Adolf Loos: Ornament und Verbrechen

  • Das Ornament der Architektur (toter Gegenstand) hat mit Tätöwierungen (Haut = Lebewesen) nichts gemein. Eine Tätowierung ist der Wunsch eines Menschen nach Individualität und Gruppenzugehörigkeit (die Tätowierten, die Träger bestimmter Tatoos). Diese Funktion haben Ornamente von Gebäuden nicht. Hier steht das Vermögen eines Hausbesitzers im Vordergrund. Frauen kaufen zum Beispiel gern sündhaft teure Taschen bestimmter Luxusmarken und verschwenden damit sichtbar einen Teil Ihres Vermögens, um zu signalisieren: Schaut her, ich kann es mir leisten. Ich bin eine gute Partie. Wenn man dann noch besonders clever ist, hat man einen Sinn für Dinge, die teurer aussehen, aber günstig sind. Das gleiche lässt sich auf Bauwerke übertragen. Je mehr Ornamente ein Gebäude hat, desto höher die Zusatzkosten für seine Errichtung. Gleichzeitig lassen sich mit Ornamenten/Figurenschmuck usw. Bildungseigenschaften und Einstellungen / Überzeugungen unterschwellig vermitteln. Das lässt sich sehr schön verifizieren, wenn man bedenkt, dass es zumeist nur die Schaufassade war, welche so opulent gestaltet wurde (Ausnahme Riemers Hofgärten in Berlin / hier gibt es nur Schaufassaden). Wer also etwas auf sich hielt, zog unter keinen Umständen in einen Seitenflügel oder Gartenhaus, sondern in die Beletage des Vorderhauses. Und wer als Eigentümer besonders clever war, hatte teuer aussehende Materialien verwendet, welche billig in der Herstellung waren (z. B. Marmorimitationen).

    Durch den zunehmenden Verkehr veränderten sich die Wohnbedürfnisse bald dahingehend, dass es schick wurde, weiter oben zu wohnen, denn dort war die Abgas- unf Lärmbelästigung nicht so groß und es gab nun eiserne Lastenaufzüge, um auch dort einfach hoch und hinunter zu gelangen. Das Ornament indes machte aber nicht an der Fassade halt, sondern zog sich in die Innenräume in Form von Stuck, Kacheln von Öfen, Eisengitter von Treppengeländern und Aufzugsschächten. Voraussetzung dafür ist eine Gesellschaft, welche Schmuck als essentiellen Teil ihres Lebens ansieht. Das war Ende des 19. Jahrhunderts sehr stark der Fall. So ist der Beruf der Putzmacherin (Putz hier im Sinne von sich herausputzen) stark verbreitet. Es waren aber nicht alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen zur Teilhabe befähigt. Deshalb führte die politische Emanzipation der Unterprivilegierten zum Kampf gegen den Schmuck, eben auch an Gebäuden und das Prinzip zieht sich bis heute ins Wahlprogramm der Linken (überspitzt: mehr Geld für Kindergärten und Schulen statt Barock). Dabei ist beides überaus wichtig. Nicht entweder oder.

    Sonst wäre die zweckmäßige DDR nie untergegangen. Man musste nicht hungern. Es gab Bildungsmöglichkeiten (gerade auch unpolitsche). Wer reisen wollte, hat sich seine Nischen gesucht. Wohnraum war billig und die Grundnahrungsmittel ebenso. Also das Arbeiterparadies schlechthin. Nur fehlte es an richtiger Hochkultur, an Freiheit sowieso und auch ganz wichtig an Bildungsniveau, was die verschiedenen Künste anging. Naturwissenschaftlich-technische Bildung war sehr gut und vorzeigbar. Baukulturelle Bildung hingegen litt unter politischer Indoktrination und somit entwickelte sich hier die Katastrophe schlechthin: Plattenbauten und Langeweile. Loos hätte seine helle Freude gehabt. Dieser Dummkopf.

