Bietigheim - Hornmoldhaus, Rekonstruktion der Fenstererker

  • Noch einmal zur Restaurierung der Malereien.

    Im Oberen Ern des Hornmoldhauses, im zweiten Obergeschoss, der Chefetage, befindet sich das mutmaßliche Chef-Zimmer. Es ist ein relativ kleiner Raum mit reich gemaltem Zugangsportal, freilich dadurch nicht besonders hervorgehoben: Alle Türen im Oberen Ern sind von reich gemalten Portalen umgeben. Aber die Bemalung in Inneren hebt den Raum über alle anderen Räume außer der Sommer- und der Wohnstube hinaus.

    Als nicht heizbarer Raum mit reicher Innenbemalung handelte es sich eigentlich um eine Sommerstube, aber dafür ist der Raum viel zu klein. Geheizt werden konnten solche kleinen Räume z.B. durch Eisenbecken, gefüllt mit Glut. Sehr wahrscheinlich also war es das Arbeitszimmer oder der Empfangsraum des Vogts. Bietigheimer Stadtvogt, Stellvertreter des Herzogs in seiner Stadt war zur Zeit der Ausmalung um 1575 Josias Hornmold (um 1530-nach 1582), der älteste Sohn Sebastian Hornmolds, des Erbauers des Hauses.

    Der stimmungsvolle Raum wurde nach seiner Restaurierung mit Möbeln der Zeit des späten 16. Jhdt. als Leihgaben des Württ. Landesmuseums ausgestattet. Originalmöbel aus dem Haus selbst sind nicht erhalten.

    Die Decke war bis auf wenige in den letzten Jahrhunderten ersetzte Fachfelder in gutem Zustand. Die fehlenden wurden zunächst leer gelassen, weil sie keinem Rapport folgten. Aber dadurch wurde die Wirkung des in sich so harmonischen Raumes völlig gesprengt. So einigte sich Restaurator Malek mit dem Denkmalamt auf eine Nachempfindung der übrigen Fachfelder in blasserer Farbe. Die Raum erhielt seine Wirkung wieder zurück, der Unterschied zu den farbkräftigeren Originalbefunden ist erkennbar. Original sind die beiden linken unteren Fachfelder. Auf dem Bild treten die Unterschiede weniger deutlich hervor als in Wirklichkeit.

    Ähnlich hat man es, wie bereits gesagt, mit den Türblättern gehalten: Die Bemalungen auf einer raumwirksamen Seite wurden nach dem Vorbild des einzigen mit Bemalung erhaltenen Türblatts gestaltet, nach der Außenseite der Türe zur Sommerstube.

    Solche Türblätter und die genannten Deckenfelder der Stube im Oberen Ern sind die einzigen "erfundenen" Bemalungen im ganzen Haus, alles andere war erhalten, deutlich erkennbar oder im Rapport ergänzbar.

    Im ganzen Haus wurden immer wieder Befunde unrestauriert als Belege sichtbar gelassen.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    Einmal editiert, zuletzt von Bentele (19. August 2019 um 17:18)

  • Kann es sein, dass die Fenstergriffe modern sind? Vermutlich, weil sie modernen Innenfenstern zugehören?

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Kann es sein, dass die Fenstergriffe modern sind? Vermutlich, weil sie modernen Innenfenstern zugehören?

    Die Fenster im Hornmoldhaus vermeiden bewusst jede Rekonstruktion, da niemand weiß, bzw. damals wusste, wie Fenster zur Zeit Hornmolds bis ins Detail beschaffen waren. An einer einzigen Stelle, nämlich am südlichen Ende des Oberen Erns, ließ eine Nut noch ein Schiebefenster erschließen, das dann auch so hergestellt wurde, freilich auch hier letztlich ohne Detailwissen zur Konstruktion und zur Art der Verglasung.

    Die Fenster im ganzen Haus sind moderne Fenster mit kleinteiliger Sprossenteilung. So sind auch die Fenstergriffe in einer schlichten modernen Form gestaltet. Dasselbe gilt zwangsläufig für die elektrische Beleuchtung des Hauses.

    Historisierende Gestaltungen hätten in diesen Bereichen, so denke ich, recht schiefe Ergebnisse gezeitigt.

    Anders ist es mit den Fenstererkern, zu deren Konstruktion in der Zwischenzeit wesentliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten und die deshalb an unzähligen Häusern rekonstruiert wurden und werden: Wenn auch die Gestaltung oft noch sehr im Dunkeln liegt, so verschafft schon ihr bloßes Vorhandensein einem repräsentativen Haus eine größere Authentizität.

    Der Fenstererker in der Sommerstube, der einige Zeit nach der Restaurierung des Hauses rekonstruiert wurde, ist mit Butzenscheiben verglast und weist noch längst nicht alle bis heute gewonnenen Erkenntnisse zur Konstruktion von Fensterkern auf.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


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    Hölderlin

    Einmal editiert, zuletzt von Bentele (23. August 2019 um 07:47)

  • Der wertvollste, aber auch spannendste Teil des Hauses ist die Sommerstube


    Die Abbildung der Decke, unmittelbar nach der Restaurierung von der Stadt erstellt, ist nicht besonders gut wiedergegeben, vermittelt aber einen guten Eindruck.

    Die Bemalung der Decke, datiert 1575, folgt der Konstruktion, die Gefache sind gefüllt mit gotisierenden Gabelblattranken erkennbarer Pflanzen, hier die Eiche:

    Eine gewisse Ähnlichkeit besteht zur Ausmalung des Münsters in Überlingen von Marx Weiß, ohne dass hier an den bedeutenden Maler zu denken ist. Einen Hinweis scheint die Abbildung einer an eine Soldanelle erinnernden Blüte zu geben. Da die Soldanelle vor allem im Hochgebirge, meist an Schneerändern gedeiht und sie im Bietigheimer oder Stuttgarter Flachland ganz unbekannt war, könnte der Maler der Decke aus einem der Alpenländer stammen.

    Die Soldanelle:

    Die Gabelblattranken werden geteilt von Medaillons, von denen wir die satirischen schon kennen - Papst- und Kardinalsatiren. Der Krimi, der hinter ihnen erkennbar ist, wird noch geliefert.

    Hier das schöne Lamm Christi, das in Bezug gebracht ist zu dem bereits abgebildeten Fratzengesicht.

    Das Lamm Christi:

    Zu den Bildern an den Wänden der Stube.

    Leider sind sie al secco gemalt, der Farbauftrag ist sehr flach, weshalb sie nur schlecht erhalten sind. Nur die Westwand und die Nordwand sind original, die beiden anderen wurden im 17. oder 18.Jhdt. ersetzt. Aus der Nordwand wurden zwei Bünde ausgebrochen als Durchfahrt. Der Raum war Wohl seit Beginn des 20. Jhdt. und noch in meiner Kindheit Lagerraum für das Heizmaterial der Bäckerei im Erdgeschoss des Hornmoldhauses - Eierkohlen, Briketts und vor allem Reisigbüschel waren bis unter die Decke gestapelt. Die Malereien bis zur Unkenntlichkeit verstaubt.

    Hier die Nordwand, ebenfalls kurz nach der Restaurierung:

    Der Durchbruch ist hier deutlich zu sehen. Er wurde nach dem Rapport ergänzt. Die Fußbodenzone zeigt das bloße Fachwerk: Bei Festen wurden hier Bänke aufgestellt oder waren bleibend umlaufende Bänke.

