Ursachenforschung der Abrißwut in Bremen und anderswo

  • Mir ging es in Basel ähnlich. Ich dachte, ich käme in eine unversehrte Stadt, aber jenseits des unmittelbaren Altstadt-Bereichs sah die Stadt ganz ähnlich zerfasert aus wie in der Bundesrepublik. Und, sie wurde, je weiter ich an die Peripherie vorstoß, je jünger die Architektur wurde, umso monströser.


    Basel ist in der Tat ein Sonderfall und alles andere als repräsentativ für die Schweizer Städte. Da wurde abgerissen, was das Zeug hält. Nun muss man hier aber fairerweise einwenden: es ist ein Stadtkanton, ohne Möglichkeit zur Ausdehnung (nördlich Frankreich und Deutschland, südlich, östlich und westlich der Kanton Basel-Land). Man ist also dazu gezwungen, so ‚ökonomisch‘ wie möglich zu bauen, nun hauptsächlich in die Höhe. Hinzu kommt, dass die „Haus-Architekten“ Herzog & De Meuron sind, die in dieser Stadt Narrenfreiheit genießen und so ziemlich alle Gebäude in den letzten zehn Jahren zu verantworten hatten. Basel sieht sich rein geografisch auch als „internationale Stadt“ und gilt als ‚unpatriotischste‘ Stadt der Schweiz. Und, last but not least, Basel-Stadt ist der einzige rot-grün dominierte Kanton in der Deutschschweiz. Da kommt also sehr viel zusammen und stellt in der Schweiz eine Ausnahme dar. Bern, Zürich oder Luzern haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer architektonischen Geschichte.

  • Es gibt auch pragmatische Gründe, nämlich eine Änderung der Anforderungen. Da könnte man dann schon mit dem Abriss der Bremer Stadtmauer anfangen. Ein automobiles Bremen braucht eben ganz andere städtische Srukturen. Der Wettbewerb der Hansestädte um moderne Hafen. Die Kriegszerstörung zu einer Zeit als es noch nicht einmal Container gab.

  • Da haben Sie recht, manche Straßennetze werden den Anforderungen der heutigen Zeit kaum noch gerecht. Ich war letztes Jahr in Florenz: ein schönes Freilichtmuseum- aber ein echtes Leben, jenseits der Kulisse, ist wohl kaum noch möglich. Nichtsdestotrotz bedeutet eine Verbreiterung von Straßen nicht zwingend einen Verlust der ästhetischen Qualität. Ich denke hierbei an die Plattenbauten in Rostock (DDR!), die in ortstypischer Manier mit Backstein verkleidet sind (Lange Straße). Der Wille hierzu fehlt schlichtweg.

    Und ein weiterer Grund, weshalb heutige Bauherren mit so ziemlich allem durchkommen, fällt mir in dem Zusammenhang ein: ein mangelndes Selbstbewusstsein in der Breite des Volkes. Wie oft höre ich „Mir gefällt zwar nicht was ich sehe, aber ich kenne mich in der Architektur nicht aus und weiß nicht, ob es nicht doch gut ist?“ Da muss man jedesmal einwenden: „FALSCH! Es ist der öffentliche, also auch Dein Raum und wenn Dir missfällt was du siehst, dann sag es auch!“ Man muss wieder lernen, seinem eigenen ästhetischen Empfinden zu trauen und keine A4-Seiten lange Erklärungen von Kommitees der eigenen Wahrnehmung vorziehen. 1. Regel: „Interessant“ ist nicht „schön“ und „modern“ ist nicht dasselbe wie „gut“. Was nicht schön ist, hat im öffentlichen Raum, dem wir alle ausgesetzt sind und unsere Umwelt darstellt, nichts verloren. Leider werden viele durch die sogenannten „Experten“ abgeschreckt, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen...

  • Besonders absurd finde ich, wenn der Reko-Bewegung Nähe zum braunen Weltbild unterstellt und die Nachkriegsmoderne entsprechend als städtebauliche Gegenbewegung zur Nazizeit dargestellt wird.

    Wie in den Beiträgen weiter oben beschrieben, war die "Naziarchitektur" - soweit man dabei überhaupt von einem eigenen Stil sprechen kann - im Gegenteil recht gut in den globalen stilistischen Mainstream ihrer Zeit eingebettet und keineswegs eine Reko-Bewegung.

