Bremen - westliche Vorstadt / Utbremen

  • Was für Lübeck der Angriff von Palmarum 1942, für Köln die Operation Millennium, für Hamburg die Operation Gomorrah, für Königsberg die Flächenbombardements von August 1944 und für Dresden die Angriffe ab dem 13. Februar 1945 waren, das war für Bremen die Nacht des 18. auf den 19. August 1944. Mit Ausnahme des Angriffs vom 20. Dezember 1943, der den Samen des Todes in den Turm der St. Ansgarii-Kirche einpflanzte, war kein anderer der übrigen 171 Luftangriffe auf Bremen (insgesamt also 173) für das Stadtbild und hinsichtlich des Verlustes an Menschenleben so verheerend wie dieser. Er stellte das einzige gezielte Flächenbombardement auf Bremen dar, welches primär Wohngebiete betraf und einen ganzen Stadtteil ausradierte: Nach dieser Nacht waren die ‚Westliche Vorstadt’ (auch ‚Alter Westen’ genannt) und die seit der Gründerzeit in die städtische Bebauung stufenweise einbezogenen ehemalige Feldmark ‚Utbremen’ Geschichte. Man sah am Morgen nach dem Angriff nur noch eine Ruinenwüste.

    Niemand hat jemals für dieses Gebiet großflächige Rekonstruktionen gefordert. Eine solche Forderung würde auch bis heute keinen Fürsprecher finden. Allerdings hätte man in Anlehnung an das belgische Ypern einige prägende Großbauten durchaus durch Totalrekonstruktionen zurückgewinnen können und sollen. Diesen Gebäuden möge der folgende Strang gewidmet sein.

    Abbildung 01
    Stadtkarte von 1938. Westlich von Altstadt und Bahnhofsvorstadt liegen (links) die Westliche Vorstadt und Utbremen.

    Abbildung 02
    Schon frühere Luftangriffe hatten die westliche Vorstadt gezeichnet.
    Hier ein Blick vom Dach des Bunkers des Diakonissen-Krankenhauses nach Südosten in die Nordstraße hinein. Im Hintergrund erkennbar (von links nach rechts): Turm von St. Michaelis, Turm von St. Remberti, Herdentorsmühle, Turm und Giebel des Lloydgebäudes, Turm von Unser Lieben Frauen, Vierungsturm des St. Petri Doms, Turm von St. Ansgarii, Turmpaar des Doms. Etwas links des Bildmittelgrundes: Das Volkshaus an der Nordstraße. Dieses ist neben den Türmen von ULF und Dom das einzige auf dem Foto sichtbare Gebäude, welches Krieg und ‚Wiederaufbau’ überlebt hat.

    Abbildung 03
    Der Blick in die Gegenrichtung nach dem 18./19. August 1944 – man sieht im Hintergrund die Willhadi-Kirche, die Roland-Mühle, St. Marien und den Waller Wasserturm – ist schon schwer verdaulich.

    Abbildung 04
    Aber dieses Luftbild offenbart das ganze Ausmaß der Zerstörung: Wir haben es hier mit einer Geisterstadt zu tun ! (Rot eingekreist: Michaeliskirche; blau eingekreist: St.Stephani in der Altstadt)

  • Haus Seefahrt


    Nachdem die 1545 gegründete und seit 1562 in ihrem ersten eigenen Hause an der Hutfilterstraße im Ansgari-Viertel ansässige Stiftung ‚Haus Seefahrt’, die sich bis heute der Fürsorge für alte Seemänner, deren Frauen und Witwen widmet, im Zuge des Durchbruchs der Kaiserstraße 1874 ihr Domizil an der Hutfilterstraße hatte aufgeben müssen, hatte sie ihren Hauptsitz an die Lützower Straße in der Westlichen Vorstadt verlegt, wo es bereits seit 1851 eine kleine Dependance gegeben hatte. Dort entstand von 1874 bis 1876 ein neues Haus Seefahrt, welches als Hauptzugang von der Lützower Straße her, das hierher von der Hutfilterstraße tanslozierte historische Portal erhielt. Neben 51 Wohnungen für die Stiftsinsassen wurde vor allem ein repräsentatives neues Verwaltungs- und Festgebäude im Innenhof des Stiftes errichtet, in dem seither alljährlich die berühmte Bremer ‚Schaffermahlzeit’ stattfand. Nach der Zerstörung im Bombenkrieg verlegte man Haus Seefahrt nach Grohn in ‚Bremen-Nord’ wohin auch das – schwer beschädigte, aber später wiederhergestellte – historische Portal umzog. Der dortige ‚dritte’ Seefahrtshof erhielt jedoch neben den Wohnungen der Stifts-Insassen keinen eigenen Festsaal mehr, denn die Schaffermahlzeit wird seit dem Zweiten Weltkrieg in der oberen Rathaushalle in der Altstadt begangen. So schön es auch ist, daß dieser Brauch in das Zentrum der Stadt und damit dorthin zurückgekehrt ist, wo er einst entstanden war, so hat doch Bremen mit dem Festsaalgebäude an der Lützower Straße einen veritablen Feierraum verloren…
    Auf dem Areal des ‚zweiten’ Hauses Seefahrt (von 1874) befindet sich gegenwärtig ein Sportplatz. Diese Nutzung als der der historischen Bedeutung dieses Ortes angemessen zu bezeichnen, fällt schwer.

