Berlin - Hauptbahnhof, Humboldthafen, Europacity

  • van Dyk

    Das ist der Palast Koruna (Krone) in Prag, Wenzelsplatz 1, an der Ecke zum Graben (Příkopy), erbaut 1912-1914. In Prag gibt es viele interessante Bauten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Sezession, Kubismus, Art déco, Funktionalismus). Budapest hat einen etwas anderen Stil.

  • Ja genau Prag. Ich meinte damit das Neubauten etwas anders gestalltet werden können, mit moderne Materialen natürlich, wie dieser Palast Koruna, dann nur senkrechte Raster. Es zegt genau die Details die Bauten interessant machen und zeitlos. Raster haben nichts um zu staunen.

  • Der Neubau hinter dem Tiergartentunnel wurde zu großen Teilen enthüllt und macht zumindest einen ganz passablen Eindruck; allemal besser als der Bau am Humboldthafen.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Das Gebiet um den Hauptbahnhof ist wirklich von einer ausnehmenden Tristesse, auch die sich nördlich anschließende Europastadt/city(?) strahlt eine unheimliche Sterilität und Seelenlosigkeit aus.

    Ist das so?

    Ich war erst gestern in der Gegend und habe einige Eindrücke gesammelt, die ich mit Euch teilen möchte. Ich verfolge die Entwicklung des Hauptbahnhof-Areals seit Anfang der 90er Jahre. Vieles Richtige, Treffende wurde in diesem Strang bereits geschrieben, auch zur historischen Entwicklung hin zur heutigen Situation - ich möchte daher auch auf die sehr informativen Vorbeiträge in diesem Strang verweisen und mich auf die Gegenwart konzentrieren.

    Kurz zusammengefasst: als Musterbeispiel für triste und entseelte, abschreckende moderne Architektur taugt der Hauptbahnhof, sein Umfeld und die Europacity nicht unbedingt. Man muss es wohl fairerweise differenziert betrachten. Auch heute gibt es Architekten, die sich um eine gute Architektur im Stadtbild bemühen, Beispiele werde ich noch liefern. Auch die Stadtplanung kann man nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Hinzu kommt, dass Vieles einfach noch nicht fertiggestellt, geschweige denn vollständig belebt ist. Dies betrifft insbesondere auch die westliche Fassung des Humboldhafens, die unmittelbare Bahnhofsumgebung und die nördliche Europacity.

    Der Bahnhof selbst ist in meinen Augen faszinierend, lebendig und schön - so schön und gelungen, wie moderne Architektur eben im Idealfall sein kann. Nach außen hin fehlt etwas eine stringente durchkomponierte Fassade, so wie sie die alten Berliner Bahnhöfe hatten. Im Inneren hingegen ist der Bahnhof großzügig, es gibt keine engen, schmuddeligen Gänge oder Ecken; der freie Blick im Innenbereich von den Hochgleisen der Stadtbahn bis hinunter zu den tiefen Gleisen und Bahnsteigen ist eine der wirklich beeindruckenden Perspektiven, die ein Verkehrsbauwerk nur bieten kann. Anders als bei vielen andere Bahnhöfen in Deutschland gibt es um den Berliner Hauptbahnhof keine Schmuddelzonen, wenig Dreck, Müll, kaum Verwahrlosung, offenen Drogenkonsum oder sichtbare Obdachlosigkeit.

    Nach Süden hin öffnet sich der Washingtonplatz weit in Richtung Spreebogen. Nahebei sind viele Brückenbauwerke. Hier ist das meiste fertig. Problematisch ist nach wie vor die Nordseite und der Übergang zur Europacity - auch heute noch zu großen Teilen Baustelle, deren Fertigstellung nicht zuletzt auch durch die sich lange hinziehenden Arbeiten an der S21 verzögert wird. Hier befindet sich auch der Schwerpunkt des oberirdischen Verkehrs, die breite Invalidenstraße und die Straßenbahn.

    (Fortsetzung folgt, bitte um etwas Geduld...)

