Das Kaiserreich im Rückblick

  • Lieber Jakku Scum,

    das Thema ist bewußt offengehalten, damit es ein allumfassenden Bild (ja hoher Anspruch) des Kaiserreiches zeichnen kann. Dazu gehören natürlich auch architektonische Aspekte, aber eben nicht nur. Zu architektonischen Fragen aus dieser Epoche gibt es schon hinlänglich andere Stränge auf diesem Forum. Eine Verengung auf lediglich bauliche Aspekte würde diesen Strang somit überflüssig machen.

    Mit unseren, das Kaiserreich durchaus auch positiv bewertenden Beiträgen befinden wir uns hier zudem in guter Gesellschaft der jüngeren Historiker-Generation, die die Forschungsergebnisse der mittlerweile schon recht betagten 68er Professoren zu hinterfragen beginnt.

    Wie hatten diese damals doch skandiert: "Trau keinem über 30"... Nun gefällt es den ergrauten seinerzeitigen Systemveränderen, die sich in ihren professoralen Privilegien wohlig eingerichtet haben aber plötzlich nicht mehr, an diesen eigenen alten Spruch erinnert zu werden.

    Gut, daß es hier eine Plattform gibt, die das Hereinlassen frischen Windes in diese miefigen 68 Lehrstuhlsstuben unterstützend begleitet.

    Das kann man mögen oder aber auch nicht. Das ist jedem selber überlassen...

    Ein Grund, sich deshalb vor Interessenten bzgl. Rekonstruktionen schämen zu müssen und unter Rechtfertigungszwang zu stehen, sehe ich nicht. Das Bestreben, die positiven Aspekte des Kaiserreichs und auch S.M. Kaiser Wilhelms II. herauszuarbeiten hat nichts Ehrenrühriges an sich.

  • Die Niederlage von 1870/71 war für die französische Gesellschaft eine tiefe narzisstische Kränkung und seither hat das Land systematisch und unversöhnlich auf einen Revanchekrieg hingearbeitet. Ich sehe in ihm den Hauptverantwortlichen für den Ersten Weltkrieg.

    Interessant in diesem Zusammenhang ist abermals ein Blick auf die Position Christopher Clarks.

    Zitat von Christopher Clark - "Die Schlafwandler"

    Jahrhundertelang war das deutschsprachige Zentrum Europas zersplittert und schwach gewesen; auf einmal war es vereint und stark. Seit dem Krieg von 1870 gestaltete sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich außerordentlich schwierig. Schon das Ausmaß des deutschen Sieges über Frankreich (ein Sieg, den die wenigsten Zeitgenossen erwartet hatten) hatte die französische Oberschicht traumatisiert und eine Krise ausgelöst, die weit in die französische Kultur hineinreichte; die Annexion Elsass-Lothringens aber, für die sich das Militär vehement ausgesprochen und die der deutsche Kanzler Otto von Bismarck widerwillig akzeptiert hatte, belastete die französisch-deutschen Beziehungen nachhaltig.

    Elsass-Lothringen entwickelte sich zum Heiligen Gral des französischen Revanchekultes, der zum Brennpunkt aufeinanderfolgender Wellen der chauvinistischen Agitation wurde. Die verlorenen Gebiete waren niemals die einzige treibende Kraft hinter der französischen Politik. Aber immer wieder hetzten sie die öffentliche Meinung auf und übten ständig Druck auf die Entscheidungsträger in Paris aus. Auch ohne die Annexion hätte jedoch schon allein die Existenz des neuen Deutschen Reiches die Beziehung zu Frankreich verändert, dessen Sicherheit traditionell durch die Zersplitterung des deutschsprachigen Europas garantiert worden war.

    (Quelle: Clark, Christopher. Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog (German Edition). "Gefährliche Liaison: Das französisch-russische Bündnis", Deutsche Verlags-Anstalt. Kindle-Version, Position 3542 von 18356)

    Ebenfalls interessant in diesem Kontext ist was Pat Buchanan in seinem Buch "Churchill, Hitler and the Unnecessary War: How Britain Lost Its Empire and the West Lost the World" schreibt.

    [Der US-Amerikaner Pat Buchanan war Berater (senior advisor) dreier republikanischer US-Präsidenten: Richard Nixon, Gerald Ford und Ronald Reagan.

