Sanieren statt Abreißen: Transformationsbeispiele

  • Im Mai dieses Jahres überraschte der BDA in Frankfurt am Main mit der Forderung Gebäude nicht mehr (wie die letzten 60 Jahre) abzureißen, sondern zu sanieren. Grund ist die "graue Energie" die man mit dem Bauen im Bestand spart. Damit liegt der örtliche BDA im Trend. Überall werden nun besonders Gebäude aus den 60iger und 70iger Jahren nicht mehr abgerissen, sondern (energiegerecht und nutzungsgerecht) umgebaut. Dabei entstehen teilweise überraschende gute Gebäude, wie im Hannover-Thread über Ulm an Beispiel des Abt-Gebäudes am Münsterplatz schon gezeigt wurde.

    Das Abtgebäude vorher: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…erplatz_Abt.jpg

    Nachher: https://www.swp.de/imgs/07/6/6/8/…70d3da68aa.jpeg

    Gibt es noch ähnliche, berichtenswerte Beispiele?

    ...

  • Ich würde zwei Beispiele aus München nennen, eines davon schon im Forum verfolgt, wenn ich mich recht erinnere:

    Das Hugendubel Gebäude am Marienplatz

    Vorher

    Nachher

    Und das ehemalige Kaufhaus Beck in Laim, das über 15 Jahre leer stand und aus den 60ern war glaube ich

    Vorher

    Nachher

    Natürlich sind beide Transformationen jetzt keinen enormen Offenbarungen, aber ich finde die Verbesserungen zur vorherigen Architektur und vor allem die Anpassung an die umgebende Bebauung sind deutlich.

  • Zum Hugendubel-Umbau von Goergens-Miklautz Architekten gibt es hier mehr Bilder: https://www.baumeister.de/marienplatz-22…urstein-631x440 oder hier: https://www.goergens-miklautz.de/portfolio/marienplatz/

    Als schlimm habe ich den Vorzustand aber nie empfunden, womöglich hat da die tolle Innenraumgestaltung mit der Durchlässigkeit von ganz unten nach ganz oben und den vielen roten Leseecken mich darüber hinweg sehen lassen.

    Ein weiteres aktuelles Beispiel ist das von Herzog und DeMeuron umgestaltete Postbank-Gebäude in der Bayerstraße. 80% der erst 1992 geschaffenen Bausubstanz bleiben erhalten, an manchen Stellen wird etwas weggenommen, an anderen Stellen ein wenig dazugepackt.

    Vorher:

    https://www.iz.de/news/media/12/…602-detail.jpeg

    https://elementum-munich.com/images/2444029…mentum-3na7.jpg

    Nachher:

    https://www.sueddeutsche.de/image/sz.1.451…75?v=1562914693

    Bleibt abzuwarten, ob es am Ende wirklich besser dasteht, aber die kleinteilige Ladenparzellierung im EG wird definitiv ein Gewinn sein.

  • Lübeck: Eine ganz erhebliche Verbesserung im Stadtbild ist der Umbau der ehemaligen Zentrale der Stadtwerke Lübeck zu einem Hotel in der Moislinger Allee 9 ganz in der Nähe des Lindenplatzes direkt vor der Altstadt.

    Ehemaliger Zustand

    Aktueller Zustand

    Sollte erst ein Studentenwohnheim werden, daher ist die Projektseite etwas veraltet.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Von Ulm gibt es ein weiteres Beispiel, bei dem ein ganzer Block umgearbeitet und aber auch aufgestockt wird:

    Vorher: Es handelt sich um die Gebäudezeile beginnend rechts vom Kirchturm bis zur Seitenstraße mit dem roten Auto

    Nachher: Das linke Eckgebäude wird erst noch umgewandelt, der Rest steht heute schon

  • Ein ungelungenes Beispiel für dieses Thema wäre das Wöhrl Plaza in der Dresdner Prager Straße, das derzeit von einem Kaufhaus zu einem Hotel "umgebaut" wird. Allerdings blieb nach Urheberrechtsstreitigkeiten mit dem ursprünglichen Architekten und wegen angeblicher Unwirtschaftlichkeit (Entkernung vs. Abriss) nicht viel vom Gebäude übrig:

    Es sei wesentlich effizienter, das Bestandsgebäude bis zum ersten Obergeschoss abzutragen und neu aufzubauen, als im bestehenden Haus zahlreiche Umbauten mit vielen Betonsäge-Arbeiten und chemischen Klebverbindungen vorzunehmen. "Auch statisch sowie von der Installation der Haustechnik hat das viele Vorteile. [...]".

