Lehre für historische Architektur

  • Guten Abend zusammen,

    seit einer längeren Zeit interessiere ich mich für die Architektur des 19. Jahrhunderts (Klassizismus und Historimus) und würde gerne als Architekt selber angelehnt an diese Stile Gebäude entwerfen.

    Jedoch wird heutzutage im Architekturstudium auf die ursprüngliche eigentliche Architektur leider kaum bis gar nicht eingegangen. Das Entwerfen ist rein auf die Moderne und das Bauhaus ausgelegt. Von der harmonischen Gestaltung, Proportion und Gliederung von Architektur sieht man wenig.

    Nun würde ich mir gerne die historische Architektur selber beibringen, um diese anwenden zu können. Wie ihr wisst gibt es einen kleinen Kreis an Architekten, die im klassischen Stil entwerfen und bauen. Gerne würde ich irgendwann ebenfalls einen Beitrag dazu leisten können.


    Wisst ihr vllt. wie oder wo man eine Lehre zur historischen Architektur genießen kann? Habe gewisse Kapitel des „Handbuch der Architektur“ gelesen, bei weiterer Lektüre bin ich bisher unsicher ob sie mir weiterhelfen (müsste ich erst einsehen / kaufen) oder noch nichts konkretes finden können. Kennt ihr gute Lektüre zum Thema und Selbststudium?

    Zufällig habe ich mal was von einer Summer School in classical architecture in Schweden, oder dem Institute of classical architecture & Art in New York gefunden. Gibt es so etwas auch in Deutschland? Habe bisher leider nichts ähnliches finden können.


    Freue mich sehr über eure Tipps und Hinweise und danke vielmals dafür im Voraus.

    Viele Grüße
    Martin89

  • Martin89

    Vielen Dank für die wertvollen Tipps aus Schweden und USA! Eventuell habe ich einen für Dich noch unbekannten Buchtipp des Doyen der Traditionellen Architektur aus GB - Quinlain Terry: https://www.amazon.de/Practice-Class…5/dp/0847844900

    Ich habe mir die HP aus Schweden angesehen und wenn wir in unseren Gefilden auch einen solchen Nachwuchs hätten, dann würde ich mir um die Zukunft unserer geschundenen Städte wirklich keine Sorgen mehr machen, wenn man sich deren Entwürfe ansieht:

    https://engelsberg.intbau.org/galleries/

    Im Grunde genommen müssten vor allem die Grünen ganz heftig dafür sein, denn so eine Architektur ist wohl ökologisch das nachhaltigste Bauen auf Erden!

  • Zum Lesen ist "I quattro libri dell'architettura" von Palladio zu empfehlen. Es gibt sicher irgendwo gute Übersetzungen.

    Wenn Sie zurück zum Anfang gehen wollen, gibt es "De Architectura" von Vitruvius und "De Re Aedifactoria" von Alberti.

  • Exilwiener

    Gerne, ich war auch sehr beeindruckt, dass es so etwas gibt und welche Inhalte dort gelehrt werden. Das wäre meiner Meinung nach in Deutschland auch gut zu gebrauchen, vor allem für die hiesige Architektur.

    Danke für den Buchtipp! Den kannte ich bisher nicht.


    Atala

    Dankeschön für die Hinweise. Die beiden Bücher aus der Renaissance bzw. Antike habe ich bereits durchgeschaut. Ich finde diese Lektüre grundlegend wichtig und interessant, jedoch suche ich etwas was mehr an die Architektur des 19. Jahrhunderts angelehnt ist. In dieser Zeit sind mehrere Gebäudetypen entstanden (Geschäftshäuser, Verwaltung, Ausstellungsbauten, Bahnhöfe, usw.) auf welche der Stil des Historismus jeweils passend angewandt wurde. Sprich es gibt mehr Typologien, welche auch auf die heutigen übernommen werden könnten.


    Das Handbuch der Architektur ist auch ein sehr komplexes und breit gefächertes Werk der Architektur des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich finde es für ein Selbststudium jedoch etwas zu plakativ und nicht ausreichend erklärend. Zur Info: Es ist weitgehend vollständig digitalisiert Handbuch der Architektur Wiki


    Weiß jemand wie und was die zeitgenössischen Architekten gelernt haben? Was waren damals in der Berliner Bauakademie z.B. die Lerninhalte?


