Rekonstruktion oder traditioneller Neubau?

  • Ich würde es ganz einfach halten:

    • In historischen Stadtkernen möglichst rekonstruieren, zumindest dort, wo bedeutende bzw. das Stadtbild prägende Bauten gestanden haben.
    • Traditionsbewusstes Bauen in der Altstadt dort, wo Bauten sich aufgrund der schlechten Dokumentation nicht rekonstruieren lassen oder wo die verloren gegangenen Bauten zu unbedeutend waren. In diesem Sinne hätte ich mir z. B. in der Rampischen Gasse in Dresden statt des von außen misslungenen Innside traditionelles Bauen gewünscht.
    • Ferner plädiere ich für traditionelles Bauten in den Gründerzeitquartieren, die keineswegs flächendeckend rekonstruiert werden können. Hier gibt es beispielsweise schöne Ansätze von Francis Terry (siehe Foto).
    • Darüber hinaus würde ich mir auch Turmhäuser, die in Sichtbeziehung zur Innenstadt stehen, in traditionellem Bauen wünschen (etwa in Anlehnung an die Hochausbauten in den USA bis ca. 1940). Hierzu gibt es ganz brauchbare Ansätze von Patzschke.
    • Und für ganz neue Wohnviertel kann ich mir auch richtig moderne Neubauten vorstellen.

    Was nun den Blobel-Bau betrifft, der ja Auslöser dieser Debatte ist: Natürlich wäre an dieser Stelle eine Rekonstruktion besser gewesen. Aber dennoch ist es gut, dass Architekten lernen, solche Bauten zu planen. Die Wilsdruffer Straße mit Blobel Bauten wäre doch nicht schlecht, oder?


    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Nur als Rekonstruktion unter aktuellen Bauvorschriften um den Preis des Abrisses des heutigen Paris? Das glaube ich Dir nun wirklich nicht.

    Darum ging es in der Frage doch gar nicht.
    Du hast die These vertreten, dass Rekonstruktionen nur erforderlich seien, weil die heutige Architektur so minderwertig sei und hast als Beispiel für eine nicht-minderwertige Architektur, die Rekonstruktionen ergo überflüssig mache, die Hausmann-Architektur angeführt.

    Dem habe ich mit meinem "Ja" widersprochen, weil der Verlust an steingewordener Geschichte durch den Abriß des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Paris nicht dadurch zu kompensieren ist, dass das Paris Haussmanns nett aussieht.

  • Ich würde es ganz einfach halten:

    • In historischen Stadtkernen möglichst rekonstruieren, [...]
    • Traditionsbewusstes Bauen [...]
    • Ferner plädiere ich für traditionelles Bauten in den Gründerzeitquartieren, [...]
    • Darüber hinaus würde ich mir auch Turmhäuser, die in Sichtbeziehung zur Innenstadt stehen, [...
    • Und für ganz neue Wohnviertel kann ich mir auch richtig moderne Neubauten vorstellen.

    Volle Zustimmung bis auf die Turmhäuser - die benötigt es dort, wo noch eine europäische Silhouette erhalten geblieben ist, wirklich nicht. In Essen, Dortmund, Hamburg oder Berlin aber natürlich kein Problem.
    Rekonstruktion halte ich vor allem da für wichtig, wo kunsthistorisch oder für das Stadtbild wertvolle Bauten verloren gegangen sind. Bei letzteren wäre aus meiner Sicht sogar eine annähernde Rekonstruktion wie das Dresdener Hotel de Saxe legitim, wenn die Dokumentationslage ausreichend ist.

    Was aus meiner Sicht auch immer unterschätzt wird, ist das Drumherum. Mit historisch anmutendem Straßenbelalg, passender Stadtmöblierung und alten/rekonstruierten Brücken, Laternen usw. kann man auch schon sehr, sehr viel erreichen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Darum ging es in der Frage doch gar nicht.Du hast die These vertreten, dass Rekonstruktionen nur erforderlich seien, weil die heutige Architektur so minderwertig sei und hast als Beispiel für eine nicht-minderwertige Architektur, die Rekonstruktionen ergo überflüssig mache, die Hausmann-Architektur angeführt.

    Dem habe ich mit meinem "Ja" widersprochen, weil der Verlust an steingewordener Geschichte durch den Abriß des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Paris nicht dadurch zu kompensieren ist, dass das Paris Haussmanns nett aussieht.


    Das hast Du Dir schön konstruiert. Bitte nochmal genau lesen, These genau erfassen und nicht mutwillig - gerade Du als Wissenschaftler - durch Weglassen ganzer Sätze oder Verdrehen des Kontextes falsch auslegen. Oder bist Du schon Teil der deutschen Medienlandschaft geworden?

