• Komisch nur, dass auch in Süddeutschland die Qualität in den Stadtbildern abnimmt. Nicht im Sinne, dass nicht das Meiste wie geleckt aussieht, sondern im gestalterischen Sinne, im gesamtkonzeptionellen Sinne. Und im Sinne einer guten Pflege (für einen langen Erhalt). Also alles Faktoren, die ausmachen, ob ich eine Stadt langfristig eher negativ empfinde oder positiv. Ich würde behaupten die Probleme liegen leider tiefer, als ein (natürlich problematischer) Investitionsstau. In Süddeutschland wird und wurde viel investiert. Die Verschandelung und die Abrisse sind dennoch gegeben, der Ersatz nahezu durchgängig inferior. Das spricht für ein systematischeres Problem, als ein lokales Phänomen.

    Es ist ja auch kein lokales Phänomen. Es schlägt nur visuell natürlich in Gegenden, die stärker zerstört waren und nach dem zwei Jahrzehnte währenden Wiederaufbauboom ab 1970 eigentlich wirtschaftlich nie wieder richtig auf die Füße gekommen sind, stärker durch. Dass gewisse Dinge im Westen 20 Jahre warten mussten, bis das gesamte Land die Einheit auch wirtschaftlich halbwegs verdaut hatte, war klar. Dass Deutschland also in der langen Stagnations- und Massenarbeitslosigkeitsphase ab 1992 bis ca. 2006 (in der aktuellen Nachschau seltsam verklärt zur guten alten Zeit), meinetwegen noch verlängert um die hier sonst kaum bemerkte Weltwirtschaftskrise ab 2007/2008 nicht viel investieren konnte in den Bestand - geschenkt.

    Der Fehler liegt aus meiner Sicht ganz klar in der Wachstumsphase ab 2010, die bis zur Coronapandemie dauerte und in denen das Land über viele Jahre (2013-2019 etwa) Haushaltsüberschüsse registrierte. Diese Phase, in der man das Land infrastrukturell hätte fit machen müssen für die sich auch ohne Corona und Ukrainekrieg bereits klar abzeichnenden deutlich weniger gloriösen 2020er Jahre, in denen die Boomerjahrgänge en masse in Rente gehen und sich das bisherige, auf Globalisierung und sicherem Freihandel beruhende deutsche Wirtschaftsmodell neuerfinden muss - die wurde verplempert mit Schuldenbremse und schwarzen Nullen. Jetzt fallen uns die auseinanderfallende, jahrzehntelang auf Verschleiß gefahrene Infrastruktur zeitgleich mit einer extrem herausfordernden Polykrise zusammen auf die Füße bei gleichzeitig deutlich gestiegenen Zinsen.

    Dass es in Bayern insgesamt noch besser aussieht als in NRW liegt daran, dass Bayern natürlich nicht noch zusätzlich einen solch herausfordernden Strukturwandel wie das Ruhrgebiet hinter sich bringen musste und auch zumindest die kommunalen und Landesinvestitionen auf höherem Niveau halten konnte. Wahrscheinlich wurde es auch einfach zumindest etwas besser regiert.

    Newly ist aber natürlich auch zuzustimmen, dass man Gelsenkirchen weder 1966 noch 1986, noch 2006 in der Rückschau allzu stark glorifizieren sollte. Und ich folge so einigen britischen Youtubern, die Videos aus englischen Städten aufzeichnen und traue mich vorsichtig zu sagen, dass die oben genannte Polykrise sowie die Austeritätspolitik im UK seit etwa 2010 dort zu wesentlich schlimmeren optischen und sozialen Verwüstungen geführt hat als in irgendeiner Stadt in Deutschland. Wer mag, kann ja mal Grimsby oder Blackpool oder Weston super Mare googeln (im Prinzip jede britische Stadt mehr als 100 km nördlich und westlich von London).

    Abschließend finde ich es auch gut, dass die EM nicht nur in 4 oder 5 ausgewählten und schick gemachten, hauptstadttauglichen Traumstädten stattfindet, sondern eben auch dort, wo der Fußball wirklich geliebt wird, in (ehemaligen) Arbeiter- und Industriestädten.

  • die wurde verplempert mit Schuldenbremse und schwarzen Nullen.

    Aber auch mit Mütterrente, Rente mit 63 und jeder Menge sonstiger Gerechtigkeitslücken, die - kaum gefunden - sogleich mit viel Geld großzügig zugekleistert wurden.

