Rekonstruktionen im Fadenkreuz

  • Nur weil keine Parteien erwähnt werden? Es ist dennoch parteipolitisch, da eine politische Parteinahme beabsichtigt ist. Und wenn wir den Kreis wieder über die ganze Gesellschaftspolitik ziehen, dann wird hier wieder alles und nichts diskutiert. Das ist doch der springende Punkt.

    Mal ein Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn wir EINEN (genau einen!) Diskussionsfaden zur Gesellschaftspolitik im Offtopic-Forum laufen lassen? Alle anderen Themen bleiben dann frei davon bzw. werden entsprechende Beiträge dorthin verschoben. Das müssten natürlich die Moderatoren absegnen. Aber so ganz ohne Ventil scheint's ja hier dauerhaft nicht zu laufen.

    Das nur als kurze Antwort auf Deine Frage.

    Danke, das freut mich sehr zu hören! Umso mehr solltest du das Ganze ja einordnen können und wissen, dass Politik vor Ort gemacht wird.

  • Das hat etwas mit Sachlichkeit zu tun, nicht in tagesaktuelle religiöse, politische oder gesellschaftliche Themen abzudriften und mit Zukunftsvisionen und latenten Ängsten zu arbeiten.

    Und tatsächlich, meine Heimatstadt ist Nürnberg, und wenn ich nur begrenzt Energie und Zeit habe, investiere ich sie hier. Ein Wiederaufbauprojekt in Neustreelitz kann ich gut finden, aber letztlich sollten die Neustreelitzer entscheiden dürfen was sie wollen. Und zwar hier, heute und jetzt. Und nicht mit vorgeschobenen Argumenten "für unsere Kinder"...

    Im Gegenteil, der ganze energetische Nachhaltigkeitsgedanke, der unserer heutigen Baupraxis zugrunde liegt, ist doch ihr Sargnagel. Das war schon die Atomkraft, das Asbest, irgendwelche giftigen Holzschutzmittel im Dachgebälk- alles in guter Absicht und auf Dauer gedacht und später erkannt wie falsch es war. Beispiel, ein bekannter von mir hat altes Haus geerbt. Oma hat es vor 15 Jahren dämmen lassen. Er kann das Haus so nicht gbrauchen und lässt es abreißen, wegen der Entsorgung der Dämmung kostet die Aktion 15.000 EUR extra. Hat sich Oma bestimmt anders gedacht.
    Daher keine Illusion: Wir machen es für uns, hier heute und jetzt. Und damit es lange hält und auch künftigen Generationen noch gefallen kann, schauen wir was sich bewährt hat, was gefällt, was Potenzial hat von Dauer zu sein. Das ist zumindest mein Antrieb.

    (vielleicht bemerkt hier jemand meinen Versuch dieser Diskussion einen Sinn zu geben :) )

  • Hiermit ist das Thema wiedereröffnet. Themenferne Beiträge wurden entfernt. Ich tue mir nicht leicht mit der Entscheidung. Zum Einem sind wir ein Vereinsforum, wenn man etwas bewegen möchte, muss man sich vor Ort überparteilich engagieren. Deshalb soll auch der Vereinsbereich umstrukturiert werden, um sich besser zu vernetzen.

    Irgendwelche theoretische Fragestellungen helfen da nicht weiter. Richtig!

    Andererseits liegt es auch nicht jedem, sich in die praktische Arbeit zu stürzen. Es gibt auch Theoretiker, Suchende, Zurückgezogene.

    Auch diese haben einen Platz im Forum. Ist es uns Engagierten so unerträglich geworden, dass sich manche Menschen über Dinge Gedanken machen, die nicht das unmittelbare „jetzt“ betreffen?

    Ebenso halte ich es nicht für richtig, alles immer sofort politisch auszulegen und zu attackieren, wenn jemand versucht Zusammenhänge darzustellen?

    Natürlich verstehe ich die Problematik, die so ein Thema mit sich bringt. Es ist durchaus ein Drahtseilakt, weil das Thema polarisiert.

    Soziologisch und historisch betrachtet bietet es aber auch viele Erkenntnisse und Ansichten. Ich habe mich schon immer sehr für untergegangene Kulturen und ihre Tempel, Gotteshäuser etc. interessiert. Von daher möchte ich dieses Thema nicht ausschließen.

    Von daher mein Appell, verfasst Eure Beiträge mit Achtsamkeit, die Leser bitte ich tolerant zu sein. Es ist auch in Ordnung, die Zukunft schwarz zu sehen. Ich möchte aber kein Religionsbashing oder anderes lesen. Hartes Diskutieren ist erlaubt.

    Beauty matters!

  • Einverstanden und soweit gut, nur eines möchte ich noch anmerken: wenn ich einer Religion/Kultur jene Vitalität und jene jugendliche Verve attestiere, die ich mir für den ‚Westen‘ wünschte, dann ist das kein „Religionsbashing“. Mit allem anderen bin ich d‘accord.

  • Ich finde es gut und wichtig, dass der Strang bestehen bleibt und ich weiß, dass die Moderatoren sich große Mühe geben und kein leichtes Geschäft haben. Und ich danke ausdrücklich für ihr Engagement.

    Allerdings wundere ich mich doch über die Löschung einiger (nicht aller) Beiträge. Darf man nicht einmal mehr auf historische Ereignisse wie den byzantinischen Ikonoklasmus, den reformatorischen Bildersturm, das islamische Bilderverbot oder die Umwidmung heidnischer Tempel durch Christen hinweisen? Wenn das so ist, können wir auch die Geschichtswissenschaft und die Kunstgeschichte sein lassen.

