Das Kaiserreich im Rückblick

  • Eben. Aber es lässt sich eben nicht die gesamte Menschheitsgeschichte in das Schema der Nationengeschichte pressen.

    Hat ja auch keiner getan.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • UrPotsdamer Der Nationenbegriff reicht bis ins 15. Jh. zurück. Er zeigt sich im Zusatz Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation ebenso wie z. B. in dem von Mazarin gegründeten Collège des Quatre-Nations in Paris. Neu ist im 19. Jh. lediglich die Idee des Nationalstaats, also die Identität von Staat und Nation.

    Und dass einem National-Denkmal des ausgehenden 19. Jh. der damalige Nationenbegriff zugrunde lag, sollte eigentlich auch niemanden wundern.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Seinsheim Die vier Nationen, nach denen das Collège Mazarin benannt wurde, sind Artois, Elsass, Pignerol und Roussillon. Offensichtlich ist das, was man im 17. Jahrhundert unter "Nation" verstand, also nicht deckungsgleich mit dem Nationenbegriff des 19. Jahrhunderts, was Deine gesamte Aussage etwas wohlfeil macht. Natürlich gibt es den Begriff "Nation" seit der Antike, denn das Wort hat seine Wurzeln im lateinischen. Was aber folgt daraus? Sicherlich nicht, dass die französische Nation die deutsche Nation seit dem 15. Jahrhundert unterwerfen wollte...

    Die Argumentationslinien des 19. Jahrhunderts kann man natürlich heranziehen, um zu erklären, warum Anfang des 20. Jahrhunderts mitten in Berlin ein "Nationaldenkmal" errichtet wurde und warum es so errichtet wurde. Hier wurden aber diese Argumentationslinien nicht zitiert als Erklärungsmuster einer vergangenen Zeit, sondern es wird so getan, als sei das heute noch Konsens der Historiker. Und das ist halt Unsinn.

  • Sicherlich nicht, dass die französische Nation die deutsche Nation seit dem 15. Jahrhundert unterwerfen wollte...

    Da haben Sie natürlich recht. Ich weiß auch, dass es Frankreich nicht darum ging, "Deutschland" als "Nation" zu unterwerfen. Es ging im Zuge der französischen Hegemonialpolitik darum, das eigene zentralistisch geführte Staatsgebiet auszudehnen, die Macht zu erweitern und benachbarte Gebiete zu unterwerfen bzw. sich einzuverleiben. Daraus entstand eben ein über Jahrhunderte andauernder aggressiver Druck Richtung Osten, der dann in den "Befreiungskriegen" im 19. Jhd. zu der nationalen Reaktion in den deutschen Staaten führte.

    Es ist doch fast egal, mit welcher Motivation Frankreich ständig seine Nachbarn belästigte: Mailand, Neapel, Flandern. Niederlande, Schweiz, Belgien, Spanien, Katalonien, Luxemburg, die schon genannten deutschen Gebiete. Frankreich war das Land, das in Europa zwischen 1700 und 1918 unter allen Staaten an den meisten Kriegen beteiligt war. (Frankreich 28%, England 24%, Preußen 8%) Das bräuchte uns heute wirklich nicht mehr interessieren, wenn nicht ständig und ausschließlich masochistisch und pauschal an den wilhelminischen militaristischen Missetaten herumgemäkelt würde.

  • @Stauffer bitte nenne mir eine Quelle, die im 17. Jahrhundert "Nation" im modernen Sinne verwendet.

    For your further education*: "Nation" bei Wikipedia

    *das heißt "für Deine/Eure weitere Bildung" (nicht dass mein Beitrag gelöscht wird wegen fremdländischer Sprache)

    EDIT: Wenn ich @Stauffer recht verstehe, dann gab es zwar im 17. Jahrhundert selbstverständlich eine französische Nation, die aber von den Bourbonen geleugnet und durch Bezeichnung von Provinzen als "Nationen" konterkariert wurde, damit diese französische Nation ihrer selbst nicht bewusst würde und das Königtum in Frage stellen könnte? (Oder in @Stauffer s Worten: "um den Nationenhintergrund klein zu halten und das Königtum zu schützen" )

    Diese Argumentation würde Sinn ergeben, wenn sie nicht an den Haaren herbeigezogen und durch keinerlei Quellen gestützt wäre. So ist sie aber mithin fehlerhaft, weil unsinnig und nicht satisfaktionsfähig.