  • Der Fehler liegt aus meiner Sicht ganz klar in der Wachstumsphase ab 2010, [...] Diese Phase, in der man das Land infrastrukturell hätte fit machen müssen

    Infrastruktur ist halt was ganz anderes als Stadtbild. Klar, es macht keinen guten Eindruck, wenn die Straßen ein riesen Flickwerk sind. Aber mehr potentiellen Beitrag zu einem schöneren Stadtbild kann ich da beim besten Willen nicht ausmachen.

    meinetwegen noch verlängert um die hier sonst kaum bemerkte Weltwirtschaftskrise ab 2007/2008 nicht viel investieren konnte in den Bestand - geschenkt.

    Seit 2005 sind die Investitionen wieder gestiegen (öffentliche wie private). Es gab eine knapp 10 Jahre währende Rezession. Danach stetig steigende Investitionen. Das Ausbaugewerbe hatte sogar durchgängig steigende Investitionen. Nein, somit, ich bleibe dabei, dass Geld hier nicht der entscheidende Faktor ist, weshalb gewisse Städte oder auch Stadträume derart sich entwickelt haben. Wie gesagt, in Bayern gibt es ausreichend Investitionen, und doch gehen wir sehr sehr schlecht mit unserem Baukulturgut um. Am Ende stehen wir genauso da wie heute als hässliche verschriene NRW-Städte, da darf man sich gerade über das ländliche Bayern keine Illusionen machen. Gerade deshalb wäre eine präzise Ursachenforschung elementar.

  • Infrastruktur ist halt was ganz anderes als Stadtbild. Klar, es macht keinen guten Eindruck, wenn die Straßen ein riesen Flickwerk sind. Aber mehr potentiellen Beitrag zu einem schöneren Stadtbild kann ich da beim besten Willen nicht ausmachen.

    Seit 2005 sind die Investitionen wieder gestiegen (öffentliche wie private). Es gab eine knapp 10 Jahre währende Rezession. Danach stetig steigende Investitionen. Das Ausbaugewerbe hatte sogar durchgängig steigende Investitionen. Nein, somit, ich bleibe dabei, dass Geld hier nicht der entscheidende Faktor ist, weshalb gewisse Städte oder auch Stadträume derart sich entwickelt haben. Wie gesagt, in Bayern gibt es ausreichend Investitionen, und doch gehen wir sehr sehr schlecht mit unserem Baukulturgut um. Am Ende stehen wir genauso da wie heute als hässliche verschriene NRW-Städte, da darf man sich gerade über das ländliche Bayern keine Illusionen machen. Gerade deshalb wäre eine präzise Ursachenforschung elementar.

    Wir reden glaube ich von zwei verschiedenen Dingen. Mir (und ich schätze auch dem englischen Journalisten im Twitter-Filmchen) ging es weniger um das Stadtbild und die Architektur als um den Zustand des öffentlichen Raums, den Leerstand und die Freudlosigkeit dieser Bereiche. Wenn wir über das Stadtbild reden, scheint für mich das Verlustempfinden in Süddeutschland deshalb ausgeprägter zu sein, weil dort a) in vielen Bereichen von einem höheren ästhetischen Niveau und Renovierungsgrad jetzt viele Gebäude, die sehr viel überstanden haben durch Neubauten ersetzt werden und b) der Druck auf dem Immobilienmarkt durch Zuzug einfach größer ist.

    In meiner Heimat Südniedersachsen sterben die Dörfer, die nicht im unmittelbaren Speckgürtelbereich der wenigen Zentren liegen, bereits seit Jahren vor sich hin, das Problem ist dort im Gegenteil Verfall und nicht Abriss. Ganz gut die Balance hinzubekommen scheint in dieser Hinsicht der niedersächsische Raum im Norden, zum Beispiel zwischen Bremen und Osnabrück oder zwischen Bremen und Hamburg, auch Richtung Hannover/Heide. Hier bin ich immer wieder erstaunt, wie gut in Schuss die oft überraschend schönen Dörfer noch sind. Abrisse und Neubauten sind dort extrem selten, es gibt auch wenig dieser riesigen unpassenden Neubaugebiete, so dass dort eine Art wirtschaftliche und demografische Balance im Moment halbwegs hinzukommen scheint.

