In diesem Beitrag möchte ich ein Viertel vorstellen, bei dem es sich um das größte geschlossene Bauprojekt der Nachkriegszeit in Warschau handelt.
Und das war nicht etwa die Altstadt, deren Rekonstruktionsprojekte schon Anfang der 50er Jahre seitens der kommunistischen Partei im Zuge der Gründung der Volksrepublik beendet wurden. Vielmehr handelte es sich um ein Großprojekt im Stil des sozialistischen Realismus, vergleichbar mit den Bauten des Stalinbarock in Leipzig, Magdeburg und Berlin (Karl-Marx-Allee ...), nur eben viel größer:
Es handelt sich um das Bauprojekt Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa oder kurz MDM - ein Wohnviertel rund um die namensgebende Marszałkowska-Straße, die Nord-Süd-Verbindung in Warschau schlechthin (neben dem Königsweg, aber jüngeren Datums) und vor dem Krieg die wichtigste Einkaufsstraße, die sich in prächtiger "Gründerzeitarchitektur" präsentierte.
Von der einstigen Bebauung ist fast nichts mehr erhalten, bis auf einige verbliebene Gebäude auf der Ostseite der Marszałkowska kurz vor der Kreuzung mit der Aleje Jerozolimskie - nicht zuletzt deshalb, weil die Marszałkowska als Aufmarschstraße monumental angelegt und hierfür erheblich verbreitert wurde, wofür die Westseite vollständig abgerissen wurde.
Die Baugeschichte wird in der Wikipedia eingehend beschrieben. Kurz gesagt handelt es sich um ein Entwicklungsprojekt der südlichen Innenstadt, bei dem zuerst Verwaltungsgebäude und Ministerien entstehen sollten, später aber verstärkt Wohnungen errichtet wurden.
Ich zitiere hier kurz aus der Wikipedia:
ZitatDa die Warschauer Bevölkerung dem Vorrang der Errichtung von öffentlichen Gebäuden in der ersten Wiederaufbauphase zunehmend kritisch gegenüberstand, wurde beschlossen, das neue Viertel mit einer Wohnbebauung zu versehen. Die Projektplanung wurde einer erfahrenen Architektengruppe übertragen, die bereits die W-Z-Trasse geplant hatte. Das Großprojekt wurde unter dem Slogan „Menschen in die Innenstadt“ (polnisch: Lud wejdzie do Śródmieścia) politisch vermarktet. Die Planung sah die Errichtung von rund 6.000 neuen Wohnungen, 10 Kinderkrippen, 22 Kindergärten, 11 Schulen, 9 medizinischen Praxen, einer Schwimmhalle, einem Sportplatz, einem Rathaus, einer Wache (der Bürgermiliz), einem Hotel, fünf Theatern, sechs Kinos sowie zahlreichen Restaurants und Geschäften vor. Die Pläne konnten nicht völlig verwirklicht werden.
Die Gestaltung des neuen Wohnviertels folgte Edmund Goldzamts Devise „National in der Form, sozialistisch im Inhalt“. Zum Teil diente das elegante Krasiński-Mietshaus am Plac Małachowskiego aus dem Jahr 1910 den Architekten als Vorbild für das „nationale“ Element.
Anmerkungen meinerseits:
Bei der W-Z-Trasse alias Trasa W-Z (eigentlich: Ost-West-Magistrale) handelt es sich um das erste Wiederaufbauprojekt in Warschau, um den in offener Bauweise errichteten Tunnel unter der Altstadt hindurch.
Das genannte Krasiński-Mietshaus am Plac Małachowskiego habe ich in Verkennung seiner Bedeutung leider nicht fotografiert, ich hielt es für einen Nachkriegsbau ... das Mietshaus befindet sich unmittelbar südlich des Sächsischen Gartens, unweit der Marszałkowska, so daß auch ein räumlicher Bezug vorhanden ist.