Das Kaiserreich im Rückblick

  • "newly", wir reden aneinander vorbei. Die neueren Monarchien, die von Parlamenten eingesetzt wurden, weil nach deren damaligen Denken noch ein Monarch Staatsoberhaupt zu sein hatte, sind ein Verfallsprodukt. Nicht ein Verfall einer bestehenden Dynastie, sondern des monarchischen Zeitalters in toto.

  • Neben der Fairness für einen Menschen und seine Lebensleistung geht es m.E. darum, das folgende ungute Junktim endlich aufzulösen:

    Bauen unter Bezug auf die europäische Bautradition = Historismus = Kaiser Wilhelm = Schlecht = Tabu

    Ich befürchte, da kommst du rund 60 Jahre zu spät. Der Paradigmenwechsel in der Kunstgeschichte und Denkmalpflege erfolgte in den 60er Jahren. Die Minderwertigkeit, die dem Historismus bis dato weitestgehend anhaftete, wurde zugunsten einer gleichwertigeren Einordnung der Zeitschichten aufgelöst. Ich muss gestehen, dass ich selbst mit einer konservativen Sichtweise auf den Historismus ins Studium gegangen bin und lernen musste, ihn zu schätzen. Der Historismus ist ja auch nicht auf die die Ära von Kaiser Wilhelm zu beschränken. Diese Spätphase ist nur besonders intensiv und besitzt etwas Manieristisches an sich. Sie prägt die Gestalt unserer Städte bis heute vielfach nachhaltig, erst recht dort, wo die mittelalterlichen Stadtkerne durch Kriegseinwirkung zerstört sind.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Nochmal zurück zum Ausgangspunkt der aktuellen Diskussionsrunde in diesem Themenstrang, dem 80. Todestag des Kaisers:

    1. Link zu einem Bericht über die seinerzeitige Trauerfeier in Doorn

    https://www.wilhelm-der-zweite.de/essays/beerdigung.php

    2. Filmaufnahmen des Ereignisses, die für die Wochenschau gedreht worden waren, aber in Deutschland bis zum Ende des 2. Weltkrieges nie gezeigt werden durften.

    (Vielen hier sicherlich schon bekannt).

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  • Ich befürchte, da kommst du rund 60 Jahre zu spät. Der Paradigmenwechsel in der Kunstgeschichte und Denkmalpflege erfolgte in den 60er Jahren. Die Minderwertigkeit, die dem Historismus bis dato weitestgehend anhaftete, wurde zugunsten einer gleichwertigeren Einordnung der Zeitschichten aufgelöst. Ich muss gestehen, dass ich selbst mit einer konservativen Sichtweise auf den Historismus ins Studium gegangen bin und lernen musste, ihn zu schätzen. Der Historismus ist ja auch nicht auf die die Ära von Kaiser Wilhelm zu beschränken. Diese Spätphase ist nur besonders intensiv und besitzt etwas Manieristisches an sich. Sie prägt die Gestalt unserer Städte bis heute vielfach nachhaltig, erst recht dort, wo die mittelalterlichen Stadtkerne durch Kriegseinwirkung zerstört sind.

    Ok, das sind die Kunsthistoriker der heutigen Zeit - ich denke, da braucht es keinen Kommentar mehr.

  • Ok, das sind die Kunsthistoriker der heutigen Zeit - ich denke, da braucht es keinen Kommentar mehr.

    Ich habe auch beim dritten Nachdenken nicht wirklich verstanden, was du mir "als Kunsthistoriker der heutigen Zeit" damit sagen möchtest. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du mich richtig verstanden hast.

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  • Ja, ich habe auch den Eindruck, dass tegula von einigen falsch verstanden wurde.

    Pagentorn liegt mit seiner Verknüpfung von Historismus und Wilhelm II. falsch. Sie lässt sich nur mit dem Personenkult erklären, den Pagentorn um seinen geliebten Kaiser betreibt. Wilhelm II. war in der Epoche des Historismus ein Bauherr neben vielen anderen. Mehr nicht.

    Der Historismus ist in der Kunstgeschichte und Denkmalpflege seit Jahrzehnten anerkannt. Er ist ein gesamteuropäisches Phänomen. Je länger diese Epoche zeitlich zurückliegt, desto höher steigt sie im Kurs.

