• Ich würde auch nicht zugrundelegen, dass das Bauhaus eine bis heute durchgängig gelebte Tradition ist. Sie ist doch sehr wohl von den 1950'ern, dem Betonbrutalismus mit der Liebe zum Waschbeton und der Postmoderne der 1980-1990'er Jahre unterbrochen bzw. abgelöst worden. Ich wage mal zu behaupten, dass der Bauhausstil durch seine reduzierte Formensprache und Materialität nur besonders gut passt zu den heutigen Vorschriften der EneV. Wärmedämmungen lassen sich halt gut in rechteckige Formen schneiden, verkleben und weiß verputzen. Insofern hat also der heutige Modernismus das Bauhaus wiederentdeckt, um sich damit selbst auszuzeichnen. Was ich den Bauhausfans unterstelle ist, dass sie das ignorieren, ausblenden oder schlicht nicht erkennen wollen. Hauptsache ihr Stil bleibt im Gespräch.

  • Ich denke, man sollte Bauhaus als das betrachten, was es ist: Ein Architekturstil unter vielen.
    Geschmäcker sind verschieden, manch einer findet Bauhaus schön, viele finden es langweilig, manche finden es hässlich. Ich hätte auch gar kein Problem mit dem Bauhaus, wenn es hier und da gebaut würde.

    Das Problem ist, was ich ja schon in meinem vorherigen Beitrag geschrieben hatte: Der Totalitarismus, mit dem dieser Stil den Architekturstudenten eingebläut wird und der Glaube, das Bauhaus sei der einzig wahre Stil. Die Tatsache, dass nahezu jeder Neubau von Architekten nach Prinzipien errichtet wird, die sie im Studium gelernt haben und auf das Bauhaus zurückgehen, ist das große Problem, was die Architektenschaft heute hat und der Grund für den Vertrauensverlust in der Bevölkerung.
    Wenn man wieder hingehen würde, und klassische Architekturstile als berechtigt und gleichwertig betrachten würde, die auch heute noch gebaut werden dürften, ohne dass direkt ein Aufschrei durch die Architektenschaft ginge, das wäre ein dringend notwendiger Schritt.
    Gleichzeitig scheint, wie in dem zitierten Interview gesagt, diese Denkweise "Du darfst keinen anderen Architekturstil neben mir praktizieren" aber Teil der DNA des Bauhaus zu sein. Die Architektenschaft betrachtet das Bauhaus eben nicht als einen Stil unter vielen, sondern als den einzig erlaubten, den "wahren und richtigen" Stil und das ist letztendlich das eigentliche Problem.

    Das sollte in meinen Augen die Quintessenz der Antwort auf die Frage sein, wie sich unser Verein zum Jubiläum positionieren sollte: Eine Diversifikation der Architektur und eine Rückbesinnung auf andere Architekturstile ist 100 Jahre nach Erfindung des Bauhaus dringend geboten.
    Wer Bauhaus mag, dem soll man seine Meinung nicht absprechen. Aber derjenige soll bitte auch andere Meinungen zulassen und akzeptieren. Das Architekturstudium sollte sich nicht auf einen Stil verengen, sondern sich öffnen für eine viel breitere Architekturstilausbildung. Wenn ein Architekturwettbewerb durchgeführt wird, sollte eine bunte Mischung verschiedener Stile auftauchen, wo man sich den schönsten und passendsten heraussuchen kann und nicht zehnmal die selbe Klotz-Optik auftauchen. Und man sollte viel mehr auf die Bevölkerung hören, die die Dominanz des Bauhaus und der modernen Architektur mehr und mehr ablehnt.
    Der Verein Stadtbild Deutschland ist ja letztendlich Ausdruck des Überdrusses, den 100 Jahre "neue Sachlichkeit" ausgelöst haben.