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Beginnen wir mit dem Schlechten: das "Hochhaus am Europaplatz" direkt nördlich des Hauptbahnhofs - dort wird bereits am Fundament gearbeitet. Hochhäuser bieten durchaus die Möglichkeit zur Schaffung herausragend guter, städtebaulich bedeutender architektonischer Bauwerke. Als wichtiges Beispiel fällt mir der Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz ein. Hier am Europaplatz hätte es durchaus die Möglichkeit gegeben, einen markanten positiven Akzent in der Gegend zu setzen. Doch die Chance wurde ganz offensichtlich vertan. Schon der Architekturwettbewerb ließ nichts Gutes ahnen - ausgewählt wurde ein immerhin noch in puristisch-modernem Filigranstil gehaltener Bau des Münchener Büros Allmann Sattler Wappner Architekten. Der Entwurf wurde anschließend anscheinend noch einmal überarbeitet und deutlich verschlechtert, so dass das Ergebnis wohl einfach nur noch ein x-beliebiges, recht belangloses International-Style-Hochrechteck sein wird, wie man es zuhauf auch in Städten wir Bogota oder Jakarta findet. Diese Verschlechterung der Ergebnisse von Architekturwettbewerben nach der Entscheidung ist ein wirklich deprimierender, fast schon betrügerischer Vorgang. Schade, dass es anscheinend kaum eine Architekturkritik gibt, kein Feuilleton, welches sich für diese Art profitorienierter "Schummelei" zulasten des Stadtbilds und damit der Allgemeinheit interessiert.

    Aber gut, ich würde mal vermuten, dass weder der Vorher- noch der Nachher-Entwurf das ist, was mehrheitlich hier im Forum Gefallen findet. Ich kann's verstehen.

    Wettbewerbsergebnis

    Bauschild:

    Europacity Berlin 2020

    Blick Richtung Norden vom Vorplatz des Hauptbahnhofs. mittig hinten der Tour Total von 2012, benannt nach einem Mineralölkonzern, rechts das Amano-Hotel.

    Europacity Berlin 2020

    Hier noch ein Überblick über die Europacity zur Orientierung. Für das Hochhaus direkt rechts neben dem Hauptbahnhof wurde noch nicht einmal ein Wettbewerb ausgeschrieben, da der noch in Bau befindliche S21-Tunnel direkt unter dem Grundstück verläuft. Das oben erwähnt Hochhaus am Europaplatz ist auf dieser Übersicht nicht eingezeichnet. Es liegt direkt an der Invalidenstraße. Für das 2. abgebildete Hochhaus rechts neben dem Bahnhof gibt es m.W. keine aktuelle Planungen mehr, das 3. ist der erwähnte Tour Total.

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  • Manch einem mag aufgefallen sein, dass in Berlin sehr viele modernistische Neubauten ein weiße Fassade haben. Mir sind über diesen Trend zu sehr hellen Farben im Städtevergleich keine statistischen Erhebungen bekannt. Allerdings muss man wissen, dass noch bis in die nuller Jahre hinein Dunkelgrau eine in vielen Straßenzügen in Berlin dominierende Fassadenfarbe war, durch die vielen jahrzehntelang unrenoviert gebliebenen, vergrauten Kratzputz- und Originalfassaden der Gründerzeitler. Heute ist Berlin eigentlich keine graue Stadt mehr, die vielen hellen Neubau-Fassaden und natürlich die Altbausanierungen haben dies großteils kompensiert. Warum derzeit teilweise wieder WDVS-gedämmte Neubauten im Wohnbausegment grau angestrichen werden, kann ich nicht so recht verstehen. Schlimme Farbe.

    Das Hauptquartier von 50Hertz am südlichen Ende der Heidestraße, fertiggestellt 2017. Rechts angeschnitten der Tour Total. Hinter dem 50Hertz das schlicht gehaltene gründerzeitliche Hinterhaus des Sozialgerichts, welches bereits nördlich an der Invalidenstraße liegt. Links in einer Lücke der Hamburger Bahnhof, heute Teil der Nationalgalerie, Kunst der Moderne.

    Europacity Berlin 2020

    Nördlich angrenzend das Haus der Apothekerverbände von Kleihues+Kleihues - durchaus klassisch-traditionelle Baukunst mit ansprechend gegliederter Natursteinfassade.