    Ich denke, wir nehmen derzeit keine gute Entwicklung. Wenn wir ständig hören, dass die Welt durch Klimawandel, Überbevölkerung und Atomstrom in ihrer Existenz bedroht sei, gilt das nicht als Panikmache, sondern als Ausdruck von Sensibilität. Wenn man hingegen auf allgemeine historische Prozesse hinweist, etwa auf die Tatsache, dass unterschiedliche Kulturen, wenn sie aufeinandertreffen, ein Konfliktpotential entwickeln (wovon wir jeden Tag Zeugen in der Tagesschau werden können), auf die Verschiebung von Kulturgrenzen oder auf das Anwachsen bzw. den Rückgang von Religionen in bestimmten Gebieten (ein Fakt, das es gibt und geben wird, solange die Menschheit existiert), dann wird einem reflexartig Angstmacherei unterstellt - selbst wenn man es, wie ich es getan habe - völlig wertfrei schildert.

    In Berlin gibt es einen Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte, dessen Forschungsschwerpunkt u.a. die Umnutzung christlicher Sakralbauten ist. Wenn ich nun davon ausgehe, dass in 200 Jahren etliche Kirchen nicht mehr als solche genutzt werden, weil es hierzulande immer wenige Christen gibt, und dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass diese Kirchen dann als Moscheen genutzt werden, weil es immer mehr Muslime geben wird - was ist daran bitteschön Angstmacherei? Schon jetzt gibt es entsprechende Umnutzungen von Kirchen. Also frage ich mich: Hält nicht vielmehr derjenige eine solche Entwicklung für bedrohlich, der nicht möchte, dass man sie ausspricht?

    In der ganzen bisherigen Diskussion - auch in den gelöschten Beiträgen - ist keine Religion verunglimpft worden. Pagentorn hat lediglich zwei Beispiele von religiösem Vandalismus gezeigt - eines Aktes der Barbarei, dessen sich, wie ich betont hatte, auch Christen, Heiden und Atheisten schuldig gemacht haben, der also zunächst einmal nichts Religionsspezifisches ist.

    Ich kann daher nur appellieren: Kritische Selbstprüfung ja, aber bitte keine vorauseilende Selbstzensur, mit der wir uns zu willfährigen Werkzeugen jener machen, die bewusst unsere abendländische Kultur infrage stellen. Diese abendländische Kultur ist, so weit ich sehe, das Paradigma dieser ganzen Webseite und des Vereins. Wenn wir diese abendländische Kultur aus unserem Kanon streichen, brauchen wir über das Pellerhaus, den Neumarkt und die Frankfurter Altstadt gar nicht mehr zu diskutieren, denn ohne diese geistige Grundlage wären diese Projekte wirklich nur Disneyland. Und zu dieser Kultur gehören eben auch die Aufklärung und die Diskursfreiheit und die historische Reflexion!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Pagentorns Beispiele zeigen in meinen Augen aber keinen religiösen Sachverhalt, sondern einen strafrechtlichen. Das ist ziemlich verallgemeinernd wenn man das religiös interpretiert, als würden alle Muslime unsere Kirchen bedrohen. Ich sehe das nicht. Was ich sehe ist dass Gleichgültigkeit unsere Kirchen bedroht, wir selbst, die wir sie nicht mehr als Kirchen gebrauchen wollen und entwidmen, umbauen und abreißen. Das ist korrekt, die zunehmende Sakularisierung bedroht langfristig den Erhalt unserer Kirchenbauten. Aber meines Erachtens ist das kein Einwanderungsproblem, sondern ein intrinsisches Phänomen unserer humanistischen Kultur. Wir brauchen schlicht keine Tempel und Kirchen mehr. Wie ein Bahnhof, der nicht mehr gebraucht wird und irgendwann verschwindet. Wenn man diese Gebäude trotzdem erhalten will, dann muss man sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Kulturgut machen, deren Erhalt im Interesse aller steht. Der Denkmalschutz ist da ein guter Ansatz, Umnutzung ein anderer.

  • Nothor: beides ist der Fall. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Eigenen überträgt sich auf die Anderen. Wenn ich meine Kultur geringschätze, werden Fremde (damit meine ich Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis stammen) darin keine integrative Kraft erkennen und sich (verständlicherweise) auf ihre eigene -wie gesagt- vitalere Kultur beschränken und ihre Deutungshoheit, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, ausbauen- auch in den Stadträumen. Das eine bedingt das andere, es lässt sich also nicht gesondert voneinander betrachten. Das ist, wie Seinsheim richtig schrieb, eine historische Gesetzmäßigkeit. Und das muss man gar nicht wertend betrachten, was ich auch nicht tat. Ich vertrete lediglich die Werte, Traditionen und Ideale meiner Kultur bzw. versuche es, so wie ich Anderen zugestehe, jene ihrer eigenen zu vertreten. Ich echauffiere mich also nicht über Muslime, sondern über die Gleichgültigkeit dem eigenen kulturellen Erbe gegenüber und das fatale Zeichen, das damit gesendet wird. Was hier fälschlicherweise als „Religionsbashing“ uminterpretiert wurde.

