• Zu Kiel gibt es noch keine Galerie, daher möchte ich damit mal anfangen. Kiel ist eigentlich eine durchaus nicht hässliche Stadt mit einem beachtlichen und gut erhaltenen gründerzeitlichen Baubestand in den Stadterweiterungen jenseits der Altstadthalbinsel. Kiels Problem ist nur, dass es in seinem historischen Zentrum durch Kriegsbeschädigungen und nachfolgende Fehlentscheidungen seine historisch-baukulturelle Seele, wenn man von so etwas sprechen kann, ziemlich weitgehend verloren hat. Infolgedessen wird sie in erster Linie als "moderne", in ihrer Baugeschichte nicht weiter als bis zur Gründerzeit zurückreichende Stadt wahrgenommen. Dabei wurde Kiel bereits 1242 gegründet, und zwar in bevorzugter Lage auf einer zu drei Seiten von Wasser umgebenen Halbinsel am Endpunkt der Kieler Förde, einer fjordartigen Einbuchtung der Ostsee:

    Historische Stadtansicht Kiels durch Georg Braun und Franz Hogenberg von 1588. Blickrichtung nach Norden zur Ostsee; links das Westufer, rechts das Ostufer der Kieler Förde. Wikipedia, gemeinfrei. 

    Von den hier abgebildeten Gebäuden steht noch die Nikolaikirche in der Mitte, auf dem höchsten Punkt des Altstadthügels, die Klosterkirche links, und das Schloss rechts, welches damals in seiner Renaissancegestalt wohl seine baulich schönste Zeit hatte und heute nur noch als wenig ansprechender Neuaufbau der 1960er Jahre vorhanden ist. Rechts am Ufer der Stadthalbinsel sind Segelschiffe abgebildet - ungefähr dort befinden sich noch heute die Kieler Hafenanlagen, denn Kiel ist ein wichtiger Ausgangspunkt für den Fährverkehr nach Skandinavien und für Kreuzfahrtschiffe. Die Kieler Förde wird in dem Bild etwas schmaler dargestellt als sie ist, sie zieht sich nach oben, nach Norden in Richtung der noch ein ganzes Stück entfernten Ostsee.

    Luftaufnahme von 2003 in umgekehrter - südlicher - Blickrichtung. Man erkennt immer noch gut die Konturen der Altstadt mit Nikolaikirche, Klosterkirche und Schloss:

    Von Klaas Ole Kürtz (Drbashir117) - Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=84111

    Überblick der Kieler Förde auf einer Karte von 1888:

    Von Autor/-in unbekannt - Meyers Konversationslexikon (1888), Band 9, Seite 717, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57502

    Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war Kiel ein eher beschauliches Städtchen:

    Lokilech, Public domain, via Wikimedia Commons

    Das änderte sich erst, nachdem die Stadt 1867 zu Preußen kam und in der Folge der Reichsgründung zum größten Kriegshafen des Kaiserreichs bestimmt wurde. Nachfolgend erlebte Kiel einen starken Zuzug von Marinesoldaten und Werftarbeitern. Die Einwohnerzahl stieg von ca. 30.000 auf gut 108.000 (1900), 225.000 (2014) bis zu ihrem höchsten Stand 306.000 1943. Heute hat Kiel etwas unter 250.000 Einwohner und ist nach wie vor die größte Stadt Schleswig-Holsteins und Landeshauptstadt.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Nun möchte ich zum Beginn meiner Bilderserie über die Kieler Bauwerke mit dem wohl beeindruckendsten Kieler Bauensemble anfangen, das 1907-1911 erbaute (neue) Rathaus und das benachbarte Opernhaus. Beide haben durch den Bombenkrieg ihre Dächer verloren. Beim Rathaus wurde das beachtenswerte Walmdach auf dem Hauptgebäude, das wohl an einen umgedrehten Schiffskiel erinnern sollte, leider nicht rekonstruiert. Das wesentlich vereinfachte Dach des Opernhauses ist dafür eines der wenigen Beispiele in Deutschland, wo ein Nachkriegs-Dach sogar eine Verbesserung zum Original darstellt. Den Krieg praktisch unbeschädigt überstanden hat glücklicherweise der wirklich imposante und das Stadtbild heute prägende Rathausturm.

