• Als Klavierbauer hat man ja viel mit Instrumenten um die Jahrhundertwende (um 1900) zu tun, welche zwar als Instrument nicht immer hohe qualitative Ansprüche erfüllen, aber vom Möbel her wunderschön anzusehen sind.

    Wie komme ich jetzt darauf?

    Die Gründerzeit war von der Ansicht geprägt "Schönheit für alle"

    Auch der "einfache Arbeiter" hatte nun Anspruch auf Schönheit, so wurden auch die Häuser entsprechend gestaltet, die ach so fürchterlichen Mietskasernen in den Arbeiterbezirken waren allesamt in Gründerzeit gehalten.

  • Ach ja, Gebäude der Gründerzeit wurden früher auch oft als "Neobarock" bezeichnet - wobei ich meine daß bei Gründerzeitgebäuden eher der Klassizismus überwiegt.

  • Ach ja, Gebäude der Gründerzeit wurden früher auch oft als "Neobarock" bezeichnet - wobei ich meine daß bei Gründerzeitgebäuden eher der Klassizismus überwiegt.

    Neorenaissance ist eigentlich der "typische" Gründerzeitstil, sowohl deutsche/nordische als auch italienisierende Neorenaissance. Aber gerade die italienisierende Neorenaissance ist in ihren antikisierenden Formen sehr klassisch geprägt und der Spätklassizismus geht häufig fließend in den Frühhistorismus über.

    Auch der "einfache Arbeiter" hatte nun Anspruch auf Schönheit, so wurden auch die Häuser entsprechend gestaltet, die ach so fürchterlichen Mietskasernen in den Arbeiterbezirken waren allesamt in Gründerzeit gehalten

    Nun, tauschen wollte ich nicht. Sicher gab es sehr hochwertigen und auch künstlerisch anspruchsvollen Historismus. Das in der "Gebrauchsware" oder auch in der einfachen Architektur die Schnörkel noch deutlich stil- und geschmackssicherer waren als bei heutigen Kitschspielereien hilft bei feuchten Wänden, Überbelegung oder Hinterhofklos sicherlich wenig. Diese "Schönheit für alle" war so sicher kein Anspruch des Historismus sondern eher Folge, dass nun industriell und seriell billig Zierat produziert werden konnte. Ob diese Prunkinflation wirklich der Weisheit letzter Schluss war?
    Dass alles "zu schön für die Massen" war, hat sicherlich nicht zu Bauhaus und Neuem Bauen geführt.

  • Beim Bauhaus ging es ja nur um das Funktionale, kam aber erst sehr viel später nach der Gründerzeit. Zu vor war ja noch der Jugendstil und Artdeko, auch recht interessante Stilrichtungen.

    Aber es ist schon richtig, daß die Gründerzeit industrielle Herstellung hatte und hier in großen Mengen produziert werden konnte - keine Ahnung warum das heut nicht mehr geht, so ein reich verzierter Schrank ist doch für jedes Wohnzimmer eine Augenweide....auch wenn jetzt bicht vielleicht so angenehm zum Staub wischen ;)

  • Aber es ist schon richtig, daß die Gründerzeit industrielle Herstellung hatte und hier in großen Mengen produziert werden konnte - keine Ahnung warum das heut nicht mehr geht, so ein reich verzierter Schrank ist doch für jedes Wohnzimmer eine Augenweide....auch wenn jetzt bicht vielleicht so angenehm zum Staub wischen

    Weil man herausgefunden hat, wie es noch billiger geht. Damit war das alte billige zu teuer. Erst hat mans Ornament weggelassen (die Menschen haben nach der Gottesfurcht auch noch das Horror Vacui verloren) und dann auch noch das Holz durch Pressspahn ausgetauscht.
    Wenn man dann das Ornament, nun ohne Hemmungen gegen jedes Stil- und Geschmacksempfinden in schlechter Qualität wieder dranpappt, hat man sowas:
    https://www.ebay.de/itm/BAROCK-STU…-gAAOSwa~FcENx6

    Zu einem Preis, der in Relation zu den Einkommensverhältnissen noch nie so billig gewesen sein dürfte. Nur sieht es dann eben aus wie bei Harald Glöökler unterm Sofa. Geschmack lässt sich leider nicht so einfach kaufen.

