• Zitat

    Soll Notre-Dame originalgetreu aufgebaut werden?


    Klar ist, dass der eingestürzte Vierungsturm ein neues Aussehen erhalten wird. Er war erst im 19. Jahrhundert hinzugefügt worden und soll nun durch ein modernes Design ersetzt werden. Frankreichs Premierminister Édouard Philippe kündigte einen Architektenwettbewerb an. Der Turm solle den "Techniken und Herausforderungen unserer Zeit" gewachsen sein.

    Eine Herausforderung dürfte die Materialbeschaffung werden. Das Dach der Kathedrale wurde aus Eichenbalken aus jahrhundertealten Bäumen gesägt. Selbst im 13. Jahrhundert waren diese schwer zu bekommen. In Europa dürfte es keine Bäume geben, die dafür groß genug sind. Solche Eichen hätten spätestens im 19. Jahrhundert angepflanzt werden müssen.
    Alternativ könnte man eine andere Art von Struktur bauen, die aus kleineren Balken besteht, oder sogar ein Dach aus Metall - wobei Puristen das wohl ungern sähen.

    Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/notre-…aufbau-101.html

    Die Begründung für eine modernistische Ausführung des Dachreiters ist an Absurdität und Willkür kaum zu überbieten. Als ob diese Wiederherstellung und Zutat des 19.Jahrhunderts keinen historischen Wert hätte.

  • In Paris hat heute der Ministerrat getagt. Einziges Thema: Wiederaufbau der Kathedrale. Le Monde berichtet. Zur Unterstützung der Spendensammlung wird es ein spezielles Gesetz geben. Le premier ministre Edouard Philippe stellte heute bereits den Plan für die steuerliche Absetzbarkeit der Spenden vor. Außerdem teilte er mit, dass ein "Monsieur reconstruction" ernannt worden sei, und zwar General Jean-Louis Georgelin, der ehemalige Generalstabschef der französischen Streitkräfte.

    Paris, Parade am 14. Juli 2008, im Wagen stehend Nicolas Sarkozy, Präsident der Republik, und Generalstabschef Jean-Louis Georgelin (Foto: Marie-Lan Nguyen, 2008, CC-BY-2.5)

    Ich glaube, hier wird mal wieder deutlich, welche Welten zwischen der französischen und der deutschen Kultur liegen.

    Am Nachmittag fand zudem noch ein hochrangig besetztes Treffen zum Wiederaufbau im Elysée-Palast statt, unter Vorsitz des Präsidenten der Republik, Emmanuel Macron. Mit dabei neben Edouard Philippe und einigen Ministern auch die Oberbürgermeisterin von Paris, die Generaldirektorin der UNESCO, der Erzbischof von Paris, der Präsident des Centre des monuments nationaux sowie der oben erwähnte "Monsieur reconstruction" de la cathédrale.

    Zur Rekonstruktion des Dachreiters (flêche) sagte Edouard Philippe im Anschluss an die Ministerratssitzung am Vormittag (ich zitiere aus "Le Monde"):

    Enfin sera lancé un concours international afin de doter Notre-Dame d’une nouvelle flèche. Il « permettra de trancher la question de savoir s’il faut reconstruire une flèche » à l’identique – comme celle de Viollet-le-Duc, qui datait du XIXe siècle – ou s’il faut une nouvelle flèche adaptée aux techniques et enjeux de notre époque.

    Zu deutsch: Es wird einen internationalen Wettbewerb geben, um Notre-Dame einen neuen Dachreiter zu schenken. Er wird es erlauben, die Frage zu behandeln, ob man den Dachreiter exakt so rekonstruieren soll, wie Viollet-le-Duc ihn im 19. Jahrhundert gebaut hat, oder ob man einen neuen Dachreiter braucht, der an die Technik und Mittel unserer Epoche angepasst ist.

  • Rastrelli: Aus der Reaktion der französischen Politik auf die Katastrophe abzuleiten, es würden „Welten zwischen den Kulturen Frankreichs und Deutschland“ liegen, halte ich für übersteuert bzw. nicht legitim - zumal wenn dies wertend gemeint ist. Zunächst gibt es im föderalen Deutschland anders als im zentralistischen Frankreich keine Kirche, die ähnlich wie Notre Dame als Träger nationaler Symbolik und Emotion dient. Zum Zweiten: Gesetzt den Fall es gäbe so eine Kirche (am ehesten vielleicht noch der Kölner Dom?) und sie wäre teilzerstört – wir wissen schlichtweg nicht, wie die deutsche Politik und Gesellschaft darauf reagieren würde. Zumal: Als vor 15 Jahren die Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar (fast) vernichtet wurde, war m. W. die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit soweit ich mich erinnere durchaus beeindruckend, emotional und solidarisch.