    Zur Architektur schreibt Wikipedia:

    Zitat

    Die Stadt ließ das heute denkmalgeschützte Rathaus nach den Entwürfen des Karlsruher Architekten Hermann Billing in den Jahren 1907 bis 1911 erbauen.[1] Der Tradition des repräsentativen Rathausbaus folgend verfügt das Gebäude über einen eigenen Turm. Er erhebt sich aus einem Verbindungsbau zwischen zwei Innenhöfen und ist in Anlehnung an einen Campanile wie den Markusturm der Lagunenstadt Venedig gestaltet. Dieser war 1902 eingestürzt und wurde ab 1903 wiederaufgebaut, worüber auch deutsche Bauzeitschriften berichteten.[2] Der 106 m hohe Kieler Turm überragt den Markusturm allerdings um 7,4 m. In 67 m Höhe befindet sich eine Aussichtsplattform.

    Historische Ansicht 1927:

    Von Hartz, Hans (1902-1971) - Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=68004607

    Rechts im Bild der sehr zurückhaltende, schwarze Erweiterungsbau des Opernhaues aus den 1970er Jahren:

    Links das zum Rathausplatz gehörende frühere Bankhaus Ahlmann, heute Deutsche Bank, fertiggestellt 1927:

    Das Opernhaus Kiel, 1907 eingeweiht, erbaut nach Plänen des Berliner Architekten Heinrich Seeling. Durch Bombentreffer ging 1943/44 die innere Einrichtung im Jugendstil verloren. Seeling war übrigens auch der Architekt des Frankfurter Schauspielhauses.

    Detail am Rathausturm:

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  • Durchaus ansehnlich, der Platz! Danke für die Bilder! Aber die Platzgestaltung ist schlimm . . . hier wäre etwas Grün und evtl. ein schöner Brunnen hilfreich :smile:

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Weitere Impressionen:

    hier wäre etwas Grün und evtl. ein schöner Brunnen hilfreich

    Schwertträgerbrunnen auf dem Rathausplatz. Datierung: um 1915 Fotograf: Edlefsen, Hermann (1877-1914), Stadtarchiv Kiel, gemeinfrei

    Es gab hier früher einen Brunnen, der allerdings im Krieg zerstört und leider nicht wieder aufgebaut wurde. Siehe folgender Textkasten.

    Zitat

    Der Schwertträger oder auch Der Schwertmann[1], wie der offizielle Name lautet, ist eine von Adolf Brütt (* 10. Mai 1855 in Husum; † 6. November 1939 in Bad Berka)[2] geschaffene Bronzefigur, die sich seit 1912 auf dem Rathausplatz bzw. vor dem dortigen Rathaus befindet.

    Die überlebensgroße Figur zeigt einen nur mit einem Lendenschurz bekleideten Mann, der in seiner rechten Hand ein aufrecht stehendes Schwert hält. Er steht heute auf einem Sockel an der östlichen Seite des Rathausplatzes, ausgerichtet mit Blickrichtung zum Portal des Rathauses.

    Ursprünglich stand er fast an der gleichen Stelle inmitten eines Brunnens, der von Hermann Billing, dem Erbauer des Rathauses, entworfen worden war. Damals war sein Blick zum Kleinen Kiel gerichtet. Die Brunnenanlage mit der Bronzefigur wurde von Brütt schon 1909 geschaffen, aber erst knapp ein Jahr nach der Einweihung des Rathauses am 19. Oktober 1912 von Oberbürgermeister Paul Fuß an seinem letzten Arbeitstag eingeweiht.[3]

    Im Zweiten Weltkrieg wurde durch einen Bomben-Volltreffer am 19. Mai 1944 der Brunnen selbst zerstört, nicht aber die Figur. Sie stand zunächst nach dem Krieg bis 1972 links vom Rathausportal vor der Fassade. Erst bei der Umgestaltung des Platzes im Jahr 1972 bekam sie ihren heutigen Standort.