    Viele Grüße

    Martin89

  • Hallo zusammen,

    wollte ergänzend noch mal konkret in die Runde des Forums fragen, ob denn historische Architektur in Deutschland überhaupt in einer Form gelehrt wird?

    Bisher konnte ich im Internet nichts dazu finden.

    Für Hinweise vorab besten Dank!

    Viele Grüße

    Martin89

  • Weiß jemand wie und was die zeitgenössischen Architekten gelernt haben? Was waren damals in der Berliner Bauakademie z.B. die Lerninhalte?

    Bauliche Fakultät der Berliner Akademie der Künste (Vorgänger der Bauakademie):

    Mitglieder des Oberbaudepartements lehrten zunächst die technischen Aspekte der Baukunst mit folgenden Inhalten: Land- und Feldmesskunst, Mechanik, Hydrostatik, Hydraulik, Aerometrie, sowie Civil- und Wasserbaukunst. Im Jahre 1790 wurde eine architektonische Klasse eingerichtet, deren Leitung der Oberhofbaurat Friedrich Becherer übernommen hatte. Diese Klasse behandelte die „Construktion und Veranschlagung der Stadtgebäude, die Geschichte und den guten Geschmack in der Baukunst und architektonisches Zeichnen“.

    Berliner Bauakademie:

    Zweck der Anstalt sei die theoretische und praktische Bildung tüchtiger Feldmesser und Baumeister.“

    Friedrich Becherer lehrte Baukonstruktion, Johann Albert Eytelwein Mechanik und Hydraulik, Heinrich August RiedelDeichbau und David Gilly Schleusen-, Brücken-, Hafen- und Wegebau. Als Lehrer wurden weiter eingestellt: Heinrich Gentz für Stadtbaukunst, Salomo Sachs für Maschienen-Zeichnen, Riedel jun. für ökonomische Baukunst, Aloys Hirt für Geschichte der Baukunst, Friedrich Gilly für Optik, Perspektive und Zeichnen sowie Paul Ludwig Simon für Bauphysik.

    ...

    Am 1. April 1879 erfolgte der Zusammenschluss der Bauakademie mit der Berliner Gewerbeakademie zur Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin in Charlottenburg, aus der später die Technische Universität Berlin hervorging.

    Manch einer der Lehrenden hat Schriften oder Bücher verfasst. Weitere Lehrinhalte und -materialien lassen sich vielleicht über die Nachfolgeeinrichtungen finden.

    Friedrich Weinbrenner - Architekt, Stadtplaner und Baumeister des Klassizismus - hat Vorlesungen u.a. in Berlin besucht und später ein "Architektonisches Lehrbuch" in 3 Bänden verfasst, welches für nicht wenig Geld hier erworben oder im Archiv der Uni Heidelberg online eingesehen werden kann.

    Es müssen auch nicht unbedingt Lehrbücher sein. Man kann auch in Monografien über die Bauwerke eintauchen, diese vor Ort studieren, auf sich wirken lassen und sich so bilden.

    Generell denke ich, dass das Studium alter Bücher Dich Deinen favorisierten Baustilen näherbringen und Deinen eigenen Stil beeinflussen kann, jedoch würde ich an Deiner Stelle eher versuchen, über ein Praktikum in einem Architekturbüro, das selbst in der gewünschten Richtung arbeitet, Deinem Ziel näher zu kommen. Oder im Bereich Denkmalpflege, Sanierung, Rekonstruktion Erfahrungen sammeln. :zwinkern:

  • Im November 2020 wird ein Buch erscheinen, das auf satten 544 Seiten das Studium an der Bauakademie beleuchtet.

    "Baukunst und Wissenschaft: Architektenausbildung an der Berliner Bauakademie um 1800" von Christiane Salge

    ...Das Buch beschreibt auf Basis von reichem Quellenmaterial die Gründungsphase der Institution, den Aufbau und Inhalt der Lehre, die Zusammensetzung des Lehrpersonals und die Karriere ihrer ersten Schüler. Auf dieser Basis und in der Zusammenschau mit anderen Architekturschulen wird die herausgehobene Rolle der Bauakademie als Vorreiterin für einen umfassenden Architekturunterricht im europäischen Kontext erarbeitet...


    zu erwerben u.a. hier zum Preis von 99,- Euro.