    „Wir brauchen keine Tempel und Kirchen mehr“- ach, du glaubst, dass das metaphysische Bedürfnis des Menschen mit Beginn der Aufklärung erloschen ist? Das ist so nicht der Fall. Die Individualisierung der Gesellschaft hat diese elementaren Bedürfnisse nicht ersetzt, allenfalls hintangesetzt (bis zum Tage eines Schicksalsschlags oder des eigenen Sterbebettes). Der Mensch braucht Sinnstiftung, etwas Transzendentes, das dem sinnlosen Relativen ein Grundgerüst der Absolutheit gibt, seien es „weltliche“ Ideale wie Kommunismus oder Nationalromantik, sei es Gott oder Allah: oder sei es lediglich das kulturelle Erbe, das dem Jetzt eine Kontinuität und „überzeitliche“ Rechtfertigung gibt. Wo dies fehlt, entsteht Leere. Jeder Bahnhof des 19. Jahrhunderts lebte von einem und vermittelte ein Grundgefühl, das das „Jetzt“ übersteigt, der Sinnlosigkeit den Sinn der Schönheit verlieh. Es ist absurd zu glauben, dass der Mensch heute „weiter“ wäre als vor 100 oder 200 Jahren, die entscheidenden Fragen bleiben immer dieselben. Wir glauben heute, wir seien die Freiesten Menschen aller Zeiten- aber Freiheit ohne Richtung ist Beliebigkeit. Und alle unsere modernen Stadträume strahlen diese Beliebigkeit aus: „es könnte so oder auch ganz anders sein, egal“ ist die Grundhaltung, die aus diesen Gebäuden spricht. Und angesichts dieser Beliebigkeit, diesem hedonistisch aufgeblähten Selbstekel kann ich jeden Moslem verstehen, der sich die Nase zuhält und sein Wohl bei Allah sucht und diese Dekadenz ablehnt. Es liegt an uns, den europäischen und auch deutschen Geist wiederzubeleben: und auch für Einwanderer attraktiv zu machen. Dieser dauernde Relativismus auch hier um Forum bringt uns nicht weiter, im Gegenteil. Der Grund warum unsere Kirchen eines Tages mit neuem (islamischem) Sinn gefüllt werden könnte liegt darin, dass wir nicht mehr in der Lage sind, uns den Fragen zu stellen, deren Antwort andere Kulturen noch liefern können. Einerseits aus Schwäche und Altersmüdigkeit, andererseits aus einem Dünkel heraus, der glaubt, dass man das „heutzutage nicht mehr brauche“. Eine Kultur muss integrativ und attraktiv für neue „Mitglieder“ sein- wenn sie es nicht mehr ist, ist ihre Zeit vorüber und sie wird durch eine andere zermalmt. Kurz: wir brauchen „Tempel und Kirchen“ und kulturelle Sinnstiftung, wenngleich nicht zwingend religiös geprägt.

  • Zitat von Seinsheim

    Darf man nicht einmal mehr auf historische Ereignisse wie den byzantinischen Ikonoklasmus, den reformatorischen Bildersturm, das islamische Bilderverbot oder die Umwidmung heidnischer Tempel durch Christen hinweisen? Wenn das so ist, können wir auch die Geschichtswissenschaft und die Kunstgeschichte sein lassen.

    Lieber Seinsheim, ich bin gerade noch mal die gelöschten Beiträge durchgegangen und habe festgestellt, dass von den Beiträgen, die solche historischen Fragen thematisieren, keiner gelöscht wurde.
    Die Löschungen hatten vielmehr diejenigen Beiträge im Focus, in denen dann eine, in persönliche Anfeindungen ausartende Meta-Diskussion geführt wurde.

  • So, jetzt mich ich auch mal mit als gläubiger Katholik und bekennender Christ. Ich habe mich sehr viele Jahre mit germanischer Mytholoie befaßt, kann auch Runen legen usw. Ich habe mich bisher aber immer bemüht, Rekonstruktionen durchzusetzen - ja gut , beten hat da nicht imer geholfen.

    LG
    Henry

  • Ich will die Debatte nicht in diese Richtung führen, aber klar ist: Religionen mit einem strikten Bilderverbot neigen zum Ikonoklasmus, weil sie in Bildwerken Götzenbilder sehen. Und wenn sie einen missionarischen Charakter haben, neigen sie dazu, diese vermeintlichen Götzenbilder zu zerstören. Insofern ist die Geschichte des Islam - ebenso wie die des Kalvinistmus, eine ikonoklastische. Das Judentum bildet größtenteils eine Ausnahme, weil es nicht missionarisch ist.

    Aber auch der Katholizismus hat eine ikonoklastische Tradition, ich hatte in einem meiner Beiträge auf die Zerstörung heidnischer Kultbilder unter Konstantin d. Gr. hingewiesen - der Kirchenvater Eusebius beschreibt diese Vorgänge in seiner Kirchengeschichte sogar sehr ausführlich. Und ein jesuitische Missionar im 17. Jahrhundert berichtet genüsslich, wie er seinen Ofen mit Buddhafiguren heizt. Rubens zeigt in seinem Antwerpener Altarbild "Die Wunder des Franz Xaver" (heute Kunsthistorisches Museum Wien) das Zerbersten ostasiatischer Götterbilder.

    Atheisten gehen mit Kultbildern in der Regel gelassener um, indem sie sie - meist unter konservatorischem Vorwand - in Museen bringen, wo sie ihres kultischen Kontextes beraubt und, auf den künstlerischen Gehalt reduziert, gleichsam neutralisiert werden. Dass z. B. gerade Altarbilder dabei auch ihre ikonographische Lesbarkeit einbüßen und Fehlinterpretationen ausgesetzt sind - wie etwa die Sixtinische Madonna von Raffael, deren paralysierter Blick sich ebenso wie die schreckgeweiteten Augen des Jesuskindes einst auf Altarmensa und das Lettnerkreuz von S. Sisto in Piacenza bezogen - steht auf einem anderen Blatt.

