• Offenbach, Lilistraße. Wohl aus den 1980er oder allenfalls frühen 90er Jahren. Damals verstand man es noch, mit Giebeln, Erkern, Konsolen und einem Naturstein-Sockelgeschoss eine sehr gute Einpassung in den gründerzeitlichen Baubestand zu ermöglichen. Danach kam das modernistische roll-back und das gerade neu erlernte Einfühlungsvermögen ging wieder verloren.

    Offenbach

  • Habe nochmal ein paar Fotos aus dem oben gezeigten postmodernen Viertel an der Marterburg in Bremen gemacht:

    Die Häuserreihe von hinten aus der Komturstraße:

    Eine interessant gestaltete Tür:

    Nochmal die Marterburg:

    Ganz interessant gestaltet.

  • Toll! Weltoffenheit ohne Selbstaufgabe.

    Ortlosigkeit kann man diesem Architekt wirklich nicht vorwerfen:


    «Ich entwerfe keine internationale Architektur.....Meine Kultur ist das Mittelmeer, und meine Stil-Auffassungen sind Ergebnis meiner Reisen.»


    Zement ist der Hauptbestandteil des bevorzugten Baumaterials von Bofill: Betonfertigteile. Weil Gebäude aus Betonfertigteilen langweilig sein können, gab Bofill ihnen donnernde pseudo-klassizistische Dekors und Formen.

    Beauty matters!

  • in Bremen gibt es außerdem den Teerhof von dem ich aktuell leider keine Fotos posten kann.

    Der Teerhof ist aber schon am Ende dieser Epoche anzusiedeln und enthält neben postmodernen Elementen auch ziemlich klassische. Es gibt ja auch so eine verrückte, teilweise wirklich schwierige Postmoderne, die hier nicht so oft gezeigt wird - der Teerhof gehört eher in die späte, relativ solide, unprätentiöse und hochwertig ausgeführte Postmoderne, so wie sie in den frühen Neunzigern auslief.

    Im Ostertor gibt es auch eine ganze Menge dieser Architektur, die oft auf die Abrisslücken für die Mozarttrasse gebaut wurde. Die ersten Beispiele sind dabei noch ziemlich "ungelenk", wie ich finde, und je weiter man zeitlich in die 80er und frühen 90er kommt, desto eher geht es, zuerst ein typisches Beispiel für die frühe Postmoderne, so wurden Mitte/Ende der 70er die ersten Abrisslücken im Ostertor bebaut.

    Das folgende ist dann vielleicht "klassisch postmodern", wenn es den Begriff so gibt und stammt aus der Hochzeit des Stils in den frühen und mittleren 80ern:

    Bei den letzten Beispielen befinden wir uns eher in der "späten Postmoderne", die ab Ende der 80er Einzug hielt und klassischer, gefälliger daherkam, hier würde ich entsprechend auch den Teerhof einordnen, aber zunächst nochmal ein bisschen Ostertor, beide schonmal gezeigt:

    Und noch etwas aus dem Teerhof, stilistisch und von der Erbauungszeit sehr nah am oben zuletzt gezeigten Projekt am Osterdeich, nur eben mit rotem Backstein:

    Insgesamt finde ich diese Epoche der qualitativ hochwertigen Architektur der 80er und frühen Neunziger, die in Bremen durchaus auch recht zentral viel vorkommt, wirklich ganz gut. Gab natürlich auch unheimlich viel Grusel in dieser Zeit, wenn ich etwa an die cremegelben Nachwendehotelkästen an der Ostsee denke, aber das ist natürlich auch nochmal etwas später gewesen. Von etwa Mitte der 90er bis 2015 gab es wirklich kaum gute Neubauarchitektur in Deutschland. Aber diese im erweiterten Sinne postmodernen Bauten von etwa 1982-1992 haben oft eine hohe Qualität, denen man jetzt schon eine gewisse Patina im positiven Sinne ansehen kann. Man muss sich um diese Gebäude im Allgemeinen keine Sorgen machen, die bleiben stehen.

