• Der Stadtteil Bremen-Hemelingen umfasst alle Ortsteile des "echten" Bremer Ostens von Osterholz bis Mahndorf, aber auch den zentralen Ortsteil Hemelingen, der ein ziemliches Schattendasein führt in Bremen. Er ist wie viele alte Arbeiterstadtteile zerrupft von Eisenbahn- und Autotrassen sowie Gewerbegebieten, die bessere Zeiten gesehen haben. An der Hemelinger Bahnhofstraße, die schon lange im Fokus der Stadtplanung liegt, regieren Tristesse und Leerstand, obwohl die Bausubstanz eigentlich nicht unattraktiv wäre. Schwere oder flächige Bombenschäden scheint es hier eher nicht gegeben zu haben, trotzdem macht die Straße den typisch bremischen, sehr heterogenen Eindruck. Ich muss gestehen, dass ich hier in meiner gesamten Bremer Zeit nur 3 oder 4 mal gewesen bin, was für mich als Stadtvagabunden wirklich wenig ist. Selbst durch das von mir zu Hause viel weiter entfernte Gröpelingen kommt man häufiger. Dies ist der besagten sehr ungünstigen Insellage der Straße, die eingekeilt ist zwischen zwei Bahntrassen, einem Autobahnzubringer und zwei verlassenen großen Industriegrundstücken geschuldet (Könecke und Coca-Cola). Zunächst ein Screenshot von GoogelMaps zur Umgebung:

    Zentral sieht man die Hemelinger Bahnhofsstraße, westlich (links) ist diese flankiert vom großen Könecke/Coca-Cola-Areal, das in den nächsten Jahren als Wohnstandort entwickelt werden soll und somit wohl für einen deutlichen Schub in dieser vernachlässigten Ecke sorgen soll.

    Hier spielt sich nun folgende ganz interessante Geschichte ab. Direkt am alten Sebaldsbrücker Bahnhof (der in den nächsten Jahren verlegt werden soll) soll ein sogenanntes Sozialkaufhaus entstehen, welches vorher bereits in einem anderen verlassenen Ladengeschäft Domizil bezogen hat. Hier soll es zum einen eine Art Gebrauchtwarenmarkt geben und ein Café, in dem man für wenig Geld einen Kaffee und ein Brötchen bekommt, also eine Art gesponserter Quartierstreffpunkt entstehen. Das Grundstück, um das es geht, ist folgendes (Foto Screenshot GoogleStreetview):

    Auf diesem Grundstück steht links ein recht gut erhaltener, für Bremen geradezu stattlicher Altbau, der aber im letzten Jahr durch einen Brand beschädigt wurde, lange Zeit war nicht klar, ob er erhalten werden kann. Zumindest ist er auf den folgenden Bildern nicht gut gesichert und könnte somit leider gefährdet sein:

    Die Fassade des Altbaus ist eingerüstet:

    Ansicht zum Sebaldsbrücker Bahnhof hin:

    Baustelle mit dem Altbau links im Bild:

    Ich hoffe nun, dass der Altbau auch wirklich erhalten wird und die Einrüstung nicht Abrissvorbereitungen darstellen. Interessant fände ich im Falle einer Realisierung, dass in einer sozioökonomischen hochproblematischen Gegend ein milde historisierender Entwurf gewonnen hat, der sich zumindest in den Proportionen und Geschosshöhen ganz klar an den Altbau anpasst.

    Das war meine kleine Geschichte aus Hemelingen.

  • Also, ich war schon sehr häufig in Hemelingen und habe die Gegen erkundet. Aber auch, weil ich was brauchte und das bekam ich nur bei Eisen-Werner in der Hemelinger Bahnhofsstraße. Das Geschäft gab es seit gefühlten 100 Jahren oder mehr und Eisen-Werner hatte wirklich alles, was mit Metall zusammenhing. Vor ca. 3 Jahren hat er mit über 70 Jahren aufgehört, kein Nachfolger zu finden. Eisen-Werner war eine Institution in Bremen. Die Leute kamen von überall her.

    In der Nähe gab es eine alte Apotheke - Jugendstil, wunderschöne Fassade - die wurde im Zuge des Baus des Hemelinger Tunnels einfach abgerissen, typisch Bremen. Weg mit dem alten Scheiß. In der Baubehörde zählt nur die Moderne, es sei denn, man bewohnt selbst ein Altbremer Haus im Viertel oder in Schwachhausen. Das alte Hemelinger Rathaus ist einer meiner Lieblingsbauten in Bremen.