    Um nun aber wieder den Faden der Rekonstruktion aufzunehmen: Gerade das Beispiel der Sixtinischen Madonna zeigt, dass religiöse Kunstwerke weit mehr sind als nur Kunstwerke oder Denkmäler. Eine Kirche, die nicht mehr als Kirche genutzt wird, ist eine tote Hülle, ein Leichnam, den man zwar konservieren kann, der aber letztlich kein Leben mehr besitzt. Und das ist auch der Unterschied zu einem Bahnhof. Der Bahnhof funktioniert als Gebäude auch ohne Dampflokomotive - wenngleich auch die Ikonographie einer zum Restaurant umfunktionierten Schalterhalle plötzlich ins Leere gehen kann.

    Freilich bedarf es, was den Verlust von Sinnbezügen betrifft, gar keiner Umwidmung. Allein durch die Liturgiereform von 1970 haben die historischen katholischen Kirchenbauten weitgehend ihre konzeptionelle Stimmigkeit eingebüßt. Die Hochaltäre (sofern sie nicht mutwillig zerstört wurden - dies übrigens in einer Art innerkatholischem Ikonoklasmus) sind zum rein dekorativen Accessoire herabgesunken; dass sie eigentlich Tore ins Jenseits sind, zu dem der Priester die Gemeinde in der Messe führt und durch das die Gläubigen mit dem geistigen Auge Gott und den Heiligen begegnen, das wird nun nicht mehr erfahrbar.

    Die Religion ist also eine zweischneidige Angelegenheit. Sie besitzt das Potential, Bauwerke und Kunstwerke zu zerstören, gibt ihnen aber auch ihren eigentlichen Sinn. Nichtsdestoweniger würde ich eine Frauenkirche selbst dann rekonstruieren, wenn es in Dresden keine Christen mehr gäbe, so wie ich auch den Wiederaufbau des Berliner Schlosses befürworte, ohne dass wir eine Monarchie haben.

    Und nun komme ich zum Fadenkreuz: Das ist ja ein Argument der Rekonstruktionsgegner: Was brauchen wir ein Schloss, wenn es keine Monarchie mehr gibt? Beziehungsweise: Monarchische Bauten wie das Berliner Schloss passen nicht in eine Demokratie.

    Und da sind wir eben wieder beim Thema Kulturwandel und Umwidmung. Wir leben nicht mehr in einer Monarchie, aber dennoch sollten wir das Berliner Schloss als unser Erbe ansehen. Wir geben ihm einen neue Nutzung, aber sollten das Bewusstsein für seine ursprüngliche Funktion bewahren und das Andenken an diese Funktion ehren. Denn ohne sie hätte es das Schloss nicht gegeben. Und ebenso sollten wir das Andenken an die Zugreisenden des 19. Jahrhunderts, für die ein mittlerweile stillgelegter Bahnhof erbaut wurde ehren, oder die Erinnerung an die Gläubigen wahren, für die Raffael die Sixtinische Madonna gemalt hat. Denn das ist abendländische Tradition: Geschichte als Kontinuität und nicht als Bruch zu begreifen!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • "Denn das ist abendländische Tradition: Geschichte als Kontinuität und nicht als Bruch zu begreifen!"

    Wunderbar formuliert, Seinsheim !

    Man ist bei diesem Satz geradezu versucht, an die zweifache 'Translatio Imperii' zu denken: Zum einen von der Ewigen Stadt über die Alpen nach Aachen und zum anderen von Rom über Konstantinopel nach Moskau. Ja man könnte sogar, wenn man sich die Orientierung der Bauten Washington D.C.'s an denen des klassischen Roms vergegenwärtigt, an einen dritten Traditionsstrang über den 'großen Teich' hinweg denken.

    Aufgabe der Gegenwart ist es nun, dafür zu sorgen, daß derartige Traditionsstränge in die Zukunft hinein weiter geknüpft werden und eben nicht abreißen. Diese Aufgabe wird umso leichter, je mehr anschauliche bauliche Anknüpfungspunkte für Traditionen, wie z.B. das Schloß in Berlin, wie die Garnisonkirche in Potsdam oder St. Ansgarii in Bremen sich durch unser Zutun wieder materialisieren (nachdem sie als wirkmächtige Erinnerungen und starke Ideen ja nie ganz verschwunden waren). Vielleicht sollte man hier sogar - um im Bilde der Diskussion zu bleiben - von 'Revitalisierung' sprechen.

  • Ich finde Deine Wortwahl ("Trollzoo", "Kindergarten", "rumheulen"), lieber @erbse, auch ein wenig trollig/drollig:


    Ich mag die Wortwahl. Die ist nicht so ...verriegelt. ;) Spass beiseite, ich finde die Wortwahl von Herrn Erbse sehr erfrischend. Die Wissenschaft in allen Ehren, aber auch ich drücke mich im Privatleben lieber unakademisch aus. Ich mag klare und direkte Sprache.