    Einen Vorher-Nachher-Vergleich gibt es wegen der noch laufenden Arbeiten und in Ermangelung von Visualisierungen leider noch nicht.

    In diesem Fall kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass mit einem angekündigten "Umbau" eine städtebauliche Diskussion von vornherein vermieden werden sollte. Es wäre interessant zu erfahren, ob für eine Baugenehmigung für einen Umbau im Vergleich zu einem Neubau weniger Voraussetzungen notwendig sind.

  • Verwunderlich und spannend zugleich ist für mich, dass diese Architektin ziemlich deckungsgleiche Positionen, wie sie immer wieder hier im Forum auch besprochen werden, vertritt.

    Sie arbeitet also auch mit einem objektiven Schönheitsbegriff, einer Pflege des Vorhandenen wird Priorität eingeräumt vor einem Austausch, eine Einpassung und Abstimmung auf die Umgebung ist ein Ziel, und damit auch u.a. eine Abkehr vom Planen auf komplett geräumten Flächen, echte Nachhaltigkeit. Sie erlebt den Kampf gegen Abrisse ähnlich widersprüchlich und schwierig.

    Und doch kommt sie zu fundamental anderen Ergebnissen als Wir es hier tun. Das betrifft zunächst mal die Gesamtästhetik ihrer Projekte, siehe Beispiele hier. Dies kann natürlich daran liegen, dass sie grundsätzlich andere Objekte mit ihrem Ansatz überplant, eher moderne oder gewerbliche Objekte. Aber doch liegt es meiner Meinung nach auch an einer im entscheidenden Punkt unterschiedlichen Auffassung:

    Zitat
    Unser Ansatz ist nicht konservativ im Sinne von Bewahren, wie es in historischen Zentren gemacht wird. [...] Es ist wichtig, das Vorhandene als Teil des neuen Projekts zu berücksichtigen.

    Ich denke dies ist auch der entscheidende Dreh- und Angelpunkt für die Anerkennung in der Architekturszene. Würde sie eine traditionellere Formensprache wählen, wäre sie sofort unbedeutend, und das ist ein Fehler im System. Denn der Ausdruck ist der gleiche, wie bei vielen anderen Architekten: Glasungetüme, industrieller kühler/kahler Look, etwas Grün zur Auflockerung

  • Ja, wenn ich mir hier die Liste anschaue, dann steht die Moderne gewaltig unter Druck. Einige Bauten wurden nur noch vor dem Abriss gerettet, indem diese kurzerhand unter Denkmalschutz gestellt wurden.

    ...

  • Wikos Es ist wirklich pervers, wenn Gebäude nach 50 oder sogar schon nach 40 Jahren abgerissen werden, wie Dein Link zahlreich aufführt. Gerade auch in Verknüpfung mit Platz oder Civitas fortis interessantem bezugnehmenden Artikel ergibt sich eine beeindruckende Bestärkung in Unseren Anliegen. Wobei die Gebäude nicht nur abgerissen werden, weil sie nicht schön aussehen, sondern abgeranzt sind (u.a. auch durch mangelnden Wetterschutz), unangepasst sind, teuer im Umbau und Unterhalt sind. Alles Punkte, wo man klar feststellen kann, dass der Entwerfende seinen Job nicht gemacht hat. Solche Probleme mussten auch damals schon voraussagbar sein. Und man hat es trotzdem so gemacht, um der architektonischen Ausdruckskraft Willen. Nicht viel anders als heute :blink:

  • ^Viele Gebäude enthalten Materialien wie Asbest. Die Gefahr, die von diesem ausgeht, war tatsächlich lange Zeit unbekannt.

