Erde, dem Haus der Erde des BDA und andere.

    Da geht es meist um das Zauberwort: Graue Energie. Graue Energie meint, wir dürfen nicht mehr so viel Energie verschwenden durch den Bau von neuen Gebäuden. Das gilt aber nur, wie Wikos und ich oben ausgeführt haben, vornehmlich für die neueren Gebäude. Wo waren denn in Bremen die Anhänger der Grauen Energie, als das Essighausensemble oder das Medienhaus abgerissen wurde? Mir scheint inzwischen, die Graue Energie ist ein Hebel der Modernisten, um IHRE Gebäude zu erhalten

  • Mir scheint inzwischen, die Graue Energie ist ein Hebel der Modernisten, um IHRE Gebäude zu erhalten

    Das liegt auf der Hand. Aber letztlich wird die Wirtschaftlichkeit über Erhalt oder Abriss entscheiden. Ich sehe das in Stuttgart sehr oft in letzter Zeit, denn da gibt es viel in die Jahre gekommene Nachkriegsmoderne, mit der man realistischerweise nichts mehr anfangen kann außer Beseitigung.

    Statt für den Erhalt der "Grauen Energie" aus Beton zu kämpfen sollten sich die Klimafreunde lieber mal mit der Frage beschäftigen, was eigentlich (gerade im Sinne der Ästhetik) nachhaltige Architektur ausmacht, und ob man da nicht grundsätzlich umdenken muss.

    In dubio pro reko