    Einmal editiert, zuletzt von Centralbahnhof (9. Februar 2019 um 17:46)

  • "Centralbahnhof", im Grunde nicht falsch, was Du schreibst. Aber, was sollen solche Willensbekundungen bringen? "Man sollte"...? Wer ist das? Und warum "sollte" er?...

    Es gibt ja bestimmte Gründe, warum "Bauhaus" so beliebt ist. Sie liegen in ganz praktisch-technischen Dingen begründet, die "nothor" teils andeutet, sie liegen auch in bestimmten Machtstrukturen innerhalb der Architekten- und Hochschullehrerschaft begründet. Leute, die eine bestimmte Bauaufassung lehren (und Alternativen hochnäsig ablehnen bzw. auch gar nicht mehr lehren könnten, weil ihnen das Wissen dazu fehlt), werden den Teufel tun, nun ihre Hochschul-Seminare zu verändern oder anders gesinnte Professoren als Nachfolger einzustellen.

    Und auch das kulturelle laissez-faires kann ja nur für eine Übergangszeit gelten, in der die eine Richtung noch Präsenz hat, die andere aber noch nicht stark genug für die Dominanz ist. Würde der Markt nämlich entscheiden, also ein gleichwertiges Angebot herrschen, hätte - so meine Prophezeihung - "Bauhaus" keine große Chance mehr. "Bauhaus" funktioniert allenfalls im obersten Segment des Villenbaus, am besten mit Blick auf das Mittelmeer. (So oder so) Das ist der Traum, mit dem diese Architektur spielt, und dem jeder Reihenhauskäufer nachzueifern versucht, obwohl es in Wuppertal oder Kassel nicht so richtig gelingen mag.

    Nein, es geht hier letztlich nicht darum, dass "man" oder "irgendwer" mal ein bisserl tolerant wird, sondern um eine handfeste Revolte des Denkens und womöglich auch der Technik. Manch einer bringt ja den 3-D-Druck ins Spiel, der womöglich eine technische Revolution auszulösen imstande ist. Zu welchen Ergebnissen das führt, und ob uns das gefällt, werden wir sehen. Zudem bedarf es eben einer geistigen Revolution, die ein ganz anderes Verhältnis zu Orten, Regionen, den Vorfahren vertritt, als der Globalismus, der hinter dem "Bauhaus" steht. Das ist eine Auseinandersetzung, die nur durch Rebellen im Inneren des Architekturapparates angestoßen und geführt werden kann. Und sie wird keinesfalls konfliktfrei verlaufen, sondern kann durchaus kulturkämpferische Ausmaße annehmen.