    Generell änderten sich in den vergangenen Jahrzehnten analog dem technologischen Fortschritt und den veränderten Arbeitsweisen auch die Nutzungsanforderungen an die Gebäude deutlich schneller wie zuvor. Es hat eine Zeit gedauert, aber heutige Gebäude werden schon deutlich flexibler errichtet. Dazu zählen übrigens auch die hier oft und oft auch zurecht verschmähten Vorhangfassaden.

    In manchen Fällen, wie etwa beim Abriss eines keine 30 Jahre alten Bürogebäudes in München, handelt es sich auch um zunächst beabsichtige Umnutzungen zu Wohnraum. Aufgrund der vielfältigen gesetzlichen Anforderungen explodieren schnell die Kosten und ein Abriss und Neubau erscheint wirtschaftlicher.

    Im Grunde passt das Verhalten in der Immobilienbranche aber auch ins Gesamtbild. Wie oft kaufen / finanzieren / leasen sich Menschen heute ein neues Smartphone? Einen neuen PC, neue Kopfhöhrer, ein neues Auto, neue Kleidung, Schuhe etc. obwohl das Alte eigentlich noch tadellos wäre und vielleicht nur ein wenig Auffrischung nötig hätte? Wie im Kleinen, so auch im Großen.

  • Im Grunde passt das Verhalten in der Immobilienbranche aber auch ins Gesamtbild. Wie oft kaufen / finanzieren / leasen sich Menschen heute ein neues Smartphone? Einen neuen PC, neue Kopfhöhrer, ein neues Auto, neue Kleidung, Schuhe etc. obwohl das Alte eigentlich noch tadellos wäre und vielleicht nur ein wenig Auffrischung nötig hätte? Wie im Kleinen, so auch im Großen.

    Nur dass Gebäude solche gigantischen Materialfresser sind, dass man sein ganzes Leben lang alle zwei Jahre sein neues iPhone in die Tonne hauen könnte und nichts dergleichen angerichtet hätte. Man muss das schon auch immer ins Verhältnis setzen, um festzustellen, wo man sich effektiv dagegen einsetzt. Gegen ständig neue Geräte gibt es mehr mediale und politische Aufmerksamkeit, als beim Bausektor.

    Viele Gebäude enthalten Materialien wie Asbest. Die Gefahr, die von diesem ausgeht, war tatsächlich lange Zeit unbekannt.

    Generell änderten sich in den vergangenen Jahrzehnten analog dem technologischen Fortschritt und den veränderten Arbeitsweisen auch die Nutzungsanforderungen an die Gebäude deutlich schneller wie zuvor. Es hat eine Zeit gedauert, aber heutige Gebäude werden schon deutlich flexibler errichtet.

    Unstrittig ist denke ich, dass Faserverbundwerkstoffe bis heute (siehe Windkraftanlagen) offensichtlich kaum recyclebar sind. D.h. dass auch Asbest schon ein Wegwerfprodukt gewesen ist und damit die falsche Prämisse vorgab.

    Natürlich hat sich die Schwerpunktsetzung verschoben, einmal bezüglich Flexibilität, oder bezüglich Recyclings. Das würde ich so akzeptieren, wenn das neu gewesen wäre. Jedoch waren Gebäude vor dem 20. Jahrhundert vorständig recyclingfähig, teilweise sogar re-use-fähig. Auch kann man wohl davon ausgehen, dass unser mehrere Jahrhunderte bestehender Gebäudebestand mehrfach umgenutzt wurde und dies erlaubte. Dagegen werden erst recht heute munter in Vollbeton ganze Blocks gegossen, wohlwissend, dass nicht mal ein Fenster oder gar eine Steckdose somit einfach versetzbar wäre. Das meiste wird verklebt, schlimmer als in den 70ern. Wo steckt da unser heutiges Wissen bezüglich Flexibilität? Ich bin recht zuversichtlich, dass man genauso schon in den 70er geschrieben hat, ,,heute wissen wir es ja viel besser", ,,bauen für das nächste Jahrhundert".