    Um zu illustrieren, was ich mit Moderner Architektur in den historischen Stadtkernen Skandinaviens gemeint habe, anbei zunächst ein Link auf ein Bild vom heutigen Zustand des nördlichen Teils des Bahnhofsvorplatzes in Oslo (- da das Bild urheberrechtlich geschützt ist, keine direkte Einbindung hier im Forum): Link. Man muss sich das mal verdeutlichen: Der Platz war noch in der Zwischenkriegszeit von "gründerzeitlichen" Prachtbauten umgeben. Und so sah es dort früher aus - gleicher Platz, in etwa ähnliche Blickrichtung - dort ist keine einzige Bombe gefallen (!): Link .

    Selbstverständlich gibt es auch in Oslos Zentrum erhaltene Vorkriegsarchitektur - aber der Anteil an alten Gebäuden ist heute lediglich ähnlich hoch wie z.B. im stark kriegszerstörten Hamburg.

    7 Mal editiert, zuletzt von HelgeK (4. Januar 2019 um 08:24)

  • Interessante Aspekte, mal wieder. Der Protestantismus als Triebfeder einer (gelegentlich auch übertriebenen) Modernisierung z.B.... bedenkenswert, wenn man sich eine Karte Europas anschaut und den Zustand der Städte darüberlegt.

    Auch wollte ich mit meiner Replik auf East_Clintwood mitnichten behaupten, die Nazizeit und die Schuldgefühle hätten keine Rolle bei der tabula rasa in deutschen Städten gespielt, es war nur nicht die dann später von der 68er-Generation begonnene Aufarbeitung der Verbrechen, sondern eher so ein diffuses, fast richtungsloses "das war wohl nix"-Gefühl, im Prinzip das Gegenteil von Aufarbeitung, sondern der Versuch, die widersprüchlichen und unangenehmen Gefühle gleich mitabzureißen beim "Neustart", der ja nie einer war. Auch hier wieder: Erst mit der Aufarbeitung und Bewertung der Nazizeit und auch der deutschen Schuld konnte überhaupt so etwas wie Frieden gemacht werden mit vorangegangenen Epochen. Davor herrschte ein wildes Wirrwarr an Gefühlen, Wut, Angst, Schuld, die sich dann Bahn brachen in einer rigorosen Zuwendung zur Modernen inkl. Autogerechtigkeit und Flächensanierungen.

    Auch der hier vom findorffer wieder erwähnte Carsten Meyer, der sich extrem verdient gemacht hat um den Bremer Umgang mit Altbauten und das hier von mir auch schon als "Standardwerk" erwähnte Buch "Mehr als nur Fassaden" über die Kaputtrenovierungen Bremer Häuser veröffentlicht hat, schreibt über den Reinlichkeitskult der Nachkriegsjahre, in denen alles möglichst abwaschbar und praktisch sein sollte, auch die Hausfassaden, ähnliches. Küchenpsychologisch quasi mit der Verfliesung des Hauses auch ein Reinwaschen von diffusem Unbehagen/Schuld?

    Zuletzt und als Replik auf Pagentorn glaube ich nicht, dass der Lauf der Zeit durch ein weniger abruptes Ende der Kaiserzeit großartig anders verlaufen wäre. Die Samen des Modernismus stammen ja noch alle aus der Kaiserzeit, Jugend- und Reformstil, auch die ersten modernen Gebäude sind noch kurz vor dem ersten Weltkrieg begonnen worden. Es wäre vielleicht etwas pfleglicher umgegangen worden mit historistischen Gebäuden, aber ein gewisser Überdruss gegenüber dem Bombast des ausgehenden 19. Jhdts. lag einfach vor, auch schon 1910.

  • Da haben Sie recht, manche Straßennetze werden den Anforderungen der heutigen Zeit kaum noch gerecht. Ich war letztes Jahr in Florenz: ein schönes Freilichtmuseum- aber ein echtes Leben, jenseits der Kulisse, ist wohl kaum noch möglich.

    Keine europäische Stadtstruktur aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg wurde für individuellen massenhaften Autoverkehr geplant. Trotzdem empfinde ich - offenbar anders als Du - genau diese Reste des Alten meist als deutlich urbaner und lebendiger als die autogerechten neuen Strukturen.