    Dass er anschließend weder von George Bush dem Älteren noch von George W. Bush als Berater nominiert wurde, überrascht nicht, wenn man weiß, dass Buchanan sowohl der NATO-Osterweiterung als auch dem Irakkrieg von 2003 ablehnend gegenüberstand, wie überhaupt einer konfrontativen US-Außenpolitik in Nahost und gegenüber Russland.]

    4. Germanophobia. Britain resented the rise of Germany and feared that a defeat of France would mean German preeminence in Europe and the eclipse of Britain as an economic and world power. During his tour in the late summer of 1919 to sell America on his Versailles Treaty, a tour that ended when he was felled by a stroke, Wilson said in St. Louis and St. Paul: This war, in its inception, was a commercial and industrial war.… The German bankers and the German merchants and the German manufacturers did not want this war. They were making conquest of the world without it, and they knew it would spoil their plans.” Churchill himself had imbibed deeply of Grey’s Germanophobia. As he said in 1912: “I could never learn their beastly language, nor will I till the Emperor William comes over here with his army.”

    (Quelle: Buchanan, Patrick J.. Churchill, Hitler, and "The Unnecessary War": How Britain Lost Its Empire and the West Lost the World , Position 984 von 9091, Crown/Archetype. Kindle-Version.)


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    Ein vereintes, souveränes und mächtiges Deutsches Reich lag weder im Interesse Frankreichs, noch Englands.

    Man stelle sich vor das prosperierende Deutsche Kaiserreich hätte eine weitere Annäherung mit Österreich-Ungarn gefunden, beispielsweise einen gemeinsamen Wirtschaftsraum begründet, bestenfalls mit guten Beziehungen zu Russland. Die Mitte Europas hätte sich meiner Auffassung nach gedeihlich entwickeln können.

    Dies war allerdings der Alptraum sowohl französischer Revanchisten, als auch britischer Geopolitiker. Dies musste aus deren Sicht unbedingt verhindert werden.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Du weißt genau, um welche Zitate es ging (natürlich die zuletzt genannten)

    Dieses ständige sich naiv stellen ist i.Ü. eine der Primitivitäten in dem Strang hier.

    Für dich nochmal:

    Normalerweise ist es unter meinem Niveau, andere persönlich derart zu attackieren , wie Sie es im obigen Zitat zu tun für richtig halten.

    Aber bitte, das kann ich auch: Wer Anderen in dieser Art schlichtes Verhalten unterstellt, ist selber nicht gefeit davor, so zu handeln...

    Und was Gedenktage angeht:

    Den wievielten Jahrestag der Verwüstungen der Pfalz durch General Ezéchiel de Mélac begehen wir eigentlich dieses Jahr ?

    Wie hat man vor, dieses Jahr in Frankreich in Sack und Asche zu gehen, für den Überfall Napoleons auf Rußland ?

    (Ach ja, ich vergaß, da waren ja ein Großteil zwangsrekrutierte Deutsche Soldaten dabei: ALSO WIEDE DIE DEUTSCHEN !!!)

    Argument wird deshalb zurückgezogen.

    Wann kommt die Sühnekommission der Polen für die gewalttätige Besetzung des St. Annaberges in Oberschlesien, die sich übrigens dieses Jahr zum 100. mal jährt ?

    Nicht zu vergessen die Vielen Toten vor Wien 1683, die der islamisch-osmanischen Aggression zum Opfer fielen. Schickt Erdogan einen Sühnegeldbetrag an die Nachkommen der Opfer ?

    Mei o Mei !!!

    Und das Alles, weil ich einige Wörter benutzt habe, die in einem anderen Kontext sakrosankt zu sein scheinen.

    Sind diese im Übrigen nicht bereits von Grimmelshausen bezogen auf das deutsche Leid im 30jährigen Krieg geprägt worden ?

    Nein, diese Unduldsamkeit der Linken wird langsam unerträglich !!!

    Rufen Sie nach Zensur und Sprachpolizei, anscheinend ist das das Einzige was Sie letztlich immer nur können.

    Wissen Sie was, ich antworte Ihnen darauf mit dem 'Götz von Berlichingen' einem von Schiller beschriebenen deutschen Freiheitsheros

    gegen alle Spießer !!!