    Abbildung 01
    Stadtkarte von 1938. Rechts unten ist der westliche Teil der Altstadt mit St. Ansgarii, rechts oben der westliche Teil der Bahnhofsvorstadt mit St. Michaelis zu sehen. Links sieht man die Westliche Vorstadt und Utbremen. Farblich markiert ist der Seefahrtshof von ‚Haus Seefahrt’ zwischen Lützowerstraße und Doventor-Steinweg.

    Abbildung 02
    Um neunzig Grad nach rechts gedrehter Ausschnitt aus Abbildung 01. Man erkennt sehr schön die beiden sich parallel gegenüber stehenden Wohntrakte der Stiftungsinsassen, sowie den großen Verwaltungs- und Festsaalbau (das ‚Haus Seefahrt’ im engeren Sinne).

    Abbildung 03
    Luftbild von Haus Seefahrt aus der gleichen Blickrichtung wie in Abbildung 02.

    Abbildung 04
    Blick über den ‚Panzenberg’ in den Doventor-Steinweg. Der rote Pfeil markiert den Eingangstrakt zum Seefahrtshof (hier hinter dem Bauvorsprung des Nachbargebäudes verborgen), der bereits 1851 als Dependance des alten Hauses Seefahrt an der Hutfilterstraße entstanden war.

    Abbildung 05
    Blick vom Panzenberg auf den Eingangstrakt am Doventor-Steinweig (rot eingekastelt).

    Abbildung 06
    Das Portal des Eingangstraktes am Doventor-Steinweg erinnert an die heute noch bestehenden Portale des Remberti-Stifts in der östlichen Bahnhofsvorstadt.

    Abbildung 07
    Blick vom Eingang an der Lützower Straße – vonSüdwest nach Nordost – über den Seefahrtshof in Richtung des Einganges am Doventor-Steinweg. Rechts kommt der Risalit des Festaalbaus ins Blickfeld. Links die Wohngebäude der Stiftsinsassen (Bremisch ‚Prövener’).

    Abbildung 08
    Blick von der Nordwestkante des Festsaalbaus in Richtung der Wohngebäude und des Eingangs am Doventor-Steinweg.

    Abbildung 09
    Blick vom Eingang an der Lützower Straße in Richtung Eingang am Doventor-Steinweg. Die Gartenanlage im Zentrum des Seefahrtshofs ist gut zu sehen.

    Abbildung 10
    Das an die Lützower Straße translozierte historische Eingangsportal des ersten Hauses Seefahrt an der Hutfilterstraße. Links die hohen Wohngebäude von 1874-1876.

    Abbildung 11
    Blick über vom Gehweg auf der gegenüberliegenden Seite der Lützower Straße auf den neuen Haupteingang von Haus Seefahrt.

    Abbildung 12
    Die Neptun-Statue in der Gartenanlage vor dem Portal des Festsaalbaus.

    Abbildung 13
    Der Festaalbau (Haus Seefahrt im engeren Sinne) von West.

    Abbildung 14
    Der Festsaalbau von Nordwesten.

    Abbildung 15
    Die Eingangshalle.

    Abbildung 16
    Eingangshalle. Durchblick durch den Wappensaal zum Festsaal.

    Abbildung 17
    Der Wappensaal (mit den Wappen der Vorsteher von Haus Seefahrt).

    Abbildung 18
    Der Festsaal.
    Besonderer Schmuck waren die Gemälde von Arthur Fitger, die Erdteile und Winde darstellend.

    Abbildung 19
    Die Gemälde wurden während des Krieges ausgelagert und haben so überlebt. Die die Erdteile darstellenden Gemälde befinden sich heute im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven. Hier zu sehen: Europa und Afrika.