    Zu den Bildern, die sich als Grisaille mit gelegentlichen Gelbhöhungen in den gemalten Arkaden befinden.

    Das Weihnachtsbild ist am besten erhalten. Weiß jemand etwas zur Ikonographie des nicht in der Krippe liegenden Kindes?

    Eine Seltenheit ist das „Konfessionsbild“ mit den Tätigkeiten der evangelischen Kirche: Taufe, Predigt, Abendmahl. Blickt man genau hin, so sieht man hinter dem Prediger auf der Kanzel die Sanduhr, dass er nicht zu lange predigt.


    Schwer erkennbar der Prediger mit der Sanduhr.

    Weitere Bilder folgen.

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    Hölderlin

    2 Mal editiert, zuletzt von Bentele (22. August 2019 um 17:51)

  • Die meisten Bilder zeigen biblische Themen, weshalb die Sommerstube oft als Hauskapelle gedeutet worden ist. Aber Hauskapellen sind im protestantischen Teil des Christentums theologisch undenkbar - und schon gar nicht im Hause eines Direktors des herzoglichen Kirchenrats.

    Zudem gibt es auch weltliche Motive wie die Jagdszenen auf dem bereits abgebildeten Brett, dem einzigen Überbleibsel der Südwand. Welche Motive auf der Süd- und Ostwand die Arkaden füllte, wissen wir nicht.

    Die religiösen Bilder sind bei ihrem schlechten Erhaltungszustand nur schwer oder gar nicht deutbar: das Pfingstwunder und die Himmelfahrt,der heilende Jesus, die Aussendung der Apostel, Kain und Abel und andere Themen.

    Hier das Konfessionsbild


    Ein Kranker sucht Heilung


    Der heilende Christus

    Himmelfahrt und Pfingsten

    Gar ein Indianer(?)

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    Hölderlin

    Einmal editiert, zuletzt von Bentele (23. August 2019 um 07:55)

  • Geschichte und Auftraggeber der Sommerstube

    Auf den ersten Blick fallen große Unterschiede der Bemalung der Decke und der Wände auf: Die Decke folgt der Konstruktion, an den Wänden wird die Konstruktion durch die Malereien verdeckt.

    Die Bemalung der Decke ist ebenfalls 1575 datiert, in diesem Jahr wurde das Gebäude mit der Sommerstube errichtet. Das gelbe Balkenwerk über dem Fußboden zeigt als Bankzone die Fachwerkkonstruktion, aufwärts wird sie von übermalt. Allerdings findet sich unter der grauen Übermalung des Gebälks dieselbe gelbe Farbe wie an den noch sichtbaren Fachwerk-Teilen. Die ganze Stube sollte offenbar 1575 in der Farbgebung und der Konzeption der Decke ausgemalt werden.

    Der Nachweis der gelben Farbe des Gebälks unter der grauen Farbschicht der Malereien der Wände zeigt eine ursprünglich andere Konzeption der Wände.

    In den Jahren des Baus der Sommerstube hatte Josias Hornmold, der älteste Sohn Sebastians, des Erbauers des Hornmoldhauses, als Vogt von Bietigheim Streit mit dem Herzog: Josias widersetzte sich dessen Anordnungen und begründete dies mit der Weigerung, sich in seinem „angehenden Alter“ - er war etwa 40 - mit den Bürgern in einen Dauerstreit zu begeben. Daraufhin musste er seinen Dienst quittieren und verließ Bietigheim.

    Ergebnis: Die gerade begonnene Sommerstube stand leer und ist 1581 als eine Art Rumpelkammer nachweisbar.

    Nach 1620 ließ Johann Sebastian Hornmold (1570-1637) im Hornmoldhaus Erneuerungen vornehmen, z.B. die Errichtung des Prunkportals:

    oder die in Süddeutschland überaus rare Sitznische an der Nordostecke des Hauses:

    In diesem Zusammenhang wird nun mit der Bemalung der Wände die Sommerstube vollendet. Freilich nicht mehr im Stil der übrigen Malereien des Hauses, sondern in einer neuen frühbarocken Malweise, bei der nicht mehr die Konstruktion Grundlage ist, sondern in illusionistischer Weise neues Raumerlebnis geschaffen wird.

    Wir kennen das bereits von den gemalten Portalen im Oberen Ern:

    Auch die gemalten Portale überdecken die Konstruktion, hier sogar Bemalungen, die der Konstruktion folgten: der Wechsel von der Renaissance zum frühen Barock.

    Ein kurioser Beleg für Johann Sebastian Hornmold als Auftraggeber findet sich an einem Arkadenbild: Einzug in Jerusalem mit dem Zöllner Zachäus auf dem Baum. An einer vorstehenden Ecke eines Gebäudes erblickt man das Christuszeichen IHS:


    Freilich endet der senkrechte Strich des H nicht in einer Verlängerung mit einem Kreuz wie üblich, sondern in einem schnörkelartigen Gebilde. Auch lässt sich das Zeichen IHS als Christuszeichen in dieser Zeit in der evangelischen Ikonografie nicht nachweisen.

    Johann Sebastian Hornmold war wie sein Großvater Direktor des Kirchenrats! Es handelt sich also keineswegs um das Christuszeichen, sondern das unter den Papstsatiren der Decke ganz bewusst als Provokation eingesetzte Monogramm Johann Sebastian Hornmolds: das H von Hornmold in der Mitte, außen I und S.

    Als Zugabe noch ein kleiner Hase:

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

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    Hölderlin

    11 Mal editiert, zuletzt von Bentele (3. September 2019 um 16:30)

  • Wenn man es auch nicht sieht: Es geht immer noch um Fenstererker - die Frage nach der Berechtigung ihrer Rekonstruktion macht aber die Frage nach der Qualität des Hauses und später auch seiner Bewohner absolut notwendig.

    Die Sommerstube, ein winziger Abglanz römischer Hochrenaissance?

    Hier der Blick diagonal auf die Nordostecke. Die Ostwand war wohl im 17. Jhdt. abgegangen, die Bemalung ist im Rapport rekonstruiert.

    Der erste Eindruck beim Betreten der Stube ist eine eigenartig luftige Weite, obwohl die Größe der Stube keineswegs bürgerliches Maß überschreitet - es ist eine Stube und kein Saal.

    Dennoch dominiert der Eindruck von Großzügigkeit.

    Diese rührt zweifellos von dem Aufbau der Malereien an den Wänden: Die unterste gelbe Fachwerkzone war damals von umlaufenden Bänken verdeckt, zumindest beim Gebrauch der Stube. Der heutige Fußboden ist nicht Teil der Restaurierung, sondern der Beleuchtung.

    Über der umlaufenden Bankzone ist in Grisaille die Illusion eines durch Arkaden gegliederten Mauerwerks gemalt. Jeder Bogen der Arkaden umfängt ein ebenfalls als Grisaille gemaltes Bild in der Art eines Tafelbildes, also nicht ornamental, sondern insgesamt einem biblischen oder theologischem Programm folgend. Zumindest theologisch was die erhaltenen oder erkennbaren Bilder betrifft. Die Illusion nun verfremdet die Malerei - das ist das Wesen der Grisaille-Malerei - und macht sie optisch zu einer Art Stein-Relief.

