Millionengrab Moderne

    • Rathaus Marl, erbaut 1960-66, Denkmalschutz seit 2015, Sanierung geplant, ca. 70 Mio. €
    • Kulturzentrum München-Gasteig, 1978-85, Generalsanierung geplant, ca. 450 Mio. €
    • Schauspielhaus Düsseldorf, 1965-69, Sanierung seit 2016, Sanierungskosten bisher ca. 56 Mio. Euro
    • Nationaltheater Mannheimer, 1955-57, Generalsanierung geplant, Kosten über 250 Mio. Euro

    Bitte ergänzen...

    ...

    • Oper Köln: Geplante Sanierungskosten (2010) von 232 Mio. €; Mittlerweile 581,2 Mio €, weitere Kostensteigerungen bis 2022 sehr wahrscheinlich
    • Beethovenhalle Bonn: Derzeit angefallene Sanierungskosten von ca. 87 Mio. €. Mittlerweile steht die Kostenprognose bei 94 Mio.€. Bei Sanierungsbeginn waren 61,5 Mio. geplant
  • Oper Köln: Geplante Sanierungskosten (2010) von 232 Mio. €; Mittlerweile 581,2 Mio €, weitere Kostensteigerungen bis 2022 sehr wahrscheinlich

    Das ist allerdings ein Hammer. Dafür hätte man das alte Opernhaus ganz sicher 1:1 rekonstruieren können.

    Das Hamburger Abendblatt schreibt "Freie und Abrissstadt Hamburg". Haben die den Titel aus dem APH übernommen, oder ist das mittlerweile die offizielle Bezeichnung der Stadt?

  • Da der Strang etwas unkonkret eröffnet wurde, komme ich mal mit den Klassikern zum Thema Neubau. :love:

    Flughafen BER
    Ursprüngliches Eröffnungsjahr: 2007
    Ursprüngliche Kostenschätzung: 750 Mio. Euro (1995)

    Voraussichtliches Eröffnungsjahr: 2020
    Voraussichtliche Kostenschätzung: 6 Mrd. Euro (2015)

    Stuttgart 21:
    Ursprüngliches Eröffnungsjahr: 2007
    Ursprüngliche Kostenschätzung: 2,45 Mrd. Euro (1995)

    Voraussichtliches Eröffnungsjahr: 2025
    Voraussichtliche Kostenschätzung: 8,2 Mrd. Euro (2018)

  • Das ist allerdings ein Hammer. Dafür hätte man das alte Opernhaus ganz sicher 1:1 rekonstruieren können.

    Das sowieso. Man muss sich auch mal vor Augen halten, dass dieSanierung dieses unförmigen Kastens schon fast so teuer ist, wie die Hamburger Elbphilharmonie mitsamt den angefallenen Unkosten

  • Man könnte es auch so ausdrücken: Die 581 Mio € sind das Bußgeld für den Abriss der alten Oper. Leider wird man es kaum auch als Lehrgeld begreifen.

    In dubio pro reko

  • Das ist wirklich unfassbar. Bei solchen Summen, die für die Schrottsanierung ausgegeben werden beschwert sich niemand. Was haben sich damals die Medien aufgeregt, als die Berliner Schloßfassaden 70 Millionen kosten sollten und das sogar ohne Steuergeld, sondern durch Spenden finanziert werden sollte.
    Im Grunde müsste alles abgerissen werden: Die Elbphilharmonie, das Kölner Opernhaus, das Frankfurter Schauspielhaus und durch die ursprünglichen schönen Vorgängerbauten ersetzt werden, (ok, bei der Elbphilharmonie war das ein Speicher...)
    Das käme unterm Strich billiger, sähe aber wesentlich hochwertiger aus!

  • Im Grunde müsste alles abgerissen werden: Die Elbphilharmonie,...

    Huch - warum?

    Ich finde, die Elbphilharmonie ist einer der ganz wenigen modernen Großbauten, die wirklich gelungen sind.

    Mein eigenes Empfinden kann natürlich kein relevanter Maßstab sein, aber die Tatsache, dass seit der Eröffnung praktisch alle Konzerte ausgebucht sind, dürfte wesentlich darauf zurückzuführen sein, dass die Besucher auf die Architektur neugierig sind.

