• Solche Bauten haben schon auch ihre Qualitäten. Vor allem im Detail. Messingtüren, feingliedrige Treppengeländer, geschwungene Vordächer, wertige Fassadenmaterialien, schöne Fenster- und Türprofile, Kassettendecken und -wände, Mosaiken, manches kleine Ornament, Wirtschaftswunder-Dekor. Und auch die Proportionen stimmen überwiegend noch so halbwegs. Diese Bauten haben zumindest oft deutlich mehr klassische Elemente, als das meiste, was danach kam. Und sind nicht selten noch Stein auf Stein bzw. Ziegel auf Ziegel gebaut. Und doch: echte Schönheiten sind auf den ersten Blick nur wenige 50er Bauten im Westen. Das Kölner Blau-Gold-Haus am Dom fällt mir da immer als Erstes ein.

  • Ja, ich finde schon seit Jahren, dass das Problem in unseren Städten eher nicht die 50er Jahre-Architektur ist. Auch Unterschutzstellungen kann ich bei vielen dieser Gebäude verstehen. Die wirklich schlimme Zeit begann um 1960 und ging bis 1975. In dieser Zeit wurden unsere Städte mit den ganzen Parkhäusern, Wabenfassaden-Warenhäusern, fürchterlichen banalen Bürohäusern mit horizontalen Fensterbändern, Waschbeton etc. vollgestellt.

    Auch danach und bis heute kam eigentlich nur noch Grütze, wenn man von wenigen Beispielen eines zurückhaltenden Postmodernismus vielleicht mal absieht. Ich würde jede Architekturepoche seit 1960 inklusive der Jetztzeit als im Durchschnitt schlimmer als die Architektur der 1950er Jahre ansehen.

  • Ist halt die Frage, ob das schon reicht. Ich akzeptiere Erbses Argument, dass viele dieser Bauten noch etwas aus der Vorkriegszeit atmen, bzw. konzeptionell auch so entworfen waren, um kriegszerstörte Altstädte schonend zu ersetzen. Aber wenn man sich dann anschaut, was beispielsweise wiederaufgebaut/inspiriert wird, so kenne ich keinen einzigen Bau aus diesen ein, zwei Jahrzehnten. Lieber baut man Klassisch Modern, eventuell Art déco, bzw. greift in die Zeit danach mit Brutalismusanleihen oder Postmoderne, solche Rückgriffe gibt es. Und es gäbe ja durchaus sehr viele Bauten, die bereits abgerissen wurden, handelt es sich doch scheinbar um eine der baureichsten Zeiten der letzten 100 Jahre, aber offenbar fehlt die Wertschätzung. Ich kenne auch nur ein einziges weitgehendes Platzensemble (das jedoch bald abgerissen werden soll), sprich, auch die Abstimmung per Abrissbirne spricht nicht für die Gebäude (und wohl insbesondere deren baulicher Qualitäten).

  • Der Fernblick von der Hörnbrücke auf die beiden beiden Neubauten (links) gegenüber dem Hauptbahnhof zeigt, wie nachteilig sich eine misslungene Dachgestaltung auf das Stadtbild auswirkt. Bis auf den schönen alten Speicher vorne eine Ansammlung banaler Kästen:

    Dagegen ist die ambitionierte Gestaltung dieser zwischen 1985 und 1995 erbauten postmodernen Häuser am Schülperbaum eine wahre Freude:

    Auch die folgende Wohnanlage in der Muthesiusstraße von ca. 1985 ist typisch für die norddeutsche Backstein-Postmoderne:

    Typische Vertreter der Wiederaufbauarchitektur der 1950er Jahre in Kiel:

    Ein Kinokomplex aus den 1990ern:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Dagegen ist die ambitionierte Gestaltung dieser zwischen 1985 und 1995 erbauten postmodernen Häuser am Schülperbaum eine wahre Freude:

    Auch die folgende Wohnanlage in der Muthesiusstraße von ca. 1985 ist typisch für die norddeutsche Backstein-Postmoderne:

    Das sehe ich genauso. Damals waren die Architekten noch als Formgestalter tätig und haben nicht nur Klötze/Schachteln hingestellt.Die Bauten waren vielgestaltig, nicht monoton. Auch die Fenster- und Dachformen zeigten eine große Vielfalt. Damals glaubte ich tatsächlich, es ginge aufwärts mit der Stadtbaukunst. Leider hielt diese Entwicklung nicht allzu lange an, während der aktuelle Einheits-Baustil geffühlt schon viel zu lange vorherrscht.

  • Ich stelle mir gerade vor, wie es aussehen würde, wenn der Marktplatz mit so interessanten postmodernen Backsteinbauten wie auf dem obigen Foto von Snork umbaut wäre, nachdem man die unpassenden Pavillions aus den 1970er Jahren und die übrige belanglose Bebauung aus den 1950er und 1960er Jahren dort abgerissen hätte. Ich könnte mir so eine interessante Neuinterpretation des historischen Marktplatzes vorstellen. Hätte meiner Überzeugung nach auf jeden Fall mehr Flair als gegenwärtig.

  • Nur einen kleinen Spaziergang von der Altstadt entfernt befindet sich der von einem recht gut erhaltenen gründerzeitlichen Umfeld umgebene Schrevenpark. Die meisten Kieler Gründerzeitviertel sind nicht nur ziemlich gut erhalten, auch die nach 1945 errichteten Füllbauten sind meines Erachtens in Kiel weniger störend als in vielen insbesondere westdeutschen Städten, da man oft, insbesondere in den 1950ern und zu Zeiten der Postmoderne, Backstein als regionales Baumaterial verwendet hat.

    Die Gestaltungsqualität der Gründerzeithäuser selbst kommt sicherlich nicht ganz an die in Hamburg oder gar Sachsen heran, auch die Höhe ist meines Erachtens etwas geringer.

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    OpenStreetMap, © OpenStreetMap contributors, https://www.openstreetmap.org/copyright

    Der Schrevenpark:

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    Straßenbilder:

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    Hübscher Jugendstil:

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    Vereinzelt sind Abstuckungen zu verzeichnen. Grelle und hässliche Fassaden-Farbgebungen sind in Kiel die absolute Ausnahme:

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    Ein schlichterer, wenig störender Füllbau, wohl um 1960:

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    Bei dem Backsteinbau fehlt anscheinend die Eckturmspitze:

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    Besonders kunstvoll dekorierte Fassade:

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    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • In Kiel wird für die Gehsteige oft in Fischgrätmuster gelegter gelblicher Ziegelstein verwendet - sieht besser aus als Betonplatten oder gar Gussasphalt:

    Weitere typische Straßenbilder aus Kiel:

    Eingestreute 1950er-Bauten sieht man auch recht häufig:

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Bremer Siehst Du etwa nicht, dass das Glasdach den mittigen Erker mit ausgeprägtem Dachabschluss zerschneidet und diesen optisch zusammenzieht mit dem linken vorspringenden Erker als Gebäudeabschluss? Letztgenannter wäre deutlich eigenständiger, wenn er zum Dach hin freigestellt wäre, als angedockt an ein 18 Meter langes Glaselement.

  • Ich muss sagen, dass ich die "nordische" Gründerzeit irgendwie als etwas fade empfinde. Das ist natürlich meckern auf hohem Niveau, verglichen mit dem, was heute gebaut wird, aber mir ist das schon in Lübeck aufgefallen und in Kiel sieht es ähnlich aus.

    Ich kann gar nicht sagen, was genau mir fehlt, aber irgendwie wirkt jedes Zierelement etwas flacher und weniger "üppig" als im Rest von Deutschland.

    Wobei mir das ganze weder in Rostock noch in Bremen aufgefallen ist. Zu Hamburg kann ich es nicht so gut sagen, dort gibt es auf jeden Fall auch sehr prächtigen Historismus.