  • Ich denke, man muss auch einmal grundsätzlich unterscheiden zwischen Wilhelm II. und "seiner" Zeit, dem sogenannten Wilhelminismus. Das Reich war weder politisch noch gesellschaftlich ein homogenes Gebilde - nicht einmal Preußen war es (das Industriegebiet der preußischen Rheinprovinz war eine völlig andere Welt als das ostelbischen "Junkerland", als Ostpreußen oder das katholische Schlesien). Selbst die Reichshauptstadt Berlin war mit ihren verschiedenen Bezirken völlig heterogen . Nicht einmal die Eliten - Militär, Kirche, Wissenschaft, Industriebarone, Großbürgertum, Adel - waren über einen Kamm zu scheren. Welche dieser Strömungen verkörperte der Kaiser denn nun? In welchem Maße hatte er auf ihre Entwicklung Einfluss? Wofür zeichnete er persönlich verantwortlich, wofür seine Berater, was war durch den Zeitgeist oder durch andere Faktoren bedingt? Die rasant voranschreitende Industrialisierung war ebenso wenig sein Verdienst wie ihm die Armut des Proletariats anzulasten ist (im übrigen stimmt es nicht, dass der Großteil der Bevölkerung arm war - im Gegenteil, Handwerker und Kleinbürgertum hatten weitgehend ihr Auskommen, dem gehobenen Bürgertum ging es sehr gut, dem Großbürgertum sogar prächtig). Und für welchen Stil stand Wilhelm? Er schätzte das Neorokoko des Wiesbadener Theaterfoyers ebenso wie den wuchtigen Neobarock des Berliner Doms, die Neoromanik der Gedächtniskirche und die klare, eher klassische Architektur Ernst von Ihnes.

    Wilhelm ist schon als Kaiser zur Projektionsfigur geworden und er blieb es auch danach. Projektion und Person gilt es zu trennen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Wilhelm ist schon als Kaiser zur Projektionsfigur geworden und er blieb es auch danach

    Wilhelm II. wurde vor allen Dingen Ziel angelsächsischer Propaganda (z.B. hier, hier, hier) und das darin gezeichnete Bild wirkt bis heute nach. Dieses Abbild feindlicher Propaganda hat aber nichts mit der historischen Wahrheit zu tun.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Ich habe auch beim dritten Nachdenken nicht wirklich verstanden, was du mir "als Kunsthistoriker der heutigen Zeit" damit sagen möchtest. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du mich richtig verstanden hast.

    Ich habe es völlig wertenetral in den Raum gestellt, was Du daraus machst, ist Dein Ding.

    Was mich vielmehr interessiert, gab es in den wilhelminischen Zeiten überhaupt Kunsthistoriker?

    Ich denke mal so hobbymässig schon, wie es auch Philosophen und weitere gab.

    Aber ob es damals schon Studienfächer dafür gab, entzieht sich meiner Kenntnis.

    Ich selbst hätte wohl zu des Kaisers Zeiten auch den Handwerksberuf ergriffen, mir war es schon immer wichtig mit meiner eigenen Hände etwas zu schaffen.

    Sicher, mit den Handwerkerlohn zu Kaisers Zeiten zählte man nicht zu den wohlhabenden Leuten.

    Aber damals hatte man sich noch einen Beruf erwählt, der einem am meisten lag - freilich hätte für meinen Beruf damals der Volkschulabschluss gelangt.

    Als Klavierstimmer hätte ich damals trotz mickriger Bezahlung mehr verdient als heute.

    Das ist einfach der Tatsache geschuldet, das es fast in jedem Haushalt ein Klavier vorhanden war.

    Wie viel Menschen spielen denn heute noch Klavier?

    Eine Selbstverständlichkeit zu Kaisers Zeiten, ist heut nur noch ein Luxus.

  • Ich habe es völlig wertenetral in den Raum gestellt, was Du daraus machst, ist Dein Ding.

    Ich mache gar nichts daraus, weil ich nicht verstehe, was du mir damit sagen möchtest.

    Was mich vielmehr interessiert, gab es in den wilhelminischen Zeiten überhaupt Kunsthistoriker?

    Da hilft einfach mal ein Blick zu Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kunstgeschichte
    Die erste Professur für Kunstgeschichte ist 1799 in Göttingen eingerichtet worden, womit die Frage eindeutig mit "ja" zu beantworten ist.

    Das ist einfach der Tatsache geschuldet, das es fast in jedem Haushalt ein Klavier vorhanden war.

    Das bezweifle ich sehr. Das dürfte für den Adel und das reiche Bürgertum gelten, aber sicher nicht für das Proletariat und die Landbevölkerung, somit für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Für alle anderen war ein solches Instrument gar nicht bezahlbar.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Sicher, mit den Handwerkerlohn zu Kaisers Zeiten zählte man nicht zu den wohlhabenden Leuten.

    Das ist heute aber doch immer noch der Fall. Vermögend werden als Handwerker kann wohl nur, wer auf eigene Rechnung arbeitet.

    Das war aber damals auch schon möglich.

    Als Referenz nenne ich den Schriftsteller Th. Fontane, der den Maurerpolier, jetzigen Rentier August Nottebohmals Besitzer eines neu erbauten Mietshauses auftreten ließ.

    Gab es nicht auch hier im Forum ein Thema zu einem Jugendstil-Mietshaus in Offenbach, das ein Maler erbaut hatte?