  • Was mir einfach immer wieder auffällt, ist, dass jede Architekturepoche auch gute und sehr gute Architektur zustandegebracht hat. Der Unterschied liegt hauptsächlich darin, wie hoch der Anteil an dieser guten Architektur am gesamten Gebauten war. Auch im Kaiserreich war nicht jedes gebaute Haus eine Großtat, wenn ich da an die ärmlichen Arbeiterwohnhäuser in Fachwerkbauweise denke, die die Göttinger Industrievorstädte dominieren, mit Toiletten auf der halben Treppe, unfassbar schlecht isoliert und vom Start weg recht schmucklos, jetzt oft noch hinter grauen Eternitkacheln versteckt.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass alles in allem "gut" gebaut wurde, war aber ganz klar höher als zu nahezu jedem Zeitpunkt später. Aber es gibt auch sehr gute 50er-Jahre-Architektur und selbst gute Sachen aus den 70ern - auch wenn wohl die Zeit von etwa 1960 bis 1975 und die Zeit von ca. 1995 bis 2010 die beiden Zeiträume mit der durchschnittlich schlechtesten Architektur waren (aus meiner Sicht).

    Das Problem an nahezu jedem Baustil spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ist einfach, dass die Massenware viel, viel schlechter als die guten Beispiele war, also der Qualitätunterschied zwischen den beiden Enden der Skala einfach größer. Ich habe im Beitrag oben aus meiner Sicht viele Beispiele für wirklich gute Architektur der 1980er (plus ein, zwei Jahre an beiden Enden) gezeigt. Das Problem ist aber leider, dass das Stadtbild von solchen Bauten aus der Epoche dominiert wird:

    Man erkennt sogar noch die gleichen Stilelemente wie an den gelungenen postmodernen Häusern, z.B. den Erker - aber alles ist unfassbar lustlos, ärmlich gestaltet, dass das ganze Haus auf mich deprimierend und hässlich wirkt. Aus meiner Sicht muss das Ziel also sein, nicht nur den repräsentativen Stil in prosperierender Innenstadtlage zu verbessern (hier ist aus meiner Sicht in den letzten grob 10 Jahren doch einiges in die richtige Richtung geschehen, wie hier an vielen Beispielen aus nahezu allen Städten auch zu sehen ist) - sondern diesen Durchschnitt, das Rückgrat der allgemeinen Wohnbebauung im Niveau anzuheben, um so was wie oben zu vermeiden.

    Hier noch ein Beispiel für die 90er Jahre und warum ich mit diesem Jahrzehnt insgesamt architektonisch sehr wenig anzufangen weiß:

    Das ist noch nichtmal richtig schlimm, hat ein Dach, eine zumindest etwas gegliederte Fassade, atmet auch so ein bisschen Post-Postmoderne mit den runden Fenstern über der Garageneinfahrt usw. - aber wenn man ehrlich ist, sind das Häuser, die man sehr schnell wieder vergessen hat und die niemand vermissen würde. Und auch dieses Haus wurde wie das obere fast zur selben Zeit gebaut, in der die obigen, viel besseren Häuser gebaut wurden. Es geht eigentlich fast in jeder Periode, halbwegs ordentlich zu bauen.

    Wir müssen (aus meiner Sicht) also gar nicht so sehr im Spitzensegment auf weitere Verbesserungen dringen, sondern im Gegenteil die Allerweltsarchitektur in den ganz normalen Wohngebieten in ganz normalen Städten mal auf ein halbwegs erträgliches Niveau bekommen.

  • Viele sehen jedoch gerade diese klassischere Postmoderne ab Ende der 80er, Anfang der 90er als Hochphase dieses Stils in Deutschland. In dieser Zeit wurde auch in kleineren Städten dann erst vermehrt postmodern gebaut.