  • @Heimdall Ich habe lediglich versucht, eine Einordnung vorzunehmen, was das aktuelle konkrete Problem bezüglich des Bauhauses ist und wie eine optimale, differenzierte Betrachtung des Bauhaus aussähe.
    Was ein solches etwaiges Statement bringen sollte, oder was es bringen sollte, diese Meinung als Vereinsmitglied irgendwo zu vertreten?
    Nun ich vermute, dass ein Großteil der Bevölkerung gar nicht weiß, dass dem Bauhaus totalitäre Prinzipien zu Grunde liegen und dass deswegen die aktuelle Ausbildung von Architekten so abläuft, wie sie abläuft. Viele werden glauben, dass die Architekten von Investoren, knappen Geldmitteln oder der Politik gezwungen würden, so hässlich zu bauen. Dass sich bei jeder Idee, irgendein Areal im historischen Stil zu bebauen, ein Proteststurm aus der Architektenschaft erhebt, dass Architekten, die klassisch bauen, von ihren Kollegen ausgegrenzt werden und dass auch Projekte, in die viel Geld für eine aufwändige Fassadengestaltung fließt, keine klassisch schönen Ergebnisse herauskommen, das weiß ein Großteil der Bevölkerung schlicht nicht. Dieses Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen, würde durchaus viel bringen und auch die Zustimmung zu Rekonstruktionen als Mittel gegen den Einheitsbrei erhöhen.
    Ich habe meine Kritik relativ moderat ausgedrückt, da es auch hier im Forum einige Mitglieder gibt, die der Idee des Bauhaus nicht abgeneigt scheinen und auch in der Öffentlichkeit einige Menschen Gefallen an den von Dir gezeigten Häusern haben und einer Verdammung des Bauhaus nicht zustimmen würden. Mit der Kritik, dass das Bauhaus eben nicht der einzig wahre Stil ist, dürften aber eigentlich sogar Fans des Bauhauses mitkommen.
    Die Kritik am Totalitarismus, nicht aber am Stil ansich ist also letztendlich der kleinste gemeinsame Nenner der Kritik am Bauhaus, die für einen Verein, der vielleicht als moderat und nicht extrem wahrgenommen werden will, als öffentliche Meinung vertretbar wäre.
    Dass man damit nicht die Architektenschaft überzeugen wird und dort eine richtiggehende Revolution vermutlich unabdingbar ist, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Und dass das Bauhaus und die daraus abgeleitete moderne Architektur nicht Innenstadt-tauglich sind und das Prinzip des Schmucklosen, Einförmigen trostlose Stadträume erschafft, dem würde ich sofort zustimmen.
    In dem Thread ging es aber um die Frage, ob der Verein eine Meinung zum Bauhaus haben sollte und ich wollte eine mögliche öffentliche Meinung ausformulieren.

    Alternativ könnte man natürlich einen Schritt weiter gehen und die Untersuchungen über die Auswirkungen auf das menschliche Gehirn von kleinräumigen Bauen und Details im Gegensatz zu monolithischer Einförmigkeit anbringen. Das wäre aber schon ein deutlich komplexeres Thema, um es als öffentliche Meinung zu 100 Jahren Bauhaus zu vertreten.

    Einmal editiert, zuletzt von Centralbahnhof (9. Februar 2019 um 20:23)

  • Hmmm...alles hochinteressant was ihr schreibt. Nur, macht der Verein jetzt was draus? Wer spricht eigentlich für den Verein? Gibt es schon eine Stellungnahme zur Stellungnahme? Und wenn ja, von wem?

    In dubio pro reko

  • Nur, macht der Verein jetzt was draus?

    Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass der Verein sich eine Gefallen damit tun würde, sich zum 100jährigen Jubiläum des Bauhauses zu äußern. Was sollte man auch schreiben? Man feiert die Gründung einer der bedeutendste Kunstschule Deutschlands vor 100 Jahren. Heute ist das Bauhaus Teil unserer Architekturgeschichte. Konstruktive Kritik an diesem Jubiläum kann man da wohl kaum üben. Eine explizite Würdigung ist sicher auch nicht angebracht und ist zudem schon von anderen Institutionen sicher besser umgesetzt worden. Der Verein muss sich nicht zu allem äußern, schon gar nicht zu Dingen, die ihn und seine Arbeit gar nicht unmittelbar betreffen.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass der Verein sich eine Gefallen damit tun würde, sich zum 100jährigen Jubiläum des Bauhauses zu äußern. Was sollte man auch schreiben? Man feiert die Gründung einer der bedeutendste Kunstschule Deutschlands vor 100 Jahren. Heute ist das Bauhaus Teil unserer Architekturgeschichte. Konstruktive Kritik an diesem Jubiläum kann man da wohl kaum üben.