  • Vielen Dank an alle Beteiligten für die Geschichtsdiskussion, die ich mit großem Interesse gelesen habe. Ich verstehe alle Standpunkte und kann die meisten davon geschichtlich nachvollziehen.

    Nur der Anstoß der Diskussion, die Idee, das Nationaldenkmal vor dem Berliner Schloss erst abzureißen, dann nicht wiederaufzubauen und dann endgültig zu zerstören, erscheint mir noch eigenartiger und widernatürlicher als zuvor schon. Und ich garantiere euch, selbst der deutschlandfreundlichste Franzose wird darüber verständnislos den Kopf schütteln.

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    Gutmensch = Gut gemeint, nicht zuende gedacht, schlecht gemacht

  • Ist das hier themenfremd?

    Wir arbeiten an der Deutung des leider verlorenen Nationaldenkmals vor dem Berliner Schloss. Ist nicht einer der wesentlichen Werte eines Denkmals, dass es zum Denken anregt und damit zur Diskussion?

    Ja, in der Weise, wie das hier geschieht, ist das in der Tat themenfremd.

    Zur Erinnerung: Es geht hier um das Schlossumfeld im Jahr 2020. Dabei kann man natürlich dieses Denkmal thematisieren, auch wenn es seit 70 Jahren nicht mehr besteht ( d.h. nun schon seit einer weit längeren Zeit als es vorher überhaupt existierte).

    Wenn man nun aber dieses Denkmal zum Anlass nimmt, vom Ostfränkischen Reich über Philipp den Schönen 1509, Ludwig XIV, bis Napoleon und Königin Louise alles in vielen Beiträgen detailliert aufzuführen, was einem gerade durch den Kopf geht, dann hat dies mit dem eigentlichen Thema nichts mehr zu tun und auch nichts mit einer "Deutung" des Nationaldenkmals.

    Es gibt unzählige, sehr gute Aufsätze, Abhandlungen, Bücher, die sich mit der Gesellschaft, Mentalität und Denken im Kaiserreich samt seiner jahrhundertelangen Vorgeschichte befassen. Es gibt keinerlei Grund, dies derart ausführlich in diesem Architekturforum zu tun. Wer dennoch darüber "diskutieren" will, könnte dies z.B. in einem Forum wie geschichtsforum.de ausbreiten.

    Ich glaube dir (Bentele) und anderen, dass ihr Euch um eine ausgeglichene historische Sichtweise bemüht. Es gibt hier aber auch andere, die in einer einseitigen nationalistischen Denkweise verharren und ein entsprechendes Geschichtsbild haben.

    Und dies ist wohl auch der Grund, warum einige solche "Diskussionen" hier für "interessant und ergiebig" halten: Insgesamt entsteht hier ein einseitiges Geschichtsbild, das sich anderswo kaum findet.

    Mir war kein einziges der in den Beiträgen aufgeführten historischen Details unbekannt, dafür fielen mir beim Durchlesen auf Anhieb jede Menge historische Fakten ein, die man genauso detailliert hätte aufführen können, die jedoch offensichtlich nicht in das eigene Denkschema passten.

    Denkmäler sind Zeugnisse von Ideengeschichte. Man kann die Geschichte und erst recht die Kunstgeschichte nicht begreifen, wenn man alles nur unter macht-, sozial- oder wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten betrachtet. Das Berliner Nationaldenkmal hat einen ereignisgeschichtlichen, aber auch einen ideengeschichtlichen Vorlauf...

    Ja sind sie. Das trifft aber z.B. auch auf das nach der Wende abgerissene Lenin-Denkmal zu, oder etwa auf das Marx-Engels-Denkmal samt dazugehörigen Forum. Wenn man diese o.g. Bedeutung dermaßen betont, dann müsste man - wollte man glaubwürdig sein - sich auch für den Erhalt dieses Denkmals einsetzen.

    Dies ist aber offensichtlich in dieser Runde ja nicht der Fall. Denn natürlich haben Denkmäler eine Doppelfunktion: Zum einen sich mit der Person, der Epoche, den Ereignissen auseinanderzusetzen. Zum anderen wird aber natürlich mit einem Denkmal auch die jeweilige Person geehrt.

    Was das Nationaldenkmal angeht, finde ich verblüffend, wie hier in den Beiträgen einfach vorausgesetzt wird bzw. so getan wird, als entspreche dieses Denkmal den Wünschen und dem Denken "der Deutschen" zu jener Zeit.