  • Das stimmt, die 90er Jahre waren auch oft noch von postmodernen Motiven geprägt. Wikipedia nennt die frühen 90er gar als Höhepunkt der Postmoderne und rechnet z.B. auch das Kanzleramt noch der Postmoderne zu. Ich finde aber die Architekturqualität dann abnehmend, bzw. hat der Nachwendeboom in Ost und West wirklich viel sehr Mittelmäßiges hinterlassen, obwohl man vieles wohl formal noch als "postmodern" bezeichnen könnte. Für mich ist das die Zeit der schlecht gealterten pastellfarbenen Fassaden und billigen weißen Plastikfenstern mit plumper Gliederung.

    Aber dieser Blick ist natürlich auch geprägt von der geringen zeitlichen Distanz, es ist wohl ziemlich normal, 20 oder 30 Jahre alte Gebäude als unzeitgemäß und misslungen zu empfinden, erst mit wieder größerer zeitlicher Distanz kann dann auch ein etwas neutralerer Blick gelingen. Ich will also gar nicht ausschließen, dass ich hier in 10 Jahren einen Strang mit den herausragenden Beispielen der Architektur der späten 90er bringe, auch wenn ich mir das gerade nicht vorstellen kann ;).

    Hauptaussage meines oberen Posts ist die für viele hier vielleicht provozierend relativistische Aussage, dass letztlich jede Epoche qualitativ hochwertige Architektur hinterlassen hat. Das Problem lag spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg eher in der Qualität der Massenarchitektur (mit der Ausnahme tatsächlich der Spätmoderne ca. 65-75, bei der ich nur sehr wenige Solitäre als gelungen empfinden würde). Das ist der Schlüssel, an dem wir ansetzen müssen.

  • Aber dieser Blick ist natürlich auch geprägt von der geringen zeitlichen Distanz, es ist wohl ziemlich normal, 20 oder 30 Jahre alte Gebäude als unzeitgemäß und misslungen zu empfinden, erst mit wieder größerer zeitlicher Distanz kann dann auch ein etwas neutralerer Blick gelingen. Ich will also gar nicht ausschließen, dass ich hier in 10 Jahren einen Strang mit den herausragenden Beispielen der Architektur der späten 90er bringe, auch wenn ich mir das gerade nicht vorstellen kann ;).

    Hauptaussage meines oberen Posts ist die für viele hier vielleicht provozierend relativistische Aussage, dass letztlich jede Epoche qualitativ hochwertige Architektur hinterlassen hat. Das Problem lag spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg eher in der Qualität der Massenarchitektur (mit der Ausnahme tatsächlich der Spätmoderne ca. 65-75, bei der ich nur sehr wenige Solitäre als gelungen empfinden würde). Das ist der Schlüssel, an dem wir ansetzen müssen.

    Ich machte da bisher ja nie ein Hehl daraus, dass ich diese Betrachtungsweise ablehne. Es gibt da kein ,,oh jetzt kann ich plötzlich die Schönheit sehen nach 20 Jahren warten". Das einzige was nach den Jahren kommt ist Nostalgie, sodass man eventuell auch ungern einen hässlichen Klotz aus seiner Heimat missen mag. Das ist eine Art ,,Gewöhnungseffekt", der jedoch lediglich von den Fakten ablenkt. Damit bestätige ich aber im Grunde die Aussage des zweiten Absatzes, denn ich erwarte auch von modernen Bauten, dass sie gut gemacht sein können, und entsprechend dann ,,schön" sind. Da gehe ich voll mit mit der Überlegung, ob einfach der Anteil höher liegt heute an schlecht gebauten Fassaden. Fraglich, ob man da jedoch etwas ändern kann, denn scheinbar haben die Architekten und Bauherrn überwiegend dieses historische Wissen von Proportion und Würde verloren. Dies scheint ein schleichender Prozess zu sein, denn bereits die Beispiele aus der Postmoderne zeigen eine teils peinliche Unfähigkeit im Versuch den alten Formenschatz wirklich sinnstiftend einzubinden. Das soll gar keine Abrechnung sein, aber meine Beobachtung einer Entwicklung hin zur hilflosen Grobschlächtigkeit.