  • Nur dass Gebäude solche gigantischen Materialfresser sind, dass man sein ganzes Leben lang alle zwei Jahre sein neues iPhone in die Tonne hauen könnte und nichts dergleichen angerichtet hätte. Man muss das schon auch immer ins Verhältnis setzen,

    Das ist mir natürlich bewusst und meine Intention war es keinesfalls, beides gegeneinander aufzuwiegen ;). Sondern nur grundsätzlich ähnliche Handlungsmuster zu beschreiben - wie im Kleinen so im Großen. Aber dennoch: Kleinvieh macht auch Mist, bei Milliarden Smartphones, E-Bikes, Autos, Klamotten kommt schon was zusammen, und da die fehlende Voraussicht zur Sprache kam, ja die fehlt an allen Ecken und Enden. Nicht nur den Architekten und Bauherren.

    Auch kann man wohl davon ausgehen, dass unser mehrere Jahrhunderte bestehender Gebäudebestand mehrfach umgenutzt wurde und dies erlaubte. Dagegen werden erst recht heute munter in Vollbeton ganze Blocks gegossen, wohlwissend, dass nicht mal ein Fenster oder gar eine Steckdose somit einfach versetzbar wäre.

    Mit Sicherheit, nur wie gesagt, der extrem beschleunigte technologische Wandel ist da nicht außen vor zulassen. Zwischen 1500 und 1850 hat sich in der Gebäudetechnik weniger getan, als zwischen 1950 und 2000. Immer schneller, größer, höher, "besser", moderner, "flexibler". Diese Mantra wurden ganz bestimmt auch schon in den 70ern vorgetragen, genauso wie zur Gründerzeit, als eine Menge Gebäude aus früherer Zeit abgerissen wurden. Nur der Maßstab ist heute freilich ein anderer und wenigstens kam damals Schönes nach! Was heute allein der Brandschutz erfordert, die Klimatisierung, Haustechnik für IT und Sicherheit, jetzt kommen die ersten Anbieter von virusresilienten Dauerbelüftungsarbeitswelten um die Ecke. In die gleiche Kerbe schlugen Vorschläge der Grünen, Gebäudeeigentümer sollten Gasheizungen austauschen um die CO2-Gebühren der Verursacher in geringerem Umfang übernehmen zu müssen. Da wurde also explizit dafür geworben, etwas Funktionierendes, noch nicht wirklich Altes, bereits Hergestelltes zu entsorgen. (Ausgerechnet bei den Flugzeugen sieht es mit der Nutzungsdauer sogar relativ gut aus (trotz hohen VV-Anteil))

    Dagegen werden erst recht heute munter in Vollbeton ganze Blocks gegossen, wohlwissend, dass nicht mal ein Fenster oder gar eine Steckdose somit einfach versetzbar wäre.

    Ich wohne in einem Haus aus Ziegeln und Decken, die noch mit dicken Balken verstärkt sind, da kann ich jetzt aber auch nicht mal eben so ein Fenster versetzen ^^ Steckdosen sind kein Problem.

  • Für das Baujahr 1950 ein erstaunlich hässliches Gebäude.

    Das sieht einer erwartungsgemäß ganz anders.

    Zitat von FAZ

    Das gilt auch für das ehemalige Telekom-Gebäude. „Es ist fantastisch geeignet für alle Zwecke“, meint Peter Cachola Schmal, der Direktor des Deutschen Architekturmuseums. Deshalb müsse es seiner Ansicht nach nicht abgerissen werden. Die Verlängerung der Zwischennutzung sieht er als einen ersten Schritt. Das Telekom-Gebäude könnte seiner Ansicht nach ein „Leuchtturmprojekt“ für den Erhalt werden. „Wir sind gespannt, was passiert.“

    ^^

  • Und auch das liest man da - Paul Kahlfeldt gehört ja eindeutig eher der Traditionalisten-Fraktion an:

    „Wir müssen zur Besinnung kommen und dürfen gar nichts mehr abreißen“, forderte der Berliner Architekt Paul Kahlfeldt auf dem Symposium. Das hält Schröer für unrealistisch. Sein Motto lautet „So viel Umbau wie möglich, so viel Neubau wie möglich.“ Am Ende entschieden ohnehin die Bauherren, ob und was gebaut wird.