Satire, Kunst und künstlerische Befruchtung

  • Ich weiß nicht, ob es Sinn hat bzw. erwünscht ist, hier mit poetischen Ergüssen aufzuwarten. ich versuche es trotzdem mal mit einem humorvoll gehaltenen Gedicht. Wenn es unpassend erscheint, kann die Moderation es gerne wieder entfernen.


    Die Metaphysik der Moderne

    Weshalb hatte die Moderne
    Niedrigräume nur so gerne?,
    fragt sich, wer an Altbauhöhen
    sich nicht satt genug kann sehen.

    „Weil ich“, sprach Herr Corbusier,
    „vorzugsweise waagrecht seh’.
    Denn nicht Höhe, sondern Breite
    Gibt uns die mentale Weite.
    Selbst Zwei Dreißig sind bequem,
    sagt mein Modularsystem.
    Zudem habe ich Erbarmen
    nicht nur mit den geistig Armen.
    Wer so klamm, dass er sich strecke
    täglich mühsam nach der Decke,
    dankt mir, dass durch Höhenmind’rung
    ich ihm schenke etwas Lind’rung.
    Mein Konzept ist nicht utopisch,
    sondern wahrhaft philanthropisch.“

    Doch im wahrsten Sinn ‚vermessen’
    scheint solch Denken, denn vergessen
    bleibt die Dimension der Seele.
    Dass die Transzendenz nicht fehle,
    ist ein ewiges Gebot –
    ohne sie ist Baukunst tot.

    Geist braucht Tiefe; Körper Breite.
    Doch die Seele sucht die Weite
    lichter Höhe, dass sie wäre
    frei von aller Erdenschwere.
    Werden Decken angehoben,
    weiten Räume sich nach oben,
    dann kann sich der Blick erheben,
    fängt ein Bauwerk an zu leben.

    Die lebendige Moderne
    strebt zwar nicht nach Himmelsferne,
    doch erkannt hat sie zum Glück:
    Bauen ist nicht nur Physik.
    Alle Formen und Konstrukte
    sind in Wahrheit stets Produkte
    einer höheren Idee –
    und die heißt nicht ‚Corbusier’;
    auch nicht Schinkel, Borromini,
    Michelangelo, Bernini.
    Die Idee lässt sich nicht binden,
    an Personen. Sie zu finden
    ist die Leistung des Genies,
    ob es Loos heißt oder Mies.

    Das vollkommene Genie:
    selbstbezogen ist es nie.
    Vielmehr schenkt es ew’gen Normen
    zeitbedingt geprägte Formen.
    Architekten-Egomanen
    freilich, die davon nichts ahnen,
    sind im besten Fall Designer,
    für die Baukunst taugt kaum einer.

    Gute Baukunst zu erkennen,
    heißt, sie vom Design zu trennen:
    Baukunst gibt sich transzendent,
    das Design bleibt immanent;
    Immanenz verharrt im Schein.
    Transzendenz birgt wahres Sein.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • :applaus: Wow, ein Dichter unter uns hat sich zu erkennen gegeben!
    Treffend in poetischen Worten beschrieben woran die Moderne krankt. Vielleicht ist es versöhnlicher in poetischer Form Kritik zu üben!?

  • Wir könnten auch mehr mit Humor arbeiten. Leider beherrschen die Konservativen und Tradtionsverbundenen die Satire nicht so gut, wie die Modernisten und Linken sie - zumindest früher - beherrschten. Mittlerweile sind diese Herrschaft in ihrer ideologischen Erstarrung völlig humorlos geworden. Das sollten wir nutzen!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Wenn du mehr davon auf dem Kasten hast oder der Bedarf besteht, das mittels lyrischer oder anderweitiger Methoden zu erweitern (z.B. ein Mem — also ein Bild welches nicht zwangsläufig etwas mit dem Thema zu tun hat, der darauf enthaltene Text jedoch den Kontext schafft, dann schlage ich vor einen eigenen Strang zu eröffnen. Sonst geht das verloren und weicht vom eigentlichen Thema ab.

