Ortsbild im ländlichen Raum - Strukturwandel wohin?

  • Muß eine nicht so sehr dicht bevölkerte Region aber unbedingt strukturschwach sein? Schweden, Finnland, Island sind doch auch hochentwickelte Länder.

    Das Problem ist nicht die absolute Bevölkerungsdichte, sondern die generelle Entwicklung. Natürlich gibt es bevölkerungsarme Gegenden, die nicht abgehängt sind. Skandinavien macht es vor. Das Oldenburger Münsterland, in dem ich lebe, übrigens auch (und die Bevölkerungsentwicklung zeigt nach oben). Aber wenn Landschaften und Orte wie Sankt Andreasberg in 30 Jahren die Hälfte ihrer Bewohner verlieren, ist das ein riesiges strukturelles Problem. Denn es gehen primär die Jungen aufgrund der wegbrechenden Entwicklungschancen. Übrig bleiben die Rentner, die aber kaum Einnahmen in die Kassen spülen. Und genau das passiert im Westharz vielfach. Das Ergebnis sind Geisterstädte, wo früher geschäftige Fußgängerzonen existierten, was wiederum keine neuen Bürger und Investoren anzieht. Das ist dann die Abwärtsspirale, die ich meine.

  • Daß strukturschwache Regionen wenig Infrastruktur besitzen, bedarf ja keiner weiteren Erörterung. :wink:

    Muß eine nicht so sehr dicht bevölkerte Region aber unbedingt strukturschwach sein? Schweden, Finnland, Island sind doch auch hochentwickelte Länder. Das Problem der strukturschwachen Regionen ist, so scheint mir, nicht so sehr die geringe Bevölkerungsdichte, sondern eher die Verteilung der Bevölkerung innerhalb der Region. Wenn es in einem flächenmäßig relativ weit gefaßten Gebiet nur zahlreiche kleine Dörfer gibt, in denen sich jeweils nur einige Wohnhäuser mit wenigen Bewohnern und weiter keine Einrichtungen befinden, und es auch in der kleinen Kreisstadt kaum anders aussieht, ist dies natürlich eine strukturschwache Region.

    Anstatt daß ein jedes dieser Dörfer und die Kleinstadt durch Lockangebote Neubürger zu gewinnen und Einwohner zu halten suchen - was in aller Regel zwar (wie es auch Heinzer erwähnt) eine Ausweitung der Neubaugebietezur Folge hat, an der Infrastruktur aber nichts verbessert, wäre es doch sinnvoller, die Einwohnerschaft der Region auf die Kleinstadt zu konzentrieren. Diese hätte dann allerdings ein Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, die Region insgesamt aber nicht, und doch würde sich die benötigte Infrastruktur vermutlich verbessern. Die unzureichenden Busverbindungen in die dann unbewohnten Orte z. B. würden überhaupt nicht mehr gebraucht, während die Bahnlinie, die die Stadt erschließt (oder, wenn es keine gibt, die Buslinie in die nächste größere Stadt), sicher besser ausgelastet wäre.

    Genau in diesen Richtung wird es auch gehen (müssen). Das meine ich ja. Bei manchen Beiträgen bekommt man das Gefühl, dass sich das alles selbst einpendelt und dann hat die Natur gewonnen und alle tanzen in den wieder wachsenden Wäldern. Aber es werden (beginnend im Osten, nach Westen kriechend) in den nächsten Jahrzehnten immer mehr Dörfer ganz aufgegeben werden (müssen), weil die Netze zu erhalten bei nur noch 8 Einwohnern einfach nicht mehr darstellbar ist.

    Ich bin da Realist. An dieser Entwicklung wird grundsätzlich nichts vorbeiführen. Ich finde sie auch nicht böse oder schlimm oder so, es ist so, wie es ist. Aber es wird eben nicht unbedingt überall schön und es wird Geld kosten und es werden Verteilungskämpfe ausbrechen, die Politikverdrossenheit wird steigen (warum wird in meinem Dorf das Wasser abgestellt und im Nachbardorf wird sogar eine neue Schule gebaut?).

