Eine Chance für den Städtebau? - Schließung von "Galeria Karstadt Kaufhof"-Filialen

  • Schuld: jedes öffentlich zugängliche Gebäude zieht seine Daseinsberechtigung daraus, ob es eine Gastronomie hat.

    Ich möchte nicht von "Schuld" sprechen, denn ich erachte es als außerordentlich sinnvoll, wenn man schon zu 95 % Flachdächer verbaut, diese aufgrund des Platzmangels in unseren Städten auch sinnvoll zu nutzen. Seien es Dachterrassen, Flächen für Urban Gardening, Gastronomie, Sportplätze oder, gibt es auch schon, für Schafe ^^. Ich wüsste nicht was dagegen spricht.

    Dass du daraus die einzige Daseinsberechtigung öffentlich zugänglicher Gebäude ableitest, verstehe ich nicht. Als ob das Berliner Schloss aufgrund der (in diesem sehr speziellen (!) Fall durchaus strittigen) Dachgastro existiert.

  • Daraus die einzige Daseinsberechtigung öffentlich zugänglicher Gebäude ab[zuleiten], verstehe ich nicht. Als ob das Berliner Schloss aufgrund der (in diesem sehr speziellen (!) Fall durchaus strittigen) Dachgastro existiert.

    Es stimmt schon, oft werden für eine Stadt eigentlich abzulehnende Planungen doch zur Bewilligung gebracht, indem man noch eine Rooftop Bar, eine Aussichtsterrasse, oder sonstige Extras bietet. Auch eine Dachbegrünung wird gerne angeboten. Da stellt sich dann schon die Frage, ob man das dann wirklich gegeneinander aufwiegen will. Oft kommt ja auch nach so einem Angebot dann die unverhohlene Drohung, dann eben gar nichts zu machen, wenn das so jetzt nicht durch geht. Das deutet schon in die Richtung, dass solche ,,Dachkonzepte" faule Deals sind und gerade nicht als sinnvolles Angebot an die Bürger einer Stadt oder fürs Stadtbild konzipiert wird. Beim Berliner Schloss mag das völlig anders gelagert sein, aber bei anderen Projekten privater Investoren trifft die Analyse Begas schon zu.

  • Es stimmt schon, oft werden für eine Stadt eigentlich abzulehnende Planungen doch zur Bewilligung gebracht

    Mir wäre kein Planungsrecht bekannt, das die Baugenehmigung von einer Dachnutzung abhängig macht. Die städtischen Vertreter in Wettbewerben sind doch gerade selbst oft Befürworter moderner Gebäude. Dieser Satz liest sich für mich jedoch so, als ob Behörden oft zähneknirschend zustimmen würden, nur weil es Dachgastro etc. gibt.

    aber bei anderen Projekten privater Investoren trifft die Analyse Begas schon zu. [Analyse: "Jedes öffentlich zugängliche Gebäude zieht seine Daseinsberechtigung daraus, ob es eine Gastronomie hat."]

    Beim Berliner Schloss mag das völlig anders gelagert sein, aber bei anderen Projekten privater Investoren trifft die Analyse Begas schon zu.

    Ich bitte um konkrete Projekte, denen du die Daseinsberechtigung aberkennst oder die nicht verwirklicht worden wären, wenn auf dem Dach keine Gastro möglich gewesen wäre. Ohne Beispiele kann ich das nur schwer nachvollziehen.

  • Ja, ich glaube es war ein Fehler, nicht gleich konkret zu sein, so gab es jetzt mehr Unklarheit. Mein jüngstes Beispiel hierfür wäre ein Hotelneubau in Ulm in der Bahnhofstraße. Das Gebäude wird zur Zeit fertiggestellt. Es handelt sich um einen Ersatzbau eines deutlich kleiner dimenionierten Hauses, das auch schon deplaziert in der Fußgänger-/Straßenzone stand. Man hat hier mehrere Kröten als Stadt geschluckt, die Bebauung ist städtbaulich nicht sinnvoll, es wurde mit Überhang und Staffelung alles aus dem Grundstück herausgekitzelt, die Fassadengestaltung ist relativ lieblos. Was hat man nun gemacht? Es wurde noch eine Rooftopbar eingeplant, die extra noch Höhe dem Gebäude gibt, wobei das überhaupt nicht in die Umgebungshöhen sich einpasst, und präsentierte das als das Highlight. Die Stadt hat diesen Knochen gerne angenommen und selbst als das große Highlight herausgestellt. Es macht aber eigentlich gar keinen Sinn diese Bar, sie hat der Architektur des Gebäudes geschadet, der Bedarf fraglich (es gibt eine solche Bar schon drei Häuser weiter), und soweit ich weiß erfolgt die Erschließung über das Hotel.


