Berliner Wohnsiedlungen bis 1945

  • Sehr interessant, vor allem in Hinblick auf ähnliche Wiener Phänomene, die sich ganz allgemein eher an den letztgezeigten Beispielen orientieren. Die erstgezeigten Bauten sind deutlich verspielter. War wohl auf die Lage des Viertels bzw auf den sozialen Stand der Bewohnerschaft zurückzuführen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Die Häuser sehen allen gut gepflegt aus, leider sehen Strassenmöbülair, Gehsteige, Parkplätze und Grünanlagen etwas ungefflegt und manchmal sogar deprimierend aus.

    Fand das extrem in Strassen westlich der Südstern oder s:udlich der Kottbusser Damm in Kreuzberg. Dort muss und soll doch auch viel gemacht werden um Grünanlagen, Gehsteige, Grafitti und Fassaden der Nachkriegsbauten etwas aufzumuntern oder aufzuwerten. Kostet viel Geld aber lohnt sich wenn nur die Bürger sich etwas mehr benehmen. Einwanderung ist niemals günstig und Berlin vor dem Krieg war ohne Zweifel eine sehr gut gepflegte und saubere Stadt. Die Bilder sprechen vor sich selbst. Strassen und Plätze im selben Baustil, breite und reibungslosse Gehsteige, frische jung Lindenbäume entlang breite Allleen, Grün statt Asphalt......

  • Sich an Baustilen vergangener Epochen zu orientieren, ja diese auch ein Stück weit zu idealisieren, ist keineswegs eine Besonderheit heutiger Zeiten. Wie wir weiter oben im Strang sehen konnten, hingen durchaus bedeutende und produktive Architekten der Weimarer Zeit der "guten Alten Zeit" der Baukunst um 1800 nach. Es ist hingegen schon eher eine Neuheit und Besonderheit der heutigen Zeit, mit einer gewissen Verachtung auf Architekten hinabzublicken, die sich die Baukunst und Stilcharakeristika früherer Epochen in ihren Entwürfen zum Vorbild nehmen. Wer ein wenig zur Frage der zeitgenössischen Rezeption konservativer, ja "rückwärtsgewandter" Bauvorhaben der Zeit nach dem 1. Weltkrieg recherchiert, wird feststellen, dass diese damals von vielen Architekturkritikern positiv besprochen und als vorbildhaft gelobt wurden. Heute scheint auf den Autoren von Architekturkritiken in Fachpublikationen und im Feuilleton ein wesentlich höherer Konformitätsdruck zu lasten. Auch für die Jurys heutiger Architekturwettbewerbe scheint dies leider zu gelten - mit der regelmäßigen Konsequenz, dass konservative, einer nicht-"modernen" Tradition verpflichtete Bauentwürfe nicht einmal mehr eingereicht werden. Wozu sollte man sich auch die Mühe machen, wenn die Realisierungswahrscheinlichkeit bei null liegt? Dieser subtile, aber tief wirkende, einengende Konformitätsdruck, der auf der Gegenwartsarchitektur lastet, führt eben letztlich auch dazu, dass wir in diesem Forum mit Worten und Bildern dokumentieren und zu verstehen versuchen, warum die bauliche Welt der letzten 60 Jahre, in der wir leben müssen, so ungut und schwer zu ertragen ist - und warum es anscheinend so enorm schwer ist, etwas daran zu ändern.

    Heute möchte ich für einen kleinen Exkurs die geografischen Grenzen dieses Strangs verlassen und eine Wohnanlage in Potsdam vorstellen, die sich, wie manch andere hier gezeigte und damals hochgelobte Wohnanlage, an einer noch älteren Stilepoche orientiert - dem Stil der barocken Potsdamer Stadterweiterungen. Potsdam-Fan hatte 2015 schon einen kurzen Einblick in die Geschichte der Siedlung Stadtheide gegeben, die man passiert, wenn man Potsdam in südwestlicher Richtung auf der Bundesstraße 1 verlässt. Würde die zwischen Zeppelinstraße, Im Bogen und Stadtheide gelegene Wohnanlage nicht so weit abseits des historischen Zentrums liegen, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung meinen, eine weitere barocke Stadterweiterung vor sich zu haben. Tatsächlich wurde sie von 1919 bis 1923 nach Entwürfen des Architekten und Malers Heinrich Alfred Kaiser (1883 - 1946) und Karl Wagenknecht errichtet. Der Denkmalpfleger Jörg Limberg schrieb 2011 in seinem sehr lesenswerten Artikel "Potsdam. Moderne und Tradition. Zur Baukunst von 1919 bis 1933", Brandenburgische Denkmalpflege 2011, Heft 2: "Die Siedlung galt als Vorbild und wurde in allen wichtigen Bauzeitungen veröffentlicht".

    Link zum Artikel. pdf, 32 Seiten (sehr lesenswert!)

    Lage bei Maps (kein Streetview verfügbar)

    Potsdam-Wiki

    Bilder folgen ...