    Hm, nun könnte man argumentieren, dass das Bauhaus zusammen mit anderen Entwicklungen der Moderne beginnend bei Adolf Loos ornamentlosem Haus mitverantwortlich ist für den trostlosen Städtebau der letzten Jahrzehnte. Und das betrifft sowohl einen ästhetischen Stillstand, denn wie zurecht bemerkt bekommen wir immer noch eine 100 Jahre alte Moderne als letzten Schrei serviert, als auch eine psychologisch deprimierende Umgebung. Dann ist da zudem die vielgepriesene Funktionalität, bei der sich zeigt, dass die Häuser oftmals simpelste Standards nicht erfüllen und auch rein kapitalistisch gesehen gar nicht so viel Sinn machen.
    Letzten Endes ist das Bauhaus auch eine Negierung des Kunstschaffens seit Beginn der Menschheit, denn während seit dem frühesten homo sapiens wenigstens Keramik mit Ritzungen zur Dekoration verziert wurden, postuliert die Moderne, dass das alles unnütz und schmucklose Funktionalität viel schöner sei. Im Prinzip ist das alles nur eine Ausrede, damit billig und mit möglichst null gestalterischem und städtebaulichem Aufwand gebaut werden kann. Daraus resultiert unsere Frustration und auch dieses Forum.
    Insofern schiene mir ein Positionspapier nicht völlig abwegig, aber das kann natürlich niemand allein schreiben oder entscheiden.

  • Zu der Frage, ob der Verein offiziell dazu eine Meinung haben sollte:

    Sagen wir mal so, eine eindeutige Meinung wäre vielleicht nicht gut - aber eine Position.

    Er könnte z.B. einfach veröffentlichen "100 Jahre Bauhaus - welche Bilanz können wir ziehen".
    Das heisst, keine Meinung, aber anregen Fragen zu stellen. Was brachte Bauhaus Gutes? Was Schlechtes? Eine Frage ist ja keine "Meinung". Fragen stellen halte ich für problemlos und ist legitim.

    Und eine "vorsichtige" Meinung kann man durchaus andeuten. Indem man z.b. darauf hinweist, dass es eben nicht nur Gutes war, und konkrete Beispiele gibt. Aber letzendlich doch die Position zum grossen Teil neutral hält, eben Gutes betonen aber auch Problematisches.
    Bilanz ziehen. Why not?

    Das waren meine Spätnacht-Gedanken hierzu.

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

  • Bei dem Thema wäre aus meiner Sicht eher knallharte Provokation angesagt! :evil:
    Wer stellt denn bislang schon das Bauhaus groß öffentlich in Frage? Niemand. Bislang gibts doch eher die genannten verhaltenen, recht neutralen Pseudokritiken. Bei dem Thema können wir ruhig mal Breitseite geben!

    So können wir sicher auch mit etwas Gutem über das Bauhaus einsteigen. Doch eben hauptsächlich auf die negativen Folgen für Stadtbilder in aller Welt abstellen. Das ist ja keine rein deutsche Angelegenheit, sondern ganz klar eine globale.

    Wir werden bislang auch deswegen zu wenig öffentlich wahrgenommen mE, weil wir immer sehr diplomatisch und vorsichtig rausgehen in die Öffentlichkeit. Doch Aufmerksamkeit bekommst du heute nur mit sehr klaren und sehr starken Meinungen. Ist einfach so. Seien wir provokanter Rockstar statt Schwiegermutters Schmuseschlagersänger! :thumbup:

  • Bei dem Thema wäre aus meiner Sicht eher knallharte Provokation angesagt! :evil:

    Genau! Seien wir die Erbse, die all die Prinzessinnen und Diven des Architektur- und Kulturbetriebs nicht mehr schlafen lässt - und wenn sie sich noch so viele Decken ideologischer Rechthaberei und noch so viele Matratzen der Selbstbeweihräucherung unter sich aufhäufen!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Bei dem Thema wäre aus meiner Sicht eher knallharte Provokation angesagt!
    Wer stellt denn bislang schon das Bauhaus groß öffentlich in Frage? Niemand. Bislang gibts doch eher die genannten verhaltenen, recht neutralen Pseudokritiken. Bei dem Thema können wir ruhig mal Breitseite geben!