    Am Geld kann es in Kiel ja eigentlich nicht gelegen haben, also lag es vielleicht an der Mentalität der dort ansässigen Architekten? Ich finde das auf jeden Fall sehr interessant, diese doch regionalen Unterschiede im Historimus.

  • Es mag eine nordisch-unterkühlte Mentalität eine Rolle gespielt haben. Im Rheinland und im Ruhrgebiet hingegen finde ich die Gründerzeit teils etwas zu kitschig. Da ist mir oft zu viel Stuck auf zu kleine Flächen gepappt. Aber, wie gesagt, meckern auf hohem Niveau, wenn man sich die Styropor-Schachteln von heute anguckt.

  • Ich würde den Gründerzeitstil in Kiel als im Vergleich zu anderen weiter im Süden gelegenen Städten wie etwa Leipzig oder München oder gar Wien als weniger überladen bezeichnen. Weniger schwerer Neubarock bzw. Neo-Renaissance, dafür mehr Rotkinkerbauten wie in Hannover und zurückhaltender Jugendstil ähnlich wie in Hamburg. Ich muss sagen, als "Nordlicht" gefällt mir das sehr gut.

  • Eine Frage an die Kieler. Ich habe diese Bild von Kiel aus den 30igern erstanden. Es zeigt das Krupp-Denkmal. Allerdings erscheint die Einfriedung im Vergleich zu älteren Aufnahmen verändert, auch bin ich mir nicht sicher, ob im Hintergrund das alte Yacht-Club-Gebäude zu sehen ist. Daher die Frage, wurde das Denkmal versetzt?

  • Hallo,

    Seit einiger Zeit bin ich an einem Projekt beschäftigt, ich möchte die Kieler Altstadt ( von vor dem zweiten Weltkrieg) größtenteils digital nachbauen. Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht viele Gebäude abgearbeitet, da es schwierig ist, für jedes Gebäude ein akzeptables Foto zu finden, wenn eines überhaupt vorhanden ist. Gebäude, welche bis jetzt fertiggestellt worden: Drittes Kieler Schloss mit Umbau von 1766, Neue Schlosswache, Museum vaterländischer Alterthümer von 1768 mit Anbau von 1924 und das Emkendorfer Haus. Meine Frage wäre, ob irgendjemand Bilder von Gebäuden aus der Schloss Straße und der Burgstraße hat.

  • Hallo Vogue,

    großartige Idee! Mir scheint, den Kielern fehlt es einfach an einem echten Bewusstsein für das verlorene Stadtbild, insbesondere im Altstadtbereich. Anders lässt sich die in Kiel vorherrschende Tatenlosigkeit gegenüber Missständen wie den für die Altstadt desaströsen Marktpavillons meines Erachtens nicht erklären.

    Für meine Galerie habe ich meist die Suchfunktion des Online-Archivs des Kieler Stadtarchivs genutzt. Dort kann man zB einfach die Straßennamen eingeben:

    Stadtarchiv Kiel

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Vielen lieben Dank, Snork.

    Ich wäre persönlich nie auf die Idee gekommen, dass das Stadtarchiv so einfach zugänglich ist.

    Ich werde mal etwas durchstöbern und bestimmt auf gute Bilder stoßen.

  • Bei dem Backsteinbau fehlt anscheinend die Eckturmspitze:

    DSC08898.jpeg

    Sicher?

    Ich hab mir die Bilder von unten nach oben gescrollt und bin bei dem Eckhaus hängen geblieben, das mir sehr originell vorkam. Dieses flache, gedrungene Element prägt die ganze Fassade , vor allem die Fenstergiebelchen. Das flache Turmdach hat etwas Expressionistisches. Der Turm zeigt keinerlei Verjüngung, wodurch ein Spitzdach zu dominant wirken

    Ich finde es so tatsächlich besser, ob beabsichtigt oder nicht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.