  • ich widerspreche dir nur ungern – aber in der Geschichte ist alles zwangsläufig, denn sie ist Vergangenheit. Die Vergangenheit ist einem Zwang untergeordnet: Auf etwas Vergangenes kann man keinen Einfluss nehmen. Anders in der Gegenwart. Die Gegenwart ist keinem Zwang in diesem Sinne untergeordnet, die Gegenwart lässt sich im Gegensatz zur Vergangenheit beeinflussen und formen, woraus die Zukunft entsteht.

    ich widerspreche nur ungern aber ich halte es mit George Orwell, der folgendes zum Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und zur Deutungshoheit über die Vergangenheit von sich gab:

    „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“

    (Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/george…unft/?o=popular)

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Es gibt den Spruch in abgewandelter Form: "Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht begreifen und ist unfähig, die Zukunft zu gestalten" (Herkunft unbekannt) Und deshalb bemühen wir uns hier, das schiefe Geschichtsbild gerade zu rücken.

  • Pagentorn, persönliche Angriffe gegen Mitforisten kennt man von dir eigentlich nicht. Lass das bitte sein!

    Ich hatte bereits weiter oben den Versuch gemacht, einmal näher zu überlegen, inwieweit der Ausschluß Cisleithaniens aus dem Bismarckreich von den Zeitgenossen (bitte nicht nur den 'Alldeutschen' !) als Defizit empfunden wurde und ob gewisse 'Andockpunkte' vorbereitet bzw. vorgehalten wurden, um eine Verbindung später möglich zu machen.

    Aber anscheinend ist dieses Habsburg-Hohenzollern Thema für Viele doch wohl zu exotisch und unorthodox

    Für mich ist das Thema nicht exotisch. Ich hatte bereits angekündigt, darauf später noch einzugehen. Ich kann nur nicht alles gleichzeitig machen.

    Im Rahmen der europäischen Adelshierarchie war der Kaiser von Österreich im Rang höher anzusiedeln als der Deutsche Kaiser. Die Habsburger hätten sich den Hohenzollern nicht unterordnen können. Für den Kaiser von Österreich war in einem von Preußen geführten Deutschen Reich kein Platz.

    Cisleithanien bestand nicht nur aus Gebieten, die früher zum Heiligen Römischen Reich gehört hatten. Cisleithanien umfasste alles, was nicht zu den Ländern der Stephanskrone gehörte. Das waren die "im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder".

    Dazu gehörte Galizien, wo die Polen die beherrschende Nationalität waren. Es wäre eigentlich deine Aufgabe, hier darzulegen, wo bei einer nach 1871 nachgeholten großdeutschen Reichseinigung der Platz Galiziens hätte sein sollen. Spielen wir die Möglichkeiten mal durch! Einbeziehung in das Deutsche Reich? Kann ich mir nicht vorstellen. Eingliederung in das Königreich Ungarn? Das hätten nicht nur die Polen abgelehnt, sondern wahrscheinlich auch die Magyaren. Nach dem Ausgleich von 1867 arbeiteten sie nämlich daran, Transleithanien zu einem magyarischen Nationalstaat auszubauen. Eine Einbeziehung Galiziens hätte den Geschichtsbezug der ungarischen Nation gestört, da Galizien historisch nicht zu den Ländern der Stephanskrone gehörte. Galizien ließ sich nicht in eine magyarische nationale Geschichtserzählung einbeziehen. Zudem hätte sich der Anteil der nichtmagyarischen Bevölkerung im Königreich Ungarn stark erhöht.

    Ein selbständiges Galizien hätte die polnische Frage auf die europäische Tagesordnung gesetzt und wäre von Russland und Preußen nicht akzeptiert worden - jenen beiden Mächten, die ebenfalls große Teile des historischen Königreichs Polen besetzt hielten. Sie waren nicht daran interessiert, einen polnischen Staat wiederherzustellen. Ein Anschluss Galiziens an das Russische Reich wäre ebenfalls inakzeptabel gewesen. Die katholischen Habsburger hätten niemals katholische Untertanen an den orthodoxen Zaren abgegeben. Russland war zudem gegenüber Österreich-Ungarn rückständig und politisch-gesellschaftlich ganz anders verfasst.

    Zu Cisleithanien gehörte die Bukowina mit ruthenischer, rumänischer und jüdischer Bevölkerung. Was wäre aus diesem Land geworden?