  • Und das, was jetzt schockiert wahrgenommen wird, einfach nur 40 Jahre Alterung und Lieblosigkeit sowie klamme Kassen. Deutschland hat natürlich an vielen Stellen Fehler gemacht, teilweise war dies alternativlos aufgrund der Kosten der Wiedervereinigung und der anhaltenden Wirtschafts- und Arbeitsmarktskrise der 1990er und 2000er Jahre, tlw. waren dies unforced errors, als in dann wieder guten Zeiten der 2010er eben nicht investiert wurde. Das Ergebnis ist am Zustand Gelsenkirchens exemplarisch nachvollziehbar.

    Es wird dich kaum überraschen aber ich halte deinen Erklärungsansatz nicht für hinreichend überzeugend, um den Niedergang (um es überspitzt zu formulieren: den zunehmenden Shithole-Faktor) vieler deutscher Städte zu erklären.

    Denn nicht nur die Ruhrpott-Perle Gelsenkirchen bekommt im westlichen Europa anlässlich der EM ihr Fett weg, sondern auch die Mainmetropole Frankfurt.

    „Zombieland“ – Belgische Polizei warnt Fans vor Frankfurt

    Bis zu 20.000 belgische Fans werden Montag zum EM-Spiel gegen die Slowakei erwartet. Die heimische Polizei ist schon vor Ort und spricht eindringliche Warnungen aus. Eine englische Zeitung hatte bereits von „Deutschlands größtem Slum“ geschrieben.

    ... „Der Konsum harter Drogen auf der Straße ist normal. Passanten werden belästigt, Drogenkonsumenten verlangen Geld. Ausländische Medien beschreiben das Viertel als Zombieland, und genau das ist es. Dort ist es nicht sicher”, sagte Jan Vanmaercke gegenüber der belgischen Zeitung „Nieuwsblad.” Der Polizist und Fan-Experte ist mit sechs weiteren belgischen Kollegen bereits vor Ort. Sein Appell an die nachreisenden Landsleute: „Wir bitten die Fans den Bahnhofsbereich so schnell wie möglich zu verlassen.“

    Die „Sun“ hatte britische EM-Fans bereits Wochen vor dem EM-Start vor dem Drogenumschlagplatz gewarnt und das Viertel nicht nur als „Zombieland“, sondern auch als „Deutschlands größter Slum“ tituliert.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Tatsächlich sind die Einnahmen heute höher als jemals zuvor (klick), die Ausgaben aber auch, zumal man ja tatsächlich wieder für Schulden Zinsen zahlen muß.

    Ich habe aber gar nicht den Eindruck, daß ein ansprechendes Stadtbild in erster Linie etwas mit den Finanzen zu tun hat, schließlich haben einige der einkommensschwächsten Regionen der Bundesrepublik auch abseits von Touristenorten sehr gepflegte Orte (Mecklenburg-Vorpommern, Oberlausitz), während manche reiche Städte wirklich armselig aussehen (man denke nur an Böblingen und Sindelfingen). Interessant auch die Kontraste in geographisch und kulturell sehr ähnlichen Regionen, z. B. Oberschwaben vs. Württemberg vs. (bayerisches) Schwaben.

    Generell finde ich auch nicht, daß sich alles zum Schlechten verändert, Mannheim sieht heute viel besser aus als bei meinem ersten Besuch 1990, Ludwigshafen abseits des unmittelbaren Zentrums auch, Pforzheim stagniert vor sich hin.

    Lanes are meant to be crossed. If you're staying in your lane you're obviously advancing too slow.

  • Es wird dich kaum überraschen aber ich halte deinen Erklärungsansatz nicht für hinreichend überzeugend, um den Niedergang (um es überspitzt zu formulieren: den zunehmenden Shithole-Faktor) vieler deutscher Städte zu erklären.

    Denn nicht nur die Ruhrpott-Perle Gelsenkirchen bekommt im westlichen Europa anlässlich der EM ihr Fett weg, sondern auch die Mainmetropole Frankfurt.

    Ich dachte, wir reden hier über Gelsenkirchen und das Video aus dem Twitterlink. Da geht es um den allgemeinen optischen Eindruck des Hauptbahnhofs und des Bahnhofsvorplatzes. Der kommentierende Engländer sagt auch wirklich gar nichts zu anderen Themen wie Zuwanderung, Kriminalität, Drogen etc. Es ist ja nur 18 Sekunden lang und zeigt den Hauptbahnhof und seinen Vorplatz. Ich glaube, wir tun gut daran, die Diskussion dann auch darauf zu beschränken.