    Dieses Scheinmauerwerk erreicht die farbig gefasste Decke nicht, sondern schließt über einem schmalen Zahnschnittband ab mit einer gemalten Oberseite, die perspektivisch so gestaltet ist, als hätte man als Betrachter Obersicht. Auf die so erhaltene Fläche als Oberseite der Arkadenmauer stellt der Maler nun optisch jeweils über den die Bögen trennenden Säulen der Arkaden Blattbalustersäulen mit der Illusion von Säulenstützen für die Decke. Erst diese Balustersäulen tragen nun einen mit Gesimsen gestalteten Architrav und dieser die Decke.

    Die Illusion wird dadurch verstärkt, dass die Säulchen auf die Maueroberseite, mehr oder weniger gut erhalten, gemalte Schatten werfen.

    Durch die großen leer- das heißt weiß gelassenen Zwischenräume der einzelnen Säulen entstehen nun illusionistisch Durchblicke. Der ganze Raum wirkt optisch erhöht und erhält durch die Balustersäulenreihe und die hellen Zwischenräume diese luftige weite Wirkung.

    Es ist mir nicht gelungen, in Deutschland eine vergleichbare Raumkonzeption der späten Renaissance oder des frühen Barock zu finden. Der Goldene Saal in Augsburg besitzt eine vergleichbar zwischen Wand und Decke eingeschaltete erhöhende Zone. Aber dort ist es eine Zone tatsächlicher Fenster.

    Die „Badestube“ auf Schloss Runkelstein in Südtirol weist über der Wandfläche eine gemalte Reihe von Bögen auf, die aber mit sagenhaften Tier- und Menschenmotiven ausgefüllt sind.

    Zu denken ist an italienische Einflüsse: besonders in der Villa Farnesina in Rom die höhende Wandzone zur Decke im Saal der Perspektiven: Gemalte Karyatiden tragen hier die Decke, die Zwischenräume sind ebenfalls Durchblicke, aber nicht in den leeren Raum, sondern auf Begebenheiten klassischer Sagen, so dass der Raum geschlossener wirkt, was durch die wandhohen illusionistischen Durchblicke, Perspektiven, auf die Stadt Rom ausgeglichen wird.

    Die Ausgestaltung der Farnesina gehört zu den bedeutendsten Schöpfungen der römischen Hochrenaissance, und es ist natürlich vermessen, die Bietigheimer Sommerstube in ihrem Zusammenhang auch nur zu erwähnen. Dennoch ist die Parallele da.

    Belegbar ist, dass Johann Sebastian Hornmold wohl vor dem Jahr oder um das Jahr 1600 in Perugia und Siena studiert hat. Es ist also denkbar, dass er in Italien auf ähnliche Räume oder auf Kupferstiche solcher Räume gestoßen ist und in Bietigheim dem Maler, von dem noch zu reden sein wird, vermittelt hat. Ein Aufenthalt des Studenten in Rom ist nicht belegbar, aber anzunehmen.

    Ich hoffe sehr auf Seinsheim, der vielleicht in Deutschland oder Italien Ähnliches kennt. Vorläufig scheint die Konzeption der Stube in Deutschland einmalig zu sein.

    Hier noch ein vergleichbarer Raum der ersten Konzeption der Sommerstube 1575: eine Sommerstube in Besigheim, die vor wenigen Jahren in der Silvesternacht abgebrannt ist. Sie hatte an Wänden und Decke eine einheitliche Konzeption. In dieser Weise wurde die Hornmoldsche Sommerstube wohl geplant, aber nur die Decke wurde vollendet, die Wände blieben bis nach 1620 bis auf die gelbe Bemalung der Balken leer.

    Die Spanne zwischen Spätrenaissance und dem frühen, vielleicht italienisch geprägten Frühbarock hat uns auf jeden Fall eine höchst originelle und bedeutende Stube beschert.

    Foto Haußmann

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

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    Hölderlin

  • Conrad Rotenburger frühbarocker Maler der Sommerstube im Hornmoldhaus.

    Der Maler der Wände in der Sommerstube lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erschließen: Conrad Rotenburger(1579-1633). Fakten aus der Zuschreibung: Er gehört als Feldmesser und Mitglied des Rates zur Bietigheimer Ehrbarkeit, er erhält in der Umgebung von Bietigheim größere und aufwendige Aufträge, Sebastian Hornmold Poeta Laureatus, der im Auftrag des Kaisers gekrönte und mit kaiserlichem Privileg versehene Dichter, verfasst auf ihn eine Lobeshymne für sein Werk Biblische Summarien. Es wäre ein Affront gewesen, hätte Johann Sebastian Hornmold einem weithin mit Aufträgen versehenen Maler und Mitglied der Bietigheimer Ehrbarkeit den Auftrag im Hornmoldhaus nicht gegeben. Der Vergleich mit anderen Werken Rotenburgers zeigt: Die Bilder in der Sommerstube tragen seine Handschrift.


    Das Wohnhaus Conrad Rotenburgers. Vielleicht schmückte die leere Wandfläche ursprünglich eine Malerei des Künstlers.

    Conrad Rotenburger war neben seinem Beruf als Künstler Feldmesser und hat als solcher die Lücken seiner Feldmesserprotokolle mit für ihn wichtige Ereignisse „weltweit“ gefüllt. So erfahren wir vom Prager Fenstersturz 1618 genauso wie vom damaligen Kometen, von Erdbeben, Finsternissen, Blutregen, Missgeburten, der Kipper und Wipperzeit, erster nachweislicher reichsweiter Inflation um 1621, der Pest, von militärischen Vorgängen, von Bietigheimer Ereignissen - alles als Feldmesserchronik bezeichnet.

    Er hatte 1614 den Auftrag übernommen, die Stadtkirche in Vaihingen Enz nach einem Programm des bedeutenden Württemberger Theologen Johann Valentin Andreae ganz auszumalen, über 300 große Bilder; am Tage nach der Vollendung 1618 brannte die Kirche vollständig ab!

    Von Rotenburger erhalten ist wenig: Ein Epitaph in der Besigheimer Stadtkirche ist von ihm signiert und datiert 1611. Christus ist auf ihm als „Riesenbaby“ dargestellt, d.h. als kleines Kind, aber in der Größe eines Erwachsenen. Reste eines der Wandbilder in der Sommerstube lassen noch deutlich ebenfalls dieses sehr selten dargestellte Motiv erkennen.

    Das Das Besigheimer Epitaph lässt das „Riesenbaby“ deutlich erkennen - ein weiterer Hinweis auf die Autorschaft Rotenburgers in der Sommerstube.

    Außerdem erhalten sind seine biblischen Summarien, in denen er in mit 1444(!) Radierungen, jede wenige Zentimeter groß, das ganze Alte und Neue Testament illustriert. Es handelt sich um Embleme, so nennt man Darstellungen, die drei Eigenschaften haben: einen Titel, hier ein Buchstaben- und Ziffernsystem, um die Bibelstelle aufzufinden, sonst meist eine Überschrift, als Zweites das Bild, als Drittes einen gereimten Zweizeiler, der das Bild kommentiert oder in eine Moral umsetzt.