    Denn faktisch war es ein Denkmal, dass nach den Wünschen und Vorstellungen von Kaiser Wilhelm II. für seinen Großvater Wilhelm I. errichtet wurde. Es sagt insofern auch weniger über den damaligen Kunstsinn oder das damalige allgemeine Geschichtsbild aus, als über das des Kaisers.

    Dies wird aus der Entstehungsgeschichte des Denkmals deutlich:

    Es wurde damals der Bau eines Nationaldenkmals ausgeschrieben. Und "obwohl die Jury, die sich neben Künstlern unter anderem auch aus Mitgliedern des Reichstages und des Bundesrates zusammensetze, zu einem Entschluss kam, wurde der gekürte Vorschlag nicht in die Tat umgesetzt; Kaiser Wilhelm II. griff ein und wollte seine Vorstellungen verwirklicht sehen:

    "Ich bin von der Ausstellung der Entwürfe zu einem Kaiser-Wilhelm-Denkmal sehr enttäuscht. Vor allem weiß ich nicht, was die Architekten mit ihren riesenhaften Tempelbauten wollen. [...] Die Aufgabe ist nur durch einen Bildhauer zu lösen. Die Schlossfreiheit ist der geeignetste Platz und das alte Schloß der gegebene Abschluß für ein Monument, ähnlich denen des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen. [...] Ich würde keinem ausgestellten Modell einen Preis gegeben haben. [...] der einzige Entwurf, welcher der gestellten Aufgabe am nächsten kommt, ist der von Reinhold Begas." ...

    Kaiser Wilhelm II. übernahm nun allein die Planung. Er bestimmte, dass ein Reiterstandbild errichtet werden sollte und setzte eine Vielzahl weiterer Bedingungen voraus, die als Grundlage für einen erneuten Wettbewerb dienten. Diese Vorgehensweise wurde stark kritisiert und der Reichstag demonstrierte gegen das selbstherrliche Vorgehen Wilhelm II. mit der Kürzung der Mittel für den Bau des Denkmals von acht auf vier Millionen Reichsmark. ..Am 22. August 1891 sprach Wilhelm II. dem Bildhauer Reinhold Begas (1831-1911) den ersten Preis im Wettbewerb um die Errichtung des Reiterstandbildes aus."

    Zitat aus http://www.zeitreisen.de/schlossplatz/geschichte/denkmal.htm

    Das Denkmal war also ein Denkmal von Kaiser Wilhelm II. , der hier in seinem Agieren gegen die Volksvertretung (er nannte den Reichstag ja auch gerne "Reichsaffenhaus") wieder einmal seine antidemokratische Gesinnung demonstrierte. Ein Denkmal, mit dem er seinem Großvater huldigen wollte, der ebenfalls von dem Gottesgnadentum des Monarchen überzeugt war und etwa 1849 die demokratische Revolution blutig niederschlug.

    Auch dies war den damaligen Zeitgenossen (und nicht nur den Mitgliedern des Reichstages) durchaus bewusst.

    Es war eben auch ein Denkmal für die Monarchie als Staatsform.

    Es ist schon skurril, wenn man vermeintlich wichtige Details aus der jahrhundertelangen deutsch-französischen Geschichte langatmig ausbreitet, das Naheliegendste jedoch mit keiner Silbe erwähnt.

  • Das soll es von meiner Seite nun aber zum Historischen hier auch gewesen sein.

    Beim nächsten mal berichte ich Euch von der Bienenhaltung auf dem Berliner Dom, den Vorzügen und Nachteilen der Bienenhaltung in der Stadt und überhaupt den Problemen mit der Varoamilbe. Denn wir wollen ja nicht zu der "Generation Smartphone" (wie Heimdall so schön formulierte) gehören und uns für alle Hintergründe interessieren.

  • so getan wird, als entspreche dieses Denkmal den Wünschen und dem Denken "der Deutschen" zu jener Zeit.

    Das könnte man natürlich zu jedem Denkmal sagen. Auch in der Gegenwart. Auch z.B. bei der "Wippe". Aber eben bei weitem nicht nur bei ihr. Ebenfalls z.B. bei Straßenbenennungen oder -umbenennungen.

    Es sei denn, man setzt Parlamentsbeschlüsse mit "den Wünschen und dem Denken `der Deutschen´" gleich.

  • Willkommen in der repräsentativen Demokratie. Wenn es Dir nicht passt, wie Dein Abgeordneter abstimmt, wähl halt einen anderen. Wenn er keine Mehrheit bekommt, dann ist offensichtlich Dein Wille nicht der Mehrheitswille. Oder der Mehrheit ist es egal, was aufs selbe hinauskommt.