    Doch auch in der sogenannten freien Welt wurde gegen das Ornament polemisiert. Hier sollte das Ornament die Ursache für den Faschismus und seine Folgen gewesen sein. Wenn dem so wäre, hätten faschistische Gebäude eine überbordende Ornamentik, was nicht der Fall ist. Vergleicht man hingegen diese Bauten mit heutigen nach Effizienzdogma gebauten modernen Blöcken so sind deutliche Gemeinsamkeiten zu erkennen. Jegliche fehlende Schönheit, keine menschlichen Proportionen, Kühle und Monotonie. Kurz LEBENSFEINDLICHKEIT. Eine Schande, dass ausgerechnet steuerfinanzierte Professoren-Darsteller diese (…) Mod Ideologie des Bauens in völligem Verkennen ihrer eigenen Propaganda weiter verbreiten.

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    Eine Tätowierung ist der Wunsch eines Menschen nach Individualität und Gruppenzugehörigkeit (die Tätowierten, die Träger bestimmter Tatoos). Diese Funktion haben Ornamente von Gebäuden nicht.

    Doch, Individualität ließ sich selbst innerhalb einer Stilepoche mit limitiertem Schmuckkanon erreichen und fand wahrscheinlich im Historismus ihren Höhepunkt (was die klassischen Stile betrifft). Durch das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit gab es ja erst Baustile.

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    Das lässt sich sehr schön verifizieren, wenn man bedenkt, dass es zumeist nur die Schaufassade war, welche so opulent gestaltet wurde

    Ich glaube, dass der starke Kontrast zwischen Schaufassade und den übrigen Fassaden findet man in einer gewissen Regelmäßigkeit erst im Historismus (oder bei solchen Ausnahmen in Potsdam, dort wurde jedoch der Kontrast zwischen Fassade und Innenleben bereits von Zeitzeugen als ungewöhnlich beschrieben).

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    Und wer als Eigentümer besonders clever war, hatte teuer aussehende Materialien verwendet, welche billig in der Herstellung waren (z. B. Marmorimitationen)

    Zeitweise waren Mamorimitationen sogar teurer als normaler Mamor, er wurde dennoch verbaut, weil genialere Farbeffekte erzeugt werden konnten. (So weiß ich es zumindest von Schloss Ludwigslust).

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    Durch den zunehmenden Verkehr veränderten sich die Wohnbedürfnisse bald dahingehend, dass es schick wurde, weiter oben zu wohnen, denn dort war die Abgas- unf Lärmbelästigung nicht so groß und es gab nun eiserne Lastenaufzüge, um auch dort einfach hoch und hinunter zu gelangen.

    Wenn du dich auf das 19.Jh beziehst, dann ging der Trend eher zur Vorstadtvilla, da Aufzüge in einer solchen Regelmäßigkeit noch nicht verbaut wurden. In der Stadt war die Beletage immer noch am aufwendigsten gestaltet.

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    Deshalb führte die politische Emanzipation der Unterprivilegierten zum Kampf gegen den Schmuck

    Ich denke nicht, dass man Adolf Loos zu den Unterprivilegierten zählen kann. Die Idee der modernen Architektur kam aus dem Bildungsbürgertum.

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    Sonst wäre die zweckmäßige DDR nie untergegangen. Man musste nicht hungern. Es gab Bildungsmöglichkeiten (gerade auch unpolitsche). Wer reisen wollte, hat sich seine Nischen gesucht. Wohnraum war billig und die Grundnahrungsmittel ebenso. Also das Arbeiterparadies schlechthin. Nur fehlte es an richtiger Hochkultur, an Freiheit sowieso und auch ganz wichtig an Bildungsniveau, was die verschiedenen Künste anging. Naturwissenschaftlich-technische Bildung war sehr gut und vorzeigbar. Baukulturelle Bildung hingegen litt unter politischer Indoktrination und somit entwickelte sich hier die Katastrophe schlechthin: Plattenbauten und Langeweile. Loos hätte seine helle Freude gehabt. Dieser Dummkopf.

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  • Das sind wirklich sehr schöne , geistreiche Beiträge. Aber sie gehen leider am Thema vorbei.