    Immerhin mehren sich Zeichen am Horizont, dass das Zeitalter des Autoverkehres wie wir ihn kennen sich seiner Schlussphase nähert und wieder zu effizienteren Formen der Mobilität übergegangen wird. Historisch gab es die ja schon: Um 1910 herum waren unsere größeren Städte allesamt von einem dichten Netz von Straßenbahnen u. z. T. auch ersten U-Bahnen durchzogen.

    Die Begründung der fehlenden Verkehrstauglichkeit älterer Städte für den Abriss sollte somit entfallen, wenn wir von der individuellen Automobilität wieder weggehen und zur vergemeinschafteten E-Mobilität zurückkehren (- vielleicht mehrheitlich nicht mehr in Form von Straßenbahnen, dafür aber selbstfahrenden Sammeltaxis, kommunalen E-Rollern etc.).

    Einmal editiert, zuletzt von HelgeK (4. Januar 2019 um 10:46)

  • Keine europäische Stadtstruktur aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg wurde für individuellen massenhaften Autoverkehr geplant. Trotzdem empfinde ich - offenbar anders als Du - genau diese Reste des Alten meist als deutlich urbaner und lebendiger als die autogerechten neuen Strukturen.


    Naja, Florenz war zugegeben wohl ein extremes Beispiel, da es in meinen Augen nicht sehr lebendig war, abgesehen von den unzähligen Touristengruppen. Es wirkte auf mich wie eine groß angelegte Sperrzone.

    Aber ich gebe Dir natürlich Recht, dass die ‚autogerechte Stadt‘ kalt ist und menschenfeindliche Tendenzen vorweist. Ich meinte damit auch nur einen Mittelweg, zwischen Florenz und den modernen deutschen Innenstädten. Und auch das nur in verkehrsstarken Gebieten- ohne den historischen Stadtkern groß anzutasten. Italien könnte hierbei natürlich ‚verschwenderischer‘ vorgehen, da ein bis zwei pragmatische Schneisen (behutsam und traditionell gestaltet) kaum Einfluss auf die historische Substanz haben können: in Deutschland muss man hingegen genau umgekehrt vorgehen- den jetzigen zwanzig Schneisen pro Stadt muss man historische Strukturen gegenüberstellen, ansonsten verliert der Ort den letzten Funken an historischer Identität. Und die vorhandenen Nachkriegs-Straßenzüge zu großen Teilen bestenfalls abreißen und ‚historisierend‘ (heißt ortsgebunden und identitätsstiftend) wieder errichten.

  • Aber ich gebe Dir natürlich Recht, dass die ‚autogerechte Stadt‘ kalt ist und menschenfeindliche Tendenzen vorweist. Ich meinte damit auch nur einen Mittelweg, zwischen Florenz und den modernen deutschen Innenstädten. Und auch das nur in verkehrsstarken Gebieten- ohne den historischen Stadtkern groß anzutasten. Italien könnte hierbei natürlich ‚verschwenderischer‘ vorgehen, da ein bis zwei pragmatische Schneisen (behutsam und traditionell gestaltet) kaum Einfluss auf die historische Substanz haben können:

    Ich denke und hoffe inständig, dass die Zeiten, in denen man für diese Blechkisten gewachsene Stadtstrukturen zerschneidet, sind mitlerweile vorbei. Solche Schneisen sind meistens Klüfte, die dann wirklich das Leben aus ganzen Innenstadt(!)-Teilen fernhalten. Wenn irgendeine nicht abwendbare Notwendigkeit besteht, eine Verkehrsverbindung (sei es Straße oder Schine) durch das Gebiet eines historischen Stadtzentrums zu ziehen, so wäre ein Tunnel das einzig denkbare. Teuer, sicher, aber alles hat seinen Preis. Aber das Zerfahren historisch gewachsener Städte, Massenabrissen und Kaputtschneiden von Städten ist ein viel höherer Preis, der nicht länger bezahlt werden kann. Schon heute kommt er uns schon viel zu teuer zu stehen und die Linderung der Fehler der Vergangenheit kostet Zig Milliarden, der kulturelle und identitäre Verlust aber, der ist unbezahlbar, Italien wird einen Teufel tun, die deutschen Fehler nachzuäffen.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (4. Januar 2019 um 14:57)

  • Ich denke und hoffe inständig, dass die Zeiten, in denen man für diese Blechkisten gewachsene Stadtstrukturen zerschneidet, sind mitlerweile vorbei. Solche Schneisen sind meistens Klüfte, die dann wirklich das Leben aus ganzen Innenstadt(!)-Teilen fernhalten. Wenn irgendeine nicht abwendbare notwendigkeit besteht, eine Verkehrsverbindung (sei es Auto oder Schine) durch das Gebiet eines historischen Stadtzentrums zu ziehen, so wäre ein Tunnel das einzig denkbare. Teuer, sicher, aber alles hat seinen Preis. Aber das zerfahren historisch gewachsener Städte, Massenabrissen und Kaputtschneiden von Städten ist ein viel höherer Preis, der nicht länger bezahlt werden kann. Schon heute kommt er uns schon viel zu teuer zu stehen und die Beiseitung der Fehler der Vergangenheit kostet Zig Milliarden.

