Adolf Loos: Ornament und Verbrechen

  • Da fällt mir eine super Geschichte ein: Bei irgendeiner Architekturführung durch eine einst üppig verzierte Kirche, die von einem modernistischen Architekten "purifiziert" (andere sagen kaputtsaniert) wurde, hat der Führer voller Eifer davon erzählt, wie der seinerzeitige Architekt nach der "Sanierung" sichtlich stolz war, dass er den ganzen Stuck und die Ornamente abgeschlagen hat...darauf hat ein kleines Mädchen, das mit seinen Eltern dabei war gesagt: "Und wenn der Architekt geirrt hat?" - Stille - Ich pflichtete dem Kind bei, bedankte mich bei dem Mädchen für seine offenen und ehrlichen Worte und lobte es und deren Eltern, dass sie so ein gescheites Kind haben, das mehr Hirn im Kopf hat als wir Erwachsene hier alle zusammen, empfahl mich und war froh diese gottlossanierte Kirche endgültig verlassen zu dürfen. Würde mich nicht wundern, wenn diese Mädchen auch mittlerweile hier im Forum mitliest...

  • Exilwiener

    Ich habe nicht umsonst meine Bachelor-Arbeit über die Entfernung der Schraudolph-Schwarzmann'schen Wandbilder im Speyerer Dom geschrieben.

    Man ist schon entsetzt, wie gerade Führer, die ihr Wissen nur aus sog. Standardwerken haben, solche Führungen gestalten. Oft fehlen Teile der Geschichte, werden nur angeschnitten oder unreflektiert wiedergegeben. Ich lese mir daher vor Touren lieber selber etwas an oder bilde mir Vorort ein Urteil, als mich auf einen Führer zu verlassen. Sicherlich habe ich als Kunsthistoriker auch einen anderen, tieferen Wissenshintergrund, aber dennoch. Ich möchte auch nicht alle über einen Kamm scheren, es gibt auch viele sehr interessierte Führer. Man ist nur öfter überrascht, wie dünn der wissenschaftliche Boden ist, auf dem sie stehen.

    In meiner Heimatgemeinde hat man die Deckenmalereien in der Pfarrkirche zeitgleich mit einem erweiternden Anbau entfernt (60er Jahre). Teile hätten sicherlich im Teil des erhaltenen Mittelschiffs gerettet werden können. Die ältere Mitarbeiterin der Pfarrei, die ich anfragte, meinte allerdings, Wasserschäden hätten den Erhalt damals unmöglich gemacht. Inwiefern da etwas Wahres dran ist, oder ob das nur als Vorwand diente, kann ich nicht beurteilen.

  • Habs mir gerade durchgelesen. Der Text ist gar nicht so wirr (abgesehen vom Intro). Der Argumentation muss man trotzdem nicht folgen:

    1. Dass Moden kommen und gehen, und ob etwas dauerhaft ist, hängt ja nicht am Ornament. Smartphones sind extrem schnörkellos, trotzdem werden wir genötigt, alle 2 Jahre ein neues zu kaufen. Einfache Möbel sind meist auf Verschleiß gebaut etc. Ein VDVS könnte man mit den Füßen eintreten. Die Logik des Kapitalismus macht sich dann eben auf andere Weise Bahn.
    2. Dass weniger Aufwand mehr Wohlstand bedeutet, da ist zwar was dran, aber auch nur insoweit man Aufwand bzw. Schmuck nicht als Teil des Wohlstands auffasst.
  • Der Artikel ist schon eine Achterbahnfahrt.

    Zitat

    Das kind ist amoralisch.

    Der papua schlachtet seine feinde ab und verzehrt sie. Er ist kein verbrecher.

    Diese Tabula-rasa These ist empirisch lange widerlegt. Verhaltensweisen und Präferenzen sind genetisch dominiert, auch bei Kleinkindern, und dazu zählt auch Ästhetik. Für seinen moralischen Relativismus nutzt er nun ausgerechnet "wilde Kannibalenstämme", als ob obskure Ausnahmen die Regel widerlegen könnten.

    Zitat

    Ornament ist vergeudete arbeitskraft...

    Meine schuhe sind über und über mit ornamenten bedeckt, die von zacken und löchern herrühren. Arbeit, die der schuster geleistet hat, die ihm nicht bezahlt wurde.

    Der moderne mensch, der das ornament als zeichen der künstlerischen überschüssigkeit vergangener epochen heilig hält, wird das gequälte, mühselig abgerungene und krankhafte der modernen ornamente sofort erkennen.


    Der Absatz ist besonders verwirrend, da er zwischen widersprüchlichen Positionen springt. Einerseits Arbeitswertlehre, welche den Wert einer Sache am Ausmaß der "verbrauchten" Arbeit festmacht, gleichzeitig verneint er aber den Wert des Ornaments, welche auf Arbeitsleistung basiert. Loos scheint zudem zu erkennen, dass Werte sich aus der subjektiven Nachfrage am Markt ergeben und dennoch will er auch dies verneinen, weil ihm persönlich moderne Ornamente als minderwertig erscheinen. Loos traut sich dennoch nicht, die Gesamtheit der Kunstgeschichte anzugreifen, deshalb muss er eine fiktive Furche zwischen guten, alten und bösen, modernen Ornamenten erfinden. Anscheinend kennt er auch die Kostenrechnung des Schuhmachers besser als dieser selber, ein echtes Multitalent.