    Ich halte manche Straßenumbenennungen und Denkmalplanungen auch für unglücklich, und es wäre mir lieber, wenn anders entschieden worden wäre. Aber so ist das nun mal...

  • Da ich meine Blacklist erweitert habe, bekomme ich die "Ur-Potsdamerischen" Beiträge nicht mehr angezeigt, wenn ich eingeloggt bin. Allerdings war ich gerade mal nicht eingeloggt, da ich gleich mal außer Haus bin und den Rechner runterfahre, wollte aber noch kurz "Maecenas"´ Erwiderung lesen, und da wurde mir der Beitrag davor angezeigt.

    Dazu kurz. Dieser Beitrag interpretiere ich mal wieder als eine für mich typische (und erwartungsgemäß boshafte) Verkürzung mit Gedankensprung. Denn ich muss davon ausgehen, dass mit der Anrede "Du" ich gemeint sein soll, auf dessen Beitrag ja Bezug genommen wird, nicht ein allgemeines "Du", dass die gesamte Menschheit umfasst.

    Es ging darum, dass Regierungs- oder Parlamentsbeschlüsse nicht "den Wünschen und dem Denken `der Deutschen´" entsprechen müssen. Nicht nur in der Kaiserzeit, wie "newly" erwähnte, sondern ebenso heute, wie ich erwähnte. Eine Kritik der repräsentativen Demokratie war das erst mal noch nicht, sondern einfach eine Einordnung.

    Daraus wurde abgeleitet:

    1. Mir passt etwas nicht.

    2. Ich habe einen Abgeordneten im Wahlkreis gewählt.

    3. Ich kann einen anderen Abgeordneten wählen, worauf sich etwas ändern würde.

    4. Wenn mein Wille nicht zur Geltung kommt, dann ist das auch nur eine Minderheitsposition und nicht der Wille der Mehrheit (der Bürger? der Parlamentarier? der Regierungsmitglieder?). Woraus man ableiten kann: "so ist das nun mal" Was durch die Blume ausdrückt: "Nicht meckern. Klappe halten."

    Das sollten wir nicht nur bei der "Wippe" (gegen die ich ja übrigens derzeit sehr wenig Einwände habe), sondern auch bei anderen Bauvorhaben im Kopf behalten. Parlamentsbeschlüsse drücken offenbar den Willen "der Mehrheit" aus. Also lohnt sich nicht, diese zu kritisieren.

    Ist das dann noch repräsentative oder bereits autoritäre Demokratie?

  • So, da die Diskussion doch erheblichen Raum eingenommen hat, haben wir uns entschieden, sie doch in einen eigenen Strang zu verschieben. Generell ist nichts gegen die Diskussion über die Einordnung eines Denkmals einzuwenden, da sich dies ja direkt auf seine Gestaltung auswirkt.

    Das heutige deutsch-französische Verhältnis oder irgendwelche europäischen Industrieprojekte sprengen dann aber doch den Rahmen dieses Themas und wurden deaktiviert.

  • Ich kann alle möglichen Denkmäler aller (nicht-gewalttätigen) politischen und gesellschaftlichen Schattierungen tolerieren (selbst Marx und Engels), da ich nicht den Anspruch habe, zwischen berechtigten und unberechtigten Motiven zu unterscheiden.

    Fuchsig werde ich aber bei Denkmälern und Gebäuden, für die ohne Not, sondern aus politischen Motiven andere Denkmäler und Gebäude weichen mussten. Derartige Denkmäler und Gebäude zu bekämpfen und die Wiedererrichtung der originalen Denkmäler zu fordern hat meine volle Unterstützung.

    Deshalb war ich immer für die restlose Beseitigung des PdR (und kann das Staatsratsgebäude trotz bescheidener Architekturleistung gerne tolerieren), und deshalb hätte ich gerne die Kolonnaden zurück.

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    Gutmensch = Gut gemeint, nicht zuende gedacht, schlecht gemacht

  • Es ging darum, dass Regierungs- oder Parlamentsbeschlüsse nicht "den Wünschen und dem Denken `der Deutschen´" entsprechen müssen. Nicht nur in der Kaiserzeit, wie "newly" erwähnte, ...

    Also die Wahrscheinlichkeit, dass die gewählte Volksvertretung den Willen des Volkes abbildet, ist doch ungleich größer als dass ein Kaiser oder sonst wer es stattdessen tut.