• Etwas verspätet komme ich dazu, die von Heinzer in Nr. 20 aufgeworfene und durch Pagentorn an mich weitergeleitete Frage nach der Bebauung in der Vasmerstraße zu beantworten. Ich habe mich in der Zwischenzeit mit einem Zeitzeugen in Verbindung gesetzt und bekam jetzt eine Antwort.

    Bis zur Mozart-Trassenplanung gab es in der Vasmerstraße schon einige Baulücken, die entweder durch Krieg oder getätigte Abrisse entstanden waren. Solche Abrisse aufgrund der zukünftigen Planung gab es auch in der Rutenstraße usw., so die Erinnerung des Zeitzeugen.

    D. h., es gab schon Baulücken, aber es gab auch noch etliche Bauten, die den Eindruck einer halbwegs intakten Straße erzeugten. Abschließend könnte man zusammenfassen, dass es einige kriegszerstörte Gebäude gab (was immer das heißt), der Großteil dann aber nach dem Krieg (bis auf eins, das heute noch steht) abgerissen wurde.

  • Abbruch 1933 / 1934 wegen zu hoher Steuerlasten

    Eine ziemlich schockierende Erklärung für den Abbruch der - weiter oben im Themenstrang schon einmal thematisierten - imposanten, 1858 von Heinrich Müller erbauten Villa Wätjen am Osterdeich Nr. 2 liefert der Familienangehörige Henning Wätjen in einer 2016 erschienen Monographie zur Geschichte des Gebäudes:

    „Georg [Wätjen] starb am 22. März 1928 im Haus Osterdeich 2. Für seine Erben war das Haus unpraktisch und wegen der hohen Steuerlasten auch zu teuer in der Unterhaltung. […]
    Im Herbst 1933 begann der Abriss des Hauses, der im Frühjahr 1934 abgeschlossen war. Am 13. September 1934 ist im Grundbuch die Umwidmung zu einem unbebauten Grundstück vermerkt, das wieder grundsteuerpflichtig geworden war. Die Hoffnung der Erben, für das große Grundstück ohne Gebäude bald einen Käufer zu finden, erfüllte sich nicht. Der vormalige Reiz der Lage bestand durch den starken Verkehr auf dem Osterdeich nicht mehr.“

    (Quelle: Wätjen, Henning / Lenk, Bettina / Lenk, Martin / Wätjen, Eduard jun. [Hrsg.]:
    Das Wohnhaus der Familie Wätjen am Osterdeich in Bremen.
    Dresden 2016, Sandstein Verlag, S.28.)

    Abgerissen, primär wegen zu hoher Steuerlast ! Man faßt sich an den Kopf, ist fassungslos ... und wutentbrannt !


    :kopfschuetteln:

    Abbildung 01
    Die Ansicht der Villa vom Osterdeich aus.


    Abbildung 02
    Die Ansicht von der Bleicherstraße aus.

    Abbildung 03
    Die Stadtkarte von 1938 mit dem seit Frühjahr 1934 unbebauten Grundstück (rot markiert).

  • Osterdeich/Ecke Deichstraße

    Das nächste Neubauprojekt, dass sich in ein altes gewachsenes Stadtviertel frisst. Direkt hinter einer Osterdeichvilla entsteht wieder Mal einer dieser schrecklich anzusehenden Investorenbauten, der den Maßstab der durch Altbremer Häuser geprägten Deichstraße stört. Die Villa wurde von den Architekten Eduard Gildemeister und Wilhelm Sunkel 1898/99 für den Tabak-Kaufman Heinrich Hirschfeld gebaut. Nachdem sie in städtisches Eigentum übergegangen ist, residierte dort u. a. das Konservatorium und anschließend das Oberverwaltungsgericht Bremen. Schließlich wurde die Villa privatisiert, der frühere rückwärtige Garten wurde zum Parkplatz. Dieser Parkplatz wird nun versilbert oder besser noch: vergoldet. Wir kennen das Prinzip ja schon von der hier von mir bei Stadtbild eingestellten Musikbibliothek. Auch diese wurde privatisiert, danach konnte der Eigentümer machen, was er will und was möglichst viel Kohle bringt. Heraus kam der Abriss des rechten Flügels mit einem völlig überhöhten Neubau, der den Charakter der das Stadtbild prägenden ehemaligen Polizeistation konterkariert.

