Nein, aber es wird suggeriert, dass es eine „Verbrechernation“ (bis 1945, alles davor war das „Vorspiel“ darauf und insofern auch abzulehnen) war (eben nicht erst ab 1933) und dadurch keine Anknüpfungspunkte zu der Zeit vor 1949 mehr möglich sind. Das liegt tief im deutschen Bewusstsein, dieser Strich, der die Zeitrechnung beinahe christlich in ein „vor Braunauer“ und „nach Braunauer“ einteilt. Dadurch wird eine Identifikation mit sich selbst als geschichtlichem Subjekt unmöglich. Es sind „wir“ und „die Anderen“. In keinem Land der Erde ist eine solche Selbstentfremdung festzustellen. Ich persönlich kann das nicht als positive Entwicklung deuten, wenn ein Land mit einem Rucksack voller Steine auf einem millimeterdünnen Drahtseil Entscheidungen im eigenen Interesse für die Zukunft fällen muss. Dieser Balanceakt ist beinahe unmöglich.
Der unbeschwertere Umgang der genannten Länder und Bundesländer ist m.E. positiv zu werten und zeigt vor allem eines: der Umgang in den 60er Jahren mit den dunklen Kapiteln war elementar für die folgende mentalitätspolitische Entwicklung aller beteiligten Länder. Diese Weichenstellung lässt sich nicht rückwirkend simulieren (wie es der Westen vom Osten verlangt), sondern hat sich eingeprägt. Österreich ist heute auch nicht minder attraktiv, als Deutschland, zumindest kulturell.
Im Gegenteil wird ihr Umgang vom Ausland als sympathisch wahrgenommen. Und es befähigt dieses Land auch, an die (unbefangenen) Mentalitäten anderer Nationen anzuknüpfen und eine gemeinsame Basis zu finden.
Deutschland hat sich hingegen isoliert, eben weil es die sehr eigenen moralischen und eben historisch bedingten Maßstäbe auf die gesamte „Welt“ übertrug. Und hier zeigte sich auch das starke und dominante Deutschland, das mit vordergründiger Bescheidenheit die Weichen für den gesamten Kontinent stellte. Berlin mag Touristenstadt für Junge sein, aber nicht vorrangig aufgrund der Schönheit oder Kultur, sondern aufgrund der Parties, des reinen „Jetzt und Hier“- und diese Mode wird, spätestens sobald die Mietpreise internationales Niveau erreichen, eines Tages vorübergehen. Was bleibt dann von dem „Zauber“? Der alte Beton, die alte Nachkriegsmoderne (an der man immer noch fleißig weiterarbeitet).
Und selbstverständlich betrachte ich alle Entwicklungen im Kontext der Zeit und kann die Jugend der 60er Jahre gut nachvollziehen (aber eben auch die österreichische) und deswegen versuche ich auch 1914, die 20er, 30er und 40er aus ihrer Zeit heraus zu verstehen- nur bin ich nicht dazu bereit, historisch gewordene 60er Jahre-Nachkriegsdebatten erneut zu führen oder sie sogar (wie es heute geschieht) auf ein neues Empörungs-Level zu bringen bzw mich daran anzuschließen. Es sind für mich historische Debatten, die in ihrer Zeit unmittelbar nach dem Krieg berechtigt waren. Heute sind sie es nicht mehr, zumal nicht von den Wortführern (unter anderem sog. „Millenials“, also Dreikäsehochs ohne jegliche geschichtliche Bildung, aber gleichzeitig einem enormen Sendungsbewusstsein), die heute am Lautesten die alten Kampfbegriffe neu aufkochen und eitel und selbstgerecht mit Verdächtigungen, Moralisierungen und Mahnungen um sich schmeißen.