    Übrigens, was du mit "Frauenkirche, schon ist man Pegida" etc. beschreibst, ist genau das, worauf ich vor einigen Tage an anderer Stelle hier im Forum hinwies. Nämlich die Rolle der Medien beim negativ Konnotieren jeglicher Rekonstruktion. Daraufhin wurde ich als "V-Theoretiker" beschimpft. Was ich verwunderlich fand, denn der Herr von dem das kam (nicht Du) lebte offenbar getrennt von der Relität. Dass nämlich die Medien genau diese Schiene fahren und Rekonstruktion schlecht machen wo es nur geht, ist gut beobachtbar - dazu muss man nicht einmal wie ich als Journalist gearbeitet haben. Aber egal, hatte mit dir nichts zu tun. Ich hatte halt nur vor paar Tagen das gleiche gesagt wie du, aber dabei auch mal die Frage gestellt, wer eigentlich diffamiert? ("pro Frauenkirche = Pegida" etc.). Die Medien natürlich.

    Mir fiel das auch deswegen so schnell auf, und schon vor solanger Zeit, da ich ja schon seit Jahren die Rekonstruktion des Dresdner Neumarktes unterstütze, bin seit ca. 2000/2001 dabei. Anfangs hagelte es Diffamierungen ohne Ende, und zwar von sämtlichen Medien, egal ob regional oder überregional. Selbst bei der Frauenkirche hatten sie sich das getraut, ein gewisser Herr Ruby hetzte was das Zeug hielt (hab den Artikel noch im Kopf, er freute sich über einen "imposanten Kubus" der in der Elbsilhouette in die Höhe wuchs (das Gerüst der Frauenkirche), der Artikel hiess "Las Vegas an der Elbe". Geht's noch polemischer?). Polemik ist übrigens gegenüber den Herrschenden legitim. Nicht aber, von den Herrschenden gegen das Volk, wie heute üblich.

    Ich könnte jetzt noch was zum Globalismus und Terrorismus schreiben, weil ich mich hiermit intensiv beschäftigt habe. (Ich schaue weniger offizielle Medien sondern vorzugsweise Originalaufnahmen aus dem Amerikanischen Parlament , Vorträge von Wissenschaftlern oder Originalreden von z.B. asiatischen Präsidenten et cetera. Was man dort erfährt, und was aber in unseren Medien nie gezeigt wird, lässt einem die Kinnlade herunterfallen).
    Wird aber zu lange, vielleicht später.

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

    Einmal editiert, zuletzt von Petersburg (3. März 2019 um 01:23)

  • Dass nämlich die Medien genau diese Schiene fahren und Rekonstruktion schlecht machen wo es nur geht, ist gut beobachtbar

    Mir ist diese Feststellung viel zu pauschal und daher auch nicht zutreffend. Wer sind denn "die Medien"? Wir haben eine sehr breite Medienlandschaft in Deutschland und man kann darin unterschiedlichste Ansichten zur Rekonstruktion lesen und sehen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ARD und ZDF die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt schlecht gemacht haben. Ganz im Gegenteil kann ich mich darin erinnern, dass die Eröffnungsfeier übertragen wurde.

    "pro Frauenkirche = Pegida"

    Das ist ja schon deshalb unzutreffend, weil die Rekonstruktion der Frauenkirche deutlich vor dem Entstehen von Pegida stattgefunden hat. Darüber hinaus war die Frauenkirche ein Vorzeigeprojekt der Rekonstruktion auch über Rekonstruktionsbefürworter hinaus. Man kann wohl kaum der Stiftung Denkmalschutz oder Sparkassenstiftung vorwerfen, etwas mit Pegida zu tun zu haben. Und ich wüsste auch nicht, welche etablierten Medien dies getan haben.

    Polemik ist übrigens gegenüber den Herrschenden legitim. Nicht aber, von den Herrschenden gegen das Volk, wie heute üblich.

    Polemik steht keiner Seite gut und ist kein Generator problemorienterter Argumente.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Einverstanden und soweit gut, nur eines möchte ich noch anmerken: wenn ich einer Religion/Kultur jene Vitalität und jene jugendliche Verve attestiere, die ich mir für den ‚Westen‘ wünschte, dann ist das kein „Religionsbashing“. Mit allem anderen bin ich d‘accord.

    Die mangelnde Vitalität und jugendliche Verve ergeben sich aber eben ganz zwingend aus der Überalterung und Kinderarmut. Umgekehrt führt diese eben auch zu vermehrten Verlustängsten und einer, ich sage mal, Romantisierung der Vergangenheit. Es war früher eben schon deshalb alles besser, weil ich jünger war. Ich bin vollkommen d'accord damit, dass man mit einem verdrucksten Selbstbild keine positiv integrierende, attraktive Kultur schaffen kann, die Einwanderer zur Übernahme der Gepflogenheiten animiert - warne aber auch vor dem von rechts gerne gepflegten Narrativ, nur ein "Schuldkult" stünde diesem neuen Selbstverständnis im Wege.... das ist eine aus meiner Sicht gefährliche Denke, die Fliegenschiss- und "Muss doch mal gut sein"-Geschichte.

    Ich glaube, dass sich ein neues, positives Deutschlandbild gerade nur aus einem Geschichtsbewusstsein heraus entwickeln kann, das heißt nicht, dass wir permanent in Sack und Asche gehen müssen, zumal wir persönlich alle sowieso nichts mit dem Geschehenen zu tun hatten - aber unsere Haltung zu dieser Zeit und ihrem enormen Einfluss auf das weitere Geschick des Landes im 20. Jahrhundert kann man doch gar nicht ignorieren. Ein Großteil der hier gerne als Niedergang bezeichneten Entwicklung Deutschlands beruht doch gerade auf dieser Zeit, das geht von der Demografie mit den seit den 1940er Jahren stets niedrigeren Geburtenraten als den umgebenden europäischen Ländern über die Ermordung des deutschen Judentums mit seinen enormen Beiträgen im Kultur- und Wissenschaftsbereich, über die Zerstörung unserer Städte im zweiten Weltkrieg bis hin zu den politischen und "nationalpsychologisch" bis heute nicht überwundenen Folgen der Teilung des Landes.