    Die Osterdeichvilla:


    Blick in die Deichstraße


    Der rückwärtige Parkplatz, ehemaliger Garten und jetzt Investorengold


    Der Neubau


    Kann man den Investoren einen Vorwurf machen? Sie nutzen nur das aus, was das grüne Bauressort versäumt hat bzw. versäumen wollte. Man hätte damals in die Verkaufsverträge mit den neuen Eignern der Osterdeichvilla (oder der ehemaligen Musikbibliothek) einen Passus mit einbauen können, der große bauliche Veränderungen verbietet. Die neuen Eigentümer alter, denkmalwürdiger Baukultur werden in Bremen offensichtlich regelrecht eingeladen, große bauliche "Veränderungen" vorzunehmen. Der Abriss des Medienhauses hängt uns allen noch in den Kleidern. Man will ja, dass Investoren Geld in die Hand nehmen und Wohnungen bauen. Die Auswirkungen auf das Stadtbild werden heruntergespielt.

    Ich begab mich zwecks Anschauung zum Ort des Geschehens. Dort stand vor einem Altbremer Haus eine kleine Gruppe von Anwohnern. Wir kamen ins Gespräch. Die Empörung über den Neubau war groß. Sie bezog sich auf den Baustil, der nun nichts mehr mit den hier vorkommenden Altbremer Häusern zu tun hat. Dann wurde die Bauhöhe beklagt, die die hier stehenden Häuser überragt. Weiter wurde ich aufgeklärt, dass der Investor eine Tiefgarage einrichten wird. Durch die Grundwasserabsenkung wird es zu Absackungen im Umfeld des Neubaus kommen, der sich meist durch Rissbildungen in den Fassaden bemerkbar macht. Im Ortsteil Fesenfeld war dies der Fall. Außerdem wurde kritisiert, dass der Neubau direkt an die unter Denkmalschutz stehende alte Osterdeichvilla heranrückt. Ein Denkmal braucht auch einen gewissen Platz - Umgebungsschutz sozusagen. Was die Tiefgarage angeht, äußerten die Anwohner noch die Befürchtung, dass der Autoverkehr dann ja auch zunehme. Das berührt auch die Grünen-Politik, die ja in Bremen eine gewisse Autofeindlichkeit an den Tag legen und dafür sorgen wollen, dass statt dem Auto das Fahrrad in Bremen Vorrang haben müsse. Hier in der Deichstraße aber wird eine Autotiefgarage mit den für die Anwohner absehbaren Belastungen genehmigt..

    Im Bremer Viertel haben die GRÜNEN mit über 40 % die Mehrheit. Diesbezüglich standen die Anwohner, offensichtlich selber Grünen-Wähler, in staunender Schockstarre. Sie hätten nicht gedacht, dass die Grünen nun die sind, die das Viertel mit solchen Klötzen überzeichnet. Dies war auch eine Anspielung auf die Neubebauung an der Kohlhökerstraße und die Viertelinitiative: Kein Hochhaus im Viertel. Gebaut wird trotzdem so, wie der Investor es wollte. In Bremen spielt sich die Wandlung der Grünen von einer ehemals linkskritischen zur investorenfreundlichen Partei ab. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, hat aber leider die immer wieder hier beschriebenen negativen Auswirkungen auf das Stadtbild. Man könnte es sicher auch anders machen.

  • Zunächst ein freundliches Hallo in die Runde.

    Ich lese hier schon seit ein paar Jahren mit, und freue mich immer über die meist sehr interessanten Beiträge. Heute bin ich über eine Baustelle "gestolpert", welche hier noch nicht besprochen wurde. Daher nutze ich die Gelegenheit für einen ersten Beitrag.

    Falls ich etwas nicht beachtet habe, bitte ich um Nachsicht und Kommentar. Vielen Dank.

    Und zwar geht es um das Haus "auf den Häfen 6" (Ecke Gertrudenstraße), ehemals WORTMANN Reitsport. Es handelte sich mit Sicherheit um ein älteres Gebäude. Hier kann bestimmt jemand etwas recherchieren. Hier sind die Bilder:

    Google:

    Abriss Teil 1 (Freitag 12.06.20)

    Abriss Teil 2 (Donnerstag 18.06.2020)

  • Ja, traurig. Findorffers Beispiel finde ich ehrlich gesagt zwar nicht gelungen, aber nicht so schlimm, weil hier nichts abgerissen wurde und der Garagenhof nun auch keine Augenweide war, auch wenn es natürlich stimmt, dass die Villa am Osterdeich auch einen "Wirkungsraum" braucht, der nun verloren geht.