  • Genauso ist es! Die Rekonstruktion ist unser Krückstock in einer architektonisch erbärmlichen Zeit. Denken wir an den Wiederaufbau Magdeburgs nach seiner Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg im Jahr 1631. Wollten wir das barocke Magdeburg gegen das mittelalterliche eintauschen? Wollten wir das Vor-Haussmann-Paris zurück? Nein, weil das, was an die Stelle rückte, gestalterisch so hochwertig war oder ist, dass sich jeder Abriss für eine Rekonstruktion von selbst verbietet.

    Ich hatte geschrieben:
    "Du hast die These vertreten, dass Rekonstruktionen nur erforderlich seien, weil die heutige Architektur so minderwertig sei und hast als Beispiel für eine nicht-minderwertige Architektur, die Rekonstruktionen ergo überflüssig mache, die Hausmann-Architektur angeführt."

    Von daher bitte ich um eine Erläuterung, was an dieser meiner Aussage eine "Verdrehung" der oben zitierten Aussage von deiner Seite sein sollte?

  • Gerne. Zunächst erkennst an dem letzten Satz, dass es um die Rekonstruktion heute geht und nicht um das berechtigte Bedauern, dass das mittelalterliche Paris abgerissen wurde. Aber als möglicherweise ungenügende Rekonstruktion zum Preis des Abrisses des heutigen Paris? Nein, danke! Rekonstruktion des barocken Magdeburg zum Preis des Abrisses des heute real existierenden? Gerne doch! Rekonstruktion des mittelalterlichen Magdeburg zum Preis des Abrisses des barocken Magdeburg? Nein, danke!

    Zum anderen hast Du meine letzten Sätze abermals weggelassen:

    [...] Und natürlich gibt es darüberhinaus unzählige herausragende Bauten, bei denen sich eine Rekonstruktion um ihrer selbst Willen lohnt. Doch nicht jede deutsche Altstadt sah aus und/oder hatte die Bedeutung wie Frankfurt und Nürnberg.

  • @Booni Der letzte Satz war so zu verstehen, dass ich mir nicht generell Turmhäuser wünsche, sondern dass, wenn Hochhäuser beschlossen sind, sie den Charakter historischer Turmbauten erhalten. Ich habe mich etwas ungenau ausgedrückt.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Ab hier wurde die einschlägige Diskussion aus dem Strang zum Brand von Notre Dame (Paris - Notre Dame) in diesen Strang verschoben.


    Liebe Freunde,

    ich habe in den letzten Tagen die Beiträge zum Brand von Notre Dame in den Medien sehr eingehend verfolgt und möchte angesichts dessen noch einmal eine Grundsatzfrage hier aufwerfen:

    Sowohl viele Beiträge von Journalisten, als auch die Kommentare zahlloser Leserinnen und Leser zeigen, was für ein großes Bewußtsein für die Bedeutung steingewordener Geschichte, für die bauliche Präsenz unserer Vergangenheit in der Gegenwart noch besteht. Ebenso ein Bewußtsein dafür, wie schmerzlich der Verlust eines mittelalterlichen Bauerks ist und er immer auch einen Verlust an kultureller Identität darstellt.

    Das sind genau die Motive, die mich zur Rekonstruktionsbewegung gebracht haben. Mich haben diese zum Teil sehr eindrücklichen und geradezu rührenden Wortmeldungen über die unermeßliche Bedeutung steingewordener Geschichte dazu gebracht, noch einmal unsere ganze Herangehensweise zu überdenken und noch einmal die Frage "Rekonstruktion vs. Traditionelles Bauen" aufzuwerfen.

    Hier im Forum, wie auch bei vielen neuen Projektideen sehe ich zunehmend die Tendenz, das Thema "Rekonstruktion" zu Gunsten des Themas "Traditionelles Bauen" hintanzustellen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir das ganze Thema "Traditionelles Bauen" von Anfang an eher fremd war und ich verstehe bis heute nicht, warum einige Leute hier das so in den Mittelpunkt ihres Denkens und Wirkens stellen.

    Woran liegt das denn? Ist es nicht vielleicht wirklich zum einen ein Selbstmißverständnis: ein Selbstmißverständnis, das anhand der Diskussionen um Notre Dame noch einmal in aller Deutlichkeit sichtbar wird?
    Diejenigen, die auf das "Traditionelle Bauen" setzen, argumentieren meistens rein ästhetisch: Früher hat man halt schöner und menschlicher gebaut. Ja, das ist richtig und für Areale außerhalb der ehemaligen Altstädte kann ich dieses Argument auch halbwegs nachvollziehen. Aber ist es das, worum es uns wirklich oder jedenfalls in erster Linie geht?