    Schwertträger auf dem Rathausplatz:

    Detail der Fassade des Rathaus-Hauptgebäudes:

    Vom Holstenfleet aus gesehen:

    Der Rathausturm zeigt sich in einigen Blickachsen aus den Seitenstraße:

    Blick vom Rathausplatz Richtung Altstadtinsel, Hochhaus wohl um 1955:

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  • Kiel erlitt wie erwähnt heftige Bombardierungen vor allem in den Jahren 1943 und 1944. Die folgenden beiden Fotografien aus dem Stadtarchiv Kiel zeigen zunächst zwei Ansichten vom Rathausturm aus, 1910 und 1945, als drittes dann ein Luftbild von 1971 in entgegengesetzter Richtung. Das dritte Bild zeigt, dass beim Wiederaufbau zwar die frühere Kleinteiligkeit der Bebauung großteils aufgegeben, etliche Parzellen überbaut wurden, jedoch das bei der Stadtgründung angelegte Doppelkreuz-Straßennetz auf der Altstadt-Halbinsel im wesentlichen beibehalten wurde. Dennoch hat der verhältnismäßig schnelle Wiederaufbau der Altstadt in den 1950er bis 70er Jahren Fakten geschaffen, die heute eine schwere Hypothek für die Stadt darstellen. Ich werde darauf später noch näher eingehen.

    Gemeinfrei (Public Domain Mark 1.0), Blick vom Rathausturm auf die Altstadt, um 1910, Fotograf Karl Koch, Stadtarchiv Kiel

    Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 DE, Fotograf unbekannt, Blick vom Rathausturm auf die Kieler Altstadt 1945

    By Magnussen, Friedrich (1914-1987) - Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69399966, Luftbild mit Blick auf die Altstadt 1971, Opernhaus am linken Bildrand, Schloss rechts, Nikolaikirche Mitte.

    Nach dem Verlust der sogenannten Persianischen Häuser aus dem 17. Jahrhundert durch Bombentreffer 1944 steht die Nikolaikirche nun zum Markt hin frei. Auch das Alte Rathaus am Markt wurde zerstört. Doch zum Markt später mehr.

    Zum Vergleich eine historische Fotografie:


    Kieler Markt, um 1868, gemeinfrei, Ansicht der Persianischen Häuser vor der Nikolaikirche, rechts das Alte Rathaus.

    (Kiel Wiki dazu: Bei den Persianischen Häusern handelte es es sich um eine Reihe von Gebäuden, die in den Jahren von 1632 bis 1638 als Packhäuser für persische Waren gebaut wurden. Eine vom Landesfürsten Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf entsandte Kommission konnte aber keine Handelsverträge abschließen, so dass die Gebäude später zu Wohnhäusern umgebaut wurden.)

    Künstlerische Darstellung des historischen, bei der Gründung der Stadt angelegten doppelkreuzartigen Straßenverlaufs im Klostergarten:


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  • Aber wenden wir uns nun der Kieler Altstadt zu. Hierzu zunächst ein kurzer geschichtlicher Überblick.