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Ansicht von der Bundesstraße 1/Zeppelinstraße:

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Straße Im Bogen, Blick Richtung Zeppelinstraße, rechts die Wohnanlage von Heinrich A. Kaiser, links die bereits deutlich "expressionistischere" Wohnanlage Im Bogen 19-28, nach Entwürfen von Bauinspektor Kurth aus dem städtischen Hochbauamt 1923 - 26 erbaut:

    Siedlung Stadtheide Potsdam

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  • Hier einige Impressionen der letztgenannten Wohnanlage Im Bogen - auch durchaus sehr gelungen. Die mittels Ziegelsteineinlagen erfolgte Betonung der Horizontalen war ja, wie oben im Strang gezeigt, ein damals recht modernes und weit verbreitetes Stilelement des Neuen Bauens:

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    In der kleinen Parallelstraße zur Zeppelinstraße, der "Stadtheide", finden sich einige Reihenhäuser der Siedlung im englischen Cottage-Stil, der beispielsweise auch beim kurz zuvor erbauten Schloß Cecilienhof zur Anwendung kam:

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Wohnsiedlung Stadtheide Potsdam

    Weitere Reihenhäuser mit teilweise rekonstruierter Farbigkeit:

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Auch dieses recht originelle, von Potsdam-Fan 2015 vorgestellte Bauwerk mit der Aufschrift "Erbaut & entworfen 1919-23, umfassend restauriert 2011-12":

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    Wohnsiedlung Stadtheide Potsdam

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  • :

    Siedlung Stadtheide Potsdam

    So "altstadttauglich" wird in Altstädten seit Jahrhunderten nicht mehr gebaut. Wohl eine Frage der Rendite...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • seit Jahrhunderten nicht

    Das mag ein bisschen übertrieben sein. :zwinkern: Sagen wir mal als Kompromiss: Seit zumindest 200 Jahren nicht. Aber wir sehen, in der Reform- und Heimatschutzstil-Zeit war es möglich. Also eigentlich erst seit 100 Jahren nicht.

  • In der Architekturgeschichte gibt es Phasen weitgehender Stilkonvergenz, in denen ein bestimmter Baustil fast normartig vorherrscht, und Phasen des Übergangs und des Nebeneinanderstehens recht unterschiedlicher Stilrichtungen. Die Zeiten starker Stilkonvergenz waren dabei sicherlich wesentlich häufiger und wohl bis zum Klassizismus, der ja eigentlich auch schon ein Historismus war, zumindest in Europa die Regel. Danach verbreiterte sich der Strom der nebeneinander bestehenden Stilrichtungen, auch einzelne Architektenpersönlichkeiten brachten nun ein stärkeres individuelles Element ist die Pluralität der Baustile. Erst mit der Bauhausmoderne setzte sich ab etwa 1960 international wieder ein Stil praktisch vollständig durch und blieb bis zum Beginn der Postmoderne in den späteren 1970er Jahren fast monopolartig bestehen. Seitdem blieb zwar die Moderne der vorherrschende Lehrstil, jedoch schaffen es - wie wir hier ja stetig dokumentieren - immer wieder einzelne Architekturbüros, eigene, weniger strenge und kommerziell erfolgreiche, teils auf frühere Stilrichtungen bezogene Ausdrucksweisen zu entwickeln.

    Auch die Zeit zwischen 1900 und dem Beginn des 2. Weltkriegs zeigte eine bemerkenswerte Stilpluralität - Einigkeit bestand bei den Architekten damals wohl nur in der Ablehnung des eklektizistischen, in Norddeutschland vorwiegend neobarock-wilhelminisch ausgeprägten Baustils. Diese Ablehnung wurde sowohl ästhetisch begründet, als auch gesundheitlich - Licht, Luft und Grün sollte es für möglichst alle Bewohner einer Wohnanlage geben.

    Heute möchte ich Euch eine 1908-09 errichtete Wohnsiedlung in Berlin-Niederschönhausen (Paul-Francke-Siedlung) vorstellen, bei der insbesondere der Verzicht auf geschlossene Hinterhöfe in der Gesamtkonzeption hervorsticht, während die gemäßigt neoklassizistischen Fassaden einen eher konservativen Eindruck vermitteln. Architekt war der bereits mehrfach hier vorgestellte, äußerst produktive Paul Mebes (1872-1938).

    Streetview

    Eintrag Denkmaldatenbank

    Lesenswerte Beschreibung bei Visitberlin

    Mit Backstein wurde ein schönes, lebendiges und dauerhaftes Fassadenmaterial gewählt, nur einige Teile im Inneren der Anlage wurden hell verputzt:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Straßenansicht von der Grabbeallee - obwohl sich die Wohnanlage nach innen mit halböffentlichen Durchgängen öffnet, wirkt es nicht so, als hätte der Architekt den Blockrand ignoriert:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

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  • Die Straßenfassade - auch wenn die Giebel an griechische Tempelgiebel erinnern, sind sie doch recht hoch ausgeführt, eher wie Spitzgiebel. In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg findet man diesen reduzierten Spätklassizismus durchaus öfter in Berlin, das Pergamonmuseum bietet in seiner Seite zum Kupfergraben eine vergleichbare Ansicht.