    Jedoch wird heutzutage im Architekturstudium auf die ursprüngliche eigentliche Architektur leider kaum bis gar nicht eingegangen. Das Entwerfen ist rein auf die Moderne und das Bauhaus ausgelegt. Von der harmonischen Gestaltung, Proportion und Gliederung von Architektur sieht man wenig.

    Nun würde ich mir gerne die historische Architektur selber beibringen, um diese anwenden zu können.

    Ich finde Moderne / Bauhaus und harmonische Gestaltung, Proportion und Gliederung schliessen einander nicht aus. Schlechte Beispiele gibt es immer wieder, in jeder Epoche, auch in anderen vergangenen Baustilen.

    Ein Lehrbuch oder Handbuch "Wie entwerfe ich klassische Architektur" zu finden, um es dann im Selbststudium zuhause zu verinnerlichen, wird Dich Deinem Ziel - später selbst in dieser Richtung tätig zu sein - nicht so nahe bringen wie das Erlernen der Grundprinzipien von Architektur (allgemeingültig von der Lehmhütte übers barocke Schloss bis zum Wolkenkratzer), also dem Rüstzeug. Somit ist es egal, anhand welches Baustils diese Grundlagen an der jeweiligen Hochschule/Uni durchgenommen werden. Aufgabe und vor Allem Resultat der Berliner Bauakademie war es auch nicht, lauter kleine Schinkels zu produzieren. Das hätte selbst Schinkel nicht gefallen.

    Anforderungen, Möglichkeiten, Technologien, Chancen aber auch Zwänge für die Architektur entwickeln sich ständig weiter wie auch die Gesellschaft selbst. Gut also, wenn man ein allgemeingültiges Rüstzeug hat, mit dem man arbeiten und auf Veränderungen reagieren kann.

    Der Klassizismus ist auch mein favorisierter Baustil, insofern würden mich die erwähnten Seminare in Schweden und New York auch sehr interessieren, allein schon kunsthistorisch. Etwas Ähnliches in Deutschland ist mir nicht bekannt. Bei entsprechenden finanziellen Mitteln wäre eine Teilnahme für Dich sicher bereichernd und inspirierend. Vielleicht kannst Du auch ein Stipendium auftreiben oder gilt da auch dieses Erasmus-Programm? Aber wie gesagt, es gibt kein Allheilmittel, also kein "Schinkel-Zertifikat". Besser oder unbedingt ergänzend wäre Learning by doing in einem Architekturbüro "Deines Vertrauens" (Deines stilistischen Vertrauens). ;)

    Hier habe ich noch einen Aufsatz gefunden über "Historisierende Architektur als zeitgenössischer Stil" von Eva von Engelberg.

  • Guten Abend zusammen,


    zunächst möchte ich allen vielmals für die informativen und ausführlichen Rückmeldungen bedanken! Über die Beteiligung freue ich mich sehr!


    Den Strang „Bericht eines Studenten“ finde ich spannend und verfolge ihn. Die genannten Erfahrungen im Studium konnte ich teilweise auch machen. Nun möchte ich mich davon quasi „abwenden“ und den historischen Stil angehen, welcher wie ich oft merke, doch von sehr vielen favorisiert wird.


    Die Arbeiten des Büros Patzschke in Berlin finde ich z.B. sehr gelungen! Hier im Ruhrgebiet ist mir kein Büro bekannt, welches in dieser Art und Weise entwirft. Auch die Bereiche Denkmalschutz und Rekonstruktion sind hier nicht so sehr ausgeprägt. Die Architektur im Ruhrgebiet ist ja ein ganz anderes (sehr langes) Thema!
    Drum sehe ich für mich aktuell den Weg des Selbststudiums (Bücher, Gebäude studieren, skizzieren) als passend - mit anschliessenden ersten Versuchen von Entwürfen a la learning by doing (welche ich hier bei Interesse gerne beitragen würde :wink:).
    Aktuell weiß ich jedoch noch nicht wie man z.B. eine Fassade proportioniert und gliedert huh:).

    classica vielen Dank für den Buch Tipp, welcher meiner Bücher-Wunschliste ergänzt wurde, und dem Aufsatz.
    Was aber meinst du genau mit Rüstzeug? Was wären die richtigen zu erlernenden Grundprinzipien? Ich finde dass die Grundprinzipien der historischen Architektur nicht mit denen an der Hochschule gelernten Grundprinzipien der modernen (Bauhaus) Architektur übereinstimmen bzw. übereinander gelegt werden können.
    Die Grundprinzipien der Klassik beruhen doch auf der Proportion, Gliederung, Säulenordnungen, Ornamenten, Anordnung von Fassadenöffnungen, Gestaltung einzelner Bauteile, usw.? Die der modernen nach den „Fünf Punkte zu einer neuen Architekten“ von Le Corbusier!?