    Europacity Berlin 2020

    Direkt nördlich angrenzend steht das folgende Bürogebäude, welches einen leichten Knick der Heidestraße in seinem Fassadenablauf aufnimmt:

    Europacity Berlin 2020

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  • Heinzer: Du hast mit allem Recht, was Du dazu schreibst. Ich habe Dein Zitat genommen, weil es durchaus repräsentativ für das Meinungsbild hier im Forum ist, und es als Anlass genommen, mir das etwas genauer anzusehen.

    In der Tat ist es wohl schwer, in den Bauten der Europacity etwas typisch Berlinerisches zu erkennen. Vielleicht müssten das Auswärtige und spätere Generationen entscheiden. Allerdings ist eine fehlende Regionaltypik im engeren Sinne - also als direkt erkennbarer Baustil eines Ortes - wohl generell ein häufiges Merkmal der Architekturgeschichte. Stile haben sich ja eher in größeren geografischen Regionen ausgeprägt, mit Ausnahme vielleicht der Bauten einzelner Architektenpersönlichkeiten, die vorwiegend an einem Ort wirkten bzw wirken (wie Gaudi in Barcelona, Otto Wagner in Wien, oder heutzutage auch die Patzschkes, Höhne, Nöfer, Kollhoff und andere in Berlin).

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  • Östlich der Heidestraße, entlang der kleinen Seitenstraße Lydia-Rabinowitsch-Straße und dem Otto-Weidt-Platz, wurden in den letzten Jahren Wohnbauten fertiggestellt, die ich im Folgenden zeigen möchte. Nach Osten hin wird das Quartier vom Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal begrenzt. In diesem Quartier wurde ein Straßenbild in typisch gründerzeitlichem Maßstab geschaffen: Der Rhythmus der Fassaden, die Hausbreiten, die Bürgersteige, Straßenbäume, Fahrbahnbreiten entsprechen dem bekannten gründerzeitlichen Muster. Insbesondere das Büro von Max Dudler hat, wie ich finde, durchaus einige Bauten beigetragen, die dem dortigen Stadtbild einen positiven Akzent verleihen. Nun, wo viele Wohnungen bezogen wurden und auf den Balkonen und Loggien menschliches Leben erkennbar wird, finde ich diese Straßenzüge recht angenehm. Weniger schön ist eigentlich nur die relative Nähe zur vielbefahrenen Heidestraße.

    Blick von der Heidestraße Richtung Osten, hinten bereits der Kanal:

    Europacity Berlin 2020

    Bei den Dudler-Bauten wurden keine Riemchen an den Fassaden angebracht, sondern vorgefertigte Backstein-Fassadenelemente (ca. 1 cm dicke, in Zement eingebettete Backsteinplatten auf Beton) in einer doppelschaligen Wand:

    Berlin Europacity 2020

    Lydia-Rabinowitsch-Straße - die Nordseiten der eben gezeigten Häuser:

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    Blickrichtung Westen:

    Berlin Europacity 2020

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Weitere Impressionen aus den Seitenstraßen zwischen Heidestraße und Schifffahrtskanal:

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    Eigentlich eine recht ansprechend gegliederte Fassade:

    Berlin Europacity 2020

    Umgekehrte Blickrichtung:

    Berlin Europacity 2020

    Berlin Europacity 2020

    (Fortsetzung folgt...)

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  • Eigentlich eine recht ansprechend gegliederte Fassade

    Wenn man die eigenen Ansprüche herunterschraubt oder unten ansetzt, schon... :zwinkern:

    Klar, Verklinkerung im (gedrückt-niedrigen) Erdgeschoss, waagegerechte Geschossbänder. Eine ins gelbliche gehende Fassadenfarbe, also etwas Wärme ausstrahlend. Ansonsten asymetrisch strukturierte Fensterreihen.