  • Was genau ist jetzt der Aufhänger für diesen Faden hier, was soll hier passieren? ?(

    Themenstränge zum Historismus und zur Gründerzeit haben wir doch bereits mehrere...

    es geht einfach mal nur um die Stilistik der Gründerzeit, ich da hätte gedacht des wäre verständlich angekommen. Ich meine, es lohnt durchaus sich auch mal etwas intensiver mit verschiedenen Stilrichtungen zu befassen. Mir fiel bisher auf daß die Stilkunde hier etwas zu kurz kommt, was natürlich auch da zu führt, daß Stilrichtungen durcheinander gebracht werden - so wird hier häufig die Dadaistische Moderne mit Bauhaus oder gar dem Brutalismus gleichgesetzt; so wie Jugendstil und Artdeko in die Gründerzeit verortet werden.

  • Glaube nicht, dass die APH-Forumer so unfirm sind in Sachen Stilkunde. Aber einzelne Themenfäden zu den Stilen machen definitiv Laune, wenn's richtig aufgezogen wird.

    Es ist selbst für die erfahrensten Foristen nicht immer einfach Stile zu erkennen und zu unterscheiden. Selbst mir passierte es des öfteren daß ich zum Beispiel Prachtbauten des 18. Jahrhunderts als Gründerzeitler missinterpretierte.

  • Mir fiel bisher auf daß die Stilkunde hier etwas zu kurz kommt, was natürlich auch da zu führt, daß Stilrichtungen durcheinander gebracht werden - so wird hier häufig die Dadaistische Moderne mit Bauhaus oder gar dem Brutalismus gleichgesetzt; so wie Jugendstil und Artdeko in die Gründerzeit verortet werden.

    Da ist aber schon der Begriff "Gründerzeit" ungenau und umgangssprachlich und m.E. für eine differenzierende Stilkunde eher ungeignet, genauso wie die "Belle Époque", zumal mal von einem Zeitraum, (1871-73? oder gar bis 1914?), mal von einem "Gründerzeitstil" gesprochen wird. Und auch das, was man als typischen Gründerzeitstil verortert, ist unscharf umrissen: Sein Wesen, die Kunst- und Geistesströmungen, die ihm zu Grunde liegen sind teils vollkommen contraire, haben aber doch in ihrer Umsetzung de facto erstaunlicherweise teilweise zu sehr ähnlichen Resultaten geführt, zu "Gründerzeithäusern".
    So ist der Jugendstil eigentlich eine Gegenbewegung zum späten Historismus. Trotzdem wurde das Jugendstil-Ornament, da schick und modern, ab kurz vor 1900 teils eklektizistisch an Häusern angewandt, die strukturell historistische Fassaden haben und im Habitus her das sind, was man als Gründerzeithaus wahrnimmt. Somit sind diese eigentlichen Gegensätze, Jugendstil und Historismus eine Symbiose eingegangen, die typisch "Gründerzeit" ist. Selbst das Art Déco lässt sich nicht einfach ausklammern (gleichwohl es in Reinform natürlich erst in der Zwischenkriegszeit auftritt) doch hat der Reformstil der 10er und 20er Jahre (der oft auch gar nicht so einfach vom Jugendstil zu trennen ist, gewissermaßen ein monumentalisierender, purifizierender Spätjugendstil) ebenso den Anspruch, handwerkliche und ästhetische Qualität über den Massenpomp des Historismus zu stellen (und entwickelt darin teils Ornamentik, die das Art Déco antizipiert). Doch sind es doch oft ebenso jene Gebäude, die als letztes großes Auflehnen des Historismus wahrgenommen werden können: ein sublimer, edler, heroischer Historimus, befreit von aller sentimentalen Lieblichkeit; aber irgendwie auch, nunja... "Gründerzeit".
    Und nun haben wir nur das eine Ende der ominösen Gründerzeit gepackt und nur assoziativ einige wenige ihrer Wendungen, Widersprüche und Wensensarten skizziert , das andere, ihr Ursprung, im Nebel zwischen Romantik, Klassizismus bzw. deren Spätgebärden ist mindestens ebenso vielschichtig und komplex. Auch wurden hier die wirtschaftlichen, soziologischen und städtebaulichen Bedingungen der "Gründerzeitarchitektur" nicht behandelt.
    Vielleicht habe ich aber mit dieser kurzen Ausführung deutlich gemacht, dass "Gründerzeit" als Begriff für eine genauere Stilkunde eben mehr Verwirrung und Indifferenz schafft und nur wenig dazu taugt, Indifferenzen anderer (seien sie bewusst oder unbewusst) zu kritisieren.