    Kiel blieb nach seiner Gründung im 13. Jahrhundert trotz seiner günstigen Lage bis zum Anschluss an Preußen nur eine unbedeutende Nebenresidenzstadt. Herausragende Bauwerke hatte die Stadt kaum vorzuweisen. Nachdem Kiel durch den Gründerzeitboom einen erheblichen Bevölkerungszuwachs erlebt hatte, wurden insbesondere im Bereich des Markts viele ältere Häuser durch Neubauten ersetzt. Nach 1900 entstanden auch größere Kaufhausbauten in zweiter Reihe, von denen noch eines teilweise erhalten ist. Auch damals beschäftigte man sich mit der Frage der Gestaltung des Altstadtzentrums. Als erhaltenswert sah man die Persianischen Häuser aus dem 17. Jahrhundert an, denen gleichwohl als eher schlichte Fachwerkbauten kein hoher baukünstlerischer Rang zubemessen werden kann; auch das zweigeschossige Alte Rathaus schräg gegenüber wurde erhalten, bis zu seiner Zerstörung 1944. Die bis dahin durch eine Häuserzeile vom Marktplatz abgetrennte gotische Nikolaikirche wurde Anfang des 20. Jahrhunderts durch Abrisse einzelner Häuser zum Platz hin freigestellt, um einen freien Blick auf die Portalfassade der Kirche zu erhalten.

    Den Bombenkrieg überstanden nur wenige Häuser am Markt. Die Persianischen Häuser und das Alte Rathaus wurden zerstört. Bereits in den 1950er Jahren erfolgten in einer ersten Wiederaufbauphase Lückenschließungen und bauliche Ergänzungen, wobei leider die früher direkt zum Marktplatz führende Haßstraße an ihrem Abgang überbaut wurde. Der Platz selbst wurde asphaltiert und als Parkplatz genutzt. In den 1960er Jahren führte ein städtebaulicher Wettbewerb zu keinem umsetzbaren Resultat. Das Alte Rathaus und die Persianischen Häuser wurden nicht als rekonstruktionswürdig angesehen, jedoch wurde eine Wiederherstellung der städtebaulichen Figuren der Persianischen Häuser und des Alten Rathauses als städtebaulich sinnvoll angesehen. (Beispielhafte Quelle)

    (Detaillierterer historischer Überblick, als PDF)

    Da Kiel den Zuschlag für die Austragung der Segelsportwettbewerbe der Olympischen Sommerspiele 1972 erhielt, sah die Stadt offenbar Handlungsbedarf, und so wurde die Bebauung des Marktplatzes einer privatwirtschaftlichen Grundstücksgesellschaft übertragen. Diese ließ, trotz des Protestes von Denkmalschützern und vieler Einwohner, nach den Plänen des Architekten Wilhelm Neveling sechs gläserne Pavillonbauten mit rautenartigen Kupferdächern auf dem Marktplatz errichten. Die von vielen Bürgern als unpassend empfundene Architektur dieser Pavillons und die weitgehende Zerstörung des Platzbildes durch sie führten auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder zu Kritik. Auch ein Abriss der zuletzt teilweise leerstehenden Pavillons wurde wiederholt thematisiert.

    2017 dann stellte das Kieler Landesamt für Denkmalpflege die Pavillons kurzerhand und für Viele überraschend unter Denkmalschutz. In der Erklärung des Denkmalamts kann man die übliche Begründungslyrik nachlesen: „Die Marktbebauung ist der beachtliche Schlussakkord des 1949 begonnenen Kieler Wiederaufbaus, der ganz im Zeichen der Moderne stand. Es ist eine wichtige Zeitschicht, die Kiel hier besitzt und zweifellos handelt es sich um eines der bedeutendsten Ensembles innerstädtischer Planungen der 1970er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland.

    Aufgrund seines besonderen geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und vor allem städtebaulichen Wertes wurde der Alte Markt in Kiel mit seinen Pavillonbauten 2017 in die Liste der Kulturdenkmale des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen.“

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  • Schrecklich, wie der Marktplatz mit diesen hässlichen, düsteren Buden vollges... tellt ist. Vielleicht erledigt ja mal ein Erdbeben oder Tsunami dieses Elend.