    Insofern würde ich mir einfach weniger Verzagtheit und Pessimismus wünschen. Wenn man hier mitliest, bekommt man manchmal den Eindruck, als seien wir Zeugen eines unwiderruflichen Untergangs unserer (Bau)-Kultur. Da frage ich mich immer: Wann genau wurde denn in der deutschen Geschichte mehr rekonstruiert als heute? Sind die tlw. unglaublichen Erfolge des Wiederaufbaus der ostdeutschen Städte nichts wert? Die Renaissance Leipzigs oder Dresdens? Wäre das denn so einfach möglich, wenn es wirklich eine geschlossene und übermächtige Front dagegen gäbe? Ich sehe im Gegenteil gerade das Entstehen einer neuen, entspannteren deutschen Selbstverständlichkeit bei vielen jungen Leuten, abseits vom Selbsthass der Linken und der nationalen Überhöhung der Rechten. Eine solche Entwicklung ist auch niemals geradlinig, es wird niemals einen völligen Sieg der Rekonstruktionsbewegung geben, es wird immer etwas voran gehen und Rückschläge, eine Reaktion geben. So ist das nunmal in einer pluralistischen Gesellschaft.

    Ich meine, dass es viel Grund zu Optimismus gibt. Man kann und soll diese Meinung kritisieren und darf sie auch gerne zerpflücken, aber sie ist bitter nötig, schon als Kontrapunkt zu all der anscheinend unhinterfragbaren Niedergangsrhetorik, die solche Austäusche bisweilen prägt.

  • Dass im Osten mehr rekonstruiert wird, hat nicht zuletzt mit der Geschichtspolitik der DDR zu tun, die jegliche Verantwortung -historisch falsch- dem kapitalistischen Westen zusprach und sich selbst rein wusch. Ein ähnliches Phänomen sieht man in Österreich, zumindest bzgl des Selbstbildes, wo die „Fliegenschiss“-Metapher Staatsdoktrin und insofern kein polarisierendes Thema ist.

    Kurz: die Rekonstruktionswelle im Osten beruht auf einer anderen unbefangeneren Mentalität, die frei von der westdeutschen Nabelschau ist und von der der Westen in diesem Fall einiges lernen könnte.

    Und wieso wieder „rechts“ (hier wieder als Synonym für rechtsextrem) als Kampfbegriff in die Debatte streuen und mit raunender Flüsterstimme die „Gefährlichkeit“ einer solchen „Denke“ beschwören?

    Wenn man sein historisches Selbstbild auf zwölf Jahre reduziert und die gesamte deutsche Geistesgeschichte ausblendet oder als „böser“ Wegbereiter (wie es heutzutage geschieht: bis hin zu Luther!) der Nazis umschreibt, kann man zwar ein bis zwei Rekonstruktionen als grandiosen Sieg bei der Rettung des Stadtbilds feiern, aber solange eine positive Assoziation zur oder eine Fokussierung auf die Geschichte vor 1933, von der diese Bauwerke Zeugnisse sind, als „gefährlich“ gebrandmarkt wird, bleiben es lediglich Kulissen, so wie ein Kaminfeuer, das man an Weihnachten im Fernseher auf Endlosschleife stellt, um es ein bisschen heimelig zu haben: ohne dass einem Weihnachten selbst etwas bedeutet.

    Und zum Pessimismus: Menschen, denen Kultur nicht bloßes (und wieder: beliebiges) Beiwerk ist, können angesichts der heutigen Entwicklungen keinem Optimismus anhängen. Und was ich meinte war, dass eine Selbstwahrnehmung als „Verbrechernation“ keinerlei Attraktivität oder integrative Kraft für Zugewanderte bietet, an die sie mental anknüpfen können oder gar wollen. Attraktivität vermittelt man durch Freude (und auch Stolz) am Eigenen. In so ziemlich allen Nationen wird z.B. die Erlangung des Passes als Privileg empfunden (ich weiß von Freunden aus der Schweiz, dass die Erlangung des „roten Passes“ als Auszeichnung empfunden wird). In Deutschland ist es lediglich ein formaler Akt, ja beinahe eine Bürde.

    Und nein, ich möchte kein neues Fass aufmachen, sondern lediglich zeigen, dass solange man selbst alles als „Nazi“ bezeichnet, was die eigene Geschichte betrifft, Andere es auch tun werden. In diesem Klima entstehen vielleicht von Zeit zu Zeit zwei Rekonstruktionen, aber sie werden stets als „verrucht“ bezeichnet und misstrauisch betrachtet und journalistisch und politisch begleitet, weil der Geist unserer Zeit und unseres Landes sich nicht mit Schönheit, Repräsentation und Geschichtlichkeit abseits der üblichen hermetisch abgeriegelten Zeitspanne verträgt. Überall wittert man Revisionismus, wenn man den berüchtigten Korridor verlässt und eine Gesamtschau vornimmt oder auch nur ein einziges Fachwerkhaus rekonstruiert.

    Das sollte man m.E. ändern, ansonsten hat man tatsächlich nur Kulissen und ein nettes Ausflugsziel für den Sonntagnachmittag. Wenn das manchem hier reicht, bitte sehr. Was aber wiederum den Kulturpessimismus, den nicht nur ich hier vertrete, bestätigt.