    Über weitere Hinweise und Anregungen freue ich mich!
    Besten Dank und viele Grüße

    Martin89

  • Die Grundprinzipien der Klassik beruhen doch auf der Proportion, Gliederung, Säulenordnungen, Ornamenten, Anordnung von Fassadenöffnungen, Gestaltung einzelner Bauteile, usw.?

    Ich möchte davor warnen, klassische Architektur auf dieses rein Objektive zu beschränken. Wenn man das tut, erschafft man zwar Gebäude, die auf dem Papier alle Punkte der Klassik abhaken, aber trotzdem seelenlos wirken.

    Früher gab es auch das Prinzip des Decorum, der Angemessenheit / Schicklichkeit, um mal ein Beispiel für die geistige Basis der klassischen Kunst zu nennen. Dieses Gefühl, was angemessenen ist und was nicht, fehlt in unserer heutigen Gesellschaft.

  • Aktuell weiß ich jedoch noch nicht wie man z.B. eine Fassade proportioniert und gliedert

    Eine wirklich ernst gemeinte Frage: Ist ein Architekturstudium heutzutage wirklich so abstrakt, dass man das nicht lernt? Das würde so vieles erklären und wäre der Beweis, dass durch die jahrzehntelange Negierung alter Bautradition tatsächlich Lehrwissen verloren gegangen ist. Architektur nur noch als Physik und Ökonomie und nicht mehr als Kunst?

  • Martin89 Mit Rüstzeug meinte ich eigentlich die Grundlagenfächer, die mir im Lehrplan der Bauakademie ach so bekannt vorkamen. Vielleicht hatte ich mich da falsch / zu hochtrabend ausgedrückt.

    In die Richtung von @Primergy geht dann schon eher Winckelmanns Grundgedanke von "edler Einfalt und stiller Größe". Aber ob man sowas anhand eines Lehrbuchs erlernen kann, wage ich zu bezweifeln. Ich meine, die Jungs haben sicher damals auch über Grundlagenfächer wie Statik und Hydraulik gestöhnt, aber die ganze Zeit verströmte eben einen Geist von Aufklärung und Erneuerung, der die ganze Gesellschaft durchdrang und sich in ihren Entwürfen niederschlug.

    Genauso verströmt die jetzige Zeit auch einen Geist, der ebenso die ganze Gesellschaft durchdringt und sich in der Architektur niederschlägt. Das Ergebnis kennen wir alle...

    Was ich sagen will ist, dass - da es ohnehin nicht DIE eine Formel zur Erstellung guter, klassischer Architektur gibt, die man aus einem Lehrbuch erlernen könnte und dann geht's los... - die Bildung des Geistes, der Persönlichkeit, des Allgemeinwissens, des Charakters einen nicht unwesentlichen Anteil am Gelingen des Ganzen hat. Neben dem Erlernen des Handwerks, der Grundlagen natürlich.

    Herrje, klingt das jetzt schwülstig?

    In welchem Studienjahr bist Du?

    Im Strang "Traditionelle Architekten" habe ich noch erbse s lange Liste neoklassischer Architekten gefunden, wo auch mehrere im Raum NRW aufgeführt sind inkl. Link zur Website. Vielleicht wirst Du da fündig.

  • ... Aktuell weiß ich jedoch noch nicht wie man z.B. eine Fassade proportioniert und gliedert huh:). ...