  • Eisen-Werner ist der jetzige Standort des "Sozialkaufhauses". War gut gefüllt dort, draußen auch ein langer WK-Artikel über den Besitzer ausgehängt von 2016. Interessante Geschichte, die man wohl nur als länger hier lebender Bremer kennt. Abgesehen vom Aladin (da war ich persönlich auch noch nie) gibt es wirklich fast keinen Grund mehr als Nichtanwohner, in diese Ecke zu fahren.

    Eine schöne alte Apotheke (passenderweise "Alte Apotheke" genannt) steht aber in der Bahnhofstraße immer noch:

    Ein weiterer Blick in die Straße, ebenfalls mit Apotheke:

    Ein bemalter Bunker:

    Ein Eckgebäude der ebenfalls in der Hemelinger Bahnhofstraße ansässigen Silbermanufaktur Wilkens:

    Blick auf eine Villa:

    Der Sebaldsbrücker Bahnhof:

    Und ein Blick auf ein Ensemble um die Kirche:

  • Ich hoffe nun, dass der Altbau auch wirklich erhalten wird und die Einrüstung nicht Abrissvorbereitungen darstellen.

    Also auf dem Planungsbild ist er ja noch zu sehen. Und dort steht auch "Neubau + Sanierung". Insofern gehe ich mal von einer Sanierung aus. Hätte man abreißen wollen, hätte man es wohl getan, bevor mit dem Neubau daneben begonnen wurde. Ob die Baustellen-Sicherung der Fassade ausreichend ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

  • Ich glaube, der Tunnelbau ist vor etwa 10 Jahren abgeschlossen worden, seitdem zieht sich unterhalb Hemelingens - also auch unterhalb der Bahnhofsstraße, ein 593 Meter langer Tunnel bis zur Sebaldsbrücker Heerstraße hin. Dieser Tunnel wurde, glaube ich, in offener Bauweise errichtet und das Jugendstilgebäude (vielleicht auch Historismus) - das ich übrigens noch genau vor mir sehe und wohl das schönste Gebäude in der Straße war - stand wegen der Bauarbeiten "im Weg". Dort ist jetzt eine Art "Marktplatz" entstanden. Dieser Marktplatz ist aber nicht über die Jahrhunderte gewachsen, sondern wirkt wie ein schlechter Versuch. Hauptsache, wir haben auch so was - rein funktional versteht sich - in Hemelingen ("und das ist unser neuer Marktplatz"!). Politik und Stadtplanung können wieder einen Haken machen.

  • Heinzer, ich muss mich korrigieren, was die alte Apotheke angeht. Die in Deiner Abbildung gezeigte besteht schon seit über 120 Jahren. Dann kann es nur sein, dass in dem von mir geschilderten Gebäude ein zweite Apotheke war (halte ich aber für wenig wahrscheinlich bei diesem Standort).

    Also, an alle Hemelingen-Fans und Kenner. Gibt es Foristen, die sich noch an das abgerissene Gebäude erinnern und vielleicht auch noch Bilder haben. Sonst müsste man sich mal mit dem Beirat in Verbindung setzen.

  • Noch mal zur weißen Villa. Da war ja lange Jahre ein Edel-Italiener drin. Davor - also in ganz frühen Zeiten - ich bin jetzt schon etwas verunsichert, was meine Erinnerungen angeht, war das die Villa der Familie Wilkens (Silberbesteckmaufaktur). Auch hier wieder die Frage an die Hemelingen-Spezialisten.

  • Ja, von der Geschichte hatte ich (mal wieder in einem anderen, anscheinend falschen Strang) schon berichtet. Also zumindest, dass sie saniert werden muss. Das mit dem Abriss ist einfach so frustrierend, dass ich es hier gar nicht berichtet habe. Kann eine Ballung an schlechten Nachrichten zur Zeit nicht ertragen.

  • Einfach nur übel. Und dann auch noch einstimmig entschieden. Dort kommt dann ein hässlicher, funktionaler Klotz hin und die gesamte Ecke wird noch ein wenig banaler. Das solche Leute nicht merken, wie standortprägend das Gebäude an dieser Stelle ist. Und umwelttechnisch ist es wohl auch noch ein Fiasko.

  • Das Weserwehr

    Im März 1981 kam es zum Durchbruch der Weser im Neustädter Ortsteil Habenhausen, links der Weser. Das geschah auch deshalb, weil das alte Weserwehr, mit einer Fußgängerbrücke über das Wehr gebaut zwischen 1906 und 1911, im zweiten Weltkrieg durch Bomben und 1945 durch eine Sprengung beschädigt worden war und trotz Reparaturen nicht mehr seine eigentliche Funktion erfüllen konnte. Seit November 1980 ließ sich auch einer der Wehrkörper nicht mehr bewegen, was zum Weserdurchbruch 1981 beitrug. Daraufhin entschloss sich das Land Bremen zum vollständigen Ersatz der Anlage.