  • ^Wobei ich anmerken möchte, dass ich das zweite oben gezeigte Beispiel gar nicht so schlecht finde. Von Kubatur und Einpassung ist es ganz in Ordnung. Und es bietet Potenzial für leicht durchführbare Verbesserungen. Z.B. könnte man die Fassade bis zur Oberkante Erdgeschoss mit Riemchen verkleiden. Zudem sind ein oder zwei Gesimsbänder möglich. Schon wäre das eigentlich ganz akzeptabel.

  • Ich machte da bisher ja nie ein Hehl daraus, dass ich diese Betrachtungsweise ablehne. Es gibt da kein ,,oh jetzt kann ich plötzlich die Schönheit sehen nach 20 Jahren warten". Das einzige was nach den Jahren kommt ist Nostalgie, sodass man eventuell auch ungern einen hässlichen Klotz aus seiner Heimat missen mag. Das ist eine Art ,,Gewöhnungseffekt", der jedoch lediglich von den Fakten ablenkt. Damit bestätige ich aber im Grunde die Aussage des zweiten Absatzes, denn ich erwarte auch von modernen Bauten, dass sie gut gemacht sein können, und entsprechend dann ,,schön" sind. Da gehe ich voll mit mit der Überlegung, ob einfach der Anteil höher liegt heute an schlecht gebauten Fassaden. Fraglich, ob man da jedoch etwas ändern kann, denn scheinbar haben die Architekten und Bauherrn überwiegend dieses historische Wissen von Proportion und Würde verloren. Dies scheint ein schleichender Prozess zu sein, denn bereits die Beispiele aus der Postmoderne zeigen eine teils peinliche Unfähigkeit im Versuch den alten Formenschatz wirklich sinnstiftend einzubinden. Das soll gar keine Abrechnung sein, aber meine Beobachtung einer Entwicklung hin zur hilflosen Grobschlächtigkeit.

    Geht jetzt natürlich off topic, aber ich bin absolut überzeugt davon, dass auch Du nicht frei bist von dieser Wahrnehmungsverzerrung. Welches Lied im Radio nervt Dich am meisten? Der Sommerhit vom letzten Jahr, nicht der aktuelle (obwohl, jaja, mich nervt auch eigentlich alle im Radio gespielte Musik, aber Du weißt, was ich meine) und auch nicht der von vor 10 Jahren. Welches Badezimmerdesign nervt mich am meisten? Aktuell Bäder aus den 90er Jahren, echt erhaltene 60er Bäder sind teilweise richtig schick wieder.

    Ich bin grundsätzlich auch der Meinung, dass es so etwa wie "objektive Schönheit" gibt in der Architektur, und dass dieses Gefühl für Proportionen und Symmetrie ohne Eintönigkeit das ist, was wir mit klassischer Architektur verbinden, also gar kein grundsätzlicher Widerspruch gegenüber dieser Ebene. Aber es gibt schon auch noch die "Mode-Ebene" und ich bin ziemlich sicher, dass viele Menschen in der Zwischenkriegszeit und der frühen Nachkriegszeit die historistische Architektur ehrlich satt hatten, v.a. die billigere Massenware (Stichwort: "Mietskasernen"). Auch wenn sich das hier bisweilen anders liest, war der Aufbruch in die Moderne ab etwa der Jahrhundertwende kein "Aufoktroyieren" des Geschmacks einer neuen Elite, die Bauten der 20er und sogar der 50er und 60er wurden von vielen Menschen, die noch mit Klos im Hinterhof und in dunklen Hinterhäusern und ungedämmten Dachgeschossen mit Kohleöfen aufgewachsen waren, als Befreiung erlebt und riesiger Schritt in Sachen Lebensqualität. Trotzdem finden wir heute diese Gebäude wieder schön.