  • Ein offener Marktplatz, der Blickbeziehungen in die umgebenden Straßen bietet, Orientierung gibt, den freien Blick auf Baudenkmale ermöglicht, ist enorm wichtig für eine Stadt. In Kiel gilt dies auf Grund des im Prinzip erhaltenen historischen Straßen-Doppelkreuzes auf der Altstadthalbinsel in besonderem Maße. Diesen Platz mit Pavillons zuzubauen war ein schwerer Fehler, das sollte man nicht schönreden oder abtun.

    Auch anderswo wurden städtebauliche Fehler gemacht in den 1960er und 70er Jahren. Manche wurden später wieder korrigiert. Dass der Denkmalschutz in Kiel mit fragwürdigen Begründungen einfach in die Willensbildung der Stadtgesellschaft hineingrätscht und den Missstand faktisch konservieren möchte, ohne demokratische Legitimation, ist eigentlich skandalös und wurde entsprechend kritisiert. Es gibt in Kiel viele andere Bauensembles aus noch früheren Zeiten, die deutlich wertvoller sind und keinen Denkmalschutz erhalten. Schon der Blick auf die Kieler Denkmalkarte lässt erahnen, dass die Unterschutzstellung der Marktpavillons mit Hilfe von vorgeschobenen Standardbegründungen und ohne zwingenden Sachgrund erfolgte - zu beliebig erscheint die Auswahl des Denkmalbereichs in Relation zu den ansonsten weitgehend ungeschützten Flächen der übrigen Kieler Innenstadt.

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  • Das Opernhaus Kiel, 1907 eingeweiht, erbaut nach Plänen des Berliner Architekten Heinrich Seeling. Durch Bombentreffer ging 1943/44 die innere Einrichtung im Jugendstil verloren. Seeling war übrigens auch der Architekt des Frankfurter Schauspielhauses.

    Interessant. Kiel - wie Frankfurt eine vom Krieg arg gezeichnete Stadt - hat also seine Seeling-Fassade am Leben gelassen. Ich habe manchmal den Eindruck, im Norden und im Süden Deutschlands hat man tendendeziell eher versucht, zu erhalten, was noch erhalten war, während man in Hessen im Zweifel altes, was nicht mittelalterlich und damit nicht alt genug, also nicht "richtig alt" ist, für kunsthistorisch wertlosen Dreck erklärt und abgerissen hat.

  • Vielen Dank für diese Galerie, die hoffentlich noch erweitert wird.

    Die Wiederherstellung des Schwertbrunnens vor dem Rathaus ist eigentlich längst überfällig und wurde hier im Forum ja auch schon diskutiert. Da der Schwertträger noch existiert, stelle ich mir die Kosten für eine neue Brunneninstallation nicht so gewaltig vor. Zusammen mit etwas Grün, würde der Brunnen in den heißen Sommern für etwas Abkühlung sorgen. Von der deutlichen Steigerung der Aufenthaltsqualität ganz zu schweigen.

  • Weiter zur Altstadt - zunächst eine Kartenübersicht der Altstadthalbinsel mit dem im Grunde aus der Gründungszeit der Stadt stammenden Straßenverlauf. Man sieht recht gut, wie zugebaut der Marktplatz heute leider ist (links oberhalb der Kirche):

    OpenStreetMap Wiki, cc

    Eigentlich erkennt man schon auf den ersten Blick, dass ein Abriss der völlig deplazierten Marktpavillons dem Altstadtgrundriss wieder eine angemessene Relation zwischen unbebauter Marktfläche und bebauten Grundflächen zurück geben würde - da müsste man noch nicht einmal das Alte Rathaus oder die Persianischen Häuser wiedererrichten. Die heutige Randbebauung des Marktplatzes ist alles in allem ganz passabel - auch die schlichten, aber meist recht gut proportionierten Fassaden der ersten Wiederaufbauzeit der 1950er Jahre haben ihre Qualitäten und passen sich dem Rhythmus der verbliebenen Gründerzeitfassaden an. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: die Pavillons machen alles kaputt - den Marktplatz, ja eigentlich die gesamte Kieler Altstadt. Sie blockieren ein durchaus vorstellbares Wiederaufblühen der Kieler Altstadt, der heute die zentrale Freifläche eines Marktplatzes mit seinen vielfältigen Blick- und Wegebeziehungen fehlt. Sie noch unter Denkmalschutz zu stellen war daher schädlich für die ganze Stadt. Eigentlich hat es in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik keine schädlichere Handlung einer Denkmalbehörde gegeben als die Unterschutzstellung der Marktpavillons in Kiel.