    Ich gebe Ihnen vollkommen recht, aber wenn die deutschen Städte bereits so zerklüftet sind, wäre eine Bebauung in Richtung ‚Historismus‘ (in Dresden Barock, in Frankfurt Fachwerk, in Hamburg Backsteingotik) eine Variante, die zumindest in Teilen eine ästhetische Gesundung bringen könnte. Ich bin immer für Rekos, von daher würde ich das natürlich vorziehen. Man könnte Rekos auch aufgestockt und versetzt bauen, wenn man die Breite der Straße beibehalten möchte.

    Nehmen wir Nürnberg: du wirst keine enge Bebauung mehr vorantreiben können- aber man könnte die jetzigen Strukturen immerhin so gestalten, dass der ‚Nürnberger Stil‘ wieder sichtbar wird.

  • Lieber Bismarck!

    Um Deine Frage unter der laufenden Nummer 2 zu beantworten: eigentlich ging es mir beim Thema "Ursachen der Abrißwut" hauptsächlich um die Bremer Situation. Ich habe jetzt im Kopfbereich des Strangs eine Änderung vorgenommen in: "Ursachen der Abrißwut in Bremen". Gleichwohl finde ich auch die bisherige Diskussion nicht uninteressant - aber wir sollten uns, wenn wir schon auf der Seite des Bundeslandes Bremen sind, auch vorwiegend bremenspezifisch diskutieren.

  • So, im Wasserglas ist wieder Ruhe eingekehrt!

    findorffer, ich würde gerne auf deinen Beitrag Nr. 14 eingehen. Du hast dort einen sehr interessanten und bemerkenswerten Zeitungsartikel eingestellt.
    Bemerkenswerte finde ich die Äußerungen Carsten Meyers gegenüber der Landesdenkmalpflege, die sich bitte beratend einschalten und Beistand leisten solle, wenn sich eine Personengruppe um die Rekonstruktion von bestehender Bausubstanz bemüht.
    Was ist aus Carsten Meyer und der Initiative „Bremer Stadtbild“ geworden?
    Und hast du weitereichende Informationen zur Person Carsten Meyer?

  • Jakku Scum,

    Carsten Meyer hat Bremen vor etwa 20 Jahren verlassen und lebt und arbeitet in Berlin. So weit ich weiß, hat er keinen weiteren Bezug mehr zur Hansestadt (unter Vorbehalt des einen oder anderen Besuchs, was ich aber nicht weiß).
    Was ist aus der Initiative "Bremer Stadtbild" geworden, fragst Du. Nun, einer seiner damaligen Mitglieder beantwortet gerade Deine Fragen, ansonsten gibt es diese Initiative nicht mehr. Aber ich hoffe, dass wir demnächst eine Nachfolgerin kreieren können.

    Darüberhinaus freue ich mich, dass Du mit Verweis auf den Zeitungsartikel zum ursprünglichen Stranginhalt mit dem Schwerpunkt "Denkmalpflege in Bremen" (als ein Verursacher der Verluste?) zurückkommst.

  • Hoppla, findorffer.

    Kommst mal eben um die Ecke und outest dich als ehemaliger Mitarbeiter. Das klingt hochinteressant. Da tut sich auf der Stelle ein umfangreicher Fragenkatalog auf, deren „Abarbeitung“ bestimmt einen langen Abend garantiert.

    Das Carsten Meyer Bremen vor 20 Jahren verließ, ist bedauerlich. Sarkastisch könnte man sagen, man bemerkt sein Fehlen auf schmerzliche Weise in jedem Bremer Straßenzug, denn seine Äußerungen gegenüber der Landesdenkmalpflege finde ich punktgenau und treffend – und fordernd zugleich. Ich wünschte, wir hätten in der Stadt eine Person seines Schlages, der auch einmal Kontra geben könnte – ohne dabei zu tiefe Schläge auszuteilen oder zu polarisieren oder sich in grauer Theorie zu verfangen – wenn seine Äußerungen im Zeitungsartikel kein Einzelfall waren.