    Ich bleibe dabei, dass es zwei Ebenen gibt, die sich bei so etwas überlagern und jeder Mensch, ob bewusst oder unbewusst auch von beiden beeinflusst wird. Vielleicht bist Du ein Ausbund an Objektivität und unerschütterlichem Ästhetikempfinden, ich bin es nicht, kann diese Entwicklung sogar ganz persönlich bei mir feststellen. Gebäude, die ich in meiner Jugend als Definition von Hässlichkeit gesehen habe, finde ich jetzt ganz schick und möchte sie erhalten wissen (wer mag, kann mal Bilder der Stadthalle Göttingen googeln für ein Beispiel für ein solches Gebäude). Ich weiß noch, dass ich die Neubauarchitektur der 90er Jahre zu ihrer Erbauungszeit wirklich gut fand, leicht verspielt, nicht mehr so plump wie die 70er und 80er. Jetzt gehören die 90er für mich zu einem der schlimmsten Architekturjahrzehnte der Nachkriegszeit.

    Natürlich wird dieser Relativismus auch durch Objektivität überlagert, einen Wohnblock von 1972 werde ich niemals schön finden und wohl auch nicht die 60er-Jahre-Zeilensiedlungen, die unsere Vorstädte (im Westen) so dominieren. Aber zum Beispiel habe ich die Architektur der 1950er Jahre durchaus für mich entdeckt, wieder nicht alles, sondern Teilaspekte, die man vielleicht erst bei einem wohlwollenden zweiten Blick erkennt und dann sehr schön finden kann - und nein, das ist keine Art "Stockholm-Syndrom", weil man zu ersten Mal geknutscht hat hinter dem Waschbetonmonster neben dem Supermarkt, sondern ein echtes Erkennen und sich Öffnen für andere Stile. Und das Waschbetonmonster muss trotzdem abgerissen werden.

    Um zurück zu der Architektur der 90er zu kommen: Natürlich hilft auch nicht, dass die Häuser aus dieser Zeit gerade "in die Jahre" kommen und neue Anstriche oder gar Fenster fällig werden und viele Gebäude gerade etwas schäbig aussehen. Sieht man -siehe Heimdalls Einwand- ja auch gut an meinem letzten Beispiel mit dem in die Jahre gekommenen WDVS an der Fassade, die zumindest mal einen neuen Anstrich gebrauchen könnte.

    Diese Diskussion ist hier schon vielfach in verschiedenen Ausprägungen geführt worden und wird wohl niemals ganz "geklärt" sein können, weil es natürlich mal wieder um Geschmack und Empfinden geht, also ohnehin höchst subjektive Dinge. Ich kann Deine Sichtweise gut nachvollziehen, sehe es aber tatsächlich anders. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass die Art, wie wir Architektur bewerten, sich nicht allein an objektiven und unveränderlichen Merkmalen orientiert, sondern wir ebenso inneren wie äußeren Moden unterworfen sind. Beim einen mag das weniger oder fast gar nicht der Fall sein, manchmal beneide ich die Leute um so viel "innere Standfestigkeit" - bei anderen sehr ausgeprägt, ausgeprägter noch als bei mir.

    Ich liebe die Ästhetik unserer althergebrachten Architektur, aber mir ist irgendwie auch klar, dass es 1:1 dorthin nicht mehr zurückgehen wird und vielleicht auch gar nicht sollte. Manchmal erscheinen mir die absoluteren Vertreter der klassischen Architektur auch schon wieder (unbewusst) sehr ahistorisch zu denken, wenn es so scheint, als würden sie am liebsten praktisch die gesamte gebaute Architekturgeschichte der letzten 100 Jahre abreißen und durch historisierende Architektur ersetzen wollen.

    Wie gesagt, das ist meine sehr subjektive Sicht auf die Dinge.

  • Geht jetzt natürlich off topic, aber ich bin absolut überzeugt davon, dass auch Du nicht frei bist von dieser Wahrnehmungsverzerrung. Welches Lied im Radio nervt Dich am meisten? Der Sommerhit vom letzten Jahr, nicht der aktuelle (obwohl, jaja, mich nervt auch eigentlich alle im Radio gespielte Musik, aber Du weißt, was ich meine) und auch nicht der von vor 10 Jahren. Welches Badezimmerdesign nervt mich am meisten? Aktuell Bäder aus den 90er Jahren, echt erhaltene 60er Bäder sind teilweise richtig schick wieder.