    Sicherlich sind solche Zentralisierungsprozesse wie von dir angesprochen ein wichtiger Punkt, Japan hat mit so etwas ja schon länger Erfahrung, am Ende (schon jetzt im Norden des Landes) haben dann nur noch die Provinzhauptstädte überhaupt noch alle Funktionen wie Supermärkte oder ÖPNV etc.

    Momentan herrscht auch zwischen schrumpfenden Gemeinden noch so eine Art Kannibalismus, also man versucht Gewerbe und Bewohner der Nachbarorte durch immer mehr Ausweisungen von Bau- und Gewerbegebieten abzuwerben, aber das Prinzip führt dann auch wieder nur zu mehr Verkehr und Zersiedlung und ist (für die Region im größeren Kontext) maximal ein Nullsummenspiel.

    Klar ist auch: "Wir" werden das überleben. Es geht nicht darum, den Untergang auszurufen. Ca. 2/3 der Dörfer in meinem Heimatlandkreis Göttingen, die zur Hochzeit der spätmittelalterlichen Siedlungsperiode existierten, gibt es nicht mehr, sind vor hunderten von Jahren wüstgefallen. Ganz Südniedersachsen ist durchzogen von den Resten dieser Dörfer, hier mal alte Gräben, dort eine Kirchenruine, ein paar alte Wölbäcker irgendwo im Wald, Straßen in Nachbardörfern, die noch die Namen dieser Orte tragen, obwohl die Wege schon lange nicht mehr nach "Diedershausen" oder "Ulrideshusen" führen.

  • Ich halte die Schrumpfungs- oder Untergangsromantik für verlockend, aber verfehlt. Das erste, das draufgeht, sind alte Ortsbilder bzw alte Baudenkmäler im allgemeinen. Und: Schrumpfung, wie sie wir erleben, geht nicht mit Erholung oder auch nur Schutz überkommener Landschaftsbilder einher.

  • Unsere Gesellschaft ist überhaupt nicht darauf vorbereitet auf Rückbau und Schrumpfung. Nach welchem ökonomischen Modell soll das funktionieren? Wenn das Geld fehlt werden als aller erstes die Annehmlichkeiten gestrichen, dazu gehört auch das Stadtbild und die Baukultur. Auch weniger ideale Lösungen fallen sofort zum Opfer, z.B. alte sanierungsbedürftige Bausubstanz. Völlig illusorisch sich damit zu beruhigen, dass man ja Einzelbauten in Museen verfrachten könnte. Wir hier in unserem Forum leben quasi davon, dass Überschüsse verteilt werden können und für schöne Dinge ausgegeben werden können.
    Hier hinkt auch ganz eindeutig der Vergleich zu mittelalterlichen Wüstungen. Im Mittelalter war die Besiedelung instabil. Es folgte Aufbau und Zerfall innerhalb von Jahren bis wenigen Jahrzehnten. Entsprechend wenig Werte steckten in den Immobilien. Man war stets bereit z.B. durch Feuer alles zu verlieren. Heute haben wir dagegen selbst in kleinen Dörfern Investitionswerte im hunderte Millionen Euro Bereich (öffentliche, wie private) in größeren Orten Milliarden Euro, dazu eine Besiedelungskontinuität über mehrere hundert Jahre und entsprechende Kulturwerte. Nebenbei noch weil angesprochen: Beim Abbau der Kohle wird der Wertverlust der Entsiedelung kompensiert durch die Rohstoffausbeutung und den entsprechend hohen Überschüssen.
    Wenn wir also über die massenhafte Aufgabe von Siedlungen sprechen, ist dies mit nichts in der Geschichte vergleichbar, außer mit Krieg der jüngeren Geschichte.

  • St. Andreasberg hat 2/3 seiner Einwohner verloren! Ich weiß nicht, ob es sowas in Deutschland nochmal gibt auf dem Niveau einer Kleinstadt.

    Mein Heimatort Seifhennersdorf hatte 1950 ca. 9500 Einwohner, jetzt noch knapp 3500. Die Menge an Umgebindehäusern die hier in der Region verkommt und verkommen wird ist einfach nur traurig.

