Bremen – Altstadt – Ratsgestühl von 1903

  • Eröffnung der Diskussion / _Motivationsfrage für den Teilabbruch

    So, nun bin ich mit der Dokumentation weitestgehend fertig und würde mich freuen, zu hören, ob die verehrten Mitforisten die Reduktion des Ratsgestühls im Jahre 1955 ebenfalls als Verlust ansehen.

    Da hier weder eine Kriegszerstörung vorlag, noch wirtschaftliche Aspekte eine Ursache für den Abbau gewesen sein dürften, bleibt nur die abschätzige Beurteilung durch die Epigonen von Poppes Konkurrenten, die als Erklärung für die Zerstückelung herhalten muß.

    Vielleicht dann aber auch noch dies: Villa 1895 hat das Gestühl als Ausdruck von Lebensfreude, Optimismus, Selbstsicherheit und Zukunftszuversicht charakterisiert. Möglicherweise gefiel den Entscheidungsträgern von 1955 dieses unverkrampfte Selbstbewußstein der Kaiserzeit nicht mehr ? Möglicherweise sollten sich auch die Bremer durch den Abbau ihres Ratsgestühls symbolisch 'ducken' und 'klein machen'....?

    Und vielleicht wurde, um diese Motivationslage zunächst zu verschleiern, das Narrativ von der vermeintlichen Unmaßstäblichkeit, der angeblichen Überladenheit und dem kaiserlichen Prunk und Protz in die Welt gesetzt ?

    Wer kennt nicht das sich in diesem Zusammenhang oft einstellende Phänomen, daß eine übelwollende Verleumdung, sobald sie nur oft genug unwidersprochen wiederholt wird, von einem Großteil der Zuhörer, sofern sich diese nicht eingehend mit der Thematik befaßt haben und die tatsächlichen Umstände kennen, für bare Münze genommen wird. Ich möchte hier behaupten, daß Poppes Ratsgestühl ein Opfer dieses Phänomens geworden ist !

    Anbei, als Abschluß für heute, noch zwei - sich seinerzeit gut verkaufende - Ansichtskarten aus der Kaiserzeit, die belegen wie populär das Ratsgestühl vor 1914 war.

    P.S.: Und siehe da, die besagte Firma (Conrad) Buchner wir dabei auch erwähnt !:wink:

  • Bildhauerei-Betrieb Conrad Buchner

    Adreßbuch 1903.

    Lage auf der Karte von 1913 (roter Pfeil).

    Aktuelles Luftbild. Auf dem Areal des mehrgeschossigen, weißen Wohnhauses direkt hinter dem historischen Cafe-Gebäude mögen einst die Bildhauerwerkstätten gelegen haben.

  • Zeremonieller Einzug des Senats

    Über die Art und Weise, wie der der Hohe Senat der Freien Hansestadt Bremen vor 1918, anläßlich feierlicher gemeinsamer Zusammenkünfte mit der Bürgerschaft ,in die Oberer Rathaushalle und in das neue Ratsgestühl einzuziehen pflegte, findet man in der – mir zur Verfügung stehenden Literatur – leider nichts. Solange keine einschlägige Quellen-Recherche erfolgt ist, darf daher über diese Frage trefflich spekuliert werden.

    Der Senat wird sich vor Fertigstellung des Neuen Rathauses in dem unmittelbar nördlich an die Oberer Halle anschließenden Raum versammelt haben, dessen Kamin und dessen zwei Durchgangstüren zur Oberen Halle sich bis heute an unveränderter Stelle im oberen Vorplatz zur Festtreppe erhalten haben. Seit der Ingebrauchnahme des Neuen Rathauses wird der Senat sich dann im Senatssaal zusammengefunden haben und durch die marmorne Wandelhalle zu eben jenem Vorplatz gezogen sein. Der aus sechzehn Senatoren und zwei Bürgermeistern (von denen einer Präsident des Senats war) bestehende Zug, wird sich sinnvoller Weise in zwei Reihen nebeneinander aufgestellt haben, wobei die beiden Bürgermeister den Abschluß gebildet haben dürften.