    Nun noch ein paar Blicke auf die umgebende Bebauung, die allerdings wegen der Pavillons und der Bäume nur eingeschränkt sichtbar war.

    Die Südostseite (auf der Karte die unten-rechte Seite des Alten Markts) wird heute von der Nikolaikirche und Bäumen dominiert:

    An der Südwestseite liegt der Eingang zur Haupteinkaufsstraße der Stadt, der Fußgängerzone Holstenstraße. Links das vor einigen Jahren mit einer neuen, nun durch Fenster geöffneten Fassade versehene frühere Karstadt-Gebäude:

    Rechts zwischen Holsten- und Kehdenstraße das teils kriegszerstörte, teils bereits in den 1950er Jahren wiederaufgebaute ehemalige Kaufhaus Jacobsen (1906/07, 1934):

    Zur Kehdenstraße mit keramischem Dekor:

    Nordseite des Alten Markts, der denkmalgeschützte Backsteinbau ist von 1893/94:

    Nordostseite mit Gebäude aus den 1950er Jahren als Überbauung des früheren Eingangs zur Haßstraße:

    Die daran anschließende Nordostseite seitlich gesehen, mit Gründerzeitbau von 1903, dessen Fassade derzeit noch sehr durch Werbeanbringungen verunstaltet wird:

    Ansicht der Nikolaikirche von der Schlossstraße aus:

    Erst kürzlich fertiggestellter Eckbau zur Schlossstraße (auf der Karte nicht benannt). Im Hintergrund sieht man bereits den modern auf den alten Grundmauern wiederaufgebauten Hauptcorpus des Kieler Schlosses:

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  • Ich habe viel Zeit in Kiel verbracht.

    Das Zentrum kann man meiner Meinung nach aus städtebaulicher Sicht ignorieren. Es dürfte sich um eine der am stärksten zerstörten Innenstädte Deutschlands handeln. Einzig das Rathausumfeld strahlt so etwas wie Schönheit aus. Der Rest ist ein rein praktische "Einkaufscity".

    Trotzdem ist die Stadt nicht völlig ahistorisch. Weitgehend im Krieg zerstört wurde "nur" das Zentrum. In den Gründerzeitquartieren ringsherum ist wesentlich mehr stehengeblieben. Leider wurde Kiel nie in Google Street View erfasst, sonst hätte ich hier jetzt Beispiele für ein paar schöne Straßenzüge verlinkt.

    Einen Besuch wert ist die Stadt dennoch allemal. Die Verzahnung des Stadtraums mit der Ostsee in Gestalt der glasklaren Kieler Förder, der rege Hafenbetrieb (- Deutschlands wichtigster Fähr- und Kreuzfahrthafen!), die Werften, die wunderbare holsteinische Landschaft ringsherum, das alles hat was.

    Um auszudrücken was ich meine ein paar Impressionen. Gesichter nicht verpixelt, da es es sich um meine Familie handelt, die nichts gegen eine Veröffentlichung hat. Ende Oktober werde ich wieder in Kiel sein, und da ich nun weiß, dass es hier eine Galerie gibt, ein paar Bilder mehr machen.

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    Gehört noch zum Stadtgebiet: Die Ostseeküste beim Leuchtturm Bülk:

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  • Danke, HelgeK! Ich werde auch - je nach verfügbarer Zeit - noch ein Weilchen an der Galerie arbeiten, habe noch etliches auf der Festplatte. Allerdings vorwiegend aus dem Zentrumsbereich.