    Abbildung 20
    Die die Winde illustrierenden Bilder sind – z.T. – im Bremer Übersee-Museum ausgestellt.

    Abbildung 21
    Die für die Schaffermahlzeit eingedeckte Tafel im Festsaal.

    Abbildung 22
    Die Schaffermahlzeit 1912 mit Graf Zeppelin als Ehrengast.

    Abbildung 23
    Das Sitzungszimmer des Vorstandes von Haus Seefahrt.

    Abbildung 24
    Die Ruine des historische Portals an der Lützower Straße bei Kriegsende.

    Abbildung 25
    Der Vorkriegs-Stadtgrundriß dieses Areals überlagernd auf ein aktuelles Luftbild gelegt.
    Die Grundfläche des Festsaalbaus von Haus Seefahrt wird heute von neuer Wohnbebauung und einem Sportplatz eingenommen.

    Abbildung 26
    Der Sportplatz ‚Panzenberg’ in der Gegenwart. Hinten links würde der Festsaalbau in die Rasenfläche hineinragen.


  • Nochmal zu den in schockierenden Bildern dargestellten Kriegszerstörungen im Bremer Westen (lf. Nr. 1) Mir kam dabei gleich in Erinnerung, was Wolf Jobst Siedler in seinem beeindruckenden Buch "Die gemordete Stadt" geschrieben hatte, das sich ja besonders mit der Berliner Situation beschäftigt. Siedler berichtete sinngemäß, dass die meisten Gebäude lediglich "ausgebrannt" waren. Damit meinte er, dass die Fassaden vorne und hinten (ausgehend von einer Blockbebauung) noch standen. Das Dach war zerstört und die Holzdecken im Inneren sind durch Brandbomben verlustig gegangen.
    Wenn ich mir die Bilder vom Bremer Westen ansehe, denke ich immer an diese Aussagen von Siedler und schaue - diese im Hinterkopf - auf diese Zerstörungen. Wenn der erste Schock vorbei ist und man genauer hinsieht, kann man Siedlers These wohl auch für Bremen bestäigen. Eine Reihe von Gebäuden scheint auf den zweiten Blick nicht so zerstört wie auf den ersten. Dach drauf, im Inneren die Fußböden neu einbauen wäre besser gewesen als Flächenabriss.
    Aber - das mussten die Stadtplaner auch wollen. Diese hatten aber, wie wir jetzt wissen, ganz andere Pläne für die Zukunft unserer Städte.

    Einmal editiert, zuletzt von findorffer (19. Januar 2019 um 17:09)

  • Kürzlich war ich mal wieder unterwegs um nach den Resten des
    WALLER WASSERTURMs zu schauen.

    Der Turm wurde 1905 an der Breslauer Strasse (heute Karl-Peters-Strasse) erbaut und war mit 61m Höhe seinerzeit der höchste Wasserturm Europas !


    1932 wurde er sogar von Franz Radziwill gemalt und erlangte mit diesem Bild auf einer Briefmarke von 1995 überregionale Bekanntheit.

    Am 18-19 August 1944 wurde er wie die umgebende Wohnbebauung durch einen Bombenangriff schwer beschädigt und in den 1950ern bis auf den Sockel abgetragen.

    Bereits 2005 war beabsichtigt, den oktagonalen Sockel als Fundament für ein Bauwerk zu nutzen, dennoch stand der Sockel bis 2016 da nur so rum.


    2016 passierte dann aber doch was; die Bremer Heimstiftung nutzte den Sockel als Fundament zum Bau einer Seniorenresidenz die am 19.07.2018 eröffnet wurde. Der Sockel erwies sich wohl doch nicht mehr als ausreichend standfest für das Gebäude, aber man hat ihn mit einiger Mühe und Kosten stabilisieren können. Der Bau ist 22 Meter hoch, beinhaltet 42 Wohnungen sowie Gemeinschaftsräume und ist nach neuesten energetischen Standards ausgeführt.

    Ich finde, hier wurde in aller Stille ein beachtenswertes Bauwerk errichtet das respektvoll mit dem Erbe des Standorts umgeht. Taugt für eine neue `Landmark´ für den Stadtteil so wie es der alte Wasserturm auch war.

  • Snork 29. Oktober 2023 um 20:19

    Hat den Titel des Themas von „Bremen - Westliche Vorstadt / Utbremen“ zu „Bremen - westliche Vorstadt / Utbremen“ geändert.