    Diese Biblischen Summarien sind bemerkenswert wegen ihrer Alltagsrealistik, die bis hin zu Laufstühlchen von Kindern reicht oder Gebärende im Gebärstuhl zeigt und vieles Anderes. Fast der ganze Alltag des 17. Jhdt. Ist dokumentiert, in sehr vielen Bildern auch die Schrecken des Krieges und der Lebensstil der Landsknechte. Zwei Söhne von ihm sind mit den Soldaten gezogen, eine Tochter wird ein Jahr nach Rotenburgers Tod 1634 von Soldaten erstochen, zwei Jahre später 1636 verhungert seine Frau.

    Wir finden hier eine der ersten Abbildungen eines Kontrabasses überhaupt!


    Am linken Bildrand gerade noch erkennbar.

    Wirklichkeitsgetreue Sternbilder auf den Radierungen Rothenburgers in den Summarien gehören zu den frühesten Darstellungen von Sternbildern auf Abbildungen: der Orion und der Große Wagen. Ich habe nur eine einziges Bild mit realistischen Sternbildern vor denen Rotenburgers gefunden.


    Die Bilder lassen sich leider kaum besser darstellen.

    Von Rotenburgers Biblischen Summarien haben sich wohl weltweit bis jetzt nur fünf Exemplare erhalten. Sie wurden 1630 in Bietigheim verlegt, offenbar unter Mitwirkung der Familie Hornmold. Der Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen hat in Zusammenarbeit mit der Stadt ein Faksimile der Biblischen Summarien herausgegeben mit ausführlicher Einleitung, das im Stadtmuseum Hornmoldhaus erworben werden kann.

    Wenn davon auszugehen ist, dass Rotenburger der Maler der frühbarocken Wandmalereien in der Sommerstube ist, so dürfte er auch der Meister der Portale im Oberen Ern sein. In den Summarien zeigen Darstellungen von Palästen im Stile der Zeit um 1600, vor allem nach italienischen Vorbildern, dass er mit der Architektur der Zeit über die Grenzen hinaus vertraut war. Es lässt sich erschließen, dass er einen Helfer aus Augsburg hatte, Jacob Custos, Sohn des Dominicus Custos, aus einer Stecherfamilie ursprünglich von Antwerpen, der ihm vielleicht manches vermitteln konnte.


    Der Obere Ern: die Überarbeitungen nach 1620, ein Werk Conrad Rotenburgers?

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

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    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    4 Mal editiert, zuletzt von Bentele (3. September 2019 um 17:05)

  • Sehr eindrucksvolle Recherchearbeit!! Wie authentisch ist denn der Fenstererker des Rotenburger-Hauses?

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Ich habe eine Seite gefunden, die noch mehr Aufnahmen der Fassaden von vor der Renovation 1979/81 zeigt:
    https://stadtmuseum.bietigheim-bissingen.de/deutsch/das-ho…hichte/verfall/

    Interessant ist nun der Vergleich mit den Bildern nach der Restaurierung aus der bereits schon einmal verlinkten Bildergalerie:
    https://freundeskreis-hornmoldhaus.de/galerie/

    Im Hof gibt es ja das Sommerhaus mit dem Verbindungsgang zum Haupthaus. Ans Sommerhaus angebaut ist noch ein weiteres Gebäude mit quergelegtem Satteldach. Dieses ist offenbar ein vollständiger Neubau in alten Formen (1. Bild im 2. Link), denn gemäss den historischen Aufnahmen bestand dort vorher ein Anbau unter Schleppdach mit konststruktivem Fachwerk aus dem 19. Jahrhundert (unterstes linkes Bild im 2. Link).

    Einmal editiert, zuletzt von Riegel (3. September 2019 um 14:57)

  • Ich habe eine Seite gefunden, die noch mehr Aufnahmen der Fassaden von vor der Renovation 1979/81 zeigt:
    https://stadtmuseum.bietigheim-bissingen.de/deutsch/das-ho…hichte/verfall/

    Interessant ist nun der Vergleich mit den Bildern nach der Restaurierung aus der bereits schon einmal verlinkten Bildergalerie:
    https://freundeskreis-hornmoldhaus.de/galerie/

    Im Hof gibt es ja das Sommerhaus mit dem Verbindungsgang zum Haupthaus. Ans Sommerhaus angebaut ist noch ein weiteres Gebäude mit quergelegtem Satteldach. Dies ist offenbar ein vollständiger Neubau in alten Formen (1. Bild im 2. Link), denn gemäss den historischen Aufnahmen bestand dort vorher ein Anbau unter Schleppdach mit konststruktivem Fachwerk aus dem 19. Jahrhundert (unterstes linkes Bild im 2. Link).

    Zur Restaurierung der Fassaden des Hornmoldhauses bitte ich noch um Geduld. Ich möchte zuvor die Darstellung des Hauses in seinem Bestand an Einzelwerken und die seiner Bewohner abschließen, soweit sie Bedeutung für das Haus und die Geschichte des Landes hatten und haben. Das Haus gibt ja auch Zeugnis von ihnen und hält die Erinnerung an sie wach. Es erhält aber auch von ihnen Bedeutung.

    Zum Sommerhaus, das, wie Riegel richtig sieht auf der Hofseite über einen Zwischenbau mit dem Haupthaus verbunden ist: Der Schleppdachanbau war eine spätere Veränderung. Das Sommerhaus sitzt mit dem Südgiebel auf der Stadtmauer. Man entschied sich bei der Restaurierung, die historische Situation so zu rekonstruieren, wie sie bei Merian in der Topografia Sueviae 1643 überliefert ist.

    Das Hornmoldhaus ist nicht ganz korrekt wiedergegeben. Es befindet sich links vom Rathaus (das höchste Gebäude direkt vor der Kirche, mit einem spitzen Turm auf der Traufseite rechts vom Südgiebel und einem rückwärtigen kleineren Turm links vom Südgiebel). Das Haus mit dem höchsten Dach links vom Rathaus ist das Hornmoldhaus (nicht verwechseln mit dem stumpfen Turmhelm noch weiter links), wenig korrekt platziert. Korrekt platziert ist das Sommerhaus mit seinem Fachwerk direkt vor dem Hornmoldhaus. Rechts davon findet sich der rekonstruierte Anbau, dessen Traufe der Stadtmauer folgt. Dieser Zusammenhang, der sich auch noch anhand von Mauerresten erkennen ließ, wurde rekonstruiert, wobei die Gestaltung im Detail und die Größenverhältnisse bei Merian meist nicht sonderlich zuverlässig sind.

    Die Südwand der Sommerstube und die Ostwand waren ja abgegangen, wahrscheinlich im Dreißigjährigen Krieg, und wurden wohl Ende des 17. oder im 18. Jhdt. rekonstruiert.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

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    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    2 Mal editiert, zuletzt von Bentele (3. September 2019 um 23:42)

  • Samuel Hornmold als Kanzler von Baden (Baden-Baden)
    Ein Politkrimi

    Die Satiren in der Sommerstube gegen die Katholische Kirche habe ich schon vorgestellt.



    Das Verblüffende ist der späte Zeitpunkt ihrer Einfügung: 1575.