  • Und weiter gehts...

    • Dresden, Kulturpalast, 1967-69, Denkmalschutz 2008, Sanierung und Umbau 2013-17, ca. 90 Mio. €
    • Rathaus Kassel, Rathausflügel von 1977, Sanierung bis 2021 geplant, Kosten ca. 36 Mio. €

    ...

  • Und für den Turm eines bedeutenden historischen Wahrzeichens (siehe thread "Langer Franz") muss man um 1 Mio. durch Spenden kämpfen, damit überhaupt was draus wird. Absurd das alles.

    In dubio pro reko

  • Und für den Turm eines bedeutenden historischen Wahrzeichens (siehe thread "Langer Franz") muss man um 1 Mio. durch Spenden kämpfen, damit überhaupt was draus wird. Absurd das alles.

    Absurd finde ich auch, dass sich die Modernisten regelmäßig über die angeblich hohen Kosten von Rekonstruktionen echauffieren, aber bei millionenschweren Sanierungsfällen der Moderne nichts einzuwenden haben.

    ...

  • Im Artikel von Spreetunnel in einem anderen Strang findet sich unten ergänzt auch so ein modernes Milliongrab, auch vor dem Abriss stehend bereits, dort ist das Milliongrab aber bereits der nicht-sanierbare hohe Unterhalt:

    Zitat

    Das 1980 im Stil des Brutalismus errichtete Versuchslabor der Freien Universität [Berlin], auch „Mäusebunker“ genannt, verschlingt jährlich rund eine Million Euro Steuergelder für Havarien. [...] Architektur-Freaks protestieren, das Landesdenkmalamt hat einen Diskurs eingeleitet.

    https://www.bz-berlin.de/berlin/steglit…mmt-endlich-weg

  • Wagen Wir Uns doch mal an die ganz dicken Fische heran, an einige moderne Architekturklassiker:

    Falling Water von Frank L. Wright:

    Zitat

    Fallingwater ist ein architektonisches Wunderwerk, hat aber noch einige große Mängel. Seine Oberlichter sind undicht, der Wasserfall fördert die Schimmelbildung und – noch schlimmer – die Bauherren verwendeten nicht genug Bewehrungsstahl, um das Betonskelett des ersten Stocks zu tragen.

    [Unabhängige Ingenieurbüros] entdeckten, dass die Träger des Erdgeschosses zusätzliche Verstärkung benötigten, aber Wright wies diese Behauptung zurück und trieb den Bau voran.

    Im Laufe der Zeit ließ die Schwerkraft den Ausleger des ersten Stocks des Hauses durchhängen, und 2002 wurde das Fundament der Struktur verstärkt, um einen zukünftigen Einsturz zu verhindern. Dabei mussten der Steinboden und das Mobiliar der ersten Ebene herausgerissen werden.

    https://de.triniradio.net/12-facts-about…ts-fallingwater

    https://web.archive.org/web/2010021514…rd-Feldmann.pdf


    Das Stata Center des M.I.T. von Frank Gehry:

    Zitat

    Schon kurz nach der Fertigstellung seien durch Entwässerungsprobleme Risse im dazu gehörenden, außen liegenden Amphitheater entstanden. [...] Darüber hinaus hätten weitere Konstruktionsmängel Schäden verursacht: Schnee und Eis seien im Winter von Blumenkästen und anderen Teilen des Daches gefallen, hätten damit Notausgänge blockiert und Hausteile beschädigt. Jetzt weise das Gebäude Lecks auf. Außerdem wachse bereits Schimmel an der Außenseite der Fassade, so die Klage.

    https://www.welt.de/kultur/article…rank-Gehry.html

    Zitat

    Yesterday, brownish green mold was visible on the exterior of the Stata Center. Inside, the lobby’s concrete floors were cracked, but no leaking, mold or signs of structural deficiency were evident.

    https://www.nytimes.com/2007/11/07/us/07mit.html

    Aus ebendiesem Artikel, Walt Disney Concert Hall in L.A. von Frank Gehry:

    Zitat

    In December 2004 he agreed to sandblast parts of his $274 million Walt Disney Concert Hall in Los Angeles in response to a report that found that the building’s skin produced excessive glare.