    Was ist aus dem Bauprojekt alter Bauernhof in Gröpelingen geworden? Warst du daran beteiligt?

    Du sprichst eine Artikel-Serie im Weser-Kurier an, die es damals gegeben hat. Hast du mehr von diesen Artikel auf Lager? Mich würde sehr die Sicht der Medien interessieren, weil ich auch denke, dass derzeit die journalistische Meinung teilweise sehr Lenor-lastig daherkommt. Mir fehlt da bei wichtigen Schwerpunkten der Innenstadt eine Bissigkeit – auch die Bereitschaft, mal tiefer zu bohren und hartnäckig zu sein. Manchmal könnte man denken, Journalismus, Investment und Politik kommen gemeinsam die Treppen des „Remmers“ hoch – die Zigarre noch im Mundwinkel.

    Was die "Nachfolgerin" betrifft, bin ich guter Dinge und freue mich auf die aktive Arbeit...!

  • ...

    Nichtsdestotrotz bedeutet eine Verbreiterung von Straßen nicht zwingend einen Verlust der ästhetischen Qualität. Ich denke hierbei an die Plattenbauten in Rostock (DDR!), die in ortstypischer Manier mit Backstein verkleidet sind (Lange Straße)...

    Wenn wir von den Architekten und Fachleuten ernst genommen werden wollen, sollte darauf geachtet werden, dass die Basics korrekt sind. Die Die Straße des nationalen Aufbauwerks aka Lange Straße in Rostock, d.h. die von Dir gezeigten Gebäude, wurden, wie damals überall in Deutschland, noch traditionell errichtet.

    Auf den bei WIKIMEDIA zu Rostock zu findenden Fotos ist das nicht in Detail zu sehen. Daher diese Aufnahme der zur gleichen Zeit errichteten Windmühlenstraße in Leipzig.


    Fotothek df roe-neg 0006524 032 Baustelle auf der Windmühlenstraße mit Richtkran
    Deutsche Fotothek‎ [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

  • Nun, Jakko Scum, dass ich mich jetzt erst oute, liegt an meiner sprichwörtlichen Bescheidenheit. "Bescheiden wie ein Findorffer", das kennst Du sicher auch. An dem Bauprojekt in Gröpelingen war ich nicht Beteiligt.
    Bezüglich der Artikel-Serie im WK habe ich schon häufig entsprechende Berichte hier öffentlich gemacht, z. B. Abriss der Senatsvilla in der Parkalle oder die ersten Beiträge zur Neustadt.

  • Bedaure, daß ich den Bremer Bezug des Themas übersehen habe.
    Aber die Diskussion ist ohnehin weit über den Bremer Raum hinausgegangen, so wie in Bremen war es überall..
    Meine persönliche Zusammenfassung:
    Die Auto-gerechte Stadt ist Triebkraft der Stadtzerstörung.
    Die Massenproduktion des Automobils und die Architektonische Moderne haben ihre Blüte in den 1910-20er Jahren.
    Die Massenproduktion der Blechliesel ist der Beginn des Fordismus. Des REFA-Kapitalismus.
    Sein Ausdruck sind die Rasterfassaden der Moderne.
    Einheitlich genorm, wie die Fließbandproduktion.
    Das ganze erhielt durch den 2. Weltkrieg und seine Materialschlachten nochmals enormen Input..
    Der ganze Fordismus ist sehr militarisiert. Die Fabrik ist streng hierarchisch und diszipliniert organisiert- die entgültige Abkehr von der ursprünglich handwerklichen Produktion.
    Insofern ist da geistige Nähe zum Faschismus/Nationalsozialismus, der das Soldatische glorifiziert, vorhanden. (Und Henry Ford war in der Tat glühender Nationalsozialist)
    - Ja, Die Nazis und Faschisten, aber auch die Stalinisten, gehören zur Moderne.

    Die Moderne ist aber auch: Jazz und Rock'n Roll, der Ursprung der heute allgegenwärtigen Popkultur.
    Stromlinie und Art Deco, Psychoanalyse und die Atombombe. Coke-Bottle und Andy Warhol.
    Das amerikanisch dominierte Zeitalter, was sich erst jetzt dem Ende zuneigt.