    Denn wir reden hier über den 100jährigen Krieg gegen Schönheit und Harmonie - dereinst angezettelt von Loos, mit großer Resonanz in der 'avantgardistischen' Architektenszene. Die Schönheit, das Ornament ist dabei der Verlierer und muss sich mittlerweile massiv rechtfertigen, wenn sie auch nur wirklichkeitsgetreu rekonstruiert werden sollen. (Was übrigens auch ein Grund für die Existenz dieses Forums ist: Die Lobpreisung von Schönem und das vielstimmige Bedauern seines Verlustes)

    Aber bevor ich mich weiter dazu auslasse, möge ein Anderer dazu sprechen:

    Verachtung des Ornaments - Jan Fleischhauer
    Grüne Architekten versuchen, die Rekonstruktion eines der bedeutendsten Bauwerke des Architekturgenies Karl Friedrich Schinkel zu verhindern. Warum bloß?…
    janfleischhauer.de

    Der Urheber des Übels ist bekannt: Kahlheit-Apostel Loos, der seine Phobie gegen das Ornament mit einer Menschen diskriminierenden These begründete. Wie ich bereits darlegte, kann man genau hier Loos stellen und seinen Jüngern die moralische Verwerflichkeit ihres Mentors verdeutlichen. Zur Erinnerung: Weil zum Ende des 19.Jh. Tätowierungen bei den Menschen abnahmen, schlussfolgerte Loos, dass dies ein evolutionärer Prozess in der Zivilisierung/Kultivierung des Menschen sei und deshalb auch seinen Niederschlag im öffentlichen Raum, also in der Architektur finden müsste - darum weg mit dem Ornament an den Wänden. Um seine Radikalität zu untermauern, bezeichnete er Tätowierte als 'Papua' (primitive Urmenschen), als 'Verbrecher', als 'Degnerierte' respektive bestenfalls als 'latente Verbrecher' oder 'degenerierte Aristokraten'.

    Das war damals schon in höchstem Maße diskriminierend und ist es heute erst recht. Man denke nur an die tätowierten, berühmten Fussballstars. Das sind extrem erfolgreiche Sportler und Vorbilder für die Jugend. Es verbietet sich, diese Menschen und alle anderen mit Tattoos auch nur in die Nähe der Loos'schen Beleidigungen zubringen. Was Loos über Tätowierte sagt, geht gar nicht! Damit hat sich dieser Mann selbst geächtet und zu einer persona non grata diskreditiert. Und seine Anhänger geich mit. Denn jeder, der heute noch an Loos festhält, muss seinen moralischen Kompass hinterfragen und dann eigentlich feststellen, dass Loos untragbar ist. Der Typ ist grundheraus abzulehnen. Stosst den kleinen Adolf von seinem Sockel und konfrontiert seine Jünger mit der zutiefst moralischen Verwerflichkeit ihres Apostels.

  • na ja, diese Argumentation ist schon sehr weit hergeholt... Man kann alles übertreiben.

    Wie Loosens Vergleich per se schon Schwachsinn war und keiner Zerpflückung nach den Kriterien heutiger "korrekter" Betroffenheitsrituale bedurfte.

    Wobei Loos diesbezüglich ohnedies mehr als korrekte Seiten aufwies:

    "Ich werde demnächst einen vortrag halten: warum haben die papuas eine kultur und die deutschen keine?"

    Dies richtete sich gegen den Eklektizismus des XIX. Jhs und war schon gewissermaßen etwas, das man ein "starkes Stück" nennen könnte.

  • Vielleicht hatte er auch nur eine Ornamentik-Phobie

    Felix Czeike bezeichnete Loos 1977 im "Kunstreiseführer Wien" als "von Natur aus ornamentscheu". Eine wunderbare Formulierung.