    In größeren Städten im Norden der (Ober)-lausitz wie Hoyerswerda, Weißwassser oder Eisenhüttenstadt wurden ganze Stadtteile abgerissen. Die haben alle mindestens die Hälfte der Einwohner verloren. Weißwasser war kurz vor der Wende eine der jüngsten Städte der DDR und ist heute mit über 50 Jahren eine der ältesten und im Schnitt 20 Jahre älter geworden.

    Da, wo Einwanderung aus dem Ausland fehlt und die Binnenwanderung negativ ist, ist das schon lange Realität. Ganz besonders eben auch im ländlichen Ostdeutschland.

  • Ich kann dieser demographischen Hysterie nicht folgen. Ob Geld in die Kasse kommt oder nicht, hängt von der Produktivität des Einzelnen ab.

    Hier mal als Vergleich. Um 1800 (im Land der Dichter und Denker) lebten 20 Millionen Deutsche, die meisten arbeiteten damals noch in der Landwirtschaft. Dann kam die Industrialisierung und die Bevölkerung wuchs rasant. Um 1900 gab es bereits 60 Millionen Deutsche. Und in der heutigen Gesellschaft ernährt in der Landwirtschaft eine Arbeitskraft 100 Leute. Es ist nur natürlich, dass eine Bevölkerung nicht bis ins Uferlose wachsen kann. Der Schlüssel ist eine gute Ausbildung, Automatisierung, High-Tech, eine gute Infrastruktur.

    Natürlich ist es schade, wenn Ortschaften verlassen werden. Ich würde mir die besagten Infrastrukurmaßnahmen wünschen. Aber eine Katastrophe sehe ich nicht.

    Beauty matters!

  • Natürlich ist es schade, wenn Ortschaften verlassen werden. Ich würde mir die besagten Infrastrukurmaßnahmen wünschen. Aber eine Katastrophe sehe ich nicht.

    Nun, sterbende Ortschaften sind vielleicht keine Katastrophe. Aber eben auch nichts, was attraktiv ist.

    Wenn ich ins ländliche Norwegen fahre, finde ich dort wunderschöne Natur, kleine, aber intakte Ortschaften und interessante klimatische Bedingungen mit schneereichen Wintern und erstaunlich sonnigen, wandertauglichen Sommern.

    Im Harz hingegen? Gammelnde, heruntergekommende Kleinstädte, kaputte Landschaften in den höheren, Kulturwälder in den tieferen Lagen. Im Winter kaum noch Schnee, und zugleich die relativ trübsten und nassesten Sommer Deutschlands.

    Weshalb sollte man dort seinen Urlaub verbringen oder gar dort hinziehen wollen?

  • Im Harz hingegen? Gammelnde, heruntergekommende Kleinstädte, kaputte Landschaften in den höheren, Kulturwälder in den tieferen Lagen. Im Winter kaum noch Schnee, und zugleich die relativ trübsten und nassesten Sommer Deutschlands.

    Weshalb sollte man dort seinen Urlaub verbringen oder gar dort hinziehen wollen?

    Also ich war schon im Harz im Urlaub und fand es dort eigentlich ganz schön. Aber vielleicht fällt mir als Ossi auch die Trübseligkeit einfach nicht auf.

    Und so viel wie ich weiß, ist der Harz gar nicht mal so unbeliebt als Urlaubsregion.

  • Wo genau warst Du denn?

    Evtl. im Ostharz? Der scheint deutlich weniger Probleme zu haben als der ehemals westdeutsche Teil der Harzes.

  • Ich kann dieser demographischen Hysterie nicht folgen. Ob Geld in die Kasse kommt oder nicht, hängt von der Produktivität des Einzelnen ab.

    Dem kann ich mich nur anschließen. Wie sich die Initiativen Einzelner positiv auf die Attraktivität einer ganzen Region auswirken, kann man in um die Landeshauptstadt Dresden bewundern. Regionen wo derartige Macher fehlen, werden halt zu Shrinking cities und sehen dann eben ruinös aus.

  • Dem kann ich mich nur anschließen. Wie sich die Initiativen Einzelner positiv auf die Attraktivität einer ganzen Region auswirken, kann man in um die Landeshauptstadt Dresden bewundern. Regionen wo derartige Macher fehlen, werden halt zu Shrinking cities und sehen dann eben ruinös aus.

