Rekonstruktionen moderner Bauten

  • Für die meisten modernistischen Architekten und Architekturtheoretiker sind Rekonstruktionen traditioneller Bauten Teufelswerk. Doch es gibt Ausnahmen beim Thema Rekonstruktionen: Wurden in der Vergangenheit moderne Bauten rekonstruiert wie Beispielsweise das Bauhaus-Gebäude in Dessau von Walter Gropius oder der Weltausstellungs-Pavillion von Mies van der Rohe in Barcelona, so gab es in der Regel keine Bedenken oder gar Gegenwind in Form von Protestschriften oder Petitionen der Modernisten. Bei diesem Thema hier soll es also um Rekonstruktionen der Moderne gehen. Gibt es noch weitere Beispiele? Mir fällt z. B. die Trinkhalle von Mies van der Rohe in Dessau ein, deren Neueinrichtung ich auch als Rekonstruktion bezeichnen würde: https://www.bauhaus-dessau.de/de/architektur…trinkhalle.html

    ...

  • Der Knaller auf der von Wikos verlinkten Webseite:

    Zitat

    Mit der 2014 abgeschlossenen städtebaulichen Reparatur der Meisterhaussiedlung durch das Berliner Büro BFM kehrte auch die Trinkhalle, zeitgenössisch interpretiert und auf die pure Form reduziert, zurück an die Kreuzung.

    Also aus nix noch weniger machen?

  • zeitgenössisch interpretiert und auf die pure Form reduziert

    Also aus nix noch weniger machen?

    Doch, das geht. Einen auf die pure Form reduzierten Bauhaus-Bau kann man noch weiter reduzieren, indem das Sims des Ausgabefensters sowie die Blechkante des Vordaches weggelassen werden...

    Für mich ist das eine Verballhornung des echten Bauhauses. Den Sinn und die Notwendigkeit von Tropfkanten sahen auch die Meister des Bauhauses ein. Nun kommt ein Architekturbüro und möchte auf Biegen und Brechen ein Bauhaus-Werk noch weiter reduzieren. Dies nur zur reinen Selbstbefriedigung. Man wird bald sehen, was daraus wird... eine richtige Schmuddelecke, wenn sie nicht alle fünf bis zehn Jahre neu gestrichen wird.

  • Gab es nicht irgendwo in Ostdeutschland eine Rekonstruktion eines Bauhaus-Wohnhauses um etwa 1980, die ihrerseits vor etwa zehn Jahren abgebrochen wurde, weil die Authentizität nicht mehr gegeben war? Im Forum gab es einige Bilder und Links dazu, aber ohne Kenntnis des Ortsnamens hilft mir die Suchfunktion natürlich nicht weiter. Ich meine mich zu erinnern, dass es weisse Fassaden (wie könnte es auch anders sein), blaue Fenster und sonnengebräunte Holzverschalungen hatte.

  • Gibt es auch modernistische Bauten, deren Reko ihr lohnenswert fändet? Im Krieg ging da ja auch einiges verloren.


    Ein mE werthaltiges Beispiel ist das Kaufhaus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn, das leider noch in den 1960ern nach einigen Kriegsschäden abgerissen wurde für einen ollen Eiermann-Bau (Kaufhof/Horten, typischer Kachelbau - inzwischen wiederum abgerissen, sehr nachhaltige Bauweise):

    1272px-Kaufhaus_Schocken%2C_Stuttgart_1.jpg

    https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kau…Stuttgart_1.jpg

  • Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass der Eiermann-Bau abgerissen wird. Ich hätte aber erwartet, dass damit auch die Reko des Schocken-Kaufhauses wieder ins Gespräch kommt. Aus meiner Sicht war dies stets ein prädestinierter Rekonstruktionskandidat - nicht im Krieg sondern später entsorgt und ein wegweisender moderner Bau. Ansonsten wäre aus meiner Sicht auch die langfristige Vervollständigung der Weißenhofsiedlung sinnvoll.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Das alte Finanzamt in Mönchengladbach-Stadtmitte aus dem Jahre 1926. Dieses Jahr wurde es abgerissen, sah aber nicht mehr so aus wie auf dem Bild. Die Fassade wurde verkleidet und auf das Nötigste reduziert. Es gibt hier zahlreiche Klinkerbauten aus der Zeit, deswegen ist es sehr schade, dass man gerade das Finanzamt so stiefmütterlich behandelt hat.

  • Gibt es auch modernistische Bauten, deren Reko ihr lohnenswert fändet? Im Krieg ging da ja auch einiges verloren.


    Ein mE werthaltiges Beispiel ist das Kaufhaus Schocken in Stuttgart von Erich Mendelsohn, das leider noch in den 1960ern nach einigen Kriegsschäden abgerissen wurde für einen ollen Eiermann-Bau (Kaufhof/Horten, typischer Kachelbau - inzwischen wiederum abgerissen, sehr nachhaltige Bauweise):

    1272px-Kaufhaus_Schocken%2C_Stuttgart_1.jpg

    https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kau…Stuttgart_1.jpg

    Spannender und in unserem Interesse ist die Frage, was für den Schocken-Bau weichen musste… !? Zur Heilung des Stadtbildes trüge die Rekonstruktion dieses Haus als modernistischer Bruch so wenig bei wie der banale Eiermann-Nachfolger. Wir sollten bitte nicht auch noch den Fehler begehen, den Modernisten mit solchen Ideen das Wort zu reden. Letztlich war und ist „das Schocken“ auch nur das blendende Vorzeichen für die zerstörerischen modernistischen Kräfte, auf deren Grundlage vom Wiederaufbau bis heute unsere Stadtbilder zu diesen Unorten geworden sind, die wir in diesem Forum beklagen. Es ist zu kurz gegriffen, die Architektur solcher Gebäude als Ikone der Moderne isoliert zu betrachten wie es vor allem Modernisten und ihre Gefolgschaft ohnehin tut. Diese Art von Architektur ist ganzheitlich auch im Kontext ihres Umfeldes und ihrer langfristigen Auswirkungen für das Stadtbild zu betrachten. Und da fällt das Urteil entsprechend bescheiden aus. Daher bitte keine Präferenz für die Rekonstruktion von modernistischen Bauwerken.

    Im übrigen widerspricht die Moderne aus ihrer doktrinären Vorstellung von Architektur heraus dem Rekonstruktionsgedanke, weshalb ein Wiederaufbau verlorener Modernismen, wie sie durchaus geschehen, eine Doppelmoral nicht von der Hand weisen können.

    Es gibt doch (leider) mehr als genug traditionelle Gebäude, deren Wiederaufbau in unserem Fokus stehen könnten. Richten wir unseren Blick daher lieber auf diese, statt ihn solchen Gebäuden zu widmen, mit denen das Elend für die Stadtbilder erst begann.

  • solche Bauten zu rekonstruieren hat überhaupt keinen Sinn - es genügt, sie nachzuempfinden.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Diese Bauten sind ja schon recht reduziert in der Formensprache. Wenn sie weiter simplifiziert werden, bleibt von den Qualitäten wenig übrig.

    Natürlich sind sie nicht vergleichbar mit Historismus und Co. Doch gerade einige verlorene Perlen aus der Zeit von Art Deco, Expressionismus, Streamline und anderer Stile an der Schnittstelle zwischen Klassik und Modernismus sind die Betrachtung wert. Denn da könnte man gut mit der heutigen Architektur ansetzen und damit innovativ, lokal eingepasst und im klassischen Sinne schön zugleich sein. In London und New York gibt's dafür einige sehr sehenswerte Beispiele.

  • nachempfinden heißt nicht simplifizieren.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.