  • Eine Chance wäre es jetzt Spendensammlungen in Deutschland zu starten, aber so allgemein, dass man notfalls auch was anderes fördern kann.

  • Flug über die brandbeschädigte Kathedrale. Die Gewölbedurchbrüche sind riesig: die gesamte Vierung, ein Gewölbejoch im Nordquerhaus und ein Teiljoch im übernächsten an die Vierung im Langhaus anschließend, falls ich richtig gesehen habe.
    Schon seltsam, daß von den Eichenbalken fast nichts mehr vorhanden ist, außer jene verkohlten, die ins Kirchenschiff gestürzt sind. Das muß eine enorme Hitze entwickelt haben.

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  • Weiß hier jemand, was aus der bedeutenden, mittelalterlichen Rückseite des Chorgestühls geworden ist?

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1_Ba…,_Paris,_ZM.JPG

    http://www.notredamedeparis.fr/la-cathedrale/…ture-du-choeur/


    Laut diesem Beitrag im Skyscrapercity-Forum ist alles erhalten. Die Feuerwehrleute verwendeten spezielle Ausrüstung, um sicherzustellen, dass die Chorgestühls bewässert und vor der Hitze geschützt wurden. Der Lettner ist aus Stein und befindet sich auf der Südseite, sollte also nicht wesentlich beschädigt werden.

  • Laut diesem Beitrag im Skyscrapercity-Forum ist alles erhalten. Die Feuerwehrleute verwendeten spezielle Ausrüstung, um sicherzustellen, dass die Chorgestühls bewässert und vor der Hitze geschützt wurden. Der Lettner ist aus Stein und befindet sich auf der Südseite, sollte also nicht wesentlich beschädigt werden.

    Was ihr meint, sind die Chorschranken. Ein Lettner trennt den Chor gegen das Langhaus ab. In Notre-Dame de Paris wurde er in der Barockzeit beseitigt. Die Chorschranken trennen den Binnenchor vom Chorumgang. In Notre-Dame sind sie an der Südseite und an der Nordseite erhalten und zeigen bedeutende gotische Reliefs. Die Farbfassung dieser Reliefs stammt von der Restaurierung unter Viollet-le-Duc. An der Ostseite wurden die Schranken im Barock beseitigt. Die Chorschranken befinden sich de facto hinter dem Chorgestühl. Sie sind aber baulich nicht mit diesem verbunden und bilden nicht dessen Rückseite. Bei einem Chorgestühl wird die Rückseite nicht gestaltet, nur die dem Chorraum zugewandten Seiten. Die Schmalseiten eines Gestühls nennt man Wangen. Das barocke Gestühl ist nass geworden. Ob das so gut ist bei Holz? Zumindest besser als verbrannt. Die Chorschranken sind unbeschädigt, denn sie befinden sich hinter den Säulen des Binnenchors, also außerhalb des Binnenchores. Nur der Binnenchor, das Querhaus und das Hauptschiff befinden sich unter dem Dach, das niedergebrannt ist. Der Chorumgang bildet die Fortsetzung der Seitenschiffe, die von dem Brand nicht direkt betroffen waren. Ihre Dächer blieben intakt.

    Erhalten blieben die barocken Figuren der Pietà und zweier Könige im Chor. Die Chororgel hat einen Wasserschaden. Die Hauptorgel von Cavaillé-Col ist nur eingestaubt, aber nicht nass geworden. Ich glaube, diese gute Nachricht wurde hier noch nicht vermeldet. Die Gemälde der Kathedrale werden im Louvre deponiert und teilweise dort restauriert. Erhalten blieb erstaunlicherweise der Wetterhahn von der Spitze des Dachreiters. Er war wohl zur Brandzeit gerade nicht oben. Die nördliche Querhauswand macht offenbar statische Probleme. Die wertvolle Farbverglasung wird man dort zur Sicherung eventuell ausbauen.

  • Man soll hier um Gottes Willen nicht von Rekonstruktion sprechen - das ist eine klassische Restaurierung bzw Schadensbeseitigung. Der einzig problematische Punkt ist der Dachreiter - er wird rekonstruiert (ganz sicher, was anderes geht in F nicht durch) bzw ist zu rekonstruieren (vom Gesamterscheinungsbild her viel zu wichtig, um hier Kompromisse durchgehen zu lassen, anders als in Köln, wo mir die 50er-Jahre Adaption gar nicht aufgefallen ist).
    Auch der vom Schaden her vergleichbare Wiener Stephansdom ist doch keine "Reko"!!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • „Auch ein kompletter Verzicht auf dessen Wiederaufbau wäre als Geste denkbar“

    Ach, jetzt nennt man sowas schon Geste. Und wir sollen wohl dankbar sein dafür.