    Dann Dalmatien. Angliederung an das Königreich Ungarn, wo der Hauptteil des kroatischen Volkes lebte? Ausgliederung Kroatien-Slawoniens aus dem ungarischen Staat und Vereinigung mit Dalmatien zu einem kroatischen Nationalstaat? Oder Angliederung Dalmatiens an Italien?

    Dann ist da noch das seit 1878 von Österreich-Ungarn besetzte Bosnien. Dann sind da noch Görz, Triest, Istrien und Krain mit italienischer, slowenischer und kroatischer Bevölkerung. Ich sehe überall viel Konfliktpotenzial.

    Die Länder der Böhmischen Krone: František Palacký hatte 1848 eine Teilnahme an der Frankfurter Nationalversammlung abgelehnt. Böhmen sei kein Teil Deutschlands und Österreich müsse zum Schutz der kleinen Völker Mitteleuropas gegen die großen Mächte Deutschland und Russland erhalten bleiben. Nach dem Ausgleich von 1867 erhoben die Tschechen die Forderung nach Gleichstellung der Länder der Wenzelskrone mit Ungarn. Der Dualismus sollte zum Trialismus erweitert werden. Diese Forderung wurde nicht erfüllt. Ein Anschluss der böhmischen Länder an das Deutsche Reich hätte die Nationalitätenkonflikte weiter verschärft, Er wäre nie und nimmer ein "Versöhnungswerk" geworden, wie von dir erträumt.

    Man darf nicht nur die Interessen der Deutschen sehen. In Europa leben auch noch andere Völker.

  • Seit 1945 hatten wir die Geschichte durch eine rote Brille zu betrachten. Es ist an der Zeit, die Gläser durch ungefärbte zu ersetzen. Zwischenfarben sind zulässig. Nur rot dürfen sie nicht wieder sein.

    Aber braun dürfen sie sein, nicht wahr?

    Die Bemerkungen von Rastrelli (oder mein bloßes Zitat von Wilhelm II oben) waren nicht annährend rot, sondern glasklar ungefärbt.

    Ich merke hierdrin immer wieder, dass sobald Argumente und Fakten unangehm werden, die nicht in das eigene Weltbild passen, gleich in einem Schwall reflexionsartig allgemeine Behauptungen von einer angeblich "roten Geschichtsschreibung" gemacht werden. So kann man natürlich jeder kritischen Auseinandersetzung aus dem Wege gehen.

    Diese rhetorische Frage ist unanständig. Rot ist allgemein die Farbe der Linken, sie wird nicht nur von den Kommunisten, sondern auch von den Sozialdemokraten in Anspruch genommen. Insofern kann man durchaus von einer roten Geschichtsbrille sprechen, wie Elbegeist es getan hat. Braun dagegen steht ausschließlich für den Nationalsozialismus. Menschen aus dem bürgerlich-konservativen oder auch aus dem monarchistisch angehauchten Milieu, die "rotes" Gedankengut ablehnen, eine "braune" Gesinnung zu unterstellen, ist somit hochgradig diffamierend.

    Ich wüsste nicht, was an dieser Frage "unanständig" sein sollte. Die Farbenlehre ("alles außer rot ist erlaubt") wurde nicht von mir eingebracht.

    Zunächst ist diese Aussage, dass "wir seit 1945 die Geschichte durch eine rote Brille zu betrachten hatten" purer Unsinn.

    Jahrzehntelang wurde die Bundesrepublik von der konservativen CDU/CSU regiert. Dann waren in Westdeutschland sogar alte Nazis noch jahrzehntelang an einflussreichen Stellen, auch an den Universitäten. In Westdeutschland wurde die KPD verboten, die NPD blieb erlaubt, es gab einen Radikalenerlass, faktisch ein Berufsverbot für "rote" Lehrer usw. usw.

    Die Darstellung, dass "die Roten" den Deutschen nach 1945 ihre Geschichtsauffassung aufzwangen, ist absurd - es sei denn man steht sehr weit rechts und subsumiert unter "rot" alles mögliche und bedauert generell die Veränderungen seit 1945.

    Und wer sich einbildet, dass diese Geschichtsauffassungen von rechtsaußen hier im heutigen Deutschland im Grunde "bürgerlich-konservativ" seien, der lebt noch in längst vergangenen Jahrzehnten.