  • Das bezweifle ich sehr. Das dürfte für den Adel und das reiche Bürgertum gelten, aber sicher nicht für das Proletariat und die Landbevölkerung, somit für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Für alle anderen war ein solches Instrument gar nicht bezahlbar.

    Nun ja, ob sich das Proletariat ein Instrument leisten konnte, ist natürlich zu bezweifeln.

    Jedoch war ein Klavier für das Bürgertum bereits erschwinglich.

    In einem Katalog aus der Zeit sah ich, ab 150 RM konnte man bereits ein Klavier kaufen - sicher, es war dann ein geradsaitiger Oberdämpfer, aber musizieren konnte man darauf recht gut.

    Aber auch Gründerzeitmöbel waren selbst für die Arbeiterklasse erschwinglich.

    Die Mulackstraße in Berlin, stammte ja noch aus des Kaisers Zeiten - ein Armeleuteviertel (welches in den 60iger und 70iger Jahren dem Erdboden gleichgemacht wurde.

    Ein ehemaliger Bekannter von mir (Lothar Berfelde) rettete da so einige Gründerzeitmöbel der Kaiserzeit - die könnst heut nimmer bezahlen.

  • Das ist heute aber doch immer noch der Fall. Vermögend werden als Handwerker kann wohl nur, wer auf eigene Rechnung arbeitet.

    Das war aber damals auch schon möglich.

    Naa ja, ich arbeite auf eigene Rechnung - aber sehr viel mehr als im Angestelltenverhältnis bekomme ich auch nicht raus.

    Das war zu Kaisers Zeiten schon etwas anders - die damalige Regierung unterstützte insbesonders Selbständige.

    Pianoforte Fabriken schossen (gerade in Berlin) wie Pilze aus dem Boden, Berlin war neben Leipzig eine Hochburg des Klavierbaus.

  • Durch was besonders`? Zuschüsse? Steuervorteile?

    An der Schloß Freiheit in Berlin, hatten die Handwerker Steuervorteile.

    Ich meine zu denken, daß Wilhelm II diese aufrecht erhielt für alle Handwerksleut.

    Das Militär, zu denen auch mein Urgroßvater gehörte, bezahlte überhaupt keine Steuern.

    Und wenn wir schon mal dabei sind - meinem Urgroßvater sagte man nach "er hätte Schulden wie ein Major"....mei, er war ja auch einer.

    So etwas wurde in Militärkreisen allerdings nicht strafrechtlich geahndet, man fegte es einfach mal unter den Teppich.

    Militärparaden hat seine Majestät auch sehr genossen und bezahlt - auch mir gefallen so Militärparaden mit schöner Marschmusik.

    Mit dem Ende des DDR Regimes, war es dann allerdings auch mi dieser schönen alten Tradition vorbei.

  • Durch was besonders`? Zuschüsse? Steuervorteile?

    Da die Steuern im Deutschen Kaiserreich dermaßen gering waren im Vergleich zur Steuerlast der Bundesrepublik, glaube ich kaum, dass man mit Steuervorteilen Anreize setzen konnte.

    Der preußische Finanzminister Johannes von Miquel entwarf um 1891 in Berlin die erste große Steuerreform. Sein neues, damals revolutionäres System sah eine Einkommenssteuer, eine Vermögenssteuer und eine Gewerbesteuer vor. Bis dahin hatte die Regierung keinen Zugriff auf Steuern, die der Bürger direkt an den Staat zahlte, sondern lediglich auf Zölle und einige Verbrauchs- und Verkehrssteuern.

    Der Steuersatz der Einkommensteuer stieg von 6 Mark für Jahreseinkommen von 900 bis 1.050 Mark, also rund 0,6 %, bis auf 4 % (für Jahreseinkommen über 100.000 Mark)

    Und jetzt führe man sich einfach noch einmal Frankas Beitrag vor Augen, in welchen sie die enormen Aufbauleistungen in Bezug auf das Schienennetz und den Bau von leistungsfähigen und repräsentativen Bahnhöfen in der Zeit von 1871 bis 1914 darlegte.

    Darüber hinaus ziehe man das außerordentliche Wachstum der größeren deutschen Städte hinzu und wie dieses Wachstum stadtplanerisch und städtebaulich umgesetzt wurde.

    Das alles bei einem Spitzensteuersatz von gerade einmal 4%, der darüber hinaus erst bei einem jährlichen Einkommen von 100.000 Mark zum Tragen kam.

    Je mehr man darüber nachdenkt, umso kümmerlicher wird das heutige Deutschland.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Und die Umsatzsteuer wurde als "Reichsstempelabgabe" erst 1916, wegen der enormen Kriegkosten, eingeführt. Auch mit einem sehr niedrigen Prozentsatz. Vor 1916 hatte es also gar keine Umsatzsteuer in Deutschland gegeben.