    ... Über weitere Hinweise und Anregungen freue ich mich!
    Besten Dank und viele Grüße

    Martin89

    Ich möchte Dir zu deinem Bedarf und deiner Wunschbücherliste folgendes Werk nennen, das Dich hoffentlich bei deinen Fragen voranbringt:

    Hans Issel:

    Das Entwerfen der Fassaden (1.Ausgabe 1906, 2.Auflage 1923)

    Der Nachdruck hier von 2003 beinhaltet letztere Auflage und steht gegenüber dem Erstdruck zwar noch unter dem Eindruck des Historismus, behandelt jedoch in der Zeit nach dem 1.Weltkrieg vor allem die Reformarchitektur, eine konservative Ausrichtung, die im Gegensatz zum Historismus auf direkte Zitate früherer Bauepochen verzichtet und verstärkt traditionelle wie regionale Bautypen weiterentwickelte.


    >>> https://www.amazon.de/Das-Entwerfen-…l/dp/3826209001

  • Hallo zusammen,


    so wie ich das verstehe, ist das Entwerfen im Sinne des Historismus nicht nur das Auftragen von Linien auf dem Papier. Es ist vielmehr ein Lebensstil, ein Gefühl .... aber dies heutzutage zu lernen oder aufzunehmen fällt wohl im Alltag mit den vielen Einflüssen der anderen Art sehr schwer.
    @Primergy und classica so habe ich das aufgefasst, so schwülstig klang es nicht :smile: und danke für die Büros in NRW - werde ich mir genauer ansehen.

    Die Erfahrungen in meinem Architekturstudium sind ähnlich wie im Strang „Bericht eines Studenten“. Historisches wurde nur in 1-2 Semestern Baugeschichte und Architekturtheorie angeschnitten. Die gewissen Begriffe und Elemente wurden erwähnt. Wie man sie aber deuten und anwenden soll wurde nicht erklärt. Somit auch nicht wie eine Fassade proportioniert und gegliedert werden soll. Fassaden entstanden oft „von selbst“ durch den Grundriss. Nur manchmal hat man dann da noch Hand angelegt. Diese waren dann oft trotzdem „platt“, ohne großartigen Vor- und Rücksprünge, Dachüberstände (wenn es mal kein Flachdach war) oder ganz zu schweigen von Gesimsen oder Sockeln. Mit Kunst, im Vergleich zu vor 150 Jahren, hat Architektur m.E. heute so gut wie nichts mehr zu tun.
    Gerne schildere ich in dem Strang mal meine Erfahrungen zum Studium, welches ich 2013 abgeschlossen habe. Seit dem bin ich als Architekt tätig und versuche nun diesen Weg einzuschlagen, um einen Beitrag für Schöneres Bauen zu leisten.

    zeitlos besten dank für den weiteren Buchtipp - wurde auf meiner Liste ergänzt :thumbup:


    beste Grüße

    Martin89

  • Ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann Martin89, ich habe weder ein Studium in Architektur oder Architektur-Geschichte, noch habe ich Fachliteratur zum Historismus gelesen oder arbeite im Baubereich. Mein Wissen bezieht sich deshalb alleine auf das, was ich an Architektur gesehen und erlebt habe und meiner sporadischen und nicht wirklich professionell ausgeprägten Leidenschaft, Gebäude zu zeichnen. Da derzeit vor allem Wohnungsbauten lukrativ sind und somit am interessantesten für einen Architekten sind, vor allem aber hier ein größerer Schwerpunkt als bei anderen Zweckgebäuden auf Gestaltung gelegt wird, möchte ich hier ein Aufbau eines typischen Wohnhauses des Historismus durchgehen. Dieser ist ziemlich einfach und erfordert meines Erachtens kein umfangreiches Wissen in Proportionslehre. In meinem Beitrag möchte ich auch nicht im Detail auf den Stuck eingehen, der ist meines erachtens einfach Fleißarbeit, sondern diesen nur grob wiedergeben. Ich weiß auch nicht wie man mit einem Zirkel arbeitet und rechne die Größenverhältnisse deshalb einfach aus, arbeite auch nicht so milimeter genau bei den Größenabständen.

    Zuerst zeichne ich ein Viereck mit "goldenen Proportionen". In meinem Beispiel gehen ich von einem Investor aus, der sein Grundstück möglichst effizient verwerten möchte, weshalb das Viereck aufgerichtet wird. Ohne geometrische Werkzeuge behelfe ich mir damit, die Länge der Straßenseite mal 1,6 für die Höhe zu rechnen. In meinem Beispiel beträgt die Breite des Grundstücks zur Straße 5 cm, demnach ist mein Haus 8 cm hoch. Weiter gehe ich davon aus, dass mein Haus vier Stockwerke hat. Ich würde heutzutage einem Gebäude, welches nicht die selbe Geschosshöhe in jeder Etage hat, wenig Chancen geben und teile deshalb die Gebäudehöhe durch 4 = 2 cm pro Etage. Gleiche Etagenhöhen sind allerdings für den Historismus auch nicht unüblich.