    I.Ü. gibt es natürlich in der nationalistischen Gedankenwelt von Monarchisten und Nazis Schnittmengen (und nicht nur weil der Kronprinz sich 1932 Hitler als Kandidat der NSDAP für die Reichspräsidentenwahl anbot, ein anderer Sohn Wilhelm II in der SA war usw. usw.). Viele Ansichten und Ziele waren/sind ähnlich, der Übergang oft nahtlos - und das weißt du auch.

    Leider ist die Dichotomie rot-braun Teil einer "antifaschistischen" Kampfrhetorik, die zumindest von den extremen Linken permanent praktiziert wird - nicht zuletzt im sogenannten "Kampf gegen Rechts", der sich leider nicht auf die an sich durchaus berechtigte und notwendige Bekämpfung des Rechtsextremismus beschränkt, sondern auch die Konservativen - und letztlich alle Nicht-Linken - unter Generalverdacht stellt (wohingegen sie den ebenso bekämpfenswerten Linksextremismus systembedingt verharmlost).

    Innerhalb dieser extremistischen Perspektive ...

    Aus dieser einen Frage eine "antifaschistische Kampfrhetorik" von extremen Linken abzuleiten ist absurd und offensichtlich auch nur der Aufhänger um wieder allgemeine Statements unterbringen zu können.

    Es findet hierdrin i.Ü, gar "keine kritische Hinterfragung und Aufarbeitung linker Geschichts- und Gesellschaftsbilder" statt, wie du suggerierst. Wenn dies wenigstens der Fall wäre.

    Die Beiträge sind meist eine Aneinanderreihung einer simplen, einseitigen und unkritischen Darstellung des Kaiserreichs und insbesondere auch der Person des Kaisers, mehr nicht.

    Und da stoßen wir auch auf des Pudels Kern: Die Charakterisierung Wilhelms II. als eines Kriegstreibers und des Kaiserreichs als einer Vorstufe des NS-Staates ist von weiten Teilen linker Geschichtswissenschaft erfolgreich betrieben worden (Stichwort Fritz Fischer). Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass die Nazis gerade Wilhelm II. zutiefst verachtet haben (was, wie in diesem Forum bereits mehrfach dargelegt, auf Gegenseitigkeit beruhte).

    Derart linke Geschichtsbilder zu relativeren - freilich ohne eine unkritische Haltung gegenüber dem Kaiserreich einzunehmen - halte ich für keinen Rückschritt, sondern für einen Fortschritt.

    Ich habe hier noch keinen einzigen Beitrag gelesen, der das Kaiserreich als eine simple Vorstufe des NS-Staates charakterisierte.

    Allerdings auch keinen einzigen von dir, der eine kritische Haltung gegenüber dem Kaiserreich oder Wilhelm II erkennen ließ.

    Du und andere hier jammern ständig über ein einseitiges Geschichtsbild "der Linken", das relativiert werden müsse.

    Dabei sind eure Darstellungen sicher nicht minder einseitig, aber auch nicht neu. Es sind alte, nationalistische Geschichtsschreibungen wie sie z.B. in Westdeutschland noch in den 50er Jahren üblich waren. Manchmal könnte man sogar meinen, der Hofschreiber des Kaisers sei anwesend.

    So kann man das ganze hier nicht ernst nehmen. Das ist leider noch nicht mal naiv, es ist nur primitiv.

    Und das führt dann zu mal eben so kurz in den Raum geworfenen einseitigen Aussagen wie, dass die Nazis "gerade Wilhelm II. zutiefst verachtet" hätten.

    Zutiefst verachtet haben die Nazis viele: Juden, Slawen, "die Roten", Pazifisten, Homosexuelle usw. usw. Mag sein, dass Hitler Wilhelm II nicht besonders mochte (vor allem, weil er den Krieg verloren hatte und die Aura der Niederlage hatte). "Zutiefst verachtet" hat er die Hohenzollern einschließlich Wilhelm II sicher nicht.

    Es gab natürlich zwischen Monarchisten und Nazis Unterschiede und Gemeinsamkeiten (wie z.B. der Nationalismus, die Ablehnung der Demokratie, die Verachtung der Weimarer Republik usw. usw.).

    Diese Schwarz-Weiß Malerei und ständige politische Vereinnahmung unserer Geschichte ist lächerlich und traurig zugleich.

  • Zunächst ist diese Aussage, dass "wir seit 1945 die Geschichte durch eine rote Brille zu betrachten hatten" purer Unsinn.