    https://media.tophotel.de/uplo…ussenansicht-1392x887.jpg

  • Zunächst, ich hätte kurz einfließen lassen sollen, dass mein Beitrag ein wenig provokant geschrieben war. Ich wollte keineswegs damit ausdrücken, dass nur Gastronomie heute als Daseinsberechtigung von öffentlichen Gebäuden fungiert. Es ist aber unzweifelhaft ein wesentlicher Teil.

    Ob ich sie, die Gastronomie, dort brauche, sei dahingestellt, aber Majorhantines hat ja dargelegt, dass es durchaus förderlich für Bauprojekte zu sein scheint, wenn sie mit einer Gastronomie winken. Im folgenden könnte ich etwas ins Off-topic abrutschen, aber ich will kurz die Ansicht aus meinem Eingangsbeitrag erläutern.

    Dass die Betreiber eines solchen Gebäudes auch nicht gerne auf die Miete der Pächter verzichten wollen, steht außer Frage, aber oft fragt man sich doch nach dem Sinn dahinter.

    In meiner Heimatstadt gibt es ein Museum samt Café, das, wie es sich anfühlt, nie geöffnet hat. Es existiert, obschon die Innenstadt mit gastronomischen Angeboten und ein Biergarten nur einen Steinwurf entfernt sind. Die Tische und Stühle, die im Sommer draußen stehen, empfinde ich durchaus als störend beim Anblick der Fassade. Das winzige Töpfermuseum besteht quasi nur aus Gastronomie. Der kleine Außenbereich steht voller Tische und Stühle, durch die man sich erstmal bis zum Eingang durchkämpfen muss. Auch hier stören die Stühle und Tische das Auge vor dem eigentlich sehr interessanten alten Gebäude. Ein Buchhändler Vorort hat vor längerer Zeit ein neues Ladenlokal bezogen. Sein neues Konzept lautete Café und Antiquariat. Der Erfolg: die älteren Herrschaften rennen ihm die Bude ein, für Kaffee und Kuchen. Leute, die tatsächlich nach Büchern suchen werden zu Schauobjekten. Ein lokales Altenheim wirbt mit einem Café in der obersten Etage mit "Domblick". Das Café steht allen offen und macht auch öffentlich groß Werbung. All das ließ mich ratlos zurück.

    Es spielt hier auch mein persönlicher Eindruck eine Rolle. Offenkundig funktioniert heute nichts mehr ohne gastronomisches Angebot.

    Noch ein kleines Beispiel aus meiner Berufspraxis: gestern rief mich eine Dame an, die fragte, ob sie, aufgrund der steigenden Inzidenzwerte bei ihrem anstehenden Weihnachtsbaumverkauf wieder keinen Glühwein und keine Marshmellows anbieten dürften. Ist das bei einem Weihnachtsbaumverkauf notwendig?


    Ich finde es insofern überhaupt nicht verwunderlich, dass auch architektonisch immer mehr Rücksicht auf diese Kultur des "Verkonsumierens" genommen wird.

  • Na ja, diese Beispiele sind ja schon rein als Gebäude zu werthaltig, um unbedingt abgerissen zu werden. Was glücklicherweise auf den Rest nicht so zutrifft.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Langer Leerstand aufgrund der zu großen Fläche wäre ein Szenario mit anschließenden Verfall. Aber ich hoffe auch, dass sich lokal ein geeignetes Nachfolgekonzept finden lässt :anbeten:

  • Was nützen die Gebäude, wenn die Geschäfte verschwinden. Der Weggang vom Dessauer Galeria Karstadt aus dem Rathauscenter ist der größte Verlust an innerstädtischer Lebensqualität seit Jahrzehnten. Billigläden füllen die Lücken. Der Mediamarkt soll ins Center umziehen. Das ist kein Ersatz.