    Na komm, Dresden ist einer der kulturellen und wirtschaftlichen Hotspots Deutschlands und spielt nicht in einer Liga mit Bad Lauterbach. Das sind unterschiedliche Welten.

  • Ich denke, es ist bereits auf den ersten Blick erkennbar, dass der Vergleich von Dresden mit ländlichen Regionen wie dem Harz nicht wirklich zu Erkenntnissen führen kann. Da helfen auch nicht die Initiativen einzelner, sondern es müssen Strukturen und Konzepte erschaffen werden, die den spezifischen Bedingungen einer ländlichen Region gerecht werden. Erst recht, wenn es sich um eine klassische Touristen-Region handelt wie den Harz.

    Was im Harz nämlich eine große Rolle spielt, sind die veränderten Bedingungen durch den Klimawandel. Als Skiregion, wie in der Vergangenheit, kann man sich zukünftig nicht mehr aufstellen. Als Industrieregion kann und wird man sich auch nicht profilieren, wenn man sich nicht auch noch die letzten Grundlagen zerstören möchte. Um die durch mangelnde Erwerbsmöglichkeiten bedingte Abwanderung der jungen Bevölkerung zu stoppen oder gar umzukehren, wird man neue Wege beschreiten müssen. Das sind alles Konditionen, die in Dresden wenig Geltung haben, insofern der Vergleich auch vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist.

  • Dem kann ich mich nur anschließen. Wie sich die Initiativen Einzelner positiv auf die Attraktivität einer ganzen Region auswirken, kann man in um die Landeshauptstadt Dresden bewundern. Regionen wo derartige Macher fehlen, werden halt zu Shrinking cities und sehen dann eben ruinös aus.

    Dresden hat - wie viele andere ostdeutsche Großstädte - auf Kosten seines Umlandes gelebt, es regelrecht leergesogen und v.a. junge Menschen abgezogen. Dies geht nun mit dem Geburtencrash im Osten endgültig vorbei, so dass auch Dresden entweder beginnen wird, zu schrumpfen, oder eben nur über massive Zuwanderung die Einwohnerzahl wird halten können. Dies dürfte aber wenig populär sein und umgekehrt ist die Attraktivität der Stadt für Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund auch begrenzt.

    Sachsen-Anhalt (um zum Harz zurückzukommen) hatte im Januar 2025 755 Geburten. Das ganze Bundesland von Salzwedel bis Merseburg! Nur gut halb so viele wie Hamburg. Und aus diesen riesigen Flächen haben die ostdeutschen Haupt- und Großstädte (Leipzig, Dresden, Halle, Magdeburg, Erfurt etc.) zwischen 2000 und 2025 einen Großteil ihrer Einwohner hinzugewonnen. Diese Bewegung wird aber schlicht mangels Menschen zum Erliegen kommen.

    Auch die Großstädte und selbst die attraktivsten werden sich nicht gegen die massive Schrumpfung wehren können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass selbst die ostdeutschen Leuchttürme wie Dresden in den nächsten 10 Jahren beginnen werden, Einwohner zu verlieren. Das ist nicht schlimm, und keiner muss deshalb Angst haben - aber die Phase einer beeindruckend schnellen Renaissance, eng gekoppelt an deutliches Bevölkerungswachstum vieler ostdeutscher Großstädte in den letzten 15, 20 Jahren wird sich deutlich verlangsamen oder gar zu Ende gehen.

  • Und aus diesen riesigen Flächen haben die ostdeutschen Haupt- und Großstädte (Leipzig, Dresden, Halle, Magdeburg, Erfurt etc.) zwischen 2000 und 2025 einen Großteil ihrer Einwohner hinzugewonnen. Diese Bewegung wird aber schlicht mangels Menschen zum Erliegen kommen.

    Auch die Großstädte und selbst die attraktivsten werden sich nicht gegen die massive Schrumpfung wehren können.

