Lübeck - Digitale 3D-Rekonstruktion der Altstadt um 1880

  • Ich bin immer wieder beeindruckt von der Detailtreue, mit der du die Häuser nachbaust - hier sogar inklusive der Fassadenbeschriftungen. Die beiden Eckhäuser am Eingang zur Holstenstraße waren ohnehin eher ungewöhnlich, da Fachwerk bis auf wenige Ausnahmen fast nur an den Nebenstraßen oder in den Höfen (Ganghäuser, Seitenflügel, Rückgiebel) vorkam. Und das linke der beiden Gebäude war ja sogar ein Fachwerkhaus mit Backsteingiebel.

    Die beiden gründerzeitlichen Nachfolgebauten hatten den Stadteingang ursprünglich ebenfalls betont, da sie beide ein Ecktürmchen zur Holstenstraße aufwiesen. Das linke steht noch (sieht aber teilentstuckt aus), das rechte wurde durch eine 50er-Jahre-Rasterfassade ersetzt.

  • Und das linke der beiden Gebäude war ja sogar ein Fachwerkhaus mit Backsteingiebel.

    Nein, das könnte die Last wahrscheinlich gar nicht tragen. Die Untergeschosse sind ebenso massiv, allerdings verputzt, wahrscheinlich aufgrund nachmittelalterlicher Umgestaltung.

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  • tegula Das linke Haus ist tatsächlich ein Fachwerkhaus, dem wahrscheinlich nachträglich eine Backsteinfassade vorgeblendet wurde:

    Ob nachträglich oder von Anfang an - das kann ich aufgrund der Fotografie und mangels detaillierter Kenntnisse zur Lübecker Baugeschichte nicht bestimmen. In Nürnberg jedenfalls war das nachträgliche Vorblenden von Sandsteinfassaden vor Fachwerkbauten fast eine Regel.

  • Das linke Haus ist tatsächlich ein Fachwerkhaus, dem wahrscheinlich nachträglich eine Backsteinfassade vorgeblendet wurde

    Danke für den Hinweis! Da Maxileen explizit nur den Giebel benannte, habe ich ihn so verstanden, dass er davon ausging, dass der Giebel auf einer Fachwerkmauer steht. Wenn allerdings die gesamte Fassade gemeint war, dann ist dies natürlich eine ganz andere Situation. Massive Fassaden vor einem Fachwerkbaukörper gibt es auch in Norddeutschland zahlreich. Das ist auch eine Frage der Bauökonomie.

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  • Ja, ich meinte die ganze Fassade, nicht nur das Giebeldreieck. Wobei mir tatsächlich vier Häuser in Schleswig-Holstein bekannt sind,bei denen ein Backsteingiebel auf einem Fachwerkgerüst sitzt (Papenstraße 2 und Süderstraße 18 in Meldorf, Schmiedestraße 24 in Wilster und als markantestes Beispiel - s. das Bild unten aus der Wikipedia - das Materialienhaus in der Hafenstraße in Wöhrden). Das sind aber allesamt Kleinhäuser, deren Giebel deutlich weniger Gewicht haben als das Beispiel aus Lübeck.

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    P.S.: Ja, ich weiß, ich komme vom eigentlichen Thema ab. :D

  • Nun, ich will nicht ausschließen, dass es solche Kombinationen vereinzelt gibt, allerdings ist dann explizit ein Auge auf die Baugeschichte zu werfen. Gerade das Beispiel, das du uns da oben zeigst, leitet in die Irre. Es handelt sich um einen Speicher in Wöhrde in Dithmarschen. Der mittelalterliche Giebel ist aber erst im späten 18. Jahrhundert dorthin transloziert worden und wurde dann mit einer massiven Mauer unterfangen (siehe Foto unten). Erst 1929 hat man das Eichenfachwerk darunter rekonstruiert. Erst seitdem sitzt der massive Giebel auf einer Fachwerkkonstruktion.

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  • Okay, das wusste ich nicht. Ich hatte die Infos aus dem Buch "Das Bürgerhaus in Schleswig-Holstein". Das hat natürlich schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel - und auf die oftmals komplexe Baugeschichte der vorgestellten Bauten scheint die Reihe generell wenig Rücksicht zu nehmen, das ist auch beim Lübeckband so.

    Möglicherweise sind ja auch die anderen von mir erwähnten Beispiele aus einer Translozierung der Giebel oder einem Ersatz ursprünglich backsteinerner Untergeschosse durch Fachwerk entstanden. So oder so scheint es ja keine gute Idee gewesen zu sein, einen Backsteingiebel auf eine Fachwerkschwelle zu setzen, wie auch der alte Zustand des Speichers aus Wöhrden zeigt.