  • Na ja, und wieviele Kleinläden hat Karstadt verdrängt bzw ruiniert, gerade in Mittelstädten wie Hameln?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • "ursus", Dessau ist eine meinem Eindruck nach sterbende Stadt. Da ist jeder geöffnete Mac Donalds oder Woolworth oder H&M ein Strohhalm, an den man sich zu klammern versucht. Die Alternative zu einer Kaufhaus-Schließung bedeutet dort nicht ein Aufblühen des mittelständischen Einzelhandels, sondern Leerstand und Verfall.


    "Elbegeist" möge mich bitte korrigieren, wenn ich das als Nicht-Ansässiger zu einseitig und negativ bewertet habe.

  • Sieh es doch pragmatisch: Wenn Dessau eine sterbende Stadt ist und demnach bald sterben wird, wär es doch umso trauriger, wenn just der Karstadt überleben würde.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Die größte Kaufhof-Bausünde in Deutschland ist wohl die am Neupfarrplatz in der Welterbe-Altstadt von Regensburg. Ich hoffe immer inständig, dass ich es noch erlebe, wie man diese Betonburg abreißt und eine der Altstadt angepasste und würdige Bebauung dort hinsetzt.

  • Snork

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  • Ich habe eine Postkarte mit einer Luftaufnahme gefunden, zumindest das Gebäude in der Mitte scheint neueren Datums zu sein:


    Postkarte


    Schön ist das Gebäude nicht, man hat in der Mitte noch eine Fassade integriert:



    OT Persönlich viel häßlicher finde ich den Pustet-Neubau aus den 50ern in der Gesandtenstraße wenige Gehminuten entfernt. Noch armseliger ist nur die Pustet-Passage, die nach Norden in Richtung Haidplatz führt:


    Regensburger Tagebuch

    Le meilleur travail n'est pas celui qui te coûtera le plus: c'est celui que tu réussiras le mieux.

    (Jean-Paul Sartre)

  • Ich habe mir die Bilder angeschaut, und kann es nur anhand dieser beurteilen. Aber diese Pustet-Passage hat eigentlich Potenzial. Sie ist ja so etwas wie ein Gang durch den Block, was ja auch aus manchen anderen Städten bekannt und beliebt ist. Ich würde aber das Dach ganz weglassen oder allenfalls ein Glasdach darüber setzen.

  • Snork

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  • Galeria Kaufhof möchte 52 von 129 Filialen schließen - Spiegel Online.


    Zum einen glaube ich nicht, dass die Kaufhäuser in dieser Form noch eine wirkliche Zukunft haben. Auch nicht an den Standorten, die noch einigermaßen laufen. Eigentlich müsste die Idee des Kauhauses neu erfunden werden, um mehr jüngere Kundschaft und vielleicht auch mehr männliche Kundschaft anzusprechen. Ich traue Galeria Kaufhof weder ausreichende Veränderungsbereitschaft noch die nötige finanzielle Veränderungsfähigkeit zu.


    Zum anderen - so leid es mir für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tut - liegt in städtebaulicher Hinsicht in diesem Niedergang auch eine Chance. Die Kaufhäuser sind oft ja nichts anderes als, riesige, scheußliche Nachkriegskisten. Über den einen oder anderen Abriss könnte man sich sicherlich freuen.

  • Weitere 52 Filialen werden nun schließen. Darunter einige altstadtfeindliche Bausünden wie

    • Nürnberg Königstraße
    • Heidelberg Bismarckplatz
    • Stuttgart-Eberhard-Straße
    • Celle
    • Braunschweig
    • Hildesheim


    Leider schließt man in Saarbrücken die falsche Filiale. Statt das Karstadt am St. Johanner Markt ein schwarzer furchtbarer Klotz der die Altstadt bedrängt, wird Kaufhof am Hbf schließen…


    Die ausführliche Liste mit allen Filialen:


    Galeria Karstadt Kaufhof schließt 52 Warenhäuser: Diese Filialen sind betroffen
    Nicht ganz die Hälfte der verbliebenen Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen wird geschlossen. Das teilt der Gesamtbetriebsrat des Konzerns mit.
    web.de

  • Ach ja, vor 50-60 Jahren haben sich Ungetüme von Kaufhäusern und weitere Betonburgen durch die Altstädte gefressen. Und nun ist Schluss. Für diese kurze Periode wurden einzigartige, hunderte Jahre alte Altstadtbauten geopfert. So ist das mit der kurzlebigen Moderne...