    Zumindest für Leipzig wird diese Einschätzung bis 2040 wahrscheinlich falsch sein - Zitat: "So liegt die Bevölkerungsentwicklung in den 13 Kreisen und kreisfreien Städten zwischen +14,7 Prozent (Stadt Leipzig) und –19,1 Prozent (Erzgebirgskreis). Für die Stadt Leipzig wird damit das höchste Bevölkerungswachstum aller Kreise und kreisfreien Städte im gesamten deutschen Bundesgebiet vorhergesagt." https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/file…rschiedlich.pdf

  • Zumindest für Leipzig wird diese Einschätzung bis 2040 wahrscheinlich falsch sein - Zitat: "So liegt die Bevölkerungsentwicklung in den 13 Kreisen und kreisfreien Städten zwischen +14,7 Prozent (Stadt Leipzig) und –19,1 Prozent (Erzgebirgskreis). Für die Stadt Leipzig wird damit das höchste Bevölkerungswachstum aller Kreise und kreisfreien Städte im gesamten deutschen Bundesgebiet vorhergesagt." https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/file…rschiedlich.pdf

    Das wäre nur möglich bei einer weiterhin sehr starken wirtschaftlichen Entwicklung, massiver Zuwanderung und einer Gesellschaft, die Migration nicht primär als Bedrohung begreift. Alle drei Dinge sind - zumal in Ostdeutschland - nicht sehr wahrscheinlich. Leipzig wird wahrscheinlich noch weiter wachsen, solange es genug Menschen aus den sich entleerenden ländlichen Regionen des erweiterten Umlandes anlocken kann, auch eine (kleinere) internationale Immigration von Europäern, die in Leipzig eine Art günstigeres Berlin suchen, kann sicher aufrechterhalten werden.

    Das Problem ist aber (gilt für ganz Deutschland), dass Deutschland in den letzten 50 Jahren halb Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa leergesogen hat (ironischerweise durchaus ähnlich wie Leipzig sein erweitertes Umland) und es schlicht kaum noch junge Europäer gibt, die nach Deutschland einwandern könnten. Das heißt, zukünftige Einwanderung nach Deutschland wird zwangsläufig immer stärker aus nichteuropäischen Ländern kommen (müssen).

    Dies wird aber politisch kaum noch zu verkaufen sein, gerade im Osten. Muss auch nicht. Aber das bedeutet eben so sicher wie das Amen in der Kirche Schrumpfung. Ich sehe Leipzig und seinen Großraum sicherlich auch als diejenige Region in Ostdeutschland, die sich hier am längsten resilient zeigen wird und noch wachsen kann. Das wird dann so eine Art Tokio, das - für den Moment - auch weiterhin junge Japaner aus dem sich massiv leerenden Umland ansaugen kann. Am Ende aber werden auch die Ballungsräume zu schrumpfen beginnen.

    Das Problem bei der Demografie ist, dass sie so unendlich träge ist und Dinge, die quasi vor 30 Jahren durch einen Geburtenstreik "entschieden" wurden, sich erst jetzt bemerkbar machen. Das Ausmaß der bereits laufenden, v.a. aber der bevorstehenden Entvölkerung des ländlichen Ostens dürften sich die wenigsten Menschen heute wirklich vorstellen können. Hinzu kommt nun die zunehmende Unbewohnbarkeit der Region für Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund, die vor 5 oder 10 Jahren vielleicht noch nicht so vorstellbar war und die die Entwicklung noch beschleunigen dürfte.

  • Das Problem bei der Demografie ist, dass sie so unendlich träge ist und Dinge, die quasi vor 30 Jahren durch einen Geburtenstreik "entschieden" wurden, sich erst jetzt bemerkbar machen. Das Ausmaß der bereits laufenden, v.a. aber der bevorstehenden Entvölkerung des ländlichen Ostens dürften sich die wenigsten Menschen heute wirklich vorstellen können. Hinzu kommt nun die zunehmende Unbewohnbarkeit der Region für Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund, die vor 5 oder 10 Jahren vielleicht noch nicht so vorstellbar war und die die Entwicklung noch beschleunigen dürfte.

