Ich entdeckte folgende Zeilen und möchte sich gerne hier vorstellen / zur Diskussion stellen. Sie stammen aus einem Buch aus der Zeit um 1980. Hat sich seit dem viel verändert?
Über den Reiz der älteren Bauten
"Der visuelle Facettenreichtum traditioneller Bauten bedeutete, daß sich dem Betrachter, je näher er hertrat, Schritt für Schritt einzelne Schichten des Ornaments in ständig kleiner werdendem Maßstab erschlossen. Da sich fortwährend Neues darbot, bliebt das Auge beschäftigt, und interessiert. Die ornamentlose Kahlheit moderner Architektur bietet dem suchenden Auge selten lohnende Reize.
Die älteren Bauten mögen sich aus der Entfernung in detailreich aufgelöster Silhouette oder mit vielfältig struktuerierter Fassade darbieten, nichts, weder das Ganze noch das Einzelne, ist auf den ersten Blick zu erfassen und zu verstehen. Diese Bauten laden dazu ein, daß man näherkommt, sie betrachtet, sie in ihrer individuellen Gestalt und Eigenart wahrnimmt. Die modernen Bauten sind meist schon aus der Entfernung mit einem Blick zu erfassen, ob sie einzeln stehen oder reihenweise auftreten, sich zwischen Altbauten drängen oder ganze Straßenfluchten einnehmen - die Masse der einförmigen Kuben, langgestreckt oder hochaufragend, und der glatten, kahlen, mit ihrer starren Abfolge alternierender Wand- und Fensterbänder beliebig ausdehnbaren Wandflächen, ausdruckslos und ohne Individualität. Hat man einige von ihnen gesehen, hat man sie alle gesehen. Nichts reizt dazu, näherzutreten, genauer hinzuschauen, und so schauen die meisten auch nicht mehr hin...
Mit der Standardisierung und der Anwednung von Techniken der Massenproduktion trachtete die moderne Architektur ganz bewußt nach der Schaffung einer einförmigen Stadtlandschaft, die, bar jedes besonderen Charakters und aller individuellen Züge, überall die gleiche sein sollte. Der einzelne Entwurf, das individuell gestaltete Gebäude durfte nicht länger das Gesamtbild stören - Walter Gropius war tatsächlich der Meinung, daß eine solche Standardisierung erst zu erreichen sei, wenn man endlich den persönlichen Entwurf, die individuelle Baugestaltung unterdrückt habe...
Gerade die subtilen, das Auge beschäftigenden, ganz und gar nicht normgerechten Unregelmäßigkeiten aber hat die moderen Massenproduktion ausgemerzt..."
(Aus:
Brent C. Brolin: Das Versagen der modernen Architektur, aus dem
Amerikanischen übersetzt, und bearbeitet von Georg G. Meerwein,
Frankfurt a. M., Berlin Wien Ullstein-TB 1980 S.37 und 72 ff.
ISBN 10: 3548340318 / ISBN 13: 9783548340319)