    Auch zum Rest. Klar ist das ein Fortschritt zum Platten-Zeilenbau. Blockrand und einige wertigere Materialien. Und die Häuser sind nicht monströs (sieht man mal von der grauen Farbe einiger Gebäude ab), also auf Architekten-Selbstverwirklichung gepolt. Ansonsten aber ist das eine tendenziell monotone Wohnblockarchitektur, wie sie landauf landab in vielen Neubaugebieten der Republik zu finden ist. Da waren in der Gründerzeit die Arbeiter-Miethäuser schmuckvoller und gemütlicher gestaltet.

  • Es fängt schon damit an, dass die Erdgeschosse nur zu einem kleinen Anteil eine andersartige Nutzung als die darübergelegenen Geschosse aufweisen. Es wär so einfach, wenn man nur wollte! Dem Erdgeschoss ein bisschen mehr Raumhöhe gönnen, und Einzelhandel, Werkstätten, Gastronomienutzung rein statt Büros oder Wohnungen - schon wäre alles etwas weniger "tot".

  • Alles in allem ist es trotz teilweise hochwerigerer Materialien eine unwirtliche, monotone Aneinanderreihung von Gebäuden.

    Etwas Charme entwickelt das Gelände immerhin zum Wasser hin (z.B. auch seitlich zum Kanal, kann bei Gelegenheit mal ein Bild hochladen). Das liegt aber vermutlich mehr am Wasser im Zusammenspiel als an den Fassaden an sich.

    Ich würde dort im Innenbereich niemals wohnen wollen.

  • Wow, es muss nicht gefallen, aber im richtigen Umfeld ein Hingucker, von dem man sicher nicht die Augen lassen kann. Solange es kein historisches Umfeld belastet, halte ich auch eine solche Architektur für legitim, zumal hier wirklich Qualität durch die gebrochenen Flächen und die dadurch erzeugten Spiegelungen zu attestieren ist.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ein weiteres skulpturales Gebilde, eine Architekten-Pinkelmarke. Kann jemandem gefallen oder missfallen. Das ist zweitrangig. Es ist jedenfalls Architektur, die so in Tokio, Chicago, Rio, Dubai oder in Stuttgart oder Berlin stehen könnte. Völlig austauschbar. Manche finden das gut.

  • Das ist zweitrangig. Es ist jedenfalls Architektur, die so in Tokio, Chicago, Rio, Dubai oder in Stuttgart oder Berlin stehen könnte.

    Das liegt an unserer globalisierten Welt. Zeitgenössische Architektur trägt meist keine regionalen Züge. Ich halte das auch nicht für ein Qualitätsmerkmal, es sei denn, es gibt eine Wechselwirkung mit der benachbarten Architektur.

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  • Zeitgenössische Architektur trägt meist keine regionalen Züge. Ich halte das auch nicht für ein Qualitätsmerkmal, es sei denn, es gibt eine Wechselwirkung mit der benachbarten Architektur.

    Regionale Züge sind unbedingt ein Qualitätsmerkmal von Architektur. Wie diese sich über die Zeit ausformen, ist eine zweite Frage. Allerdings ist der genius loci oberste Maxime bei Bebauung, v.a. in Städten. Wie dieser bei Orten wie am Berliner Hauptbahnhof mittlerweile zu bestimmen ist, ist ebenfalls eine weitere Frage. Aber das künstliche Verändern oder Ersetzen des "Geistes des Ortes", anstatt ihm zu folgen, ist ein Merkmal vieler zeitgenössischer Architekturen, das ich wiederum nicht als Qualitätsmerkmal betrachte.

  • Regionale Züge sind unbedingt ein Qualitätsmerkmal von Architektur.

    Woraus sollte sich das ergeben? Das galt nicht einmal in historischer Zeit.

    Als man den Kölner Dom errichtete, sind die Vorbilder nicht in Deutschland, sondern in Frankreich zu suchen. Damit trägt er internationale Züge. Die französische Gotik wurde in der Folge zum ersten internationalen Stil überhaupt.

    Die Walhalla bei Donaustauf imitiert einen griechischen Tempel im Stil eines dorischen Peripteros. Der Bau wirkt nicht nur eigentümlich deplatziert sondern auch anachronistisch.

    Mindert es die Qualität der Bauten? Ganz im Gegenteil.

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