  • Der ansteckende Wunsch nach Rekonstruktionen durchkreuzt andere Vorhaben

    Lieber Heinzer,

    vielen Dank für Ihre wohl gewählten Worte, aus denen ich einen sehr berechtigten Appell zur Dankbarkeit für das herauslese, was bereits alles an Rekonstruktionsleistungen in den letzten dreißig Jahren (beginnend mit dem Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim und dem dortigen Marktplatz) unter immensem Aufwand an ehrenamtlichem Engagement, Zeit, Geld und Herzblut erbracht wurde.

    Jedes der bisher realisierten Projekte hat dabei Werbecharakter für unser Anliegen, strahlt hinein, gerade auch in solche Städte, die bisher noch nicht das Glück hatten, ihre für das jeweilige Stadtbild essentiellen, aber im 20. Jahrhundert verschwundenen Bauten, rekonstruieren zu können. Wie sagt man doch so schön: „Der Appetit kommt beim Essen“. Immer mehr Bürger sehen jetzt, wie heilsam und ästhetisch hochwertig Rekonstruktionen für ein bisher geschundenes Stadtbild sind. In jüngster Zeit häufen sich ja die Berichte über ‚Konvertiten’, die, nachdem sie die Fassaden des ehem. Kgl. Schlosses in Berlin mit eigenen Augen gesehen haben, ihre ablehnende Haltung von ehedem nicht mehr nachvollziehen können. Und genau das ist der Punkt: Rekonstruktionen sensibilisieren die Mitmenschen für das städtebildnerische Potential ihrer jeweiligen Stadt. Sie wollen eine urbane Atmosphäre nicht mehr nur im Eskapismus des Jahresurlaubs in der Provence, der Toscana oder an der Mittelmeerküste erleben können, sondern im Hier und Heute ihres Alltags im Heimatort. Und diese Anspruchshaltung läßt sie beginnen, widerspenstig zu werden. Sie nehmen Zumutungen von Investoren, Politik, Verwaltung und Architektenschaft nicht mehr ohne weiteres hin. Und genau wegen dieser ‚Ansteckungsgefahr’ sind die Kreise, die die internationale, wurzellose aber renditemaximierende Einheitsmoderne vertreten, so schlecht auf Rekonstruktionen zu sprechen, deshalb möchte man diese zahlenmäßig so klein wie möglich halten, deshalb umgibt man sie mit einem ihre Wirkung eindämmenden ‚Cordon Sanitaire’ ( wie jetzt buchstäblich beim Berliner Schloß, welches in die sterile, antiseptische Steinödnis gestellt wird), deshalb geraten Rekos ins ‚Fadenkreuz’ dieser Interessengruppen.

    Und um noch auf den anderen, noch sensibleren Punkt dieses Themenstrangs einzugehen: Wenn man plötzlich merkt, daß die Annahme, die Zeit arbeite für einen und man müsse nur zuwarten, bis einem der (nächste) ‚Goldene Apfel’ in den Schoß fällt, Risse bekommt und gegenläufige Tendenzen – wie z.B. unsere Rekonstruktionen - sichtbar werden, dann kann es schon sein, daß der Eine oder Andere militant reagiert, um zu verhindern, daß die Felle, die man vielleicht sogar schon gedanklich verteilt hatte, einfach davon schwimmen.

    Wie dem auch sei – jedenfalls ist die andauernde Rekonstruktionswelle ein sehr zu begrüßendes Indiz dafür, daß Mitteleuropa im Begriff ist, aus seiner – gerade auch bauästhetischen - Selbstvergessenheit aufzuwachen. „Und das ist [um Klaus Wowereit analog zu zitieren] auch gut so !“

    Einmal editiert, zuletzt von Pagentorn (3. März 2019 um 14:07)

  • Andererseits gibt es natürlich auch Hoffnung. Nämlich dass die Rekonstruktionen und die dadurch gewonnene Sichtbarkeit der eigenen reichen Geschichte zu einem Mentalitätswandel in der Breite der Gesellschaft und zu mehr Unbefangenheit gegenüber der eigenen Kultur führen können- und damit zu einer wahren Rekonstruktionswelle, die ganze Stadträume in Angriff nimmt.

    Normalerweise ist es ja umgekehrt, also dass die (positive) geistige Hinwendung zum eigenen Erbe sich „materialisiert“ und dadurch die Rekonstruktion geschichtlicher Bauwerke erschafft. Wir gehen in Deutschland also in verkehrter Reihenfolge vor, aber hoffentlich führt es letztlich zum gleichen Ergebnis.

  • Teilweise Zustimmung, East_Clintwood. Ich würde eben nur die Akzente etwas anders setzen. Von "Verbrechernation" spricht ja nun niemand Ernstzunehmendes mehr und das war es auch, was ich meinte eben: Zu einem gesunden Umgang mit der eigenen Geschichte gehört eben auch die Auseinandersetzung mit ihren dunklen Seiten, die Zeitläufte selbst wird es uns natürlich immer leichter machen, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu bewerten, einfach weil sie nicht mehr so dominant in die Gegenwart strahlt. Daran ist auch gar nichts falsch - trotzdem halte ich das, was für Sie anscheinend Nabelschau einer abgehobenen linken Elite war, nämlich die ab den 60er Jahren zunehmende Beschäftigung auch mit den dunklen Seiten unserer Geschichte für absolut elementar, um eben diesen Schritt hin zu einem neuen und entspannteren/positiveren deutschen Selbstverständnis zu erlangen. Und so ein Prozess dauert eben Jahrzehnte, es braucht auch eine zeitliche Distanz zu den verübten und erlittenen Traumata, das ist ganz normal.