    Beispiel zum Mem/GIF:

    (Text könnte sein: "Welch schöne Rasterfassade!")

  • Lieber @tachMarkus, dafür wäre ich durchaus zu haben. Wenn die Moderatoren einverstanden sind. Frage ist, wie man den Strang nennen sollte.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • @tachMarkus
    Lieber Markus, ich überlege gerade, ob Künstlerische Befruchtung das, was wir ins Auge fassen, abdeckt. Geht es um das Künstlerische oder geht es auch im Satire in der Auseinandersetzung mit der Moderne. Ich fände es reizvoll, wenn wir Beispiele sammeln würden - durchaus auch mit künstlerischem Anspruch - die dem sautertöpfisch-spießigen und kleinbürgerlichen Gebaren modernistischer Ideologen Geist, Witz, Esprit und Humor entgegensetzen - in Form von Gedichten, Zeichnungen (etwa von Leon Krier), Karikaturen oder Mems. Das könnte ein Fundus werden, der nicht nur apologetische Zwecke erfüllt, sondern uns auch seelisch gut tut. Was meinst Du bzw. was meint ihr anderen?
    Ich bringe unten mal ein paar Beispiele.
    Daher mein Vorschlag: den Strang "Kunst und Satire" zu nennen. Ich würde das, wogegen es sich richtet, den ideologischen Modernismus, gar nicht einmal erwähnen, es würde sich aus dem Kontext von selbst erklären.





    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Lieber Seinsheim,

    jedes Mal wenn ich anfange deine Texte zu lesen, könnte ich meine beiden Fäuste übereinander stapeln und sie auf meinem Schreibtisch platzieren, um deine Sprachgewandheit zu genießen. Ehrlich, du hast einen sehr angenehmen Schreibstil!

    "Künstlerische Befruchtung" ist mir als Erstes eingefallen, da wir auf künsterlische Art den Betrachter mit der Zielsetzung befruchten, Geschriebenes, Gezeichnetes, Gemaltes und dergleichen bei ihm fruchten lassen, wodurch mit der Zeit Neues ("Altes" im Positiven) in die Welt getragen wird.

    Da wir gegenwärtig mit "Werkzeugen" nachhelfen müssen, ist das für mich etwas Unnatürliches. In der Biologie führt der gegenseitige Anreiz von Mann und Frau, die Sympathie und die Liebe zueinander im Erfolgsfall zur natürlichen Befruchtung und Fortpflanzung. Fehlt der treibende Part oder liegt "ein Fehler" vor, muss auf andere Weise nachgeholfen werden.

    Wenn wir also irgendwann wieder eine gesundete Bevölkerung haben, die Wert auf Ästhetik legt, kühle, tote und leblose Architektur ablehnt, dann wird auch wieder die natürliche Befruchtung möglich sein. Architektur-Studenten und -Professoren werden an einem Strang ziehen dem Stadtbild wieder ihre Menschlichkeit zurückzugeben und Bürger werden es ablehnen, wenn geldgierige Investoren ihren Lebensraum zerstören wollen.

    Für Titel-Vorschläge anderer Art bin ich selbstverständlich offen; der Name sollte letztlich nicht kriegsentscheidend sein.

  • Das Bild "architectural speech vs. architectural stutter" find ich gut. Gibt ein schönes Meme ab, kann man immer wieder mal posten.

  • Lieber Markus ( @tachMarkus), "Satire, Kunst und künstlerische Befruchtung" ist ein guter Oberbegriff. Und die von Dir dazu geäußerten Gedanken sind sehr schön!

    Dank dafür! Nun hoffen wir mal auf möglichst viele und originelle Beiträge!

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Ich unternehme mal einen weiteren Versuch - unter Bezug auf die Überlieferung, Rom sei als eine quaratische Stadt erbaut worden ( https://de.wikipedia.org/wiki/Roma_quadrata ) sowie auf die Figur des Baumeisters Quadratus in Asterix und die Trabantenstadt. Letzterem hätte ich die Realisierung seines Projekts, das etwas an das EUR-Gelände vor den Toren Roms erinnert, durchaus gegönnt. Für alle Nicht-Lateiner ist eine - leider nicht gereimte und nicht im Versmaß gehaltene - Prosaübersetzung beigefügt.