    Das Video enthält eine unheimlich "ruhrgebietige" Sequenz. Vielen Leute denken, das Ruhrgebiet sei dominiert von 50er/60er-Architektur, gerade an stadtbildprägenden Ecken sind es aber oft 80er Gebäude, wie dieses anscheinend halbleer stehende Einkaufszentrum, an dem da einmal die Kamera vorbeigeschwenkt wird. Ich kenne einige der Ruhrstädte ganz gut (allerdings war ich noch nie in Gelsenkirchen), und das Bild würde sehr gut in viele der mittelgroßen Städte dort passen.

  • Ich wusste gar nicht, dass Gelsenkirchens Hauptbahnhof wie das Rathaus den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte und erst 1982 (!) abgerissen wurde.

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    Unfassbar, was diesen Städten noch in den 1980er Jahren angetan wurde. Das ist das glatte Gegenteil von klugen Investitionen gewesen. Was damals zuviel war, ist jetzt zu wenig.

  • Ich kann mich erinnern, dass schon in den mittleren 80er-Jahren englische Mädchen sich in der Hannoveranischen Fußgeherzone nach dem Bahnhof mich fragten ob "derlei" in deutschen Städten üblich sei. Weiß nicht mehr genau, was sie meinten, (das Stadtbild war es nicht) hab mich mit ihnen nicht viel abgegeben, weil mich dieses ängstliche Spießertum irgendwie albern vorkam und die Mädels überdies auffallend unattraktiv waren, soviel ist mir noch in Erinnerung, aber es dürfte sich um eine Art Kulturschock gehandelt haben. Weiß nicht mehr , ob ich mir nur gedacht oder sogar gesagt habe: Ihr habst das Land so zugrundebombardiert, was passt euch jetzt nicht. Vor Frankfurt ist man allerdings schon 1983 in Mainz gewarnt worden, meiner sehr begrenzten Erfahrung nach natürlich zu Unrecht. Generell waren die westdeutschen Fußgängerzonen für ihre Unwohlfühl-Aura bei uns eher berüchtigt. Leuten, die nicht viel über Deutschland und seine architektonische Kultur wussten, erschienen deutsche Städte als unattraktiv und unsehenswert. Momentan kommen natürlich viele Faktoren zusammen, die zu erörtern weder notwendig noch erwünscht sind. Auch die Verkommenheit von München hat mich ehrlich gesagt vor ein paar Jahren erschreckt, während Berlin mir eigentlich überraschend sauber und gut in Schuss vorgekommen ist. Der Zorn, den man im Westen gegen den Osten spürt (lobe niemals gegenüber einem Wessie eine Stadt im Osten!) ist daher sicherlich kleinlich und dämlich, aber wohl nicht grundlos.

  • Weiß nicht mehr , ob ich mir nur gedacht oder sogar gesagt habe: Ihr habst das Land so zugrundebombardiert, was passt euch jetzt nicht.

    Kurz der vermutlich überflüssige Hinweis, dass viele Briten sehr offene und freundliche Menschen sind, die zudem völlig unschuldig daran sind, was Bomber Harris damals deutschen Städten angetan hat. Das weitergeben von Feindbildern von Generation zu Generation ist leider immer noch eine sehr dumme Angewohnheit vieler Menschen.

  • Ich kann mich erinnern, dass schon in den mittleren 80er-Jahren englische Mädchen sich in der Hannoveranischen Fußgeherzone nach dem Bahnhof mich fragten ob "derlei" in deutschen Städten üblich sei. .... Vor Frankfurt ist man allerdings schon 1983 in Mainz gewarnt worden, meiner sehr begrenzten Erfahrung nach natürlich zu Unrecht. Generell waren die westdeutschen Fußgängerzonen für ihre Unwohlfühl-Aura bei uns eher berüchtigt. Leuten, die nicht viel über Deutschland und seine architektonische Kultur wussten, erschienen deutsche Städte als unattraktiv und unsehenswert. Momentan kommen natürlich viele Faktoren zusammen, die zu erörtern weder notwendig noch erwünscht sind. Auch die Verkommenheit von München hat mich ehrlich gesagt vor ein paar Jahren erschreckt, während Berlin mir eigentlich überraschend sauber und gut in Schuss vorgekommen ist.