    Das Wort primitiv hat die Bedeutung "ursprünglich", "urzuständlich". In der Sprachwissenschaft nutzen wir es zur Bezeichnung semantischer Minimaleinheiten (Primitivum, Primitivprädikat). In den Gesellschaftswissenschaften dient es zur Kennzeichnung von Stämmen oder Völkern, die auf einer niederen Stufe der gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Entwicklung stehen. Man darf das nicht mit dem heutigen umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes verwechseln. Loos lebte noch in einer Zeit, in der die gebildeten Schichten Latein verstanden. Das Wort "Herrenmenschen" hat in diesem Zusammenhang nichts verloren.

    Adolf Loos ist weder "Apostel" noch Vater der Architekturmoderne. Es gibt keinen "Loosismus". Ich finde die Beschäftigung mit den modernen Strömungen in Architektur und Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überaus interessant und anregend. Loos ist da eine interessante Figur unter vielen.

  • Rastrelli Ich war mir nicht bewusst, dass dies ein Forum für kahle Wände und abstossende Gebäude ist. Vielmehr wähnte ich hier den guten Geschmack zu Hause. Offenbar ist dem nicht so, denn es wird die Argumentation der Gegenseite geführt. Aber die ist gnadenlos: Selbst ein Karl May wird von diesen moralischen Bevormundern wegen des Begriffs 'edler Wilder' in Frage gestellt. Aber Loos wird verschont! Und das aus gutem Grund, denn wenn dieser mit dem selben Maß gemessen würde, ist eine moralische Abkehr von Loos zwingend erforderlich - und damit auch eine Abkehr von seiner Religion der kahlen Wände.

  • Vielmehr wähnte ich hier den guten Geschmack zu Hause.

    Loos hatte einen guten Geschmack, das ist nicht zu bestreiten. Was ihm mE vorzuwerfen ist: eine Ideologisierung seiner Ästhetik, die dadurch in weiterer Folge sehr eingeengt wurde, gleich einer Katze, die sich in den Schwanz beißt. Dass Loos das eine oder andere bedeutende Werk geschaffen hat, wird man ihm zubilligen müssen.

  • Loos hatte einen guten Geschmack, das ist nicht zu bestreiten. Was ihm mE vorzuwerfen ist: eine Ideologisierung seiner Ästhetik, die dadurch in weiterer Folge sehr eingeengt wurde, gleich einer Katze, die sich in den Schwanz beißt. Dass Loos das eine oder andere bedeutende Werk geschaffen hat, wird man ihm zubilligen müssen.

    Nein, Loos hatte weder einen guten Geschmack, noch war er ein feiner Geist was seine publizistischen Werke angeht. Größtenteils handelt es sich dabei um wirre Pamphlete, die kaum nachvollziehbar sind und vor allem nur auf Grund ihrers Titels Ornament und Verbrechen immer wieder von Modernisten herangezogen werden.

  • "Ornament und Verbrechen"

    Ornament und Verbrechen – Wikisource

    Ich hatte mir das durchgelesen, bin geneigt, das an der Peripherie von/zu Satire anzusiedeln. Oder warum sonst vermochte der Text mir vereinzelt ein dezentes schmunzeln zu entlocken. :cool:

    Mein Kommentar zu den Beiträgen 13 bis gut 20:

    Ohne dass ich mich einer Theorie annähern will, ich habe schon den Eindruck, dass sich der Mensch "als Masse" - je näher der Gegenwart, desto mehr - (geistig) zurückentwickelt(e). Zurückverwickelte, in - "westlichen Kulturkreis" betreffend (aus anderen Kulturkreisen fehlen mir persönliche Erfahrungen, und rein aus Medien Vermitteltes tut mir nicht Genüge) - als längst überwunden geglaubte Verhaltensweisen Praktizierende.
    Durchaus auch eine Erklärung, wieso das "Land der Dichter und Denker" entfernter denn je von jenen entfernt sich anfühlt; für mich.