    In dubio pro reko

  • „Auch ein kompletter Verzicht auf dessen Wiederaufbau wäre als Geste denkbar“

    Ach, jetzt nennt man sowas schon Geste. Und wir sollen wohl dankbar sein dafür.

    Na sicher , eine Geste dass das Geld wo damit eingespart wird , in die Taschen etlicher Profiteure fließt ……

  • Noch einmal zum Thema Orgeln in Notre-Dame:

    Die große Hauptorgel von 1868 (erbaut von Aristide Cavaillé-Coll) hat den Brand und die anschließenden Löscharbeiten wie durch ein Wunder nahezu unbeschadet überlebt! Lediglich eine dicke Staubschicht befindet sich nun in dem Instrument, was eine gründliche Reinigung unumgänglich macht. Die Orgel soll, wenn die Kathedrale wieder sicher begehbar ist, abgebaut und in einer entsprechenden Werkstatt eingelagert werden.

    Die Chororgel von 1969 (erbaut von Robert Boisseau) hingegen hat das Feuer rein äußerlich überlebt, allerdings sind das Gehäuse, die Holzpfeifen und die Windladen mit Löschwasser vollgelaufen, sodass diese Teile wohl ein Fall für den Ofen werden... Die Metallpfeifen sind alle in Ordnung und können dann beim Neubau der Chororgel sicher wiederverwendet werden.

    Übrigens geht es auch den Glocken in den großen Westtürmen gut. Die Meldungen, dass mehrere Glocken durch die enorme Hitze und die Löscharbeiten Risse davongetragen haben, haben sich (Gott sei Dank) als Unwissenheit der Medien herausgestellt (Kupfer, welches mehr als 3/4 des Bestandteils von Glockenbronze ausmacht, schmilzt erst bei etwas mehr als 1.080° C; diese Temperatur wurde in beiden Türmen definitiv nicht erreicht!)... Allerdings sind die ehemaligen drei Glocken im Vierungsturm, gegossen von Dubuisson Gallois im Jahre 1864, sowie drei weitere, allerdings sehr kleine Glocken von 1867, im Dachstuhl des südlichen Querschiffs zerstört worden.

    Kultur ist der Sieg der Überzeugung über die Gewalt. - Platon

  • Bei Glocken gibt es aber das Problem des Ausschwitzens des Zinnanteils, da reichen schon ein paar hundert Grad, um eine Glocke unbrauchbar zu machen. In der St. Josephskirche in St. Ingbert hatte es ja auch nicht direkt im Glockenstuhl gebrannt, aber eine der Glocken hatte z. B bei der ersten Untersuchung beim Anschlagen nur noch ein "Plock" von sich gegeben. Aber ich möchte nicht unken und hoffe das Beste.
    Gibt es vielleicht schon genauere Untersuchungsberichte?

    Wer zwischen Steinen baut, sollte nicht (mit) Glashäuser(n) (ent)werfen...

  • Bis ca. 470° C passiert einer Glocke definitiv nichts. Diese Temperatur hat in beiden Türmen nicht geherrscht... Alle zehn Läuteglocken sind voll funktionsfähig.

    Kultur ist der Sieg der Überzeugung über die Gewalt. - Platon

  • Bei Glocken gibt es aber das Problem des Ausschwitzens des Zinnanteils, da reichen schon ein paar hundert Grad, um eine Glocke unbrauchbar zu machen. In der St. Josephskirche in St. Ingbert hatte es ja auch nicht direkt im Glockenstuhl gebrannt, aber eine der Glocken hatte z. B bei der ersten Untersuchung beim Anschlagen nur noch ein "Plock" von sich gegeben. Aber ich möchte nicht unken und hoffe das Beste.
    Gibt es vielleicht schon genauere Untersuchungsberichte?

    Es kommt auf die Legierung an, in hoher Zinnanteil in der Bronze macht die Glocken natürlich hitzeempfindlicher. Es gibt wahnsinnig viel Bronzelegierungen, wie sich die der Glocken der Notre Dame zusammensetzen, entzieht sich leider meiner Kenntnis und wird wohl auch das Glockengießergeheimnis der Hersteller bleiben.