  • Ich baue tatsächlich (fast) alles in Unity mit Probuilder-Elementen, d.h. ausgehend von einfachen Kuben, Bögen, Zylindern etc., die man dann nach Belieben anpassen kann. Es gibt bestimmt noch elegantere und effektivere Möglichkeiten wie z.B. das Programm Houdini, aber mir geht das inzwischen so flink von der Hand, dass ich keinen Grund sehe, mich da jetzt "auf Krampf" umzugewöhnen.

    Von Köln gibt es allerdings schon ein Modell von 1926 bei TimeRide. Die haben aber wohl nur den kleinen Teil der Altstadt gebaut, der auf der virtuellen Straßenbahnreise abgefahren wird.

    Wirklich imposant! Danke, dass du das mit uns teilst. Ich bin sehr gespannt auf künftige Ergänzungen.

    Und da du TimeRide aufs Tablett bringst: Wie wärs denn, das Ganze über VR erfahrbar zu machen, in einer ähnlichen Weise mit Führungen und kleinen Geschichten? Vllt. kann das auch ein Unternehmen wie TimeRide ermöglichen.

  • Vielen Dank erst einmal für das erneute viele Lob! :smile:

    Jetzt ein paar Antworten auf eure Beiträge:

    Ich lese hier das erste Mal von deinem Projekt und bin begeistert! Ich gehe davon aus, dass du historische Fotos für die "Rekonstruktion" nutzt. Ist damit denn wirklich die komplette Altstadt zuverlässig abzubilden? Und wie wirst du dein Projekt veröffentlichen? Wird es eine eigene Website geben oder gibt es es einen wissenschaftlichen oder musealen Kontext? Ich denke, das Europäische Hansemuseum oder das St.-Annen-Museum könnten daran sehr interessiert sein. Wenn Bedarf besteht, könnte ich da einen Kontakt herstellen.

    Naja, veröffentlich habe ich es ja nun hier schon. Und wie schon ganz oben geschrieben, habe ich eine Webseite mit ein paar weiteren Infos und z.B. auch einem etwa fünfminütgen Video mit diversen Kamerafahrten erstellt: luebeck-1880.de

    Und ja, unter anderem nutze ich natürlich historische Fotos für die Rekonstruktion. Was noch alles, habe ich ebenfalls schon weiter oben beschrieben. Da es eine reine Hobby-Arbeit in meiner Freizeit ist, gibt es bisher keine Kontakte zu irgendwelchen Stellen, die interessiert sein könnten. An das Hansemuseum habe ich auch schon gedacht, aber mein Modell "spielt" ja erst gut 300 Jahre nach der Hansezeit. Zudem wüsste ich nicht, ob ich es in einer endlichen Zeit schaffen würde, eventuelle Projekte für Museen o.ä. fertigzustellen - wie gesagt, ich habe das rein in meiner Freizeit gemacht und habe auch noch diverse weitere Interessen, die relativ viel Zeit beanspruchen. Wenn man da irgendeinen Kontakt herstellen würde, müsste auch die entsprechende Kapazität für Projekte vorhanden sein, und das sehe ich momentan leider nicht. Kleinere Sachen gingen eventuell, z.B. hat das Hansemuseum vor einiger Zeit ein digitales Modell der 1818 abgerissenen Burgkirche anfertigen lassen, das zwar relativ echt aussieht, aber doch einige Fehler aufweist - z.B. müsste die Kirche auf dem verlinkten Foto ohne Zwischenraum direkt bis an das rechts zu sehende Gerichtsgebäude (heute Versorgungsamt) heranreichen, also deutlich breiter sein. Man braucht sich das nur den ja existierenden Grundriss ansehen. Zugegeben ist die Dokumentationslage aber ansonsten aufgrund des frühen Abrisses da auch sehr dünn...

    Ich bin immer wieder beeindruckt von der Detailtreue, mit der du die Häuser nachbaust - hier sogar inklusive der Fassadenbeschriftungen.

    Ganz schön detailliert - inkl. Schaufensterauslagen und historischer Tabakrechtschreibreform! :daumenoben:

    Ja, wenn schon, denn schon! :koenig: Die Beschriftungen und Auslagen habe ich aus dem von "Mantikor" verlinkten historischen Foto ausgeschnitten und eingefügt. Daher sind diese und der Inhalt des Schaukastens leider auch nur schwarz-weiß und relativ undeutlich. Die ganzen Zigarrenkisten etc. auch noch alle selbst nachzubauen bzw. das Foto manuell zu kolorieren war mir dann doch zuviel Aufwand. Aber so geht es ja auch schon mal ganz gut. :smile:

    Die Untergeschosse sind ebenso massiv, allerdings verputzt, wahrscheinlich aufgrund nachmittelalterlicher Umgestaltung.

    Ob nachträglich oder von Anfang an - das kann ich aufgrund der Fotografie und mangels detaillierter Kenntnisse zur Lübecker Baugeschichte nicht bestimmen.