    Das Zentrum aus städtebaulicher Sicht zu ignorieren fällt mir schwer. Die Kieler Altstadt hat viel mehr Potenzial als es auf den ersten Blick scheint, und es ist in den letzten Jahren ja auch vieles deutlich verbessert worden - Schloßstraßenbebauung, Holstenfleet, Rückbau der Eggerstedtstraße, Neubauten im Bereich des Klosters und der Haßstraße.

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  • Warum man immer diese monströsen Bürogebäude inmitten der „Altstadt“ hochziehen muss, verstehe ich einfach nicht. Ist das denn alles was die heutige Architektur zu bieten hat?

  • Die zeitgenössische Kritik an der Neubebauung des Alten Markts in Kiel (da es eigentlich in Kiel keinen "neuen" Markt gibt, könnte man eigentlich auch nur vom Kieler Markt sprechen, allerdings wird doch meist die Bezeichnung "Alter Markt" verwendet) richtete sich neben der unpassend erscheinenden Architektur auch gegen das Vergabeverfahren selbst. Wie oben bereits erwähnt, hatte die Stadt in einer Art Hau-Ruck-Verfahren einen privatwirtschaftlichen Investor beauftragt, um sicherzustellen, dass der Marktplatz bis zur Segelolympiade 1972 keine asphaltierte Freifläche mehr ist. Einen Wettbewerb gab es nicht, eine echte Bürgerbeteiligung schon gar nicht - heute eigentlich undenkbar. Denn einen Marktplatz einfach mit Geschäftsbauten vollzubauen heißt ja auch, dass dieser nicht mehr wirklich für öffentliche Zwecke genutzt werden kann wie Versammlungen, Demonstrationen, oder eben einen Markt. Allein diese eklatante Fehlhandlung der Stadt wäre ein guter Grund gewesen, die Pavillons irgendwann wieder zurückzubauen und den Kieler Marktplatz wieder zu einem solchen werden zu lassen.

    Aus der Kieler Bürgerschaft kam viel Kritik, die letztlich ignoriert wurde ("... einen Platz, den man schaffen müsste, wenn er nicht schon vorhanden wäre und über dessen vorzügliche Anlage man sich freuen sollte, seit Jahrhunderten die 'gute Stube' der Stadt, will man zubauen", Kieler Nachrichten vom 15.10.1969, nach Hansen/Schulze, siehe oben). Man sprach von "Monstrositäten, die man uns jetzt dorthin stellen will..."

    Anhaltende Kritik kam auch vom Kieler Landeskonservator Hartmut Beseler. Er forderte, wie auch die Architektenkammer, einen dritten Wettbewerb für den Alten Markt. In dem Text von Hansen und Schulte von 2008 findet sich die - noch aus heutiger Sicht völlig einleuchtende - Einschätzung von Beseler, die "wannenförmige Absenkung der Mitte (des Marktplatzes) und die damit im inneren Zusammenhang stehende Umfassung durch einzelne sechseckige Punktbauten" funktioniere den Markt in einer Weise um, die zu einer Sinnverwandlung führe und über das Maß einer behutsamen Adaption der Vergangenheit durch die Gegenwart hinausgehe. Darüber hinaus werde die Wirkung der blockhaften Nikolaikirche durch die nervöse Unruhe der geplanten Baukörpergruppierung entscheidend beeinträchtigt.

    Genau so ist es dann gekommen.

    Zur Erinnerung:

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  • 48 Jahre nach dieser fachlich begründeten Kritik des Landeskonservators Beseler an der Beeinträchtigung des bedeutendsten Kieler Baudenkmals, der Nikolaikirche, durch die wenige Meter davor aufgebauten Kommerz-Pavillons wird seine Einschätzung von seinen Nachfolgern nicht etwa bestätigt und gewürdigt. Nein: die von ihm so kritisierten Pavillons werden nun von seinen eigenen Kollegen unter Denkmalschutz gestellt, die reale Beeinträchtigung der im Kern 700 Jahre älteren Nikolaikirche wie zum Hohn noch belobigt.