    Die Medaille, die als Vorbild diente war datiert 1545, und ihre Datierung wurde übernommen: Das Jahr 1545 ist die Zeit des Schmalkaldischen Krieges Kaiser Karls V. gegen den Schmalkaldischen Bund evangelischer Fürsten. In dieser Zeit wurde Bietigheim von Truppen des tyrannischen Herzogs Alba besetzt und das Hornmoldhaus geplündert. Herzog Alba kennen wir aus Don Carlos von Schiller. Er hat im Freiheitskrieg der Niederlande den Grafen Egmont hinrichten lassen, auch Goethe und Beethoven bearbeiteten diesen Stoff.

    Sebastian Hornmold musste fliehen. Nach dem Sieg des Kaisers musste er als Direktor des Kirchenrats das kaiserliche Interim in Württemberg einführen, eine weitgehende Rückkehr zum Katholizismus. Er machte sich dadurch bei strenggläubigen Protestanten so verhasst, dass in der Alten Kanzlei in Stuttgart durch das Fenster seiner Amtsräume auf ihn geschossen wurde. Er blieb unverletzt. Verständlich, dass im Hornmoldhaus an diese gravierenden Ereignisse erinnert wurde.

    Stuttgart Alte Kanzlei
    Die Räume Sebastian Hornmolds befanden sich wohl im linken Gebäude, geschossen wurde von dieser Seite.

    Die Papstsatiren tragen als zweite Jahreszahl noch die Zahl 1575. Diese ist das Jahr der Fertigstellung des Sommerhauses und der Malereien an der Decke der Sommerstube und damit auch der Satiren. Der späte Zeitpunkt der Satiren verwundert: Der Schmalkaldische Krieg liegt eine Generation zurück, der Augsburger Religionsfrieden hatte längst Versöhnung gebracht - die konfessionellen Bedingungen im Herzogtum Württemberg waren mit der Großen Landeskirchenordnung konsolidiert, Hornmold war für die erlittene Unbill und seine materiellen Verluste längst mit der Verleihung des persönlichen Adels, von Zinshöfen und einem Wappen vom Kaiser persönlich entschädigt. Zudem kennt man ihn als auf Ausgleich gesinnten Diplomaten.

    Die bösartigen Papst- und Kardinalsatiren machen 1575 keinen Sinn mehr! Oder doch?

    1569 stirbt in französischen Diensten Markgraf Philibert von Baden im Kampf gegen die Hugenotten, vielleicht vergiftet.


    Markgraf Philibert

    Sein Sohn Philipp II. als Nachfolger ist erst 10 Jahre alt.

    Sein Vormund wird Herzog Albrecht II. von Bayern. Philipps Mutter ist eine bayerische Prinzessin und holt 1570 den Grafen Otto Heinrich von Schwarzenberg ins Land. Dieses ist während der Abwesenheit des Markgrafen in französischen Diensten weitgehend evangelisch geworden. Nun soll es wieder zum rechten Glauben zurückgeführt werden als erster Flächenstaat im Reich eine Frucht der Gegenreformation werden.

    In dieser Zeit bewirbt sich Prof. Dr. Samuel Hornmold, Professor beider Rechte in Tübingen, der zweite Sohn Sebastian Hornmolds, des evangelischen Kirchenratsdirektors, um die Kanzlerschaft in Baden. Er wolle mit seiner ganzen Familie katholisch werden: mit seinem Vater in Bietigheim sei er zerfallen, auf sein Erbe habe er verzichtet, die Beziehungen nach Stuttgart und Tübingen habe er abgebrochen.

    Eine Sensation, ein diplomatischer Triumph ersten Ranges! Samuel wird selbstverständlich Kanzler und leitet den Markgräflichen Rat.

    Aber Schwarzenberg ist misstrauisch. Er lässt den neuen Kanzler bespitzeln. Die Spitzelberichte sind noch da, in Landshut: Hornmold hat regen Briefwechsel mit seinem Vater, er hat nach wie vor Verbindungen nach Stuttgart und Tübingen, er verlässt die Sonntagsmesse immer vor der Wandlung.

    Hornmold rechtfertigt sich: Er höre zu Haus die Messe, er besuche sie öffentlich nur wegen der Musik. Schließlich ist alles klar: Er wurde Kanzler, um die badische Politik protestantisch zu beeinflussen, auch ist anzunehmen, dass er den unmündigen Markgrafen zum evangelischen Glauben bringen wollte: Damit wäre Baden nach dessen Herrschaftsübernahme der Gegenreformation verschlossen gewesen.

    Er kommt in Hausarrest, diplomatische Bemühungen von evangelischer Seite. Hochverrat?

    Den Ausschlag gibt der Hinweis, dass „Doctor Conradt Braun seelig geweßner Bairischer Canzler sein Dr. Samuels nechster Pluetsfreund“ gewesen ist - sein nächster Blutsverwandter. Konrad Braun (1495-1563) war wohl der Bruder seiner Mutter Anna, geb. Braun, also sein Onkel, der Schwager Sebastians; zu dieser Zeit ist er einige Jahre tot, aber er wird in Bayern in so hohen Ehren gehalten, dass er Samuel rettet.

    Samuel muss das Land verlassen und geht mit seiner Familie in die Reichsstadt Heilbronn, wird dort Syndikus. Er ist der Vater des Sebastian Hornmold Poeta laureatus.

    Zur Zeit der Ausmalung der Decke der Sommerstube lag der Fall Samuel Hornmold nur ein Jahr zurück, so dass die Satiren gegen Papst und Kirchenfürsten verständlich werden. Kaum zu klären ist die politische Dimension: War der in Stuttgart und Tübingen bestens vernetzte Professor Hornmold die protestantische Speerspitze Süddeutschlands, vor allem Württembergs, um im Nachbarland die Gegenreformation zu bekämpfen? Oder handelte Samuel ehrsüchtig und blauäugig aus eigenem Ehrgeiz?

    Jedenfalls hielt die Familie den Vorgang für wert, um in der Sommerstube künftige Mitglieder der Familie Hornmold mit den satirischen Vexierbildern an der Decke an die Vorgänge in Baden zu erinnern. Nahe bei den Satiren findet sich zudem das Türblatt geschmückt mit der Darstellung Samson tötet den Löwen, wohl als Denkmal der erstrebten Überwindung der Gegenreformation.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

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    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    4 Mal editiert, zuletzt von Bentele (6. September 2019 um 00:03)

  • Es sei mir erlaubt noch einmal auf Conrad Rotenburger, den mutmaßlichen Maler der Wände in der Sommerstube zurück zu kommen.

    Er war einer der ersten Maler, die in der darstellenden Kunst real erkennbare Sternbilder dargestellt haben. Die beiden Radierungen aus den Biblischen Summarien zeigen den Großen Waagen im Buch Hiob und hier den Orion beim Propheten Amos.

    Das Sternbild des Orion

    Es ist nun deutlich zu erkennen, dass der „Kopf“ des Orion durch weitere kleine Sterne gebildet werden: das Siebengestirn oder die Plejaden. Die Plejaden sind die in Tauben (Plejaden) verwandelten Töchter des Himmelsträgers Atlas. Auch sie werden im Alten Testament genannt, um die Größe Gottes zu beweisen. Es wäre ein Leichtes gewesen, auch kompositorisch, die Plejaden in einem gewissen Abstand, wie ihn das Sternbild des Stiers bedingt, zu zeigen. Stattdessen vereinigt er die beiden Sternbilder.