  • Ornament und Verbrechen lautet seltsamerweise auch der Titel der 6. Geschichte über fiktive Kriminalität in der Bauhaussiedlung Törten. Das Büchlein "Törten" ,Herausgeber Natascha Meuser, enthält davon zehn. Autoren der 6. sind Yildiz Güclü und Marvin Matzinger. Zum Inhalt:
    Ein junger Mann hält sich gern bei seiner Nachbarin, der unverheiraten Tochter des in den 50ern verstorbenen Bauhausdirektors M. auf und bewundert die dort vorhandenen Bauhausrelikte. Irgendwann befürchtet die Nachbarin, dass ihre Rente nicht mehr reiche und sie etwas veräußern müsse, was zwar viel Geld einbringen, aber den Ruf ihres verehrten Vaters ruinieren würde. Sie zeigt dem Nachbarn eine Mappe, die beweist, dass ihr Vater stets ein Gegner glatter Flächen und ein Befürworter von Ornamenten war. Angesichts dieses sensationellen Wertobjekts erstickt der junge Mann die alte Dame. Es wird Herzversagen attestiert. Und er ist laut Testament der Erbe.
    Auf solche kruden Ideen muss man erst einmal kommen.

  • Bekanntlich entdeckte Loos eine naturgesetzliche Korrelation zwischen dem Ornament in der Architektur dem Drang des Menschen, seine Haut zu tätowieren respektive Wände zu beschmieren.

    Nein, an deinem Satz stimmt gar nichts. Es geht in dem Text "Ornament und Verbrechen" nicht um Architektur, sondern um das Ornament an sich. Das Ornamentieren menschlicher Haut ist nur ein Beispiel von vielen, nicht mehr. Es hat keine Schlüsselbedeutung.

    Ich habe folgende erkenntnis gefunden und der welt geschenkt: evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande. Ich glaubte damit neue freude in die welt zu bringen, sie hat es mir nicht gedankt. Man war traurig und ließ die köpfe hängen.

    Wir besitzen keine hobelbänke aus der karolingerzeit, aber jeder schmarren, der auch nur das kleinste ornament aufwies, wurde gesammelt, gereinigt, und prunkpaläste wurden zu seiner beherbergung gebaut. Traurig gingen die menschen dann zwischen den vitrinen umher und schämten sich ihrer impotenz. Jede zeit hatte ihren stil und nur unserer zeit soll ein stil versagt bleiben? Mit stil meinte man das ornament. Da sagte ich: Weinet nicht! Seht, das macht ja die größe unserer zeit aus, daß sie nicht imstande ist, ein neues ornament hervorzubringen. Wir haben das ornament überwunden, wir haben uns zur ornamentlosigkeit durchgerungen. Seht, die zeit ist nahe, die erfüllung wartet unser. Bald werden die straßen der städte wie weiße mauern glänzen. Wie Zion, die heilige stadt, die hauptstadt des himmels. Dann ist die erfüllung da.

    Aber es gibt schwarzalben, die das nicht dulden wollten. Die menschheit sollte weiter in der sklaverei des ornamentes keuchen.

    Hier taucht das schöne Wort "Schwarzalben" auf. Schwarzalben sind Wesen aus der nordischen Mythologie. Es gibt auch das Wort "Nachtelfen", aber Schwarzalben klingt viel schöner. Nun geht es in dem Text aber doch gar nicht um nordische Mythologie. "Schwarzalben" dient hier als Stilmittel. Das Wort signalisiert dem Leser, dass er es mit einem literarischen Text zu tun hat und keinesfalls mit einem Sachtext. Die Schwarzalben tauchen sogar zweimal auf:

    Die menschen waren weit genug, daß das ornament ihnen keine lustgefühle mehr erzeugte [...] Sie waren glücklich in ihren kleidern und waren froh, daß sie nicht in roten samthosen mit goldlitzen wie die jahrmarktsaffen herumziehen mußten. Und ich sagte: Seht, Goethes sterbezimmer ist herrlicher als aller renaissanceprunk und ein glattes möbel schöner als alle eingelegten und geschnitzten museumstücke. [...]