    1968 ist eine Abrechnung mit der Moderne, mit ihrem totalitären Teil.
    Den Stadtplanern, die im Speerschen Sinne die "Nord-Süd-Achse freischießen" (heimliche Karikatur zu den Germania-Planungen).
    Die Hausbesetzer haben die vielbeschrieene Mietskaserne wiederentdeckt. Und sitzen heute froh als gutbetuchte Rechtsanwälte in ihren "gentrifizierten" Gründerzeit-Eigentumswohnungen..
    Und die nachfolgende grüne Bewegung der 1970er hat den unbedingten Fortschrittsglaube an "moderne" Technologie zumindest schwer erschüttert.
    Das Ende der städtischen Dominanz des Automobils ist abzusehen. Und zeitgleich melden sich Architekten zu Wort, die die Abkehr von der Rasterfassade und den Mut zum Ornament fordern.

  • reschbanner,


    ohne Fortschrittsglauben, also ohne Innovation, ohne den Wunsch nach Verbesserung der eigenen Lebensumstände, würden wir alle noch in Fellen gehüllt bibbernd vor einem Lagerfeuer sitzen bei dem Versuch, die fast erfrorenen Hände daran zu wärmen und zur Verrichtung unserer Notdurft nicht mal die Höhle verlassen. Positiv an diesen Lebensumständen wäre, dass man nicht in eine Midlife-Crises fiele, da die durchschnittliche Lebenserwartung eh nur bei 35 Jahren läge.
    Henry Ford wäre nicht gewesen ohne die Erfindung der Dampfmaschine. Die Dampfmaschine undenkbar, wenn Newton nicht der blöde Apfel auf dem Kopf gedonnert wäre. - Wohin soll das führen?
    Gäbe es Ford nicht, gäbe es keine Massenproduktion. Die Konsumgüter wären nicht erschwinglich – ein Auto schon gar nicht. Ohne Auto hätte der Deutsche nach dem Weltkrieg im Wirtschaftswunderland nicht die Alpen überquert, er hätte Italien und den mediterranen Raum niemals für sich entdeckt, er wäre niemals mit Müßiggang, Flair und Ambiente in Kontakt gekommen und hätte so niemals wieder zu Begriffen wie Schönheit, Kultur und Tradition gefunden. Ohne Auto würde wir hier nicht über Sinn und Unsinn von Rekonstruktionen oder dem Verlust von Historischem debattieren, sondern uns am überbordenden Historismus ereifern.
    Wie du schon gesagt hast: Auch die Moderne hat gute Seiten.
    Man kann die Dinge nicht einfach über einen Kamm scheren oder adäquat klonen und jedem Problem oder Frage nach dem Warum überstülpen: So, das muss jetzt passen!
    Was speziell Bremen betrifft, kann man nicht sagen: Die Autos waren schuld.
    Oder: Die Moderne war schuld.
    Oder: Die Protestanten waren schuld.
    Oder: Luther.
    Das Staatsarchive, ja, das musste z.B dem Innenstadt-Ring-Wahn weichen, wo heute die Balgebrückstraße eine mächtige Schneise in Richtung Domsheide schlägt und in einer Sackgasse für Autos mündet.
    Das Stadttheater in den Wallanlagen wurde nie wieder aufgebaut. Dort wachsen heute Bäume. Es musste keiner Trasse, also keinem Automobil- oder Verkehrswahn weichen. Zudem ist kein Alt-Nazi weit und breit, dem man dafür am Schlafittchen packen kann!
    Das Focke-Museum beispielsweise, es wurde aus ästhetischen Gründen nicht wieder aufgebaut, weil der Wall als Grünanlage zur Weser geführt werden sollte – und die Ruine stand diesen Plänen leider im Wege. Dort, um die sichtbaren Grundmauern herum, ist jetzt ein Park. Kein Investor weit und breit, dem man seine Geldgier vorwerfen kann. Was für ein Pech!
    Das Essighaus wurde nicht oder nur die Utluchten wieder aufgebaut mangels verwertbarer Masse. Heute müssen wir uns fragen: Stimmt das?
    Diese Beispiele zeigen, dass es – wie hat es Pagentorn so schön gesagt? - viele Graustufen gibt.
    Man kann sich nicht auf den Marktplatz auf ein Podest stellen und predigen: Die Autos sind schuld. Oder: Die Hugenotten! Oder: Oslo!
    Jeder Fall muss individuell beleuchtet werden.
    Wir können bei dem Wunsch einer Rekonstruktion der Essighausfassade kaum mit dem Argument aufwarten, die Fassade gäbe es nicht mehr, weil die Stadtplaner das Automobil in den Vordergrund der Stadtplanung stellten.
    Oder in Anbetracht einer gewünschten Ansgarii-Reko mit dem Argument, Henry Ford sei Schuld am damaligen Abbruch.
    Und wenn es die 68er nicht gegeben hätte, dann hätten wir schon längst die Neue Börse!
    Ich würde mir bei der Diskussion hier ein wenig mehr Differenzierung wünschen, die die Äußerungen an Objekten der Stadt Bremen belegbar machen.
    Sonst läuft man Gefahr, unglaubwürdig zu sein – und das können wir uns hier in Bremen schon gar nicht leisten, dann brauchen wir hier in Bremen nicht erst unsere Sachen auszupacken und sollten unsere Freizeit lieber mit anderen Dingen verplanen – nur eben nicht mit "Wiederaufbaugespinsten" und Rekonstruktionswünschen.