    Das erste Bild überhaupt, das den Himmel realistisch abbildet ist von Adam Elsheimer (1578-1611) Flucht nach Ägypten.

    Man sieht den Sternhimmel mit der Milchstraße, ganz oben rechts ist der Große Waagen zu finden, über den Baumwipfeln erscheinen die Plejaden. Zum ersten Mal ist die Milchstraße als Konglomerat unzähliger Sterne dargestellt, was zu Vermutungen einer sehr frühen Nutzung eines Teleskops führte. Der Mond hat bereits seine Krateroberfläche - kopfstehend, was wiederum die Nutzung eines Teleskops nahelegt.

    Das Bild wurde 1609 in Rom gemalt. Elsheimer lebte in dieser Stadt seit dem Jahre 1600, könnte also noch die Verbrennung Giordano Brunos am 17. Februar 1600 gesehen haben. Zu seiner Lehre, z.B. von der Unendlichkeit des Weltalls werden von vielen Interpreten aus dem Bild Parallelen gezogen.

    Adam Elsheimer ist in Frankfurt geboren, hier sein 1944 zerstörtes Geburtshaus Fahrgasse 120 - das dritte Haus von links, das Haus am Eck.

    Conrad Rotenburger nimmt seine Objekte, die er radiert in den Summarien aus der Bibel, freilich sehr fantasiereich. Die Kombination des Orion mit den Plejaden zu einem einzigen Sternbild lässt sich nicht allein mit kompositorischen Gründen erklären, dazu sind die Formen, zumindest des Orion, zu genau. Hat er von Giordano Bruno gehört oder gelesen? Die Nachricht von dessen Hinrichtung verbreitete sich ja über ganz Europa, seine „ketzerischen“ Gedanken, die heute Selbstverständlichkeiten sind, dürften im evangelischen Württemberg zumindest in ihrem Gegensatz zu Rom Interesse gefunden haben, wenn Bruno sich auch in Wittenberg und anderen protestantischen Städten nicht hatte halten können.

    Die Unendlichkeit des Weltalls, die Unzahl der Himmelskörper, die Unmöglichkeit Gott, Himmel oder überhaupt die Schöpfung lokalisieren zu können, wie Giordano Bruno lehrt - Goethe übernimmt von ihm seinen Pantheismus - könnte in der eigenartigen Figur aus Orion und den Plejaden Ausdruck gefunden haben.

    Wir kehren jetzt dann bald zur Fassade des Hornmoldhauses und den zu rekonstruierenden Fenstererkern zurück!

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Der Niedergang des Hornmoldhauses.

    Es ist wichtig, den Verfall dieses herrschaftlichen Hauses zu zeigen: Er löst weitere bauliche Veränderungen aus, die letztlich den Zustand vor der Restaurierung bewirkten, aber überraschenderweise auch noch einige Erweiterungen der malerischen Ausstattung brachten, wenn auch auf einem völlig anderen, aber dennoch interessanten Niveau.

    Markstein ist der Dreißigjährige Krieg und hier das Jahr 1634 nach der Schlacht von Nördlingen. Bietigheim hatte 1634 noch etwa 2000 Einwohner, wenige Jahre später waren es noch etwa 250!
    Hunger, Seuchen, vor allem die Beulenpest des Jahres 1635 und durch materielle Not bedingte Auswanderung waren die Ursachen.

    Der geistliche Verwalter Johann Sebastian Hornmold der Jüngere stirbt 1635 mit seiner ganzen Familie, Frau und drei Kindern, innerhalb weniger Wochen im Hornmoldhaus an der Pest. Er war der Sohn Johann Sebastians des Älteren, des Auftraggebers der Bemalungen der Wände im Sommerhaus.

    In der Folgezeit stand das Haus offenbar viele Jahre leer. In diese Zeit fallen wohl der Verlust der Ost- und der Südwand der Sommerstube über der Stadtmauer.

    Es gibt vor Kriegsende noch einen Namensträger Hornmold im Haus, Johann Jakob, ebenfalls Sohn Johann Sebastian des Älteren. Er, gebürtig in Stuttgart, ist vorübergehend Vogt von Bietigheim, wird aber von Soldaten so brutal zusammengeschlagen, dass er Bietigheim verlässt. Sein Schwiegersohn Friedrich Haag ist als Stadtarzt der letzte Bewohner der städtischen Ehrbarkeit im Haus. Er hatte eine bedeutende Kunstsammlung, auf ihn gehen die schönen, nur in Resten erhaltenen Arabesken in der Schlafstube zurück.

    Diese fantasievolle Bemalung der Decke in der Schlafkammer etwa um 1670-80 zeigen ein letztes Aufflackern der Dekoration auf der Höhe der Zeit.

    Die Schlafkammer ist wie meist üblich ein „gebundener“ Raum, d.h. er ist nicht von einem Flur, sondern nur durch einen anderen Raum aus betretbar. Über der Türe von der Wohnstube zur Schlafkammer prangt das Allianzwappen Sebastian Hornmolds mit dem seiner Frau Anna Braun.

    Nach seinem Tod erlischt der Bietigheimer Zweig der Familie Hornmold auch in der Nachkommenschaft, das Haus wird von mehreren Familien bewohnt, zum Teil einfache Landwirte.

    Dennoch, die ja noch vorhandenen Malereien wirken wahrscheinlich nach, finden sich Malereien im Galeriegebäude zwischen Haupthaus und Sommerhaus noch aus der Zeit des späten 18. Jhdt.!

    Zwölf Bäumchen geben Rätsel auf, denn die Zwölferzahl kann kein Zufall sein. Und In Ihrer Nähe finden sich das teufelsbeschwörende Pentagramm und das „versöhnende“ Heptagramm, die ich schon gezeigt habe.

    Eine Wand des Flurs durch die Galerie zur Sommerstube ist mit eindrucksvollen Blumenmotiven bemalt:

    Die kraftvollen grafischen Gebilde haben so gar keine Ähnlichkeit mit sonstiger Dekorationsmalerei der Zeit, auch nicht mit Bauernmalerei an Mobiliar oder Ähnlichem. Am ehesten, denke ich, mit Malerei, wie wir sie auf Keramik finden. Aber direkt Vergleichbares kann ich auch hier nicht finden.

    Die „reiche“ Malerei im Flur zur Sommerstube zeigt, dass diese noch lange Zeit sehr wertgeschätzt worden sein muss.

    Freilich verkam dann das Haus im späteren 19. Jhdt. und im 20. völlig: In das Erdgeschoss des Hauses zog eine Bäckerei samt Backstube, das Prunkportal wurde Schaufenster, die Sommerstube Lagerraum für Heizmaterial und Abfälle. Spätestens in dieser Zeit dürfte das Haus seine Fenstererker verloren haben - dies könnte aber auch schon früher geschehen sein, als die beiden abgegangenen Wände in der Sommerstube wieder aufgebaut wurden.

    Nach dem 2. Weltkrieg bezogen Flüchtlinge das Haus, danach Gastarbeiter, die Stadt wollte das Haus verrotten lasen, um es mit der ganzen Altstadt abreißen zu dürfen.

    O, sparet au das teure Wasser! sagte der damalige Oberbürgermeister zu der Feuerwehr bei einem Zimmerbrand.