    Der "unbeschwertere" Umgang mit der Geschichte im Osten ist imho auch nicht unbedingt positiv zu sehen, sondern eben Ausdruck der von Ihnen richtig beschriebenen Projektion des "Bösen" im Deutschen auf den kapitalistischen Westen. Auch den Österreichern ist dieser Stunt gelungen, das schlechte am Deutschsein den Nazis und somit den Deutschen anzuhängen, das ging ja soweit, dass sie sich selbst völlig unironisch als Opfer des Nationalsozialismus inszeniert haben. Da lebt es sich natürlich leichter.

    Aus meiner Sicht gehört aber auch der Schmerz über die Erkenntnis der im deutschen Namen begangenen Verbrechen ganz zwingend zum geforderten "Mitsichselbstinsreinekommen", und wieder explizit ohne, dass uns diese Geschichte von nun bis in alle Ewigkeit permanent und dominant verfolgen muss. Das wird sie schon wegen der zunehmenden zeitlichen Entfernung zu den Ereignissen immer weniger tun - und auch in diesem Kontext sollte man doch wohl die vielleicht bisweilen auch hysterisch geführten Debatten innerhalb der deutschen Intellektuellenszene in den 60er, 70er, 80er Jahren sehen. Wer (zurecht) möchte, das Luther aus einer zeitgenössischen und nicht aus einer heutigen Sicht bewertet wird, sollte dies auch Menschen zugestehen, die sich 20 oder 30 Jahre nach dem Krieg Gedanken über den Nationalsozialismus gemacht haben.

    Wie gesagt, und damit schließe ich, sehe ich Deutschland eigentlich auf einem recht guten Weg, auch wenn Ihnen das vielleicht wie Hohn in den Ohren klingen mag, es entwickelt sich langsam ein natürlicheres Verhältnis zum Selbst und der eigenen Geschichte (das man ohnehin nicht verordnen kann, weder von der einen, noch von der anderen Seite) und Deutschland wird - anders als in den vergangenen 7 Jahrzehnten - auch im Ausland wieder als attraktives Land mit interessanten Städten wahrgenommen. Der Tourismus boomt, es ist kein Zufall, dass Berlin z.B. in Sachen Gründerszene wesentlich größere Städte wie Paris abhängt, dass zum ersten Mal seit wann? immer? wieder mehr Menschen aus den USA nach Deutschland einwandern als umgekehrt (dasselbe gilt für das Vereinigte Königreich), dass die Auswandererzahlen z.B. in die Schweiz sich in den letzten 10 Jahren um den Faktor 10 reduziert haben (Quelle für alles: Statistisches Bundesamt destatis). Wenn überhaupt eine Gefahr besteht, dann am ehesten wieder in einem sehr starken, dominanten Deutschland, welches auch aus den osteuropäischen Ländern ohne Unterlass Talente absaugt, die diese Länder selbst nötiger hätten. Da wären wir dann wieder bei der ungünstigen Demografie, einem Schicksal, das ganz Mittel- und Osteuropa in den nächsten 20 Jahren mit einer noch viel größeren Härte treffen wird als Deutschland.

    Insofern, auch hierzu Zustimmung, gibt es natürlich gute Gründe für Pessimismus, immer. Trotzdem gab es in den vergangenen 100 Jahren wesentlich kritischere Phasen als die aktuelle. Dass Deutschland ein anderes sein wird und schon ist als vor 40 oder 120 Jahren, ist doch klar, wie sollte es anders sein angesichts dessen, was alles passiert ist? Trotzdem bleibt es eben Deutschland, ein Deutschland, das schon immer sehr wandlungsfähig und konfliktfreudig gewesen ist, positiv gesagt.

  • Der ansteckende Wunsch nach Rekonstruktionen durchkreuzt andere Vorhaben

    Lieber Heinzer,

    vielen Dank für Ihre wohl gewählten Worte, aus denen ich einen sehr berechtigten Appell zur Dankbarkeit für das herauslese, was bereits alles an Rekonstruktionsleistungen in den letzten dreißig Jahren (beginnend mit dem Knochenhauer-Amtshaus in Hildesheim und dem dortigen Marktplatz) unter immensem Aufwand an ehrenamtlichem Engagement, Zeit, Geld und Herzblut erbracht wurde.

    ....

    Wie dem auch sei – jedenfalls ist die andauernde Rekonstruktionswelle ein sehr zu begrüßendes Indiz dafür, daß Mitteleuropa im Begriff ist, aus seiner – gerade auch bauästhetischen - Selbstvergessenheit aufzuwachen. „Und das ist [um Klaus Wowereit analog zu zitieren] auch gut so !“

    Genau so ist es. Natürlich müssen wir kämpfen, im Westen vielleicht noch mehr als im Osten, aber die Erfolge der letzten 30 Jahre sind doch immens, die Wiederauferstehung (eines kleinen Teils der) Frankfurter Altstadt, Hildesheim, das hier mangels frischen Nachrichten etwas aus dem Fokus geraten ist (vielleicht bahnt sich dort ja nun auch eine dritte Welle an?) und natürlich Potsdam und Dresden sind doch unglaubliche, international wahrgenommene Erfolge.

    Zumindest in guten Zeiten bin ich einfach Optimist, ich glaube, dass wir auch in Bremen noch einiges auf die Beine stellen können. Aber wir müssen es eben machen, es wird niemand anders für uns übernehmen.