    Im Schatten des Pop-Up-Stores: der "Geistkämpfer" von Ernst Barlach, die im Auftrag der Stadt Kiel geschaffene erste Großplastik des expressionistischen Bildhauers von 1928:

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  • Das Zentrum kann man meiner Meinung nach aus städtebaulicher Sicht ignorieren. Es dürfte sich um eine der am stärksten zerstörten Innenstädte Deutschlands handeln. Einzig das Rathausumfeld strahlt so etwas wie Schönheit aus. Der Rest ist ein rein praktische "Einkaufscity".

    Es ist tatsächlich eine auch in Kiel verbreitete Wahrnehmung, dass Kiel irgendwie kein Altstadtzentrum hat. Obwohl Kiel meine Heimatstadt ist, hatte ich nie einen Begriff von einer Kieler Altstadt. Erst ein späterer Blick auf eine Luftaufnahme der Kieler Altstadt-Halbinsel hat etwas daran geändert. Ich hatte in meiner Erinnerung auch kein Gesamtbild der Nikolaikirche vor Augen, obwohl ich oft drinnen gewesen bin, wohl weil es auch keine Möglichkeit gibt, von einem offenen Vorplatz aus einen ungehinderten Blick auf die Eingangsseite der Kirche zu erhalten.

    Dabei finde ich die Nikolaikirche mit ihrem beim Wiederaufbau in den 1950er Jahren vereinfachten Turm eigentlich recht schön und würdig:

    Näheres zur Geschichte von St. Nikolai bei Wikipedia

    Der Turm 1868:

    Von Christian Hinrichsen (1826-1869) - File:Alter Markt Kiel 1868.jpg, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69362909

    Zerstörung durch Bombentreffer im Weltkrieg:

    Von Autor/-in unbekannt - Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69379881

    Neogotisches Portal:

    Innenansicht mit flacher Stahlbetondecke der Wiederaufbauzeit:

    Kanzel von 1705:

    Taufe von 1344:

    Deckel:

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  • Zu einer mitteleuropäischen Altstadt gehört ein Zusammenspiel von offenem Markt- bzw. Rathausplatz als Symbol der städtischen Freiheit und Ort der Versammlung, einer Kirche als Träger der Geistigkeit, und einem Rathaus als Zentrum der bürgerlich-weltlichen Macht. Die Kieler Altstadt hat ihr Rathaus verloren, der Markt wurde verbaut, die Kirche dadurch weitgehend dem Stadtbild entzogen. So wurde die Kieler Altstadt trotz des Geschenks einer hervorragenden natürlichen Lage auf einem Inselhügel und nicht allzu wenigen verbleibenden Altbauten aus dem Empfinden ihrer eigenen Bürger nahezu ausgelöscht, der Besucher sowieso. Kiel hat in den letzten 20 Jahren vieles richtig gemacht, etwa durch die Ermöglichung einer ansprechenden, kleinteiligen Wohnbebauung im Altstadtgebiet. Aber dennoch wird die Kieler Altstadt niemals ihre einstige Wertigkeit für die Gesamtstadt zurückerlangen können, wenn die Marktpavillons nicht entfernt und der offenen Platz nicht wiederhergestellt wird. Der Elefant steht im Raum, die wenig konfliktfreudigen Kieler sehen lieber woanders hin. Hätte man den Hamburger Rathausplatz oder den Frankfurter Römer Anfang der 1970er Jahre mit Pavillonbauten vollgestellt - würden diese heute noch stehen? Nein, wohl kaum, denn man hätte vermutlich genug Bürgersinn aufgebracht, um einen solchen Unfug rückgängig zu machen. In Kiel scheint dies nicht zu gelingen.

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