    4 Mal editiert, zuletzt von Jakku Scum (5. Januar 2019 um 15:12)

  • Wenn wir von den Architekten und Fachleuten ernst genommen werden wollen, sollte darauf geachtet werden, dass die Basics korrekt sind. Die Die Straße des nationalen Aufbauwerks aka Lange Straße in Rostock, d.h. die von Dir gezeigten Gebäude, wurden, wie damals überall in Deutschland, noch traditionell errichtet.
    Auf den bei WIKIMEDIA zu Rostock zu findenden Fotos ist das nicht in Detail zu sehen. Daher diese Aufnahme der zur gleichen Zeit errichteten Windmühlenstraße in Leipzig.


    Fotothek df roe-neg 0006524 032 Baustelle auf der Windmühlenstraße mit Richtkran
    Deutsche Fotothek‎ [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]


    Ich bezog mich auf einen Artikel, der unlängst in der “Zeit“ erschien- da war von Plattenbauweise die Rede, diese bezog sich aber, wie ich soeben feststellte auf Wohngebäude in Schmarl. Sorry für die Fehlinformation.

  • Entscheidend ist doch, dass Projekte des Städtebaus bis in die 1910'er Jahre immer eine verschönernde Wirkung hatten. Die Neubauten waren i.d.R. immer attraktiver als ihre Vorgänger. Dann kam die Zäsur, was auch immer das war, politischer Extremismus, Krieg und Zerstörung, Fortschrittsglaube und die Angst zurückzubleiben. Die Bauhausströmung, die den Jugendstil und seine Unterarten Reformstil, Heimatstil, Eklektizismus und Expressionismus fast schlagartig ablösten, der Verlust des Instinktes für Schönheit, Proportionen und das menschliche Maß zugunsten der Vereinfachung, Vereinheitlichung und Technisierung. Gleichzeitig rückten rasant Bequemlichkeit durch immer komplexer werdende technische Einrichtungen in den Fokus. Bauschmuck und Verzierungen waren unwichtig. Es gibt wohl kaum einen Beruf, der sich in den letzten 100 Jahren so stark gewandelt hat wie der des Architekten. Sollten sie damals schöne Städte entwerfen, so sollen sie heute billige Renditeobjekte für den Maklerkatalog berechnen.

    Lange Rede kurzer Sinn: Ich sehe keine einzelne Gruppe, der man eine Schuld geben kann. Es ist insgesamt die Entrückung des Menschen von der Natur, der Umwelt und sich selbst. Hand aufs Herz, wieviele Möbelbausätze habt ihr schon zusammengebaut - und wieviele Bäume gepflanzt? Wann wart ihr das letzte mal in einem dichten, mitteleuropäischen Wald - Und wann das letzte mal in einem dunklen Kinosaal mit 3D und Dolby wasweißeich? Wann habt ihr das letzte mal eine Kuh gesehen, oder ein Huhn oder Schwein - und wann das letzte mal im Laden ein neues Handy angefasst?
    Die Menschen wollen es wohl leider nicht mehr schön, sondern praktisch. Und zeitgleich ziehen sie sich immer mehr ins private zurück, wo es dann gemütlich, kuschelig, verspielt und dekoriert sein darf. Davon lebt eine ganze Wirtschaft und viele realisieren es nichteinmal.