    Im Inneren wurden Zwischenwände eingezogen, die bemalten Decken waren wohl schon im 19.Jhdt. mit Lehmwickeln abgedeckt worden, die Wände bedeckten unzählige Schichten von Tapeten und Ölanstrichen. Malereien waren keine mehr offen, nur noch in der Sommerstube, aber hier verdeckt von Ruß und Staub. Rohre und Gas- und Elektrizitätsleitungen durchzogen das Haus und fraßen sich durch Malereien.

    Umschieben das Glump, warm abbrechen den Mist!

    Das war die Meinung der meisten Bürger, als ich mich mit einer Bürgerinitiative daran machte, das Haus vor dem Abbruch zu retten.

    Zum Glück war gerade ein neuer OB gewählt worden, der im Gegensatz zum wassersparenden auf unserer Seite war, denn ohne Schultes geht in Schwaben gar nichts!

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    5 Mal editiert, zuletzt von Bentele (12. September 2019 um 23:56)

  • Nachwirkungen Sebastian Hornmolds des Erbauers des Hornmoldhauses.

    Die schwäbische Geisteskonzentration:

    Was haben diese Männer gemeinsam?
    Wilhelm Hauff, Friedrich Hegel, Friedrich Hölderlin, Friedrich Schelling, Ludwig Uhland, Eduard Mörike, Hermann Hesse, Dietrich Bonhoeffer, Max Planck, Carl Friedrich von Weizsäcker, Richard von Weizsäcker.

    Diese Liste von Dichtern, Philosophen, Naturwissenschaftlern, Widerstandskämpfern, Politikern schwäbischer Herkunft könnte noch gewaltig verlängert werden.

    Die richtige Antwort lautet: Sie sind alle miteinander verwandt!

    Man kann von einer ganz ungewöhnlichen „familiären“ Konzentration des Geistes sprechen. An der Uni in Tübingen hörte ich einmal, in der Universität Chicago sei in der Vorhalle einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung der grundlegende Familien-Stammbaum dieses schwäbischen Phänomens im Fußboden aus Bronze in Marmor eingelegt. Ich konnte es nie nachprüfen.

    1556 machte Herzog Christoph von Württemberg aus den Mannsklöstern Klosterschulen, sog. Landseminare - die Mönche waren nach 1534 vertrieben worden. Die Große Landeskirchenordnung von 1559 legte fest, dass jeder Schüler des Landes mit dem Bestehen des sog. Landexamens in diese Schulen auf Landeskosten eintreten und die Befähigung zum Studium erwerben kann, bis heute (in Maulbronn und Blaubeuren). Gefordert wurden überragende Leistungen in Deutsch, Latein, Mathematik und Musik.


    Herzog Christoph von Württemberg

    Erfinder und Initiatoren des Landexamens und der Landseminare waren der Reformator von Württemberg Johannes Brenz und der Direktor des Kirchenrates Sebastian Hornmold.

    In Maulbronn und Blaubeuren existieren diese Schulen noch heute. Für viele war es freilich eine Einbahnstraße, denn das Ziel dieser Schulen war das Theologiestudium zum Pfarrberuf, als Unglück empfunden z.B. von Johannes Kepler, Astronom, Friedrich Hölderlin und Hermann Hesse, Dichter.

    Der Speisesaal der Mönche im Kloster Maulbronn, Weltkulturerbe. Hermann Hesse war hier Schüler, verließ die Schule heimlich und schrieb darüber in „Unterm Rad“.

    Das Kloster Blaubeuren. Im Vordergrund der Blautopf. Mörike erfand hier das Märchen von der schönen Lau.

    Ansonsten hatte diese Einrichtung aber ungeahnte Folgen: Die Pfarrer hatten zunehmend überragende Fähigkeiten in Sprache, Mathematik und Musik - höchstbedeutend für wissenschaftliche und künstlerische Betätigung. Dazu kam: Fast jeder Pfarrersohn heiratete bis weit ins 19. Jhdt. und oft noch länger eine Pfarrerstochter und umgekehrt. Es erfolgte geradezu eine „Züchtung“ von vielfachen Hochbegabungen, bald innerhalb weniger Familien.

    Die Idee von Brenz und vor allem von Sebastian Hornmold bescherte auf diese Weise der Menschheit, einen Reichtum von Weltbedeutung an Gedanken, Literatur, naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, politischen Vorgaben und Handlungen.

    Seinen Instinkt für Schule bewies Sebastian Hornmold auch in der Stadt Bietigheim, als er aus dem umfangreichen Stadtsitz eines Ritters gegen den Widerstand des Herzogs und unter dem Gespött des ganzen Landes die Lateinschule machte, die seither in einem winzigen Häuschen ein bescheidenes Dasein gefristet hatte. Er wusste, was er tat: In das große Haus konnte der Präzeptor, der Schulleiter, mehr bezahlende Kostgänger aufnehmen als in den meisten anderen Städten des Herzogtums. Damit aber konnte die Stadt immer die besten Präzeptoren auswählen: Folge waren bedeutende Schulabgänger, wie Erwin von Bälz (1849-1913), Leibarzt des Kaisers von Japan und der kaiserlichen Familie und Gründer der medizinischen Fakultät der Universität Tokio.

    Lateinschule Bietigheim 1476, ursprünglich Stadthaus des Georg von Nippenburg, dem Reichen.

    Ein weiterer Schüler dieser Schule war der bedeutende Landschaftsmaler Gustav Schönleber (1851-1917), Professor an der Staatlichen Akademie der Künste in Karlsruhe, der an der Ausgestaltung des Reichstags in Berlin mitgearbeitet hatte: Hier sein Bild von Rothenburg ob der Tauber noch beim Malvorgang in der Werkstatt in Karlsruhe. Es ist mit dem Reichstag mitverbrannt, an welcher Stelle des Gebäudes weiß ich nicht.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    7 Mal editiert, zuletzt von Bentele (25. September 2019 um 15:49)

  • Wie verkündeten meine schwäbischen Klassenkameraden doch immer:

    Der Schiller und der Hegel,
    der Uhland und der Hauff,
    das ist bei uns die Regel,
    die gibt's bei uns zuhauf.

    Wir Badener haben, was Dichter angeht, nur den Scheffel. Aber dennoch werden wir unser bescheidenes Lichtlein nicht unter selbigen stellen...
    :dichter:

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Lieber Seinsheim,

    mit dem Scheffel als einzigem badischen Dichter von Rang stellst Du das badische Licht halt doch arg unter den Scheffel!

    Für mich zählt Johann Peter Hebel mit den Geschichten aus dem Rheinischen Hausfreund zu den größten deutschen Erzählern und mit seinen alemannischen Gedichten zu den größten deutschen Lyrikern.

    Und dieser Meinung schließt sich ein Herr Goethe aus Frankfurt allerhöchst und voll und ganz an.
    Freilich verwandt mit dem Schwäbischen Parnass ist der Hebel nicht. Goethe schon.

    Freilich waren alle drei nie im Hornmoldhaus, womit wir in Bietigheim halt irgendwie fertig werden müssen.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

  • Ja, den Hebel anzusetzen, ist natürlich eine gute Technik, um das Licht wieder unter dem Scheffel hervorzuholen.....

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Wir haben die Fenstererker des Hornmoldhauses, zu deren sachgemäßer Rekonstruktion dieser Strang beitragen soll, einigermaßen aus den Augen verloren.