    Mich würdest du bei dem Vorgehen verlieren. Ich würde eindeutig dagegen argumentieren. Ich bin Kunsthistoriker und das Bauhaus hat in der europäischen Architekturgeschichte einen bedeutenden Stellenwert. Dafür muss ich diese Architektur nicht schön finden. Und ich muss auch nicht gutheißen, dass man noch heute in großen Teilen in dieser Tradition baut.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ich finde, man darf auch die Dinge, die einen großen historischen Stellenwert haben, durchaus hinterfragen, ja man muss das sogar tun. Gerade das!!

    Jeder große Heilige hat zeitweilig an den Lehren seines Glaubens und sogar an Gott gezweifelt. Und wir sind nicht einmal Heilige (selbst wenn wir es gerne wären)! Und das Bauhaus ist auch kein Dogma (auch wenn viele es zu einem solchen stilisiert haben), und schon gar nicht sind seine Vertreter Götter (obschon diese sich selbst so gesehen haben).

    Jede Stilepoche hat die vorangegangene hinterfragt - bisweilen sogar verachtet - , sonst wäre nicht Neues entstanden. Keine Renaissance ohne Denunziation des Mittelalters als gotico, kein Klassizismus ohne die Herabwürdigung des Barock als "verzopft". Um aus dem Schatten des Bauhauses herauszutreten, müssen wir es nach Kräften dekonstruieren - und zwar nicht so halbherzig, wie es die Postmoderne getan hat. Wir müssen seine Paradigmen verwerfen und neue Paradigmen formulieren, umso mehr, als das Bauhaus seinerzeit komplett mit jeglicher Tradition gebrochen hat - während Renaissance und Klassizismus die Vorgängerstile zwar abgewertet haben, immerhin aber nicht die Idee von Architektur als solcher aufgegeben haben.

    Und nur dann werden wir wirklich Besseres schaffen können und neben der Rekonstruktion eine weitere Alternative zum Modernismus gewinnen. Denn das sieht man ja an den Neubauten (also nicht den Reko-Bauten) des Dresdner Neumarkts: man orientiert sich - wegen der Bauverordnung mehr oder weniger notgedrungen - an den historischen Proportionen, fällt aber doch immer wieder in die Bauhaus-Diktion zurück.

    Fazit: Nur wenn wir mit dem brechen, was mit allem anderen gebrochen hat, wenn wir das relativieren, was sich selbst absolut gesetzt hat, werden wir wieder frei, werden wir die Gespenster der Vergangenheit bannen.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

    2 Mal editiert, zuletzt von Seinsheim (22. Februar 2019 um 16:05)

  • Zweitens, warum ich etwas zur Vorsicht riet, ist diese berühmte staatlich-mediale Diffamierungsschiene. Wer gegen die Madame mit der Raute ist, ist "rechts".

    Hat jetzt wirklich nichts mit dem Bauhaus zu tun, oder? Mal ganz abgesehen von der inhaltlichen Ebene...

    Man kann sich mit den Folgen des Bauhauses durchaus kritisch auseinandersetzen, ohne dabei das Bauhaus selbst ins Zentrum unsachlicher Kritik zu stellen. Der Vereinsspitze traue ich diesen Spagat durchaus zu, jedem Forenmitglied aber nicht unbedingt. Die Frage ist doch, was man dadurch gewinnt, wenn man ausgerechnet im Jubiläumsjahr sich gegen das Bauhaus positioniert. Die Gefahr ist doch groß, dass man dabei missverstanden wird.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

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  • Die Gefahr ist doch groß, dass man dabei missverstanden wird.


    Genau das meine ich doch.

    Du bist doch Kunsthistoriker? Bauhaus wird doch gleichgesetzt mit "Moderne", ist zwar nicht ganz exakt, aber u.a. ist Bauhaus definitiv Grundlage heutigen Bauens. Der Bruch mit allem Alten ist doch grade Kernpunkt der Bauhausdoktrin.