    Das hörten die schwarzalben mit mißvergnügen, und der staat, dessen aufgabe es ist, die völker in ihrer kulturellen entwicklung aufzuhalten, machte die frage nach der entwicklung und wiederaufnahme des ornamentes zu der seinen. Wehe dem staate, dessen revolutionen die hofräte besorgen! Bald sah man im wiener kunstgewerbemuseum ein büffett, das „der reiche fischzug“ hieß, bald gab es schränke, die den namen „die verwunschene prinzessin“ oder einen ähnlichen trugen, der sich auf das ornament bezog, mit welchem diese unglücksmöbel bedeckt waren.

    Die Komik in der Schilderung ist unverkennbar.

    Ich predige den aristokraten, ich meine den menschen, der an der spitze der menschheit steht und doch das tiefste verständnis für das drängen und die not der unten-stehenden hat. Den kaffer, der ornamente nach einem bestimmten rhythmus in die gewebe einwirkt, die nur zum vorschein kommen, wenn man sie auftrennt, den perser, der seinen teppich knüpft, die slowakische bäuerin, die ihre spitze stickt, die alte dame, die wunderbare dinge in glasperlen und seide häkelt, die versteht er sehr wohl. Der aristokrat läßt sie gewähren. er weiß, daß es ihre heiligen stunden sind, in denen sie arbeiten. Der revolutionär würde hingehen und sagen: „es ist alles unsinn“. Wie er auch das alte weiblein vom bildstock reißen würde und sagen würde: „es gibt keinen gott“. Der atheist unter den aristokraten aber lüftet seinen hut. wenn er bei einer kirche vorbeigeht.

    Auch die auffällige Formulierung "ich predige den aristokraten" taucht zweimal auf. Hier muss man aufpassen. Der Satz enthält kein Dativobjekt. "Den Aristokraten" steht im Akkusativ. Loos wendet sich mit dieser Formulierung nicht an eine bestimmte Personengruppe, sondern tritt für eine bestimmte Verhaltensweise ein.

    Ich predige den aristokraten. Ich ertrage ornamente am eigenen körper, wenn sie die freude meiner mitmenschen ausmachen. Sie sind dann auch meine freude. Ich ertrage die ornamente des kaffern, des persers, der slowakischen bäuerin, die ornamente meines schusters, denn sie alle haben kein anderes mittel, um zu den höhepunkten ihres daseins zu kommen. Wir haben die kunst, die das ornament abgelöst hat. Wir gehen nach des tages last und mühen zu Beethoven oder in den Tristan. Das kann mein schuster nicht. Ich darf ihm seine freude nicht nehmen, da ich nichts anderes an ihre stelle zu setzen habe. Wer aber zur neunten symphonie geht und sich dann hinsetzt, um ein tapetenmuster zu zeichnen, ist entweder ein hochstapler oder ein degenerierter.

    Die auffällige stilistische Gestaltung dient Loos auch dazu, die Ungereimtheiten im Text zu kaschieren. Dieser endet mit:

    Ornamentlosigkeit ist ein zeichen geistiger kraft. Der moderne mensch verwendet die ornamente früherer und fremder kulturen nach seinem gutdünken. Seine eigene erfindung konzentriert er auf andere dinge.

  • Letztlich ist dies grobe Verächtlichmachung der Volkskunst. Den einfachen Leuten muss man ihre Kunst nachsehen, denn sie können es ja nicht anders. Dieses "Nachsehen-Müssen" folgt wiederum daraus, dass Loos die Volkskunst im Gegensatz zum verhassten Eklektizismus gesehen hat. Mit dem Umstand, dass Volkskunst zur Ornamentik tendiert, muss er somit ins Reine kommen. Sein diesbezüglicher Kunstgriff ist unehrenhaft und auch schwach. Es ist einfach so, dass seine absolute Verwerfung der Ornamentik ein grundlegender, durch nichts zu rechtfertigender Irrtum ist. Dass man als sensibler Künstler gewissen Ausformungen des Eklektizismus kritisch gegenübersteht - geschenkt. Aber in einen derartigen Justament-Gegenstandpunkt zu verfallen, ist nichts anderes als kindisch.