    Das Beispiel aus der Straße "Auf den Häfen" hingegen ist natürlich übel. Ein intaktes kleines Bremer Geschäftshaus, wie es für das Ostertor typisch war, wird abgerissen und es ist klar, dass das, was folgt, schlimmer wird.

  • WagenunWinnen, dieser Abriss ist mal wieder ganz schlimm. Ich habe ja lange im Ostertor gelebt, ganz in der Nähe, und dieses auf und ab der Dachformen, auch diese kleinen Häuschen, sorgten für wahrnehmbare Vielfalt. Dadurch bekam die Straße ästhetische Qualität. Auf der gegenüberliegenden Seite ist diese verloren gegangen. Hier hat die Stadt als Folge der eigenen Fehlplanung Mozarttrasse nach den damit zusammenhängenden Abrissen eine dieser gleichförmigen Hausreihen hingesetzt. Was dort nun neu hinkommt, ist erratbar. Den Baustil kann man sich ebenso vorstellen wie eine Zunahme der Geschosshöhe. Sonst lohnt sich das Ganze ja nicht. Dadurch ändert sich der Rhythmus der Straße auch auf dieser Seite. Und oft ist es so, dass, wenn erst mal einer anfängt, fokussiert sich das Augenmerk anderer Investoren auch auf diesen Bereich. Ich verweise hier auf die Weserstraße in Bremen-Vegesack. Der erste Schritt ist meist der Beginn einer ästhetischen Kontaminierung.

    Unter diesem Gesichtspunkt, Heinzer, sehe ich auch das Bauprojekt in der Deichstraße. Man muss die Sache doch im Kontext sehen und nicht als einzelne Baumaßnahme, die hier mal zufällig entsteht. Der Zeichencharakter mit ausstrahlender Wirkung für andere Investoren liegt doch auf der Hand. Hingewiesen sie in diesem Zusammenhang auf den Abriss der Kirche am Osterdeich gleich um die Ecke. Die Abbildungen des scheußlichen Neubaus, der schon bald fertig ist, habe ich ja bereits eingestellt. Bald ist der nächste rückwärtige Garten dran. Ich habe versucht habe, zu vermitteln, wie Stück für Stück die Baugeschichte vernichtet wird: erst der Garten, dann der Parkplatz und daraus wird jetzt, nach der Privatisierung, der Bauplatz. Nach diesem Entwertungsprozess verlaufen viele Umwandlungen.

    Wichtig war mir aber auch bei meiner kleinen Begehung, die Ängste der Deichstraßenbewohner zu vermitteln. Also, Heinzer, die Sache ist doch etwas komplexer, weshalb man nicht sagen kann, na ja, es wurde nichts abgerissen, also ist es nicht so schlimm. Der Neubau reicht, wie mir die Anwohner sagten, bis an die denkmalgeschützte Villa heran. Es verändert auch deren Charakter, wenn ein Gebäude so nah auf die Pelle rückt. Und das ist dann wieder Vorbild für die nächste Aktion. Im Viertel wird doch inzwischen überlegt, wie man aus jedem Quadratzentimeter noch einen Bauplatz machen kann.

  • Der Abriss hat mich auch entsetzt, kam gerade neulich beim Aleco raus und dann das. Weiß jemand was da hinkommt und wem man das zu verdanken hat?

  • Was die Tiefgarage angeht, äußerten die Anwohner noch die Befürchtung, dass der Autoverkehr dann ja auch zunehme. Das berührt auch die Grünen-Politik, die ja in Bremen eine gewisse Autofeindlichkeit an den Tag legen und dafür sorgen wollen, dass statt dem Auto das Fahrrad in Bremen Vorrang haben müsse. Hier in der Deichstraße aber wird eine Autotiefgarage mit den für die Anwohner absehbaren Belastungen genehmigt..

    Investoren verzichten gerne auf Tiefgaragen, da diese teuer sind. Gesetzlich sind sie aber vorgeschrieben. Pro Wohnung. ein Stellplatz. Wenn man darauf verzichtet, muss man eine Ablösesumme zahlen und läuft auch Gefahr, die Wohnung nicht verkaufen zu können. Verzichtet man auf die Tiefgarage, dann parken die Autos einfach auf der Straße, was natürlich auch nicht im Sinne der Anwohner wäre. Was will man also machen?