    Lesen hätte da geholfen:

    • Ich präzisiere mal: seit 1945 für UNS Ostdeutsche und später (1968) auch für Altbundesbürger

  • ...

    Aus dieser einen Frage eine "antifaschistische Kampfrhetorik" von extremen Linken abzuleiten ist absurd und offensichtlich auch nur der Aufhänger um wieder allgemeine Statements unterbringen zu können.

    Und das Vorhandensein einer "antifaschistischen Kampfrhetorik" zu vernebeln, nennt man wie?

  • Bzgl. Rastrellis Ausführungen zur Frage eines Beitritts der Habsburger zum Bismarckreich

    Na also, geht doch ! Warum denn nicht gleich so ?

    Jedenfalls danke, daß Sie sich der Mühe unterzogen haben und sich auf das Gedankenexperiment einlassen !

    Es ist Ihnen zu konzedieren, daß ich mich begrifflich präziser hätte fassen müssen. Zwar habe ich hier schon mehrfach ausdrücklich Galizien und Dalmatien aus meinen Überlegungen ausgeschlossen. Die Bukowina und Bosnien-Herzegowina wurden von mir allerdings übergangen, weil sich deren Beinhaltung nach dem Ausschluß von Galizien und Dalmatien eigentlich logischerweise von selber verbat. Das Gebiet welches ich hier als habsburgischen ‚Beitrittskandidaten’ behandelt sehen möchte, ist also dasjenige welches bis zum Ende des alten Reiches innerhalb von dessen Grenzen gelegen war plus das primär aus ehemaligen Gebieten der Republik Venedig bestehende Küstenland.

    Mit der Rangfolge sprechen Sie aber in der Tat ein interessantes Problem an:

    Vielleicht hilft hier ein Vergleich weiter: So wie die Britische Krone spätestens seit dem Ausgang des 2. Weltkrieges das faktische Supremat des Weißen Hauses zu akzeptieren gelernt hat, so hätte der de facto ‚Junior-Status’ der ‚Monarchie’ zu Zeiten des 1. Weltkrieges, ihre weitere Schwächung durch die unausgestandenen ethnischen Konflikte und letztlich das Wegbrechen Ungarns sowie der o.g. ehemals nicht zum HRR gehörenden Gebiete dazu geführt, daß man in Wien nicht weiter am Prinzip der Anciennität hätte festhalten können und in der Folge sozusagen zu einem Rangtausch mit den Hohenzollern bereit gewesen wäre.

    Auch der Titel ‚Kaiser von Österreich’ hätte in der Tat keinen Bestand haben können. Dieser war ja eigentlich auch nur ein Notbehelf nach dem Ende des Alten Reiches gewesen. Aber wenn man den Begriff des ‚Erzherzogtums’ vom Kernbereich (Ober-und Niederösterreich) auf alle deutschsprachigen Kronländer (bis hin nach Vorarlberg) hätte ausdehnen können, wäre es möglich gewesen den jungen Monarchen Karl von Habsburg als König der Böhmischen Lande und Erzherzog von Österreich im Rang gleich nach dem König von Preußen und noch vor dem König von Bayern dem Bismarckreich beitreten zu lassen.

    Im Übrigen hätte eine zu einem gemeinsamen Thronfolger führenden dynastischen Verbindung beider Häuser Vieles in diesem Prozeß natürlich noch wesentlich geschmeidiger werden lassen.

    Dies alles erst einmal so ‚ins Blaue’ hineingeschrieben…

  • ...

    Das kann man mögen oder aber auch nicht. Das ist jedem selber überlassen...

    Ein Grund, sich deshalb vor Interessenten bzgl. Rekonstruktionen schämen zu müssen und unter Rechtfertigungszwang zu stehen, sehe ich nicht. Das Bestreben, die positiven Aspekte des Kaiserreichs und auch S.M. Kaiser Wilhelms II. herauszuarbeiten hat nichts Ehrenrühriges an sich.

    Natürlich nicht. Aber dem Forum wurde schon mal der Vorwurf der Rechtslastigkeit gemacht. Dazu genügt es, nicht der Meinung der geschätzt 90 Prozent linksgesteuerten Medien zu sein. Jeder muss selbst entscheiden, ob er hier mitlesen oder gar -schreiben möchte und ob es ihm nützen oder schaden kann. Die Gesellschaft hat sich in letzter Zeit sehr zum Negativen verändert.