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Hofartiges Zurückweichen des Blockrands:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Interessant dabei die hölzernen Loggien mit den Spitzgiebeln.

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Madonnenrelief mit dem Jesuskind und seinem älteren Bruder...:wink:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Diese hölzernen Balkonerker haben was...

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

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  • Im Innenbereich der Anlage trifft man auf eine Art Turm:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Halböffentliche, gut belüftete Durchwegungen mit gepflegter Gestaltung der Grünanlagen:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Eine ansprechende Gestaltung der Eingangsbereiche war damals noch eine Selbstverständlichkeit:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Einige wenige Bereiche der Fassaden weisen eine Putzoberfläche auf:

    Wohnsiedlung Berlin-Niederschönhausen von 1909

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Wie schön, dass Du die Höfe mal abgelichtet hast - ich fahre da bislang nur ziemlich häufig entlang und erfreue mich allein an den Grabbeallee-Fassaden.

    Da wir gerade beim Beamten-Wohnungsverein sind, nachfolgend einige Bilder einer recht kleinen Anlage aus Charlottenburg (Zillestraße zwischen Kaiser-Friedrich-Straße und Fritschestraße), welche zwischen 1904 und 1906 nach Plänen von Erich Köhn für eben jenen Beamten-Wohnungsverein errichtet wurde.

    Ecke Kaiser-Friedrich-Straße (1952 "repariert")


    Zur Zillestraße geöffneter Hof.

    Rechter Flügel

    Ecke Fritschestraße

    Eintrag beim BWV Berlin

    Eintrag beim Berlin-Lexikon

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Pankower Krankenhausviertel

    Galenusstr. / Vesaliusstr. / Achtermannstr. / Klaustaler Str.

    Inmitten: Paracelsusplatz

    Errichtet durch die Pankower Heimstätten GmbH 1924 - 1927

    Architekten: Carl Fenten / Rudolf Klante

    Galenusstr. Ecke Paracelsusstr.



    Klaustaler Str. - Einfahrt Prießnitzstr.




  • War kürzlich in Berlin und nutzte die Gelegenheit, mich an der mannigfaltigen Architektur dieser Stadt zu erfreuen. Man kann über Berlin sagen, was man will, aber wer noch alle Augen im Kopf hat, kommt aus dem Staunen nicht heraus.

    Bei einem meiner Streifzüge durch Friedrichshain stieß ich auf den Helenenhof. Die spätgründerzeitliche Anlage wurde nach der Wende mit viel Liebe zum Detail saniert. Sie umschließt einen großzügigen, parkähnlichen Innenhof, wie man ihn auch bei ähnlichen Wohnanlagen aus dieser Zeit (z.B. Riehmers Hofgarten) findet. Auffällig sind die beiden Rustika-Geschosse, die breiten Loggien und die grünen, mit Jugendstil-Dekor verzierten Balkone. Laut Wikipedia besteht die Anlage aus über 500 Wohneinheiten.

    Außenansicht Sonntag-/Gryphiusstraße:

    Innenseite der Anlage:

  • Faszinierender Strang, der meiner Meinung nach mal wieder zeigt, dass die Baustile am Übergang zur Moderne auch heute noch zeitgemäß und präsentabel daherkommen. Muss gar nicht alles mit dickem Stuck und neobarock daherkommen, einfach nur ein wenig Gestaltungswillen würde oftmals schon reichen - auch von innen sind das sicherlich alles sehr, sehr lebenswerte Wohnungen.

  • "Riehmers Hofgarten" fällt in diesem Strang etwas aus dem Rahmen, weil die Anlage deutlich vor 1900, auf dem Höhepunkt der Gründerzeit, errichtet wurde. Da es sich um ein geschlossenes Wohn-Ensemble handelt, das der damaligen Reformarchitektur zugerechnet wird - statt trister Hinterhöfe findet man im Inneren einen parkähnlichen Garten -, passt er aber doch ganz gut hierhin.

    Nach der Schließung des Hotels "Riehmers Hofgarten" wird die gesamte Anlage gerade umgebaut und (luxus)saniert. Was ihr leider nicht nur zum Vorteil gereicht. So wird auf dem Dach des denkmalgeschütztes Baus ein modernes Penthouse errichtet. Offenbar wollen die Investoren das Maximale aus ihrer Investition herausholen. Wer noch eine Bleibe in Berlin sucht und bereit ist, 10.000 Euro für den Quadratmeter hinzublättern, ist in der Kreuzberger Yorckstraße jedenfalls an der richtigen Adresse.

    Davon abgesehen ist Riehmers Hofgarten für jeden Gründerzeit-Fan natürlich eine Offenbarung.