    Nun kann ich an die Fenster gehen. Beliebt war das Größenverhältnis doppelte Höhe zur breite. Häufig entspracht der Abstand zwischen den Fenstern deren Breite. Außerdem muss beachtet werden, dass die Anzahl der Fensterachsen ungerade sein sollte. Ich entscheide mich in meinem Beispiel für 3 Fensterachsen. Da ich die Flächen zwischen den Fenstern gleich groß haben möchte, teile ich die Etage in sieben gleich große Abschnitte (Mauer - Fenster - Mauer - Fenster - Mauer - Fenster - Mauer), rechne also 5 cm / 7 = ca. 0,71 cm. Da ich gleich hohe Etagen habe, habe ich auch gleich hohe Fenster, welche demnach ca. 1,42 cm hoch sind. Diese werden jetzt in jedes 2te siebentel eingesetzt.

    Als Architekt muss man jetzt wohl darauf achten, auf welcher Höhe in dem Kästchen die Fenster eingesetzt werden, um gute Fensterhöhe für die Bewohner zu erreichen. In meinem Beispiel habe ich die Fenster so eingesetzt, dass es in etwar passen sollte. Ich habe in meinem Beispiel ca. 3 mm zum unteren Kästchenrand Platz gelassen.

    Jetzt habe ich noch ein Kellergeschoss hinzugefügt, damit das Erdgeschoss erhöht ist und nicht alle hinein schauen können.

    Nun gehe ich an den wichtigsten Teil der Fassade, die Fenster. Diese sollten unbedingt Sprossenfenster sein. Hier stehen mir nun bei dem Fenster-Größenverhältnis, doppelte Höhe zur Breite, die folgenden typischen Sprossenfenster zur Auswahl:

    Typisch für den Historismus ist der letzte Typ, deshalb wähle ich diesen.

    Nun hat man das Grundgerüst und kann sich an den Fasadenschmuck machen. Ich fange mit dem Erdgeschoss an. Das Erdgeschoss stellt den Sockel dar und ist entsprechend am schlichtesten Gestaltet. Er soll Stabilität repräsentieren. Leider wurde sehr oft in späteren Zeiten dieses Geschoss durch Ladeneinbauten geöffnet und dieser Funktion beraubt. Die Fenster erhalten eine einfache Rahmung und die Mauerabschnitte erhalten eine einfache horizontale Gliederung durch Einschnitte in den Putz. Die Gesims deute ich hier in meinen Zeichnungen nur an.

    Die erste Etage ist die Beletage, sie erhält den aufwendigsten Schmuck. Eigentlich gibt es immer 2 Gurtgesimse zwischen dem Erdgeschoss und der Beletage.

    Zwischen diesen Gurtgesimsen wurde dieser Schmuck (hier nur angedeutet, aber ich denke du verstehst was ich meine) angebracht:

    Nun kommen wir zum Fensterschmuck, dieser füllt meistens die Fläche zwischem der ersten Etage und der zweiten Etage aus und hat als Prägendes Element einen Giebel, bestehend meistens aus einem Dreieck und/oder einem Halbkreis, es gibt aber auch gesprengte Giebel usw. In meinem Beispiel verwende ich beide Formen.

    Das zweite Stockwerk erhält eine Fensterbank und einen Rahmen, der Giebel über den Fenstern sollte aber flacher ausfallen als bei der Beletage. Sehr gern wird hierzu die Fläche über dem Fenster wie in der Beletage mit einem Architrav versehen, jedoch der Giebel weg gelassen:


    alle Bilder von mir

  • Das vierte Stockwerk wird von den darunter liegenden Stockwerken durch ein Gurtgesims getrennt, es hat meist eine ähnlich einfache Rahmung wie das Erdgeschoss.