    Links das Weserwehr:

    Das Wehr bestand aus zwei Teilen: einmal das eigentlich Wehr, das den Wasserstand regulierte und zum anderen aus dem Wasserkraftwerk. Die Turbinen des Wasserkraftwerks, untergebracht in einem großen Backsteinbau, gingen zwischen 1915 und 1917 in Betrieb. Das Wasserkraftwerk deckte zu der Zeit etwa die Hälfte des Bremer Elektrizitätsbedarfs ab.

    Das alte Wasserkraftwerk, ein wunderschönes, schon fast burgähnliches Klinker-Gebäude knapp 100 Meter flussaufwärts des heutigen, neuen Weserwehrs gelegen, ist nach einem Senatsbeschluss von 1987 abgerissen worden. Eine Turbine ist im Deutschen Museum in München ausgestellt. Weitere Originalteile der Maschinen lagern noch bei Energieversorger swb AG. Und im Kraftwerk Hastedt gleich neben dem Weserwehr gibt es auch noch ein großes Modell des einstigen Wasserkraftwerks, das von einem Angestellten der Baubehörde in filigraner Kleinstarbeit gebaut wurde. Ich hatte vor ca. 20 Jahren Gelegenheit, nach einem Anruf in der Baubehörde, diese Modell zu besichtigen.

    Gegen den Abriss gab es seinerzeit großen Widerstand, eine Bürgerinitiative versuchte 1987 vergeblich, vor dem Abriss zum Wasserkraftwerk zu gelangen, scheiterte aber an einem Drahtverhau, der vor dem Übergang den Weg versperrte. Auch im Beirat Hemelingen gab es Widerstand, denn dieser setzte sich dafür ein, dass das schön anzusehende Wasserkraftwerk - immerhin ein Wahrzeichen des Stadtteils - erhalten bleibt und dort ein Industriemuseum eingerichtet wird. In die gleiche Richtung ging die Initiative einiger Bremer, das Ensemble Wasserkraftwerk und Weserwehr mit einem kleinen Museum zur Geschichte der Bremer Stromerzeugung aus Wasserkraft zusammen mit einem Park zu erhalten. Vergeblich - der Senat unter Bürgermeister Klaus Wedemeyer agierte, wie später auch bei dem Abriss der Senatsvilla, UNERBITTLICH!

    Identitätsstiftendes Wahrzeichen des Stadtteils: Das Wasserkraftwerk wäre sicherlich ein guter Ort für ein Technikmuseum gewesen.

    Stattdessen:

    Die Bürgerinitiative gegen den Abriss des Wasserkraftwerks 1987 war nach meiner Erinnerung die zweite große Widerstandsbewegung nach dem Abriss des Schlachthofes 1980. Auch dort gab es eine Initiative aus Bürgern, Architekturprofessoren, Kulturschaffenden- und Interessierten, die sich gegen den Abriss positionierten und Alternativnutzungen vorschlugen, unterstützt von einem langen Demonstrationszug vom Viertel bis zum Marktplatz. Aber, wie bereits ausgeführt, wir sind im SozialDEMOKRATISCHEN Bremen, da ticken die Uhren etwas anders, wie geschrieben: UNERBITTLICH! Man könnte glatt annehmen, dass dieses Verhalten letztendlich auch Vorbildcharakter für private Investoren hatte bis hin zu dem unsäglichen Herrn Italiano mit seinem Abriss des Medienhauses. Wie sollen hier Gebäude erhalten werden, wenn schon die Stadt selbst als deren Vernichter auftritt und damit auch eine Botschaft an die private Bauwirtschaft sendet.

    Ich halte Bürgerinitiativen - auch wenn es hier im Forum einige gegenteilige Meinungen dazu gibt, die dem Nimby-Quark-Argument von Politik und Baubehörde auf dem Leim gehen - nach wie vor für wichtige Akteure der freien Meinungsäußerung und Elemente des demokratischen Willensbildungsprozesses, besonders im Bereich der Stadtplanung bilden sie oftmals den einzigen Gegenpart bei Entscheidungen im Bereich der Stadtplanung und dem Gekungel zwischen Politik und Investoren. Es hat hier schon Skandale im korruptionsanfälligen Baubereich gegeben, aber das Weserwehr hatte in dieser Richtung damit nichts zu tun.

    Das neue Weserwehr heute, rechts unten im Bild stand das alte, abgerissene Wasserkraftwerk:

  • Ich kann jetzt noch einige Fotos vom alten, aber doch sehr schönem und leider abgerissenen Weserwehr nachliefern:

    Aus aktuellem Anlass noch ein Hochwasserfoto. Wenn man da steht, hört und sieht, spürt man diese gewaltige Kraft der Wassermassen