    Du hast ja auch mein Zitat verkürzt.....die Madame Raute ist nur eines von zahlreichen Beispielen. Es gibt eine Menge Ansichten, für die man heute als "rechts" diffamiert wird - nämlich alle, die staatlich nicht erwünscht sind. Rekonstruktion ist generell nicht erwünscht. Ich könnte das mit Mme. Raute auch in wenigen Sätzen weiter ausführen, aber dann wird's zu politisch und das ist im Forum nicht gewünscht.

    Die Reko-Bewegung wird ständig als "rückwärtsgewandt", reaktionär und "rechts" diffamiert. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass jede Veröffentlichung des Vereins so provokativ sein kann wie sie will , sie sollte nur alles vermeiden was zum Eigentor wird.

    Und ich verstand da so, dass dem Forum schon häufig unterstellt wurde , es sei "rechts". Von daher riet ich nur zu etwas Vorsicht, um sich nicht wieder in die selbe Ecke drängen zu lassen....that's all. ;)

    "Die Modernisten sollten sich endlich eingestehen, dass sich die Qualität einer Stadt konventioneller Architektur verdankt" - (H. Kollhoff).

  • Manche glauben an die Quadratur des Kreises. Dass man eine Position haben sollte ohne jedoch eine Konfrontation mit irgendeiner Gegenseite auszulösen und sich auch verteidigen zu müssen. Das geht nunmal leider nicht, dann müsste man sich zu jedem Thema neutral verhalten. Damit degradiert man sich aber zum Zuschauer, gerade in Zeiten der Polarisierung (die ich natürlich auch nicht gut heiße). Insofern begrüße ich es, das SD zumindest auf Facebook aktuell einen kritischen Blick auf das Bauhaus gewagt hat und damit diverse Anhänger zu entlarvenden Kommentaren provoziert. So muss das laufen.

    In dubio pro reko

  • Und ich verstand da so, dass dem Forum schon häufig unterstellt wurde , es sei "rechts". Von daher riet ich nur zu etwas Vorsicht, um sich nicht wieder in die selbe Ecke drängen zu lassen....that's all. ;)

    Diese Vorsicht besteht auch darin, vielleicht ersteinmal garnichts zu sagen. Das Bauhaus-Jahr ist noch lang und voller Veranstaltungen. Das sollte man sich auch ersteinmal ansehen, wie sich das medial entwickelt. Wer aufmerksam hingesehen hat hat sicherlich bemerkt, dass Stadtbild Deutschland in Facebook vorfühlt wie die Reaktionen auf provokante Thesen dort aussehen. Ich kann jetzt keinerlei Gewinn darin erkennen, wenn man irgend ein Anti-Bauhaus-Papier lanciert, indem es womöglich nichteinmal um das Bauhaus geht sondern um die Moderne in ihrer heutigen Form. Am Ende wird den Unterzeichnern unterstellt man hätte keinen kunsthistorischen Sachverstand oder würde verschiedene Dinge miteinander vermischen usw.
    Ich fände es sehr unglücklich, wenn Stadtbild Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung so endet wie die ominösen 100 Lungenärzte, die, wie sich herausgestellt hat, keine Ahnung vom dem haben wozu sie Stellung bezogen haben. Niemand wird da mehr zuhören.

  • Dass ein plumpes Auftreten schädlich ist, ist unbestritten. Aber ich muss dann doch fragen, ist hier wirklich jemand, der das Bauhaus gut findet? Steht es nicht für all das, was uns in diesem Forum an der Gegenwarts-Architektur missfällt?
    Ein Verweis auf die Architekturgeschichte scheint mir reichlich dünn. Sicher, es ist Teil davon, aber das gilt auch für den Historismus und da gibt es bemerkenswert wenig Beißhemmungen bei sehr vielen Leuten ihn als überladen abzuqualifizieren. Wer sowas sagt, wird kaum schief angesehen. Man hört ähnliches gelegentlich auch beim Barock und der Klassizismus wird durchaus hie und da als trocken angesehen. Warum man da nicht sachlich alle kritischen Punkte zum Bauhaus abarbeiten kann, erschließt sich mir nicht.
    Einige unumstrittene Angriffspunkte:

    1) Die Bauhaus Gebäude sind in ihrer Funktionalität oftmals zweifelhaft (siehe Neue Nationalgalerie) und folgen eher einer Ideologie, wie Menschen angeblich wohnen möchten statt sich an realen Bedürfnissen zu orientieren.