    Ich sage doch gar nicht, dass ich davon frei wäre. Ganz im Gegenteil, ich rechne da jeden ein, weil es eine Grundfunktion unseres Hirnes ist, dass es Dinge als gegeben abheftet, dass es daran interessiert ist möglichst wenig ,,rechnen" zu müssen, sprich verändernde Umwelt ertragen muss. Aber ich wollte darauf hinaus, dass diese Motive keine guten Ratgeber sind, weil man dann ins absolut Subjektive abdriftet. Das merkt man ja auch z.B. wenn dann DDR Nostalgiker für ganz furchtbare Kisten sich einsetzen, oder Brutalismusfans einen erdrückenden Koloss mit blumigsten Worten aufjazzen. Deshalb gönne ich diesen Leuten natürlich ihren jeweiligen Zugang zu dieser Architektur, teile ihn vielleicht sogar manchmal aus ebenjenen ungünstigen Gründen, ich will da keinem was absprechen. Aber umgekehrt muss es eine gewisse objektive Faktenbasis geben, auf der man trotzdem reden kann. Das ist bei zu hohem Maß an Nostalgie leider nicht mehr immer gegeben, siehe meine zwei Beispiele. Daher ist es ratsam, dass man sich dieser Möglichkeit bewusst wird, und dann seine Argumente nochmal durchgeht. Geht es mir wirklich genau um dieses eine Gebäude und seiner Umgebung? Blende ich erhebliche Nachteile aus, weil es nicht zu meinem guten Gefühl passt? Warum habe ich ein anderes Gefühl dabei, als Jemand der zufällig dieses Gebäude zum ersten Mal sieht. Warum ist eine Mehrheit dagegen? Und das muss man dann auf den unterschiedlichen Detailtiefen durchgehen, also mag ich es z.B., weil ich die Idee klasse finde, oder weil ich vielleicht einen Erker mag. Ich weiß, das ist sensibel, denn viele hier empfinden auch eine Nostalgie für die Gründerzeit z.B. Aber ich sehe das erst als Problem an, wenn eine Mehrheit ganz klar sagt, das ist aber zum gruseln hässlich, hier lebe ich nicht gerne, hier halte ich mich nicht gerne auf (Thema objektive Schönheit).

    Die anderen Aspekte, die Du sehr schön herausgearbeitet hast und aufführst, wie Modeerscheinungen, Gebäudealterungs- bzw. Renovierungszyklen, sowie verschiebende Blickwinkel auf Architektur sind natürlich wie Du schreibst immer mit dabei, nicht beeinflussbar, und machen so schon eine objektivere Bewertung schwierig. Diese lassen sich auch schwerer herausnormalisieren, weil es da um das Referenzsystem geht, das sich verschiebt, man es im Zweifel also gar nicht merkt. Am besten kann ich solche Effekte noch minimieren, indem ich ganzheitlich funktionalistisch denke. Erfüllt das Gebäude seine Funktionen? Opfert es einem Zweck zuviel und verliert so einen anderen? Funktioniert das Gebäude in seiner Umgebung, und für alle, egal ob Nachbarn, Mieter, Passant, oder Stadt? Das ist kein Patentrezept, aber eine persönliche Herangehensweise, um möglichst kohärent für eine Verbesserung im Stadtbild diskutieren zu können, weil es Schönheit als ein Mittel zur Funktionserfüllung einfließen lässt, was objektiver bewertbar ist meiner Erfahrung nach.

    Die Postmoderne erfüllt zwar besser die Interaktion mit der Umgebung, hat aber Schwächen bei der Zusammensetzung einer Gesamtkomposition und wirkt manchmal entsprechend grobschlächtig, bis hin zu konfus. Sie erfüllt mitunter nur unzureichend Anforderungen z.B. an die Wetterfestigkeit, durch die entsprechende Gestaltung. Funktionale Elemente, wie Fenster, werden in der gleichen Denkweise einer Gestaltung untergeordnet und können in ihrer Funktion erheblich beeinträchtigt sein. Dann hat die Postmoderne aber wiederum Sinn für Baudetails, welche der Wahrnehmung eines Gebäudes gut tut.