    Da bei den Gebäuden des Historimus der Fasadenschmuck meist sehr reich ist, sollte man die Wandflächen zwischen den Fenstern noch weiter gliedern. Beliebt war im Historismus dafür Klinker, welcher mit seinen Mauerfugen gut gliedert, oder aber man gliedert die Wandflächen wie im Erdgeschoss durch horizontale Einkerbungen in den Putz, sie sollten aber feiner ausfallen als im Erdgeschoss.

    Nun fehlt noch der Abschluss zum Dach, da gibt es unzählige Möglichkeiten, ich wähle wieder ein eher einfaches Gesims. Schau dir hierfür am besten an, wie antike Bebäude den Dachabschluss gestaltet haben und lass dich inspirieren.

    Auffällig ist, dass solche einfachen historistischen Gebäude selten eine Attika besitzen, hier kann also einfach das Dach kommen.

    alle Bilder von mir

    Meines erachtens wars das und du wirst sehen, dass die meisten Wohnhäuser das Historismus dieser Anleitung folgen, jedoch mit einer großartigen Fülle an unterschiedlichem Ornament es schaffen, keine Monotonie aufkommen zu lassen. Bei den Details wie Türen-, Fenster- und Schmuckdesign musst du dich einfach mal umschauen. Da unser Schmuckkanon auf antiken Tempeln beruht, sollte man deren Details studieren, um diese Elemente wieder zu verwenden. Ich hoffe ich konnte dir irgendwie helfen. Ich bin sehr gespannt auf die Meinung der Mit-Foristen und ob meine Erkenntnisse widerlegt werden können. Das meiste habe ich mir zusammengereimt und kann meine Ideen nicht wirklich überprüfen. Wenn mir hier jemand Hinweise geben kann, wäre ich unglaublich dankbar.

  • Graf Cylinar Tolle Bildabfolge, aber meiner Meinung nach stimmen deine Fensterabstände nicht, sie erinnern eher an die heutigen Maßstäbe, wo man mit bodentiefen Fenstern hohe elegante Stockwerke simulieren will, dabei sind diese Bauten in der Stockwerkshöhe genauso zusammengepfercht wie ihre Kollegen aus den 50ern und 60ern.

    Ich habe mir mal einen echten Historismusbau zum Vorbild genommen, dieses Prachtexemplar stand mal am Heumarkt in Köln, und habe an den Fensterkanten Linien eingefügt:

    Färbt man die Fensterflächen ein und entfernt das Foto, sieht es so aus:

    Ich habe mal die Abstände in Pixel eingefügt. Bei aller Messungenauigkeit würde mich schon interessieren, welches System dahinter liegt. In meinen Augen ist dieser Bau nämlich ganz fantastisch gelungen.

    Deutlich wird jedenfalls der deutlich höhere Fensterabstand. Bei Graf Cylinar beträgt er laut meiner Berechnung 1,5 : 0.5, also 1 : 0,3333, während beim Gebäude am Heumarkt vom 1. Stock zum 2. Stock ein Verhältnis von 86 : 76, also 1: 0,88 vorliegt. Ein sehr deutlicher Unterschied. Das Verhältnis bleibt aber nicht bestehen, vom 2. zum 3. Stock ist es 1: 0,77 und beim Übergang vom 3. zum Dachgeschoss 1 : 0,61.
    Das in der Mitte nochmal unterteilte Erdgeschoss ist ja auch sehr interessant. Des Rätsels Lösung würde mich allerdings wirklich interessieren, ich kann mir kaum vorstellen, dass man das willkürlich so gebaut hat.

  • Vielen Dank für die Ergänzungen Centralbahnhof. Tatsächlich sind mir die schlechten Abstandsflächen zwischen den Etagen bereits beim Zeichnen aufgefallen. Zur Vergrößerung des Abstands hätte ich die Anzahl der Fensterachsen erhöhen können, bei fünf Achsen sahen die Fenster jedoch zu klein aus und vier Achsen wären ein schlechtes "Lehrstück" gewesen. Mit unterschiedlich hohen Etagen hätte man wohl das Problem am besten lösen können, aber die wollte ich eigentlich vermeiden. Deine Analysemethode mit dem Gittermuster finde ich richtig klasse und werde sie auch mal ausprobieren. Bei den Proportionen des von dir gezeigtem Hauses fällt mir auf, dass die Unterteilung in die ersten beiden Geschosse und die drei darüber liegenden dem goldenen Schnitt entspricht.