    Quadratura Orbis

    Róma in fórma quadráta
    Rómulo érat fundáta.
    Línea strícta canónis
    Érat princípium natiónis.
    Cárdo stat cúm decumáno
    Órdine múndi Románo.
    Órbem terrárum rotúndum
    Úrbs regulávit secúndum
    Schéma Quadráti perféctum.
    Ómne curvátum sit réctum.°


    Die Quadratur des (Erd-)Kreises

    Rom ist in quadratischer Form
    von Romulus gegründet worden.
    Die straffe Linie der Richtschnur
    Wurde zum Prinzip der Nation.
    Zusammen mit dem Decumanus steht der Cardo
    für die römische Ordnung der Welt.
    Den runden Erdkreis
    hat die Stadt reguliert gemäß
    der vollkommenen geometrischen Figur des Quadrats (bzw. der vollkommenen Lehre des [Baumeisters] Quadratus).
    Alles Krumme sei gerade.*

    * Ein Schelm, wer rectum in als Substantiv liest, curvatum als Adjektiv mit ‚rund’ übersetzt.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

    Einmal editiert, zuletzt von Seinsheim (5. Februar 2019 um 18:23)

  • Nabend,

    hatte vorhin eine Idee quer liegen und habe dazu einen Entwurf (Beschriftungen stimmen noch nicht) gemacht, der als Postkarte (mit Stanzung) dienen kann.

    Ist die Grund-Idee klar und gibt es Verbesserungsvorschläge?

  • Die Idee ist super, daraus könnte man eine Fotostrecke starten (Entweder vor einer Betonkiste oder im Detail). Gerade in Nürnberg ist jeder Kulturbau ein Rechteck. So eine Nürnberg-Schablone würde dann nach einer Veranstaltung verteilt werden.

    Beauty matters!

  • Die Idee ist super, daraus könnte man eine Fotostrecke starten (Entweder vor einer Betonkiste oder im Detail). Gerade in Nürnberg ist jeder Kulturbau ein Rechteck. So eine Nürnberg-Schablone würde dann nach einer Veranstaltung verteilt werden.

    Gern. Wobei ich bei den 5-6 Bauwerken gemerkt habt, dass es nicht ansatzweise die Masse an Rasterfassaden widergibt und somit die Wirkung verliert, von daher werde ich als Nächstes ein DIN lang-Format ausprobieren, benötige hierfür aber etwas Mitarbeit an Recherche.

  • Die Idee ist echt super. Ich würde dort allerdings konkreter schreiben: Berliner Schloss Ostfassade. Auch wenn es mir natürlich klar ist, wie es gemeint ist, bin ich doch erst mal drüber gestolpert.

  • Bin gerade dabei ein paar Druck-Motive zu erstellen. Visuell keine Neuerfindung, aber vielleicht lässt sich mit dem urbanen Stil die Botschaft auf die Straße tragen.


    Für die Studenten mit kreativem Verstand: "Mein Prof. zieht sich ein paar Lines und fertig ist die Rasterfassade":

  • Nachdem ich auf die Schnelle keine vernünftige Schriftart finden konnte, habe ich kurzerhand selbst "eine" gebastelt die neben dem Wort auch den >Brutalismus< verkörpern soll. Zugegeben, das L und das T sind einzeln betrachtet nicht sofort erkennbar und es wird vmtl. auch nicht jeder verstehen. Einen Dialog mit dem Träger aufnehmen und sich über Architektur austauschen dürfte das Problem allerdings schnell lösen. ;)

    "Stoppt den Brutalismus" steht rechts unten im Kleingedruckten.

    Aktualisierung: Satire, Kunst und künstlerische Befruchtung

  • Ich konnte das "BRUTALISMUS" auch nicht ohne Erklärung lesen. Die Buchstaben könnte man noch etwas verfeinern und ihre Lesbarkeit leicht erhöhen, z.B. mit entsprechend angeschnittenen Ecken am "B", "R" und "A".