    Nur mal so ohne Gebäudebezug um klar zu machen, dass man sich somit auch Schönheit nähern kann, falls es fraglich erscheint, ob ein Zuspruch nur durch Mode, sehr isolierte Schwerpunktsetzung oder andere Faktoren bedingt ist. Diese genannten Bewertungen fußen auf gewissem Grundkonsens, z.B. dass Gebäude sich im Stadtbild am besten ergänzen, dass sie langlebig sind in ihrer Gestalt, oder dass sie eine angenehme Detailtiefe aufweisen. Natürlich kann und muss man auch hier über Gewichtung streiten, aber dies ist dann recht sachlich machbar.

  • Wie konnte es eigentlich geschehen, dass die Postmoderne zu ihren Hochzeiten scheinbar alle Bauschaffenden erfasst hatte?

    Sie hatten doch überwiegend alle eine sehr modernistische Lehre erhalten, die jede Tradition oder Rückkehr zu regionalen und klassischen Motiven ablehnte. Zugleich bauten auch hartgesottene Modernisten oftmals plötzlich mit Rückgriffen auf die Architekturtradition vor den 1920ern. Hatten die Architekten plötzlich erkannt, dass die Vergangenheit doch gute Anknüpfungspunkte bietet? War es ein gewisser Milieu-Druck, weil es eben der dominante Trend und Zeitgeist war?

    Ich will gern die Produktionsbedingungen dieser Zeit besser verstehen. Denn wenn sich in dieser Zeit die Architekturwelt so radikal wandeln konnte, dann kann sie das heute allemal.

  • die Postmoderne zu ihren Hochzeiten scheinbar alle Bauschaffenden erfasst hatte?

    Ist das wirklich so? Ist das nachweisbar?

    Erstelle doch mal eine relevante Liste modernistischer Architekten, die vor 1975 im Brutalismus und Internationalen Stil bauten und danach postmodern. Mit Beispielen (Links). Damit das etwas deutlicher wird.

    Ich kann mich allerdings erinnern, dass in den 80erm irgendwann im TV-"Kulturmagazin Aspekte" ein Beitrag erschien, der mit der Postmoderne abrechnete und eine "neue technoide Architektur" pries. Da wusste ich, dass jetzt das Roll-back kommt. Das sickerte dann schnell nach unten. Ein befreundeter Architektensohn gab dann z.B. in einem Gespräch wieder, dass er postmoderne Tonnengewölbe für Treppenhäuser und Giebel nicht mehr sehen könne. Das hatte er sicher von seinem Vater, der von einem Magazin des BdA und dieses vielleicht von Leuten wie den Kultur-Meinungsmachern a la "Aspekte".

  • Belegen will ich das jetzt nicht, das erscheint mir doch sehr aufwändig und wenig zielführend.

    Interessant finde ich einfach, wie dominant die postmoderne Herangehensweise für fast zwei Jahrzehnte war.
    Klar gab es auch mal Ausnahmen davon, aber sehr viele (die meisten?) Bauprojekte folgten doch diesem Formenkanon.

    Es erscheint wie eine Anomalie des Architekturgeistes seit dem 2. WK.

  • Aber war das nicht beim Brutalismus vergleichbar? Zumindest für öffentliche Gebäude, wie Universitäten, Krankenhäuser und Rathäuser gab es in dieser Zeit praktisch nichts anderes.

  • Brutalistisch wurde aber nicht oder seltenst im Bereich privater Häuser gebaut. Auch Investorenbauten waren eher die Ausnahme.
    Die Postmoderne war hingegen überall, in jeder Größenklasse und jeder Architektursparte.

    Ich frage mich einfach, was die Produktionsbedingungen dieser Zeit waren. Warum in dieser Zeit so viel mit traditionellen und klassischen Architekturmotiven "gespielt" wurde - und was dann daraus wurde.