  • Ja, traurig. Findorffers Beispiel finde ich ehrlich gesagt zwar nicht gelungen, aber nicht so schlimm, weil hier nichts abgerissen wurde und der Garagenhof nun auch keine Augenweide war, auch wenn es natürlich stimmt, dass die Villa am Osterdeich auch einen "Wirkungsraum" braucht, der nun verloren geht.

    Das Beispiel aus der Straße "Auf den Häfen" hingegen ist natürlich übel. Ein intaktes kleines Bremer Geschäftshaus, wie es für das Ostertor typisch war, wird abgerissen und es ist klar, dass das, was folgt, schlimmer wird.

    Steht Ostertorviertel nicht unter Denkmalschutz? Oder wie sieht die Schutz aus?

  • Nur einzelne Straßenzüge, es gibt meines Wissens auch keine richtige Erhaltungs- oder Gestaltungssatzung. Eigentlich ein Skandal, denn - auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen - so was wie das Ostertor gibt es in Deutschland nicht noch einmal.

  • WagenUnWinnen, ich schrieb:

    Was dort nun neu hinkommt, ist erratbar. Den Baustil kann man sich ebenso vorstellen wie eine Zunahme der Geschosshöhe. Sonst lohnt sich das Ganze ja nicht. Dadurch ändert sich der Rhythmus der Straße auch auf dieser Seite. Und oft ist es so, dass, wenn erst mal einer anfängt, fokussiert sich das Augenmerk anderer Investoren auch auf diesen Bereich. I

    Das ist die favorisierte Architektursprache dieser Senatsbaudirektorin. Seitdem diese Frau am Ruder ist, läuft es aus demselben. Wir haben nun einen schwarzen Bau an der Schleifmühle (ehemalige Musikbibliothek), an der vorderen Schwachhauser Heerstraße (ehemaliges Concordia-Theater) und nun dieser Bau. Das ist aber nur der Anfang, weitere Investoren werden kommen und Gebäude abreißen. Ich sehe im wahrsten Sinne des Wortes S C H W A R Z!!!

  • In der Tat unglaublich, selbst für Bremer Verhältnisse. Die anderen schwarzen Klötze sind ja wenigstens nur schwarz und öde, dieser hier aber aktiv hässlich und vollkommen zerstörerisch. Unfassbar.

  • In der Tat unglaublich, selbst für Bremer Verhältnisse. Die anderen schwarzen Klötze sind ja wenigstens nur schwarz und öde, dieser hier aber aktiv hässlich und vollkommen zerstörerisch. Unfassbar.

    Lieber Heinzer, deine Formulierung 'aktiv hässlich' muss ich mir unbedingt für folgende Projekte dieser Art merken.

    Trefflicher kann man solche 'Neubauten' nicht beschreiben.

    Leider muss ich mich ebenso findorffers Meinung anschließen, der für die 'Bau-Zukunft' in der Hansestadt S C H W A R Z sieht.

    Schwarz ist derzeit wohl als ausgesprochen sexy anzusehen - zumindest in den Augen der Gruppe GME.

    Dabei törnt dieses Projekt vollkommen ab und spornt eher zur Keuchheit an.

    Ich glaube, ich muss mal so langsam einen Platz bei den Brüdern im Kloster reservieren, wenn solche Bauvorhaben in gewachsenen Vierteln Schule machen.

    Mal sehen, ob diesmal Robert Bücking himself eine BI ins Leben ruft...!!

  • Ich frage mich gerade, wie viel Gehirnwäsche man eigentlich abbekommen haben muss, um einen solchen Blech-Knast geil zu finden. :kopfschuetteln:

  • Deutungshoheit und Metapolitik im Bausektor

    Dieser Abriß ist für mich besonders schmerzlich, liegt er doch an am direktesten und somit schnellsten Weg zwischen meinem Domizil und der Altstadt (Fahrradschnellstrecke). Ich werde mich somit sehr häufig am Emporswachsen dieses Monstrums erfreuen können…

    ABER:

    Solange wir es nicht schaffen, mit unseren Vorstellungen in die Kurrikula der Bauakademien vorzudringen, solange Bauherren nicht Baumeister vom Schlage eines Axel Spellenberg engagieren, solange wir es also nicht vermögen, die ‚Metapolitik’ der Architektur in unserem Sinne zu verändern und die Deutungshoheit der Modernisten zu brechen, solange werden wir noch im Übermaß Zeit haben, derartige Stadtbild-Zerstörungen zu beklagen, denn diese werden – fast schon im Tagesrhythmus – auf uns einprasseln.

    Verzeihung für diese Dystopie – aber das ist die bittere Realität !