  • Die anliegende Postkarte aus dem 1. Weltkrieg würde unter den Prämissen des oben skizzierten Szenarios lediglich einen Übergangszustand darstellen:

    Hier sind die Germania mit der heraldischen Krone des 2. Reiches und rechts die Austria mit der rudolphinischen Hauskrone zu sehen.

    Borussia, Bavaria und Saxonia sowie alle anderen Personifikiationen der deutschen Lande bis hin zur Brema tauchen im Bilde nicht auf.

    Im weiteren Verlauf des Gedankenexperiments, würde sich die Austria - gemeinsam mit der Bohemia - zwischen Borussia und Bavaria in der zweiten Reihe (hinter der Germannia) einordnen, vorab aber der ihr nun übergeordneten Germania den Schild mit dem doppelköpfigen Adler übergeben. Die rudolphinische Hauskrone würde die Rangkrone des Erzherzogtums Österreich (in der erweiterten Bedeutung) werden - im gleichen Range wie die preußische und die böhmische Wenzels-Krone. Die Germania erhielte wieder die ehrwürdige heilige Reichskrone aufs Haupt gesetzt... Die heraldische Krone des 2. Reiches hätte nur noch historische Bedeutung oder könnte - im Falle einer letztendlichen Anfertigung - ähnlich der 'Imperial State Crown' zu offiziellen Anlässen (außer der Krönung) Verwendung finden.

    Auch solche heraldischen Fragen, wären bei einer Vereinigung der genannten Habsburgerlande mit dem Deutschen Kaiserreich zu bedenken, auch wenn mache diese Details für spinnert und spleenig abtun würden. Für andere haben Sie bis heute eine gewisse Form von Magie und Poesie... Schöne Ornamente, die ein Staatswesen attraktiver und anschaulicher gestalten...

  • newly

    Wer allen Ernstes glaubt, es hätte in den letzten Jahrzehnten keinen massiven Linksruck in den Geschichtswissenschaften gegeben und sich dabei auf die Zustände der Adenauerzeit beruft,

    wer - völlig zurecht - beklagt, dass die NPD lange Zeit nicht verboten war, es zugleich aber auch bedauert, dass jene Personen nicht in den Staatsdienst übernommen wurden, die als DKP- und KPD-Mitglieder die Existenz der BRD und ihrer freiheitlich-demokratischen Verfassung strikt ablehnten,

    wer die Antipathie der Nazis gegenüber dem Kaiserreich marginalisiert, indem er darauf hinweist, dass die Nazis ja auch Juden, Kommunisten und Homosexuelle hassten,

    wer indirekt die Ablehnung politisch "roter" Ansichten mit "brauner" Gesinnung gleichsetzt,

    wer die Existenz einer kommunistische Antifaschismusdoktrin in Abrede stellt,

    wer nicht mitbekommen hat, in welchem Maße das Kaiserreich in Teilen der linken Geschichtswissenschaft als Vorläufer der NS-Zeit gesehen wird

    usf.,

    der sollte sich hüten, die Ausführungen anderer als primitiv zu bezeichnen oder ihnen Schwarzweißmalerei zu unterstellen. Der Vorwurf könnte sonst auf ihn selbst zurückfallen...

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • (Stichwort Fritz Fischer)

    Sehr gutes Stichwort! Gute Übersicht: https://de.wikipedia.org/wiki/Fischer-Kontroverse

    Wie sich zeigt, hat Fischer die Wissenschaft ein Stück vorangebracht:

    Zitat

    Fischers Arbeiten beruhten auf akribischen Recherchen und gründlicher Auswertung neuer Quellen, wobei er die traditionelle Methodik einer Analyse von Regierungsentscheidungen im Führungskreis der beteiligten Großmächte beibehielt. Im Ergebnis kam er zu pointierten Positionen, die deutlich von dem in Deutschland bis dahin gültigen Forschungskonsens abwichen und diesen in Frage stellten. Damit löste er eine heftige und anhaltende, auch international beachtete Kontroverse aus.

    oder

    Zitat

    Fischers Arbeiten regten seit etwa 1970 verstärkt Forschungen zu sozialökonomischen Kriegsursachen an, etwa die Orientierung auf eine Kriegsökonomie, die innenpolitische Reformunfähigkeit der kaiserlichen Monarchie, innenpolitische Verteilungskämpfe. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 werden auch Archive aus der früheren DDR und Sowjetunion wissenschaftlich ausgewertet. Angestoßen durch Fischers Thesen widmeten sich Forscher wie Horst Lademacher, Lilli Lewerenz, Winfried Baumgart, Peter Borowsky, Horst Günther Linke auch vermehrt der deutschen Politik in den vom Kaiserreich besetzten Staaten.