    2) Das Bauhaus bekämpft das Ornament. Der Mensch ritzt aber seit Anbeginn der Geschichte Ornamente in Tonkrüge, weil er Verzierungen offenbar als schön empfindet. Das Bauhaus ist seinem Selbstverständnis nach funktionell. Kunst ist eigentlich das Gegenteil davon.

    3) Das Bauhaus ist die Bauweise eines eiskalten Kapitalismus. Bloß keinen Cent extra für irgendwas Unnötiges. Nicht für Details, nicht für eine Ensemblewirkung, nicht für etwas Verspieltes. Deshalb hält es sich so hartnäckig. Frühere Generationen wollten repräsentieren, aber auch ein Stadtbild schaffen, heute ist das abgeschafft worden. Es geht nur und ausschließlich um Geld.

    Eigentlich habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass unsere Position eine Mehrheitsposition ist. Kein Mensch sucht sich als Ziel seiner Städtereise die Innenstadt von Kassel aus, es zieht die Leute nach Rothenburg. Und ironischerweise ist ausgerechnet ein Gebäude des Historismus das deutsche Postkartenmotiv schlechthin. Und wer wendet sich eigentlich nicht mit Grausen ab, wenn er am Lübecker Marktplatz oder an Fuldas Stadtkirchenplatz die jeweilige moderne Schöpfung sieht? Und mit politisch rechts oder links hat das alles gar nichts zu tun.

    Manchmal frage ich mich, ob das Engagement für Einzelprojekte nicht der falsche Weg ist. Es sind immer wieder dieselben Schlachten und dieselben Gegner. Und das schon seit Jahrzehnten. Vielleicht sollte man mal die Grundsatzfrage stellen. Und die Leute mittels moderner Medien vernetzen und zugespitzt fragen: wollt ihr das so? Sollen eure Städte weiter wie seit mittlerweile 100 Jahren mit Investorenarchitektur mit Schießscharten zugestellt werden?

    Mir scheint eine sachliche und kluge Kriegserklärung nötig und die kann eigentlich nur dem Bauhaus und der dahinter stehenden Ästhetik und Ideologie gelten. Natürlich nicht ohne konkrete und bezahlbare Verbesserungen zu fordern (Blockrandbebauung, eine dezente Ornamentierung und Gliederung des Baukörpers als Pflicht usw.).

  • Ich finde, wir können differenzieren:
    1.) Das Bauhaus war eine historisch sehr wirkmächtige Bewegung, aber nach 100 Jahren haben wir das Recht, ja die Pflicht, nach vorne zu schauen und uns von der Tradition des Bauhaus selbstbewusst zu lösen, ja uns zu emanzipieren. Dazu gehört auch, dass wir uns von jenen Prinzipien des Bauhauses klar distanzieren, die wir als überholt oder nicht zukunftsfähig erachten. Das können wir in aller Eindeutigkeit und doch ohne Polemik tun.
    2.) Wir unterscheiden einerseits zwischen einzelnen Bauhaus-Monumenten wie dem Ensemble in Dessau, der Weißenhofsiedlung oder einzelnen Solitären (Barcelona-Pavillon, Villa Schröder), die durchaus eindrucksvoll sind, und andererseits der Rolle des Bauhaus innerhalb der Stadtarchitektur, die schlichtweg verheerend war.