    Zuviel Strahlkraft also.

    Finde die Beispiele zeigen, wie fehleranfällig traditionsbefreites Bauen ist.

  • Sir Moc Im Prinzip halte ich Deine differenzierende Überlegung dazu für fruchtbar, denn Kritik ist natürlich nur dann wirksam, wenn man den Kern trifft. Und doch kann ich Dir darlegen, warum hier ein Zusammenhang besteht zwischen Bauausführungsmängeln und dem Entwurf. Zunächst einmal dazu der offentsichtliche Teil: Wenn Elemente am Gebäude so gestaltet sind, dass sie nicht funktionieren, dann geht das im Gros der Fälle nicht auf den Handwerker zurück. Nehmen Wir doch das Beispiel der Schäden durch Eis und Schnee beim M.I.T. Ein Gebäude kann man so entwerfen, dass es nicht zu solchen abstürzenden Eismassen kommt. Das wird jedoch verunmöglicht, wenn man eine Skulptur erschafft und kein Gebäude. Kurz, wenn man die Grundfunktion eines Gebäudes vergisst, den Wetterschutz. Würdest Du nun behaupten, dieser Bau scheitert an unfähigen Baufachleuten, oder an seinem Entwurf:

    https://www.skanska.se/globalassets/e…&bgcolor=f3f3f3

    Und ich möchte einen zweiten Aspekt nennen, der etwas komplexer ist, und im Besonderen mit traditionellem Bauen zu tun hat. Hier ein Gebäude aus Schottland, dass nur als Grenzbeispiel (da teilweise Tradition, teilweise Modern) meinen Punkt veranschaulichen soll:

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    Das Gebäude hat ähnlich zu meinen aufgeführten Architekturikonen schwere Mängel, die dadurch entstanden sind, dass man die Tradition nicht Ernst genommen hat, und gemeint hat, man kann das Rad doch neu erfinden. So wählte man einen damals ,,innovativen Werkstoff" in einer ganz neuen Anwendung. Traditionell gibt es in Schottland eine Verputztechnik auf Steinmauerwerk, die sich ,,Harling" nennt. Dabei wird mit Kalk und Kieseln eine diffussionsoffene und doch wetterfeste Außenhaut erstellt. Das hat sich über Jahrhunderte dort entwickelt. Nun wollte man aber besonders avantgardistisch Anfang des 20. Jhds. es eben mit Zementputz stattdessen ausführen, mit diesen katastrophalen Folgen. Wo liegt die Verbindung zur Moderne? Diese hat sich nicht nur teilweise, wie in diesem Beispiel, sondern komplett von traditionellem Bauen distanziert. Die Folge ist, dass es zu noch mehr unvorhersehbaren Schäden kommt, weil man zwar von einigen Baunormen noch vor gröbsten Fehlern abgehalten wird, aber eben ansonsten völlig frei jeden Unsinn ausprobiert bzw. eben nie wenn man ständig alles ,,neu erfindet" alle Probleme vorausahnen kann. Auch weil man innerhalb der Moderne keine Entwicklung hat. Baunormen werden aber nie Probleme eines schlechten Entwurfs vollständig auffangen können. Das Ergebnis sind die hier im Strang zahllosen sehr teuren ..Experimente", aus denen aber keiner etwas zu lernen versucht, wenn man von Bauingenieuren mit den jeweiligen Normen absieht. Entsprechend ist selbstverständlich der Entwurf und das Selbstverständnis des Architekten in den genannten Beispielen höchst verantwortlich für die Mängel.

  • Da ich es mir gerade gemütlich gemacht hatte mit ein paar äußerst beliebten Architekturklassikern, habe ich gleich nochmal ein kontroverses Beispiel: Das (auch von mir) geschätzte Olympiastadion und weiterer Anlagen im Olympiapark in München von Günter Behnisch von 1971.

    Ich kann schon Beschwerden hören, so eine Spezialinfrastruktur ist immer aufwendiger in Gestalt und Unterhalt. Natürlich. Nur wie kann man so eine Prämisse werten:

    Zitat

    Bei der Errichtung gingen die Planer und der Bauherr nur von einer Lebensdauer von 15 Jahren aus [von Olympiastadion, Olympiahalle, Olympiaschwimmhalle und Zwischendächern].

