Also: östlich der heutigen Niederlande wurden im 16./ 17. / 18. Jahrhundert ebenfalls noch niederdeutsche Mundarten gesprochen. Darauf wollte ich hinaus.
Es werden auch heute noch in einem großen Teil der östlichen Niederlande niederdeutsche Mundarten gesprochen. Diese heißen im Niederländischen "nedersaksisch", also niedersächsisch, da sie sich wie das Niederdeutsche aus dem Altsächsischen entwickelt haben. In klarer Abgrenzung hierzu werden im Rest der Niederlande niederfränkische Mundarten gesprochen, zu denen auch das heutige Standardniederländische gehört.
Durch die Niederlande verläuft also noch heute eine Sprachgrenze, die niederdeutsch (<altsächsisch) von niederfränkisch (<altfränkisch) trennt. Niederländer an der Grenze zu Niedersachsen sprechen mit ihren deutschen Nachbarn noch heute häufig Dialekt, der in den Niederlanden sogar noch ein wenig lebendiger ist. Immer wieder gewinnen auch niederländische Kinder bei plattdeutschen Vorlesewettbewerben im Grenzgebiet.
Die einzige übergeordnete Gemeinsamkeit des Niederdeutschen mit dem Niederländischen/-fränkischen ist die Nichtteilnahme an der sogenannten 2. oder hochdeutschen Lautverschiebung, bei der die Laute -t-, -p-, -k- mehr oder minder durchgreifend Richtung -s-, -f-, -ch- verschoben wurden. Beide Sprachen haben hier somit den gemeingermanischen Lautstand bewahrt (Water, Appel, maken statt Wasser, Apfel, machen). Dies führt dazu, dass auch heute noch öfter zu lesen ist, das Niederländische sei mehr oder minder ein Dialekt des Niederdeutschen, was zumindest sprachgeschichtlich nicht zutrifft, da wie gesagt das Niederländische ein fränkischer Dialekt ist, der näher mit dem Kölschen/niederrheinischen/ripuarischen Dialekt verwandt ist als dem aus dem altsächsischen (also niedersächsischen!, hat nichts mit den heutigen Sachsen zu tun) entstandenen Niederdeutsch.
Die Grenze ist auch deshalb relativ scharf (wie auch zwischen dem Schwäbischen und den alemannischen Mundarten), weil das Niederfränkische zumindest tlw. an der neuhochdeutschen Diphthongierung (oder einem Parallelprozess, ähnlich wie das Englische mit der "Great Vowel Shift") teilgenommen hat, der die gemeingermanischen alten Langvokale -i-, -u- und -ü- diphthongiert hat. Deshalb heißt es im Niederländischen "mijn huis", Neuhochdeutschen "mein Haus" und im Alemannischen wie im Niederdeutschen heute noch "min Hus". Einzig bei der Verschiebung von -ü- zu -eu- hat das Niederländische nicht teilgenommen. "Feuer in meinem Haus" heißt also auf Niederländisch "vuur in mijn huis" (Achtung, ungebräuchliche Formulierung, es geht um den Lautstand) , auf Englisch "fire in my house" und nur noch im Alemannischen und Niederdeutschen undiphtongiert "Füür in min/mis/mi(m) Hus", obwohl mit dem Schottischen und dem Friesischen auch noch weiteren westgermanische Sprachen existieren, die nicht diphtongiert sind und in denen es entsprechend "me hus" oder "min hus" heißt.
Entschuldigt den kleinen sprachgeschichtlichen Exkurs, aber bei diesem Thema kenne ich mich eben aus.