    Ich gebe Dir recht, dass es in weiten Teilen des ländlichen ostdt. Raums große demografische Probleme geben wird, die auch heute bereits offen zutage treten (siehe z.B. den Mangel an Haus- und Facharztpraxen oder im Bildungsbereich). Dass die Region mittlerweile auf dem Weg ist unbewohnbar für Menschen mit sichtbaren Migrationshintergrund zu werden würde ich in dieser Absolutheit nicht unterschreiben ohne das Problem klein reden zu wollen. Man muss aus ostdeutscher Sicht (in Diskussionen über Ostdeutschland) ja leider immer wieder darauf hinweisen, dass der weit größere Teil der hiesigen Bevölkerung nicht ausländerfeindlich ist.

    Leipzig wird wahrscheinlich noch weiter wachsen, solange es genug Menschen aus den sich entleerenden ländlichen Regionen des erweiterten Umlandes anlocken kann, auch eine (kleinere) internationale Immigration von Europäern, die in Leipzig eine Art günstigeres Berlin suchen, kann sicher aufrechterhalten werden.

    Leipzig zieht keine relevanten Kohorten aus dem Umland sondern gibt im Gegenteil massiv an dieses ab. Die Gründe warum die Bertelsmann-Studie (und andere) mit ihren sehr positiven Leipzig-Prognosen recht haben könnten sind vielschichtig allerdings spezifisch und daher nicht zum Thread-Thema passend.

  • Leipzig zieht keine relevanten Kohorten aus dem Umland sondern gibt im Gegenteil massiv an dieses ab.

    Kommt darauf an wie man Umland definiert.

    “Umland” im Sinne von “unmittelbarer Speckgürtel” mindestestens zeitweise “ja”, ansonsten ist Stadt aber bei einer Geburtenrate von 1,2+ voll auf Zuwanderung angewiesen. Heinzers sinngemässe Aussage, dass Leipzig aus ganz Ostdeutschland Zuwanderer zieht, offenbar korrekt.

    Leipziger Bevölkerungswachstum 2024

  • Wenn eine eng begrenzte Region wie der Westharz sich entvölkert, ist das für mich keine Katastrophe. Das ist handhabbar.

    Wenn sich aber ganze Landschaften wie etwa 80% des Ostens und ca. 30% des Westens zu Tode schrumpfen, dann verdient das m. M. n. durchaus die Bezeichnung “Katastrophe”, und es macht mich sehr traurig. All die liebevoll restaurierten Kleinstädte im Osten - sie sind dem Untergang geweiht, wenn nicht kurzfristig energisch gegengesteuert wird, worauf leider nichts hindeutet.

    Weder ist die Bevölkerung in diesen Regionen bereit, nicht-deutsche Zuwanderung zu akzeptieren, noch ist die Politik bereit, sich um massenhafte Zuwanderung aus “kulturell kompatiblen” Regionen der Welt wie z.B. Lateinamerika zu bemühen. Die Hürden wurden zwar gesenkt, sind aber immer noch zu hoch, und von aktiver Anwerbung kann ohnehin keine Rede sein.

    Lateinamerika hat zig-Millionen junge Leute ohne Perspektive. Und hierzulande bleiben die Lehrstellen vielerorts unbesetzt. Dennoch lassen wir nach wie vor keine Schulabgänger aus Drittstaaten ohne Berufsausbildung ins Land.

  • Wenn eine eng begrenzte Region wie der Westharz sich entvölkert, ist das für mich keine Katastrophe. Das ist handhabbar.

    Wenn sich aber ganze Landschaften wie etwa 80% des Ostens und ca. 30% des Westens zu Tode schrumpfen, dann verdient das m. M. n. durchaus die Bezeichnung “Katastrophe”, und es macht mich sehr traurig. All dir liebevoll restaurierten Kleinstädte im Osten - sie sind dem Untergang geweiht, wenn nicht kurzfristig energisch gegengesteuert wird, worauf leider nichts hindeutet.

    Dort hat jetzt ein Teufelskreis begonnen, der kaum oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand noch zu drehen wäre. Es gibt kaum noch junge Frauen, so dass selbst wenn diese begönnen, wie irre Kinder zu bekommen (worauf exakt NICHTS hindeutet, im Gegenteil), die Schrumpfung weitergehen würde. Durch das sehr stark polarisierte gesellschaftliche Klima werden diese Regionen, so schön die Kleinstädte auch sein mögen, kaum attraktiv für Zuwanderung (egal woher) sein, zumal wenn über jeder Grundschule und jedem Kindergarten immer das Damoklesschwert der Schließung hängt.