    Letztlich gab es dann die ,,positive" Überraschung, dass man ,,nur" alle 25 Jahre die komplette Konstruktion aus Zugseilen und aufwenig gebogenen Plexiglasscheiben austauschen muss.

    Kostenpunkt für den jetzt wieder anstehenden Austausch: 84 Mio. Euro, nach 60 Mio. Euro beim letzten Austausch.

    (Zusätzlich werden noch in sonstige Instandsetzungen ca. 46 Mio. Euro bis 2026 investiert werden in die Spielstätte, was aber wohl eine Ausgabe wäre, die auch bei einem nachhaltigeren Baukonzept auflaufen würde; man beachte die Instandhaltungskosten der ganzen Spielstätte im Verhältnis zu den Kosten für das Dach allein!)

    https://www.tz.de/muenchen/stadt…r-91406952.html

  • Danke für die interessanten Hinweise!

    Aber als Beispiel für fehlende Nachhaltigkait der Moderne taugt das Olympiastation IMHO dann doch gerade nicht: Ein Gebäude, das ausdrücklich nur für eine temporäre Nutzung konzipiert wurde, dann entgegen der Planung doch permanent wird und somit langfristig überdurchschnittlichen Erhaltungsaufwand nach sich zieht, ist ein Sonderfall.

  • Ein Gebäude, das ausdrücklich nur für eine temporäre Nutzung konzipiert wurde, dann entgegen der Planung doch permanent wird und somit langfristig überdurchschnittlichen Erhaltungsaufwand nach sich zieht, ist ein Sonderfall.

    Das kommt drauf an. Hätte man von vorneherein geplant gehabt, nach 15 Jahren werden die ganzen Sportanlagen, das Stadion und die Hallen abgerissen, um einen Park oder Wohnbebauung zu verwirklichlichen nach den Spielen, und dann festgestellt hätte, Moment, die Nachnutzung funktioniert ja doch, dann würde ich Dir teilweise zustimmen (dann wäre die Ursprungsidee maximal unnachhaltig). Im Übrigen gab es durchaus solche Bereiche, die nach den Spielen bewusst wieder stillgelegt wurden, teils verrottet gelassen wurden, teils aber auch neu bebaut wurden. Man denke z.B. an die Eisenbahnanschlüsse.

    Dies war aber eben meiner Kenntnis nach bei dem Stadion und den anderen Einrichtungen mitnichten so. Das von mir zur Verfügung gestellte Zitat gibt nicht die Abwicklungsplanung wieder, sondern nur die Kenntnis der Erbauer über mangelhafte Haltbarkeit. Gut möglich, dass sie einen frühen Umbau der Anlagen erwartet haben, das macht es aber noch nicht nachhaltig.

    Und es bleibt auch nicht heute nachhaltig, wenn man alle 25 Jahre 78 000 Quadratmetern Dachfläche (laut meiner Rechnung knapp 11 Fußballfelder) entsorgt und neu baut und das für -ich schreibe es nochmal- bei jedem Zyklus steigenden Kosten von diesmal 84 Mio. mindestens.

    Das mag hier immer nach Kleinklein der Kritik klingen, aber es ist ein Kernproblem heutigen Bauens. Wenn ein Gebäude einen Investitionszyklus teils von unter 11 Jahren hat, dann ist dieses reine Investorenprodukt nach dieser Zeit ökonomisch abzureißen. Wer würde aber auf eine wertige, durchdachte Gestaltung setzen, wenn er nur den schnellen ROI sucht und weiß, der nächste Investor kann das Teil eh wieder wegreißen. Das ist jetzt ein Extrembeispiel, meist stehen die Häuser ja immerhin 30-60 Jahre, aber auch dies ist inakzeptabel. Und genauso ist es mit Sport- und Eventanlagen mit einer Lebenszeit von 15 Jahren. Das ist typisches Denken der Moderne mit ihrem blinden Ressourcenumsichwerfens und Fortschrittsglauben.