Ich möchte euch in dieser Galerie die altrussische Baukunst ein wenig näher bringen. Sie ist im westlichen Europa kaum bekannt. Das liegt sicherlich an der Sprachbarriere. Schon die offiziellen Namen russischer Kirchen und Klöster erscheinen uns umständlich und lang. Dazu gibt es dann im Russischen gebräuchliche Kurzformen. Wir können die Namen ins Deutsche übertragen, aber dem Laien sagt das eigentlich nichts. Ich bevorzuge daher hier die Angabe der russischen Namensform im Sinne eines unübersetzten Eigennamens. Manchmal biete ich zusätzlich die Übersetzung an. Lasst euch bitte nicht von den russischen Namen abschrecken! Sie werden zur Identifizierung benötigt, aber ihr könnt die Galerie auch genießen, ohne euch näher mit den Namen zu befassen.
Der zweite Grund, warum die altrussische Baukunst im Westen wenig bekannt ist, dürfte der sein, dass sie nicht gerade um die Ecke liegt. Ein Großteil der Baudenkmale versteckt sich tief in der russischen Provinz.
Als "altrussisch" bezeichnet man den traditionellen Baustil Russlands in Abgrenzung zu den "europäischen" Stilen Barock, Klassizismus und Historismus, die zwischen 1700 und 1917 im "alten Russland" ebenfalls vorkommen. Das "alte Russland" wird im Russischen als "zaristisch" oder "vorrevolutionär" gekennzeichnet. Gemeint ist das Russland vor der Abdankung des Zaren im Revolutionsjahr 1917.
Zur Einstimmung auf dieses alte Russland möchte ich euch Farbfotografien aus den Jahren 1909 bis 1915 zeigen. Sie stammen von Sergej Prokudin-Gorski (Сергей Прокудин-Горский, 1863-1944), einem Pionier der Dreifarbenfotografie. Prokudin-Gorski verbesserte das Verfahren so, dass er dokumentarisch im Freien arbeiten konnte. Er entwickelte den Plan, die Provinzen des Russischen Reiches in farbigen Fotografien zu dokumentieren. Der Zar war begeistert und erteilte ihm den Auftrag, Stadtbilder, Gebäude, Kulturlandschaft, Menschen und Wirtschaftsleben möglichst umfassend im Bild festzuhalten. Ab 1909 unternahm Prokudin-Gorski mehrere Expeditionsreisen. Zur Entwicklung seiner Aufnahmen hatte er sich ein Labor in einem Eisenbahnwaggon eingerichtet, das ihn begleitete. Die Fotos bestechen durch ihre künstlerische Qualität und Farbtreue.
1918 ging Sergej Prokudin-Gorski in die Emigration. Sein Bildarchiv nahm er mit. Nach seinem Tod 1944 in Paris erwarb die Library of Congress in Washington seinen künstlerischen Nachlass. Für alle folgenden Aufnahmen dieses Fotografen gilt: Besitz des Originals: Library of Congress, Rechte: public domain. Beginnen wir mit Aufnahmen von Menschen und Kulturlandschaft des alten Russland:
Mädchen mit Erdbeeren, Dorf Topornja (Топорня) nahe der Stadt Kirillow, Gouvernement Wologda
(Foto: Sergej Prokudin-Gorski, 1909)
Mädchen im Dorf Topornja bei Kirillow, Gouvernement Wologda (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Die Besatzung des Dampfers "Scheksna" (Шексна) (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Kinder am Hang unterhalb einer Kirche in Belosersk (Белозерск), Gouvernement Nowgorod (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Erntearbeiter, Gouvernement Jaroslawl (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Bei der Ernte, Gouvernement Jaroslawl (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Mittagspause bei der Ernte an der Scheksna, Gouvernement Jaroslawl (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)
Der alte Kalganow mit Sohn und Enkelin, alle drei in der Waffenfabrik von Slatoust im Ural tätig
(Foto: Prokudin-Gorski, 1910)
Bahnlinie bei Petrosawodsk am Onegasee, der Herr im Anzug vorne rechts ist Sergej Prokudin-Gorski
(Foto: Prokudin-Gorski, 1915)
Dieses Foto lässt sich über den Bildlink enorm vergrößern, dann kann man das Gesicht von Prokudin-Gorski gut sehen. Mit diesem letzten Bild von Menschen des alten Russland leiten wir nun über zu den Gebäuden. Wir bleiben in der Nähe, im Gouvernement Olonez.
Kapelle im Dorf Mjatusowo (Мятусово), Gouvernement Olonez (Foto: Prokudin-Gorski, 1909)