    Dass hier noch immer der Stand der Geschichtsforschung vor 1960 hochgehalten wird, ist bedauerlich, verwundert mich aber persönlich nicht.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Wie sich zeigt, hat Fischer die Wissenschaft ein Stück vorangebracht:

    Da Sie hier ja einen 'wikipedia'-Artikel zitieren (ob diese Internet-Enzyklopädie als Referenz durchgehend taugt, mag hier mal dahingestellt bleiben) wird Ihnen ja nicht die dort beschriebene Verflechtung Fischers im Nationalsozialistischen Staat verborgen geblieben sein.

    Hätten Fischers Forschungen Ergebnisse gezeitigt, die das Kaiserreich in einem positiveren Licht erscheinen ließen, gebe ich Ihnen Brief und Siegel darauf, daß Sie diesen Historiker zumindest als 'umstritten' charakterisiert hätten, als einen Mann, der aufgrund seiner zweifelhaften Vita nicht als Referenz taugt.

    Daß Sie Fischers 'Vorleben' hier ausblenden, ist insofern bezeichnend, aber für mich nicht verwunderlich...

  • P.S.: Da ich meine Elle verlegt habe (und auch nur eine besitze), wären Sie bitte so freundlich mir eine der beiden Ihren auszuborgen ?

    Mir reicht auch die kürzere; Sie haben doch sicherlich zwei verschieden lange...

  • Daß Sie Fischers 'Vorleben' hier ausblenden, ist insofern bezeichnend, aber für mich nicht verwunderlich...

    Ich blende es nicht aus, sondern kann hier nicht vollständige Wikipedia-Artikel zitieren. Man kann es aber in der Vita von Fischer auf Wikipedia nachlesen. Die Tatsache, dass er Mitglied der NSDAP war, dürfte ihn für diejenigen, die sich über "rote" Geschichtsdeutung beschweren, umso unverdächtiger erscheinen lassen. Insofern ist seine Vergangenheit ein ganz schlechtes Argument.

    Ich finde solche Aussagen vielsagender:

    Zitat

    Fritz Fischer wurde in The Encyclopedia of Historians and Historical Writing als der wichtigste deutsche Historiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

    Könnten wir also bitte damit aufhören, Historiker, die das Kaiserreich nicht in rosarot darstellen, als ideologisch verblendet oder rot zu diskreditieren.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ich finde es rührend, wie Leute, die nicht müde werden, anderen gegenüber ständig ihre wissenschaftliche Überlegenheit zu betonen, mit Wikipedia-Artikeln argumentieren.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • IInsofern ist seine Vergangenheit ein ganz schlechtes Argument.

    Ach ja ?

    Schon mal auf den Gedanken gekommen, daß hier jemand eine dem neuen Zeitgeist genehme Forschung betrieb, um von dunklen Flecken der eigenen persönlichen Vergangenheit abzulenken ?

    Sonst ist doch schon ein Passant, der lediglich an einem Parteibüro der NDSDAP vorbeiging (und das auch noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite) verdächtig und als Referenz nicht vertrauenswürdig...

  • Wissen Sie was,

    ich frage mich langsam, was Sie - und die Gruppe Ihrer Claquere- hier in diesem Strang eigentlich wollen ?

    Ständig und immer preisen Sie denselben abgestandenen moralinsauren Cocktail an, nach dem es letztlich unstatthaft ist, auch einmal die positiven Seiten des Kaiserreichs auf den Leser wirken zu lassen, ohne sofort das 'Ja, ABER' mit hochgezogenen Augenbrauen und erhobenem Zeigefinger erschallen zu lassen. Neue Ansätze und frisches Denken sollen auf diese Art überzementiert und unter der Decke gehalten werden. Es hat etwas von der ostentativ zur Schau getragenen Frömmigkeit in der ersten Kirchenbank, von der Streberhaftigkeit des gelehrigen Musterschülers, der dem Lehrmeister immer schön brav zu Willens sein will.

    Das wird auf die Dauer sehr langweilig und stößt auch ab.