    2 Mal editiert, zuletzt von Kaoru (19. August 2019 um 09:42)

  • Wien - Dekorative Fassadenelemente in der Gründerzeit zwischen 1840 und 1918, Werkstattberichte der Stadtentwicklung Wien (Nummer 133), Direktlink zum PDF.

    Zusammenfassung:

    In der vorliegenden Studie wurde die Identifizierung und Klassifizierung der dekorativen Elemente der Gründerzeit anhand von rund 40 Einzelbauten in Wien vorgenommen. Dabei wurde untersucht, aus welchen Motiven der Fassadenschmuck gewählt wurde. Erstaunlich ist, dass bereits vor rund 150 Jahren in serieller Produktion gearbeitet wurde. Dies verdeutlicht auch eine Gegenüberstellung der bestehenden Fassadenelemente mit den aus dem Wienerberger Archiv entstandenen Fertigteilprodukten. In diesem Bericht wird das kulturhistorische Erbe von einer neuen Seite beleuchtet.

    Das Dokument enthält einen Katalog von Fassadenelementen, gruppiert nach zeitlicher Klassifikation (Früh-, Hoch-, Spätgründerzeit) mit konkreten Beispielen im Wiener Stadtbild, außerdem im Anhang Seiten aus dem Katalog der Wienerberger Thonwaren-Fabrik.

  • Welche Architekten bauen heute im Stile der Gründerzeit bzw. Neoklassizismus? Mir fällt da nur Patzschke ein.

  • Aus Düsseldorf kenne ich noch Ralf Schmitz Exceptional Homes, wobei da vieles eher kopiert/zusammengewürfelt scheint als originell, aber immerhin deutliche Aufwertungen für die Stadtbilder.

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  • Die traditionelle Architekten bauen kein Gründerzeit Bauten, kein Einziger!! Klassisch angelehnt sind sie. York Stuhlemmer finde ich noch am besten; Patschkes bauen prima aber nicht sehr phantasiereich oder traditionel. Weiter gibts in D. nichts.....Rob Krier hat etwas an Prager Platz gebaut, aber eine Reko der Gründerzeit wäre Sternenweit (1000-fach) besser dann was Krier da geschaffen hat.....eigentlich hat das nichts mit einstigen Pracht zu tun. Dieser Pracht wird also nirgendwo angestrebt und das is sehr Schade.

  • Für Deutschland magst Du Recht haben, "Klassiker". Da stehen bereits die traditionellen Architekten mehr oder minder unter Beschuss. Patzschke hatte bereits nach der kritischen Rekonstruktion des "Adlon" in Berlin Jahre lang große Probleme, noch Aufträge zu erhalten. Und von irgendetwas müssen sich Architekten ja ernäheren. Wenn die jetzt noch im Stil von Napoleon III. bauen würden, würden sie zum Gespött der gesamten Architektenzunft, der Presse und letztlich der Investoren werden. Das ist traurig, aber leider sind die Machtverhältnisse hierzulande immer noch so. Das kannst Du nun wieder und wieder beklagen. Bloß, was bringt das? Überlege, was Du selbst zu einer Veränderung beitragen kannst. Um selbst Architektur zu studieren, bist Du vielleicht auch schon zu alt. Das weiß ich nicht, aber gehe jetzt mal von mir aus. Vielleicht hast Du viel Geld, dann könntest Du ein marodes Gründerzeithaus erwerben und sanieren, so wie es "Villa1895" macht. Wenn Du nur wenig Geld hast, kannst Du ein kleines bisschen für Rekonstruktionsprojekte spenden? Zum Beispiel für den "Langen Franz" in Frankfurt. Das ist Gründerzeit. Wenn Du 10 Euro spendest und dazu “Spende Langer Franz +B” schreibst, legt Herr von Bethmann noch einmal 10 Euro drauf. Somit sind wir 20 Euro weiter. (Konto siehe hier) Überlege Dir einmal, wie Du vielleicht etwas zur Veränderung beitragen kannst. Das meine ich aufmunternd, denn durch zu viel Klagen wird man ja nicht glücklich.

    Ansonsten, im Ausland gibt es durchaus moderne Architekten, die in einem Gründerzeitstil im weitesten Sinne bauen. Nehme nur diese beiden Beispiele aus Kasan.

    Landwirtschaftsministerium: http://www.orangesmile.com/common/img_cit…-2923066-24.jpg

    Daneben liegend, vermutlich Mehrfamilienhäuser: https://de.123rf.com/photo_18966425…stan-russl.html