    Dies geschah mit voller Absicht: Das Hornmoldhaus war zum Abbruch verurteilt, und es geht mir hier auch darum aufzuzeigen, was zur Erhaltung führte.

    Die Erhaltungswürdigkeit von Bauwerken springt, wie man gerade am Hornmoldhaus sehen konnte, oft nicht ins Auge: dafür grinsen Verfall, Zerstörung und Hässlichkeit – die Schönheit ist versteckt, verändert, oft nur torsohaft erkennbar, selbst für Fachleute. Die Öffentlichkeit tobt beim bloßen Gedanken, für einen solchen „Müllhaufen“ auch nur einen Cent auszugeben.

    Der Wert eines Bauwerkes, auch das ist mir wichtig, liegt zwar in erster Linie in seinem historischen Zeugnis der Baukultur einer Epoche und gegebenenfalls als Kunstobjekt, sowie in seinem baulichen Zusammenhang mit der Umgebung: Ich muss das hier nicht ausführen. Zunächst war für mich eigentlich in erster Linie die stadtbildprägende Wirkung des Hauses wichtig. Aber historische Bauwerke waren ja auch immer mit Leben erfüllt, oft jahrhundertelang; und mit der Kenntnis der ehemaligen Bewohner, ihrer Schicksale und ihrer öffentlichen Bedeutung wächst auch die Bedeutung des Bauwerks selbst.

    Der originale Türklopfer aus der Zeit Hornmolds, der alle Jahre des Verfalls an einer unbedeutenden Türe überdauert hat und an das Prunkportal zurückgekehrt ist.

    Im Fall des Hornmoldhauses war von allen Bewohnern überhaupt nur Sebastian Hornmold einigen Landeshistorikern näher bekannt als hoher Beamter der Reformationszeit, vielleicht mit einigen Details, die für die Öffentlichkeit wenig interessant waren. Mir war als erster Schritt wichtig, das zu ändern.

    Die Familie und ihr Stammbaum, die Bedeutung einzelner Familienmitglieder für die Stadt und das Land, vor allem ihr Zusammenhang mit der Baugeschichte und den Steinmetzarbeiten und nach deren Auffindung mit den Malereien – das alles musste Schritt für Schritt in Archiven erforscht werden.

    Vorträge, Artikel und Leserbriefe in der vorbildlich mitarbeitenden Presse brachten die Erkenntnisse unter die Leute. Die Bedeutung Sebastian Hornmolds und seiner Familie für die Stadt und das Land schuf der Erhaltung des Hauses im Bewusstsein der Bürger zunehmend Bahn.

    Das Auffinden und die Freilegung der Malereien überzeugte dann jeden auch noch so hartnäckigen Gegner fast schlagartig von der Bedeutung des Hauses; die Neuwahl des OB Manfred List hatte schon zuvor den dann wichtigsten Anhänger der Erhaltung zum Ergebnis.

    Abschließend wurde gerade in diesem Haus deutlich, wie sehr nicht nur die sozialen Bedingungen, etwa der Ehrbarkeit, sondern vor allem die geistigen Strömungen wie hier die Reformation und das Ringen zwischen den Konfessionen, aber auch künstlerische Kraft und über allem der Ablauf der großen Geschichte in diesem wie in anderen historischen Gebäuden sichtbar werden.

    Das Haus wurde Bahnbrecher für die erhaltende Sanierung der Altstadt, deren Abbruch ja ebenfalls schon beschlossen gewesen war. Es strahlte hinaus ins Land und brachte landesweit sorgsameren Umgang mit Bürgerhäusern, in denen zuvor nie nach Malereien Ausschau gehalten worden war: Jetzt wurde eine große Zahl davon im Land gefunden, wenn auch keines sich mit dem Hornmoldhaus messen kann.

    Schließlich wurde das Baden-Württembergische Denkmalschutzgesetz, so wörtlich von Lothar Späth, vom Hornmoldhaus beeinflusst.

    Hornmoldhaus und Sommerhaus im Bietigheimer Stadtbild genau vor dem Turm der Stadtkirche

    Das alles lag mir am Herzen, bevor wir uns jetzt wieder der Rekonstruktion von Fenstererkern zuwenden. Unter den stattlicheren Bürgerhäusern Bietigheims, deren Fenstererker wir ja kennen, ist das Hornmoldhaus in jeder Hinsicht und mit riesigem Abstand das bedeutendste – ein Patrizierhaus mit wunderbarem Zierfachwerk, prächtigen Steinmetzarbeiten, herrlichen Malereien, bedeutenden Bewohnern, aber mit Bauernhausfenstern!

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    3 Mal editiert, zuletzt von Bentele (28. September 2019 um 00:09)

  • Fläche wird Raum, Holz wird Stein

    Zurück zur Frage der Fenstererker.
    Die beiden Beobachtungen über die Gestaltung von Wänden und des Werkstoffes Holz, als stilistische Wandlungen von der Renaissance zum Barock begleiten auch die Entwicklung der Fenstererker.

    Wand wird Raum: Das wohl früheste Schmuckelement des Fachwerks waren eine oder mehrere farbige Begleitlinien des Gebälks. Hier in einer Kammer des zweiten O.G. im Hornmoldhaus. Möglicherweise war das Gebälk aller Wohnräume im Haus zunächst, d.h. ab 1536, so gestaltet. Die Wand erhält Farbe und Linie, bleibt aber Fläche.

    Diese flächenhafte Gestaltung fand sich in reicherem Zusammenhang auch noch in der Besigheimer Sommerstube, leider vor wenigen Jahren verbrannt:

    Im Hornmoldhaus erhalten nun alle Flächen räumliche Funktionen, zuerst um 1557. die Begleitlinien erhalten durch schwarze und weiße Farben die Wirkung von Licht und Schatten, die Balken erhalten ebenfalls durch Linien räumlich „aufgesetzte“ Flächen, die in den Raum hinein zu ragen scheinen. Im Oberen Bildbereich sind die Balken durch räumlich wirkende wulstartige Absetzungen geteilt, andere Teilungen sind mit einfachen Linien gestaltet - immer aber sollen durch den Wechsel von schwarz und weiß Licht und Schatten vorgetäuscht werden.

    Im 2. OG. geschieht Ähnliches mit anderen Farben.
    Die Felder sind zu räumlichen Aufsätzen geworden, und diese wiederum sind marmoriert bemalt, also als Stein gedacht.

    Die gemalten Portale des 2. OG. machen aus Fläche illusionistisch Raum und aus Holz Stein

    An den Wänden der Sommerstube nach 1620 ist die Entwicklung abgeschlossen: Die Wand wird illusionistisch durch Grisaille zum Raum, Holz wird übermalt zu Stein.

    Dieselbe Entwicklung nehmen Fenstererker, ein alemannischer Besigheim Pfarrstraße 10, 1493: flächig, Holz
    Der Erker ist eine Rekonstruktion. Ich kenne keinen wirklich originalen Fenstererker aus dem 15. Jhdt.

    Bönnigheim Salzhaus, wohl 2. Hälfte 17. Jhdt. Holz ist durch Steinornamentik zu Stein geworden

    Vaihingen an der Enz, "Kaserne" nach 1693 Wand wird zu Raum.

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    3 Mal editiert, zuletzt von Bentele (6. Oktober 2019 um 10:23)