    Es kommen mehrere Dinge im Moment zusammen: Ganz akut ist natürlich in sehr vielen (west)deutschen Städten die Situation an den Hauptbahnhöfen untragbar geworden. Dies ist größtenteils Folge einer neuen Crack-Welle, die sich relativ ungestört in den letzten 10 Jahren an gewissen Hotspots entwickeln konnte. Ich befürchte hier, dass wir mit dem zunehmend erfolgreichen Kampf der Taliban gegen Schlafmohnanbau zusätzlich in den nächsten Jahren in eine üble Fentanylepidemie laufen könnten, ähnlich wie jetzt bereits in den USA (Chinas späte Rache für die Opiumkriege des 19. Jahrhunderts).

    Umgekehrt sehe ich viele der Wortmeldungen, die in die Richtung gehen, dass es "sowas" ja früher nicht gegeben hätte, als klar romantisierend. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" ist ja nicht in einem luftleeren Raum entstanden, sondern in einer ganz ähnlichen Gemengelage. Auch die Situation im Frankfurter Bahnhofsviertel ist im Moment vielleicht schlimmer als vor -sagen wir- 20 Jahren, aber ob sie auch schlimmer als vor 40 oder 50 Jahren ist, weiß ich nicht.

    Die Freudlosigkeit westdeutscher Großstädte und insbesondere der stark kriegszerstörten hat sich ebenfalls kaum signifikant verändert. Was 1965 Mist war, war 1985 Mist und ist auch heute ganz überwiegend Mist (mit einer vorsichtigen Tendenz sogar eher zur optischen Verbesserung an vielen Orten - v.a. eben denen, die in der sonst wirtschaftlich schwierigen Zeit seit etwas Mitte der 1990er noch größer investieren konnten)

    Das aktuell schlechte Bild (west)deutscher Großstädte hat also sehr verschiedene, alte, mittelalte und aktuelle Gründe und lässt sich aus meiner Sicht nicht adäquat mit den üblichen monokausalen Erklärungen hinreichend beschreiben.

    Zu Deinen Anmerkungen zu Berlin: Zustimmung, zumindest innerhalb weiter Teile des S-Bahnrings hat sich die Situation extrem verbessert gegenüber vor 10 oder 15 Jahren. Das Zentrum ist größtenteils sauber und gepflegt und nicht mehr sprichwörtlich maximal versifft, wie Berlin eben so war früher. Auch entwickelt sich Berlin in diesem Sinne vielleicht eher wie andere ostdeutsche Städte in die richtige Richtung, wenn wir unsere Freunde aus Berlin vor 20 Jahren besuchten, schämten diese sich für den Zustand des öffentlichen Raums in Berlin, jetzt schämen wir uns für den Zustand des öffentlichen Raums in Bremen. Besoffene/schlafende oder brabbelnde Fahrgäste kennen die Kinder unserer Freunde gar nicht mehr aus dem ÖPNV in Berlin und waren entsprechend schockiert, dass in Bremen eigentlich in jeder Bahn mindestens zwei Kaputte sitzen.

    Das war allerdings auch schon vor 20 Jahren so, als eine Freundin aus Hamburg das Bonmot prägte: "Man weiß immer, dass man in Bremen ist, wenn in der Straßenbahn an einem Mittwoch Vormittag um 11 die Hälfte der Besatzung ein offenes Bier in der Hand hat."

  • Die Freudlosigkeit westdeutscher Großstädte und insbesondere der stark kriegszerstörten hat sich ebenfalls kaum signifikant verändert. Was 1965 Mist war, war 1985 Mist und ist auch heute ganz überwiegend Mist (mit einer vorsichtigen Tendenz sogar eher zur optischen Verbesserung an vielen Orten

    Stimmt grundsätzlich, obwohl ich mir gar so sicher bin, denn letztlich ist alles relativ. Ich denke mir, dass damals das noch irgendwie neu und auf eine Art originell war. Die Masse macht's. Das Looshaus in Wien ist nett, weil es so hervorsticht. Ein Stadtbild voller Looshäuser wär zum Abgewöhnen. Ich finde auch die heutigen Bauten weit schöner als die der 60/70er, kann mich aber auch hier der Gedanken nicht erwehren: wahrscheinlich kann man das in 20 Jahren genausowenig anschauen. In den 60er Jahren war man wohl froh, dass wieder irgendwas steht.

