Turmform Neorenaissance

  • Guten Abend,

    zufällig bin ich heute auf das imposante Gebäude Hotel de Ville (Rathaus) in Paris gestoßen. Weiß jemand zufällig, wie sich die Art bzw. Form des Turmes an der Westfassade nennt? Kennt ihr zufällig weitere Gebäude mit ähnlichem Turm?

    Der Turm hat zwei Ebenen mit Balustraden und Säulen, geht vom Quadrat ins Oktogon über und hat am obersten Ende eine Laterne, welche von einem kuppelähnlichem Zwischenstück gestürzt wird. Dieses wird durch ein umlaufend gekröpftes Gesims mit Fialen eingefasst.

    Diese Turmform wurde wohl gern in der Neorenaissance angewandt. Ich kenne noch ein weiteres Gebäude aus ähnlicher Zeit mit ähnlichem Turm.

    Foto Wikipedia-Artikel

    Über eure Hinweise freue ich mich und danke vielmals im Voraus!

  • Martin89 January 24, 2021 at 8:54 PM

    Changed the title of the thread from “Turmform Renaissance” to “Turmform Neorenaissance”.
  • Ich kennen keinen Fachterminus für derartige Turmabschlüsse. Im Grunde handelt es sich dabei um mehrfach gestaffelte Laternen, die sich dadurch immer weiter verjüngen. Wir erhalten dadurch alternierend einen durchbrochenen Bereich und einen Kuppelbereich. Schönes Beispiel aus Riga:

    Riga%2C_St_Peters_Lutheran_Church_%286478541061%29.jpg

  • Ein hübsches Detail unter dem Beitrag von tegula ist das Herzchen von St.Petri . Denn das Foto zeigt St. Petri in Riga.

    Riga, St.-Petrikirche, Aufriss der Südseite und Querschnitt des Turmhelmes nach Hartmann 1923

    (Abbildung aus Gunārs Zirnis, Pētera baznīca [Die Petrikirche], Riga 1984)

    Gunārs Zirnis war (neben Pēteris Saulītis) der leitende Architekt des Wiederaufbaus der Petrikirche nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Angaben dazu in der deutschen Wikipedia sind mangelhaft. Deshalb ergänze ich mal die Daten. Politische Grundlage für den Wiederaufbau der Kirche war ein Beschluss des Ministerrats der Lettischen SSR aus dem Jahr 1966. Die Bauarbeiten begannen 1968. Der Turmhelm wurde 1973 fertiggestellt. Die Konstruktion besteht nicht mehr wie früher aus Holz, sondern aus Eisen. Die Rekonstruktion des Kircheninneren zog sich bis 1983 hin. Zum Abschluss der Arbeiten veröffentlichte Zirnis 1984 das Buch, dem die Abbildung oben entnommen ist.

    In der heutigen Gestalt wurde der Turmhelm erstmals 1690 fertiggestellt. 1721 brannte dieser Turm nach Blitzschlag nieder. Die Rekonstruktion des Helmes erfolgte 1743-1746. Dieser Helm wurde am 29. Juni 1941 durch deutschen Artilleriebeschuss zerstört.

    Auf dem folgenden Foto ist gut zu erkennen, dass sich im Innern des Helmes ein Aufzug befindet. Das ist eine Neuerung des Wiederaufbaus 1968-1973. In 57 und 71 Metern Höhe befinden sich Aussichtsplattformen. Die Gesamthöhe des Turmes bis zum vergoldeten Wetterhahn beträgt 123 Meter.

    Riga, Turmhelm der Petrikirche (Foto: Сергей Алексеев, 17. März 2013, CC-BY-3.0)

    Stilistisch würde ich den Turmhelm von St. Petri in Riga im Übergang von der nordischen Spätrenaissance zum Frühbarock ansiedeln. Die ähnlichen Turmhelme von St. Katharinen in Hamburg und St. Marien in Zwickau stammen gleichfalls aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

    (Über die Bildlinks könnt ihr zu vergrößerten Ansichten der Abbildungen gelangen.)

  • vielen Dank an tegula und Rastrelli für die interessanten und informativen Beiträge!

    Der von mir gezeigte Turm vom Rathaus in Paris hat eine etwas andere Architektur. Dieser ist mehr abgerundet, nicht so spitz lang gezogen.

    Das zweite Gebäude, welches ich meinte, ist das Schloss Polnisch Krawarn (heute Krowiarki in Oberschlesien). Dieser ist in ähnlicher Architektur irgendwann zwischen 1870 und 1880 errichtet worden. Fotos anbei.

      

    Ich finde die Ähnlichkeit zum Pariser Beispiel sehr deutlich. Vllt. waren zu dieser Zeit solche Türme „Mode“ und gehörten zum Repertoire der Neorenaissance!? Deshalb mein Anstoß zu diesem Thema.

    Kennt ihr vllt Beispiele die mehr in Richtung dieser Architektur gehen?

  • Hallo Martin89,

    Neorenaissance Türme, welche in Richtung der von dir angesprochenen Türme des Schlosses in Polnisch Krawarn oder des Rathauses von Paris gehen, dürften vielleicht der Turm des Rathauses zu Danzig und der Turm des Hauptbahnhofs Danzig sein. Leider habe ich keine Bilder zur Hand.

    Letztlich wirkte die Pracht liebende und Schmuck freudige Niederländische Renaissance prägend für den ganzen Nord- und Ostseeraum und bis nach Skandinavien. In der Neorenaissance wurden diese Formen, auch bezüglich der Türme, dankbar wieder aufgenommen. Ein spezieller Begriff oder eine besondere Bezeichnung der Türme der Neorenaisssance ist mir allerdings leider nicht bekannt.

  • Das mag schon so sein, jedoch orientiert sich der Turmhelm von Bad Muskau m. E. doch sehr an der französichen Renaissance, wie übrigends auch die Türme des Residenzschlosses zu Schwerin. Es gab freilich Überschneidungen, doch auch manche nationalen Eigenheiten. So z. B. die, dass die Dächer der Renaissancebauten in Italien eine sehr flache Dachneigung besaßen. Nördlich der Alben war das schon ganz anders. Da baute man in der Renaissance hohe Giebel, die Dächer waren relativ steil und mussten es auch sein, da das Regenvorkommen nördlich der Alpen ein Vielfaches war. Das Regenwasser sollte schnell abfließen können. In Deutschland wollten die Kaufleute die erworbenen Waren unter dem eigenen Dach lagern, auch deshalb die hohen Giebel mit Speichern über mehrere Dachböden. Oftmals mit Seilwinde am Giebel um die schweren Säcke nicht mühselig hochschleppen zu müssen, sondern mit viel weniger Plage einfach hochziehen zu können. Kurz und bündig: ein sog. "Flaschenzug". Man findet mancherorts noch kleine Rädchen am Giebel, im Schwäbischen "Lotter" genannt, welche einst dem Warenaufzug dienten.