    Zitat

    Da das ornament nicht mehr organisch mit unserer kultur zusammenhängt, ist es auch nicht mehr der ausdruck unserer kultur.

    Die Ornametik der Gründerzeit zur Zeit des Aufsatzes war natürlich völlig von den europäischen Stilen abgeleitet und somit Ausdruck unserer Kultur. Mir ist unklar, wie er dies verneinen will mit dem Zauberwort "organisch". Die viktorianischen Stuckpaläste in den Kolonien in Fernost wirken dort stets wie Fremdkörper, da sie eindeutig einen europäischen Stil folgen.

  • Zitat

    "Wo werden die arbeiten Olbrichs nach zehn jahren sein?"

    Hundert Jahre später gehören seine Bauwerke zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Wiens und sind Weltbekannt. Ich denke den wenigsten dürften die Gebäude Loos bekannt sein. Ich hielt Loos Gebäude am Michaelesplatz in Wien für einen kitschigen Neubau der Postmoderne, bevor ich in meinem Architekturführer gelesen habe, dass es sich hierbei um ein besonderes Bauwerk handeln soll. Wahrscheinlich bin ich aber zu degeneriert, um es zu erkennen.

  • Habs mir gerade durchgelesen. Der Text ist gar nicht so wirr (abgesehen vom Intro). Der Argumentation muss man trotzdem nicht folgen:

    1. Dass Moden kommen und gehen, und ob etwas dauerhaft ist, hängt ja nicht am Ornament. Smartphones sind extrem schnörkellos, trotzdem werden wir genötigt, alle 2 Jahre ein neues zu kaufen. Einfache Möbel sind meist auf Verschleiß gebaut etc. Ein VDVS könnte man mit den Füßen eintreten. Die Logik des Kapitalismus macht sich dann eben auf andere Weise Bahn.
    2. Dass weniger Aufwand mehr Wohlstand bedeutet, da ist zwar was dran, aber auch nur insoweit man Aufwand bzw. Schmuck nicht als Teil des Wohlstands auffasst.

    Eine neue Generation ist oft bemüht, sich von der vorigen abzunabeln und zu distanzieren. Und so kommt der o.g. Unsinn zu Stande. Ein Verbrechen ist es beinahe, solchen Spinnern eine Bühne zu bieten. Denn der öffentliche Druck zwingt dazu, auch Schwachsinniges mitzumachen. Kritik an Kaisers neuen Kleidern ist bekanntlich nur Kindern erlaubt. Das wirkt bis und gerade in unserer Zeit. Wenn auch Architektur-Ornamente aus reinen Kostengründen bei starkem Verfall nicht wieder hergestellt wurden, so spielt bei Möbeln z.B. ausschließlich die Mode eine Rolle. Alte Möbel wurden glattgehackt und geschliffen. Statt geschwungener Füße gab es nun verzierungslose Stiele. Und bei den Farben hakt es zur Zeit völlig aus. Einfarbig Grau und Schwarz dominieren. Was dies über die Geisteshaltung der Benutzer aussagt, bedarf noch näherer Erforschung.

  • Die Weisheiten von Loos sind mir zu einfach gestrickt und entsprechen schlicht nicht der Wahrheit. Es gibt eine Untersuchung, dass schön gestaltete Gebäude eine höheren Zuspruch https://www.tu-chemnitz.de/wirtschaft/bwl…ssaden_2017.pdf besitzen. Zudem ist die Nachhaltigkeit z. B. der Gründerzeitbauten nicht zu übertreffen. Auch nach über 100 Jahren werden diese verzierten und reich ausgestatteten Bauten von allen sozialen Schichten genutzt.

    ...

  • Eine 1968 von Friedensreich Hundertwasser vorgetragene Gegenrede zu Loos:

    "...Zurück zu Loos. Natürlich stimmt es, daß die schablonierten Ornamente Lüge waren. Verbrechen waren sie nicht. Durch die Abnahme der Ornamente wurden aber die Häuser nicht ehrlicher. Loos hätte das sterile Ornament durch lebendes Wachstum ersetzen sollen. Das tat er nicht. Er pries die gerade Linie, das Gleiche und das Glatte. Nun, jetzt haben wir das Glatte. Auf dem Glatten rutscht alles aus. Auch der liebe Gott fällt hin. Denn die gerade Linie ist gottlos. Die gerade Linie ist die einzige unschöpferische Linie. Die einzige Linie, die dem Menschen als Ebenbild Gottes nicht entspricht. Die gerade Linie ist ein wahres Werkzeug des Teufels. Wer sich ihrer bedient, hilft mit am Untergang der Menschheit. La ligne droite conduit à la perte de l’humanité."

    ...

  • Interessant, dass Adolf Loos in seinem Essay "Architektur" 1910 sagte:
    "Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat. Das Kunstwerk ist eine Privatangelegenheit des Künstlers. Das Haus ist es nicht.

    Nur ein ganz kleiner teil der Architektur gehört der Kunst an: das Grabmal und das Denkmal. Alles andere, alles, was einem Zweck dient, ist aus dem Reiche der Kunst auszuschließen."

    Wiederum weniger eine Steilvorlage für Modernisten als für uns.