  • der vermutlich überflüssige Hinweis,

    überflüssig war auch die Vermutung "vermutlich", weil das eh klar ist, allerdings nicht unbedingt bei Fußball"fans", von denen man gerade gehört hat, dass sie Serben in Gelsenkirchener Restaurants attackiert haben. Was ich sagen wollte: es hat schon ein gewisses Element der Kulturunsensibilität, wie man in anderem Zusammenhang sagen würde, wenn sich ein Brite über den Zustand deutscher Städte mokiert. Mach das mal umgekehrt zB in Rotterdam oder Warschau ("die Warschauer Innenstadt atmet unverkennbar sozialistisches Mief.")

  • Was ich sagen wollte: es hat schon ein gewisses Element der Kulturunsensibilität, wie man in anderem Zusammenhang sagen würde, wenn sich ein Brite über den Zustand deutscher Städte mokiert. Mach das mal umgekehrt zB in Rotterdam oder Warschau ("die Warschauer Innenstadt atmet unverkennbar sozialistisches Mief.")

    Da ist was dran, man muss sich den Schuh aber nicht unbedingt anziehen. Das man als Deutscher im Ausland mit seinen Äußerungen häufig immer noch vorsichtig sein muss, werden du und ich leider kaum ändern können. Das dumme Gewohnheiten oft von Generation zu Generation weiter gegeben werden sagte ich ja gerade. So schnell werden wir den Krieg wohl nicht los ...

  • Der Abriß einer Kirche aus der Nachkriegszeit wäre alles in allem einigermaßen zu akzeptieren. Hier spricht man allerdings von mehr als 120 Jahren einer Kirche im allgemeinen - daß Assoziationen einer etwas tieferen Verwurzelung aufkommen, kann hier nicht ganz ausbleiben; und dann noch in einer so "schönen" Stadt. Das Narrativ vom Abriß zugunsten einer Turnhalle erscheint nicht wirklich neu. Wir haben das Portfolio der Begründungen für Parkplätze, Schulen, Autostraßen, Kulturzentren, Einkaufstempel und was auch immer sonst in den Nachkriegsjahrzehnten ausgiebigst ausgereizt; die Erinnerung an St. Lambertus Immerath ist bis heute nicht weniger schmerzlich geblieben; und dem Vorwurf eines flachen Wortspielpopulismus ändert es nichts, die sicher etwas fragwürdige Wortspielerei der Umbenennung in Gelsenkirchenabriß vom Stapel zu lassen.

  • ^

    Ein Kirchengebäude in Gelsenkirchen soll abgerissen, ein anderes Kirchengebäude soll mit einer Kunstinstallation bekrönt werden.

    Die Probsteikirche St. Urbanus in Buer soll möglicherweise eine beleuchtete Turmspitze bekommen. Ein Skelett, ähnlich der Johanneskirche in Hanau.

    Diese Installation nennt sich "Melchior" und soll in verschiedenen Farben zu beleuchten sein. Hier ist die Informationsseite des Künstlers:

    Melchior »König des Lichts« | Christian Nienhaus

    Hier mal wieder eine abgedroschene Aussage gegen eine vernünftige Rekonstruktion der Turmspitze.

    (...) „Mir ist wichtig, dass es keine Rekonstruktion des alten Turmes ist“, so der Geistliche über das geplante Kunstwerk. „Es gibt einen Grund, warum der Turm weg ist: Die Kriegswunde muss sichtbar bleiben. (...)

    Für jede Beschädigung gibt es einen Grund. Soll man deswegen nichts mehr reparieren?

    Weitere Berichte zu dem Projekt.

    WDR-Kultursommer: Christian Nienhaus
    „Melchior“ heißt das aktuelle Projekt des bildenden Künstlers Christian Nienhaus. Damit will er nichts Geringeres erreichen, als seiner Geburtsstadt…
    www1.wdr.de
  • Jeder Unsinn wird heute als Kriegswunde oder Mahnmal bezeichnet. Geht es danach, hat Gelsenkirchen eigentlich mit der Altstadtkirche eine Art "Mahnmal". Es ist das Gleiche wie hier mit der Rheydter Hauptkirche. Wen interessiert es denn, ob da jetzt ein Turm fehlt? Als Mahnmal ist das wenig effektiv, weil es kaum einem Normalo auffällt. Im Gegensatz zu St. Nikolai oder der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.