    Im Vorraum bzw. Vorplatz bestanden dann zwei Möglichkeiten:

    Bei der ersten Variante hätte man durch die östlichste Tür der Oberen Rathaushalle einziehen können. Dabei hätten sich die beiden Reihen getrennt. Die Reihe mit dem Präsidenten des Senats hätte, da ihr die vornehmere (vom Gestühl in die Halle aus betrachtet) linke ‚Herzseite’ des Gestühls zustand, die Obere Halle als erste betreten, wäre dann hinter dem Gestühl vorangeschritten, bis der an der Spitze befindliche Senator das westliche Kopfende der südlichen Schmalseite des Gestühls erreicht hätte. Dort wäre dieser Senator solange verharrt, bis sein Kollege an der Spitze der anderen Reihe die entsprechende Position am westlichen Kopfende der nördlichen Schmalseite erreicht hätte. Dann wären beide Reihen simultan bis zum Bereich mittig vor dem Bürgermeistertisch gezogen, wobei sie zeitweise wieder Seite an Seite geschritten wären, nur um sich vor dem Bürgermeistertsich erneut zu trennen. Die beiden Senatoren an der Spitze des Zuges wären dann, nach Vollführung einer ‚Haarnadelkurve’, an den beiden westlichsten Sentorensitzen angelangt und hätten dort stehend vor ihrem Sitz gewartet.. Die ihnen nachfolgenden sieben Kollegen hätten dann einen jeweils um einen Sitz verkürzten Weg zurücklegen müssen (wodurch der letzte Senator in der Reihe den kürzesten Weg gehabt hätte). Schließlich wären die beiden Bürgermeister simultan nördlich bzw. südlich um den Bürgermeistertisch herumgegangen und hätten sich zeitgleich auf den Bürgermeisterstühlen niedergelassen. Unmittelbar danach hätten auch die Senatoren Platz genommen.

    Bei der zweiten Variante hätte die ‚Senats-Prozession’ ihren Weg durch die zweit-östlichste Tür in die Obere Halle nehmen können. Dabei hätten die beiden Reihen ihre Position im Vorraum bzw. im Vorplatz gegeneinander vertauschen müssen. Sie wären dann durch den offenen Bereich zwischen den beiden Schranken ins Gestühl eingezogen. Hierbei hätte keiner der beiden Reihen zeitweilig warten müssen. Der übrige Ablauf wäre wie bei der ersten Variante gewesen.

    Ob der Einzug des Senats durch Fanfarenklänge untermalt wurde, die von Musikern, die man beispielsweise im alten Archivraum oberhalb der Güldenkammer (der in der Tat ursprünglich für die Ratsmusiker [den Bremer 'Stadtmusikanten'…])gedacht war) gut hätte positionieren können, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, hätte aber der Würde der Zeremonie entsprochen…

    Abbildung 01

    Der Weg vom Senatssitzungssaal bis zum Vorplatz.

    Abbildung 02

    Variante 1: Einzug durch die östlichste Tür.

    Abbildung 03

    Variante 2: Einzug durch die zweit-östlichste Tür.

    Abbildung 04

    Der Vorplatz der Festtreppe. Unmittelbar rechts außerhalb des Bildbereichs befindet sich die Wand zur oberen Rathaushalle mit den beiden Türen. Der lila Pfeil markiert den Weg der Senatoren-Prozession, inklusive der beiden sich hier ergebenden Varianten.

    Abbildung 05

    Der Kamin des alten Vorraums, der – selber unverrückt – den oberen Vorplatz zur Festtreppe schmückt. Die beiden genannten Türen sind durch Ziffern hervorgehoben: Die Nr. 1 bezeichnet die östlichste Tür zur oberen Halle und zum Bereich hinter dem Ratsgestühl. Die Nr. 2 steht für die Tür, die bei der zweiten Variante zu wählen gewesen wäre und bei der die Prozession die Gestühls-Schranken hätte durchschreiten müssen.

    Abbildung 06

    Die östlichste Tür zur oberen Halle von der Halle aus gesehen (rot eingekastelt).

    Abbildung 07

    Collage, die Bremens großen Bürgermeister Alfred Dominicus Pauli (aus Lübeck gebürtig und ein Vertrauter Kaiser Wilhelms II.) bei Variation 1 zeigt.

    Abbildung 08

    Bürgermeister (und Präsident des Senats) Pauli bei Variation 2.

    Hier noch einige Fanfarenklänge, die man sich zu dem festlichen Einzug des Senats hinzudenken mag…

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  • Nutzung des Ratsgestühls durch die Präsidenten des Senats - einst und jetzt

    Bürgermeister Pauli vor 1914 - Bürgermeister Bovenschulte 2019

    O tempora, o mores!