    Ich habe auch keine Information darüber gefunden, ob der Backsteingiebel des Eckhauses An der Untertrave/Holstenstraße nachträglich vorgeblendet wurde. Wie man an den Mauerankern sehen kann, stammt er von 1601, also aus der Renaissance. Da das Vorblenden neuerer Giebel vor ältere Häuser in Lübeck Tradition hat (die Rückgiebel vorne neuer anmutendender Häuser sind oft noch gotisch) könnte einen vermuten lassen, dass der Hauskörper an sich älter/gotisch ist und es ursprünglich ähnlich wie das gegenüberliegende Fachwerkhaus aussah. Das ist aber reine Spekulation und auch nicht mehr dendrochronologisch nachprüfbar, da leider 1903 abgerissen.

    Wirklich imposant! Danke, dass du das mit uns teilst. Ich bin sehr gespannt auf künftige Ergänzungen.

    Und da du TimeRide aufs Tablett bringst: Wie wärs denn, das Ganze über VR erfahrbar zu machen, in einer ähnlichen Weise mit Führungen und kleinen Geschichten? Vllt. kann das auch ein Unternehmen wie TimeRide ermöglichen.

    Ja, das wäre es natürlich - per VR darin herumlaufen. Wenn man mit ca. 10 Leuten, die von VR, Animation, Gameplay und Gestaltung/Grafikdesign Ahnung haben, noch ein paar Jahre daran arbeiten würde, ließe sich das bestimmt realisieren. Aber wie gesagt - alleine als "Hobbyist" - leider keine Chance. Ich wüsste nicht einmal, wie ich zeitgemäß gekleidetete und sich bewegende Menschen erstellen sollte. Im Unity Asset Store gibt es leider nur massenweise mittelalterliche oder aber ganz moderne "Menschen"...

    Frei herumlaufen kann ich darin am Bildschirm allerdings schon, nur eben nicht mit VR-Brille und "Geschichten". Und ja, ich werde sicher auch irgendwann weitermachen, nur habe ich momentan noch diverse andere Sachen zu erledigen.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Ich lese hier das erste Mal von deinem Projekt und bin begeistert! Ich gehe davon aus, dass du historische Fotos für die "Rekonstruktion" nutzt. Ist damit denn wirklich die komplette Altstadt zuverlässig abzubilden?

    Das hier hatte ich noch übersehen. Es ist in der Tat ganz erstaunlich, wieviele historische Fotos es aus der Zeit vor und kurz nach1900 von der Lübecker Altstadt gibt. Und das insbesondere von den im Krieg zerstörten Bereichen um den Markt herum und vom Gründungsviertel. Das liegt daran, dass das die wichtigsten/belebtesten/bekanntesten Bereiche der Stadt waren und diese daher am häufigsten fotografiert wurden. Die weniger bekannten Bereiche wie das Handwerkerviertel, also die östliche Hälfte der Altstadt ist deutlich weniger fotografisch überliefert, aber das ist glücklicherweise ausgerechnet der Teil, der noch heute größtenteils erhalten ist, also jederzeit besichtigt und fotografiert werden kann.

    Nach meiner bisherigen Recherche in Büchern und im Internet bin ich ganz zuversichtlich, dass ich den größten Teil der gesamten Altstadt tatsächlich aus den vorhandenen Quellen bauen könnte. Und ich war bisher noch nicht einmal im Stadtarchiv, wo man wohl auch noch einiges ausgraben könnte. Dennoch habe ich bisher natürlich auch noch ein paar "weiße Flecken", von denen ich bisher noch keine Quellen gefunden habe. Das sind aber eher einzelne Häuser als ganze Straßenzüge.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Interessanterweise ist einer der weißen Flecken ja der Häuserzug der Breiten Straße direkt gegenüber dem Rathaus, zwischen Fleischhauer- und Hüxstraße, also mitten im Zentrum. Das liegt sicher zum einen daran, dass hier die Gründerzeit schon früh zugeschlagen hat und auch auf den ältesten Fotos der Zeit um 1860/70 fast ausschließlich Neubauten zu sehen sind, und zum anderen sicher auch daran, dass sich die frühen Fotografen eher auf das Rathaus als auf dessen Umgebung konzentriert haben.

    Gleiches gilt ja für den Karstadt-Block ein wenig weiter nördlich. Oder für einige der kleinen Querstraßen, so habe ich anlässlich meiner Grabung an der Ecke Fischergrube / Ellerbrook vor drei Jahren nach Fotos der Reihenhäuser im Ellerbrook gesucht, aber nur Fotos der noch stehenden Häuser gefunden. Der ganze restliche (kriegszerstörte) Straßenzug scheint entweder nicht fotografisch überliefert oder eventuelle Fotos zumindest nie publiziert worden zu sein.

    Aber insgesamt lassen sich sicher mindestens 90 Prozent der Lübecker Altstadt im Zustand um 1880 rekonstruieren, das ist schon eine gute Quote.