    In diesem Sinne weisen wir einen Weg in die Zukunft ohne ideologisch verbiestert zu wirken. ALLES HAT SEINE ZEIT (Pred 3,1). Das Bauhaus hatte seine Zeit - im Guten wie im Schlechten - und diese ist nun vorüber. 100 Jahre Bauhaus sind ein guter Anlass, Abschied zu nehmen. Insofern nehmen wir dieses Jubiläum gerne wahr.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Du weisst aber schon, dass mit Sprüchen wie "alles hat seine Zeit" alle Rekonstruktionen und der Erhalt unliebsamer, aufwändiger und unbequemer Denkmäler und historische Substanz im Allgemeinen von "Futuristen" in Frage gestellt wird. Ich halte es für erfolgversprechender, wenn man darlegen könnte wie sich die heute praktizierte Moderne vom Moderneversprechen des Bauhaus unterscheidet, seine Ideale konterkariert und die Intention ihrer Ikonen verrät. Man sollte aber nicht allgemein eine Kunstrichtung in ihrer Bedeutung anzweifeln, zu denen Namen wie Peter Behrens, Lionell Feininger, Walter Gropius, Bruno Taut usw. gehören, die international in Museen, Kunsthandel und der Architektur durchaus auch zurecht unbestritten sind.
    Das Ganze könnte schnell als eine geschmacklich geleitete Kampagne gesehen und dikreditiert werden, die dann zu nichts führt. Und ehrlich gesagt, wenn ich Bauhaus-Originale aus der Zeit zwischen 1920 und 1940 sehe, dann packt mich schon eine gewisse Faszination. Wenn ich mir dann vorstelle, dass damals drumherum alles überbordender Historismus gewesen ist, dann hat diese Architektur eine logische, folgerichtige und ästhetische Daseinsberechtigung.

    Was völlig anderes ist es was nach den Verheerungen des 2. WK in Deutschland geschehen ist, wie Entstuckungen, die Abschaffung sämtlicher Gestaltungsrichtlinien, das Prinzip der autogerechten Stadt und der enorme ökonomische Druck gepaart mit den heutigen hochkomplexen Bauvorschriften unsere Städte gestaltet haben. Da scheint mir das Bauhaus zu einem geschmacklichen Rettungsring verkommen zu sein, mit dem man verzweifelt versucht den banalen Neubaumist unserer Tage zu schmücken.

  • Es ist richtig, wir müssen das Bauhaus von der Nachkriegsmoderne unterscheiden. Wir müssen aber auch die traditionsbewusste Moderne vom Bauhaus trennen. Behrens, Messel, Taut und Poelzig waren eben nicht Bauhaus. Und dann war das von Henry van der Velde initiierte Bauhaus in Weimar etwas völlig anderes als das Gropius-Bauhaus in Dessau. Das Gropius-Bauhaus war zunächst nur eine Sekte - bis es nach dem Krieg reimportiert wurde und zur Massenware herabsank - was eine weitere Verfälschung und Verschlechterung zur Folge hatte.
    Nichtsdestoweniger sehe ich schon im Gropius-Bauhaus verhängnisvolle Ansätze: nicht, was die Solitärbauten am Stadtrand, innerhalb einer Parkanlage und auf einem Ausstellungsgelände oder den Siedlungsbau betrifft; wohl aber war das Gropius-Bauhaus von Anfang an inkompatibel mit der abendländischen Stadtarchitektur. Hier liegt ihr grandioses Scheitern begründet.
    Und doch: alles hat seine Zeit. Das Bauhaus hatte seine Zeit. Und natürlich hat auch die Rekonstruktion ihre Zeit: In 100 Jahren, wenn wir in den Innenstädten so viel rekonstruiert haben werden wie die Epigonen des Bauhauses im zurückliegenden Saeculum vernichtet haben, mag getrost eine neue Epoche kommen. Jetzt aber ist es erst einmal unsere Zeit!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.