    Die öffentliche Daseinsfürsorge wie zum Beispiel gesundheitliche Versorgung wird immer schlechter, beispielsweise muss sich in Bitterfeld anscheinend die ganze Stadt einen Augenarzt teilen. Gleichzeitig versuchen praktisch alle Fachkräfte mit sichtbarem Migrationshintergrund, so schnell wie möglich wegzukommen (die Zahl an Bewerbungen bei uns von ausländischen Pflegekräften und Ärzten, die im Osten arbeiten, ist auffallend hoch).

    Mir fehlt da im Moment die Fantasie, wie das genau noch zu drehen sein soll. Die Herausforderungen sind im ländlichen Bereich überall groß, aber in den demografischen Krisengebieten des Ostens nochmals eine Ebene schlimmer (was dann wieder die Unzufriedenheit und das Gefühl "abgehängt" zu sein, fördert).

    Weder ist die Bevölkerung in diesen Regionen bereit, nicht-deutsche Zuwanderung zu akzeptieren, noch ist die Politik bereit, sich um massenhafte Zuwanderung aus “kulturell kompatiblen” Regionen der Welt wie z.B. Lateinamerika zu bemühen. Die Hürden wurden zwar gesenkt, sind aber immer noch zu hoch, und von aktiver Anwerbung kann ohnehin keine Rede sein.

    Lateinamerika hat zig-Millionen junge Leute ohne Perspektive. Und hierzulande bleiben die Leerstellen vielerorts unbesetzt. Dennoch lassen wir nach wie vor keine Schulabgänger aus Drittstaaten ohne Berufsausbildung ins Land.

    Dass man als Nichtakademiker weiterhin praktisch nicht legal nach Deutschland kommen kann, ist in der Tat eine Riesensauerei. Dabei werden wir in Zukunft viel eher nicht KI-ersetzbare Berufe brauchen, und die sind erstaunlich oft nichtakademisch (Pflege, Erziehung, Handwerk). Der Fokus bei den Anwerbungen ist aber weiterhin auf IT, Medizin und BWL/"economics"/business administration". Es wird gerade in dieser mittleren Verwaltungs- und IT-Ebene zu wahren Blutbädern kommen, die ganzen Versicherungs- und Bankkaufleute, die mittleren Verwaltungsebenen im öffentlichen Dienst, "Sachbearbeiter" aller Couleur, selbst Programmierer werden sehr weitgehend durch KI ersetzt. Aber einen Dachdecker oder einen Fliesenleger, einen Facharbeiter in der Produktion, die ganzen Energiewendeberufe (PV-, Batterie-, Wärmepumpeninstallation etc.) - die werden gesucht bleiben.

  • aber die Phase einer beeindruckend schnellen Renaissance, eng gekoppelt an deutliches Bevölkerungswachstum vieler ostdeutscher Großstädte in den letzten 15, 20 Jahren wird sich deutlich verlangsamen oder gar zu Ende gehen

    Betrachten wir mal die Großstädte der DDR, Stand 1989, wobei Berlin unberücksichtigt bleibt. Im Vergleich zu damals haben Potsdam, Leipzig und Dresden ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen: Relativ konstant blieben Erfurt und Jena, wobei es zwischen 2000 und 2020 ein leichtes Wachstum gab. Alle anderen ostdeutschen Großstädte von 1989 hatten einen starken Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen und konnten sich in den letzten Jahren lediglich stabilisieren, ohne in ein nennenswertes Wachstum überzugehen. Diese Städte sind: Rostock, Schwerin, Magdeburg, Dessau, Halle, Gera, Zwickau, Chemnitz und Cottbus. Das heutige Dessau-Roßlau steht demografisch am schlechtesten da.

    Wir haben also - vereinfacht gesagt - neun Städte mit Verlust, zwei Städte mit geringem und drei Städte mit deutlichem Wachstum. Das sind 14 Städte. Unter der 100.000-Einwohner-Grenze liegen heute Schwerin, Dessau-Roßlau, Gera, Zwickau und Cottbus.

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