    Ich finde das Argument der Ästhetik auf eine seltsame Weise "geschichtsvergessen". Mir kann kein noch so schöner Bau die Geschichtstiefe der Nürnberger, Frankfurter oder Braunschweiger Altstadt zurückbringen. Hätte ich die Wahl, eine dieser Städte wunderschön, aber geschichtslos wiederaufzubauen oder zu rekonstruieren, mit allen auch unschönen Ecken, würde ich immer die Rekonstruktion vorziehen.

    Und genau so läuft auch aktuell die Diskussion über den Wiederaufbau von Notre Dame: Niemand plädiert für den originalgetreuen Wiederaufbau, weil das alte Notre Dame so "schön" gewesen wäre. Alle argumentieren, dass man sie wegen seiner Geschichtstiefe und Bedeutung für die kulturelle Identität Frankreichs und Europas wiederaufbauen müsse.

    Einmal ganz ehrlich: Wer von euch würde einen "traditionellen Neubau" einer Rekonstruktion eines mittelalterlichen oder barocken Bauwerks vorziehen, wenn er wirklich die Wahl hätte? Wer jetzt sagt: "Ich nicht, ich würde die Rekonstruktion vorziehen", der möge sich doch bitte die Frage stellen: Warum fordern wir dann (so wie jetzt wieder in Hanau) eigentlich ständig "Traditionelles Bauen" statt einfach Rekonstruktionen zu fordern? Warum lassen wir es wie in Dresden oder Frankfurt zu, dass "traditionelle Neubauten" oder noch Schlimmeres zwischen die Leitbauten gesetzt werden?
    Ich begreife das einfach nicht und habe - jenseits der Möglichkeit, dass jemandem "traditionelles Bauen" wirklich wichtiger ist als Rekonstruktionen, was man mir dann wirklich erklären müsste - nur drei mögliche Erklärungen:

    1. Das schon erwogene Selbstmißverständnis, dass viele meinen, es gehe ihnen um die Ästhetik, obwohl es ihnen eigentlich doch um die Geschichstiefe geht.

    2. Die durch Angst und Verzagtheit motivierte strategische Überlegung, dass man durch die Forderung nach vollständiger Rekonstruktion statt "traditionellem Bauen" die Lokalpolitiker und -journalisten vor den Kopf stößt und gar nichts erreicht.

    3. Die Scheu davor, über Geschichte und kulturelle bzw. nationale Identität zu reden, weil man Angst hat, in eine rechtsradikale Ecke gestellt zu werden. Da scheint es sicherer, einfach nur über Ästhetik zu reden. Dieses Argument begegnet mir gerade bei den Initiativen vor Ort immer wieder.

    Die zweite und die dritte Möglichkeit haben beide etwas mit Verzagtheit und Angst zu tun, die nie ein guter Ratgeber sind. Sollten wir, sollten die Initiativen vor Ort nicht vielleicht wirklich einmal ihre Prämissen und Strategien überdenken? Ich finde, die aktuelle Diskussion um Notre Dame bietet dafür einen guten Ausgangspunkt. Sie zeigt nicht nur, wie verbreitet schließlich doch noch das Wissen um die Bedeutung der Geschichte für die kulturelle Identität ist. Daran können und müssen wir anknüpfen.
    Zugleich aber mehr: Die Debatte bietet uns die Gelegenheit, das Argument der kulturellen bzw. nationalen Identität in Zukunft, gerade im Rückgriff auf die Diskussion um Notre Dame, wieder offensiv zu vertreten. Wenn in einer großen deutschen Zeitung ein Redakteur schreiben kann: "Notre Dame ist die steingewordene Seele Frankreichs", dann kann niemand, aber wirklich niemand uns mehr zu Rechtsradikalen erklären, wenn wir sagen: "Wir wollen die Nürnberger Altstadt rekonstruieren, denn sie war die steingewordene Seele Deutschlands."

  • "Philon",

    ich erkenne nicht den von Dir hier thematisierten Widerspruch zwischen Rekonstruktion und "traditionellem Bauen". Die Forderungen nach traditionsverbundener Architektur beziehen sich ja nicht explizit auf Altstadtensemble, sondern auf Neubauareale (die den Großteil des hiesigen Baugeschehens ausmachen). Die Traditionelle Architektur steht in der Auseinandersetzung mit den Schuhkarton-Siedlungen, nicht aber mit den Rekonstruktionen in Altstadtarealen.

    Dass man sich für traditionell gestaltete Füllbauten ausspricht, wenn Rekonstruktionen nicht möglich sind (z.B. durch mangelnde Dokumentation), stellt auch kein Problem dar.

    Nun noch etwas zu der Frage, "warum lassen wir es wie in Dresden oder Frankfurt zu, dass `traditionelle Neubauten´ oder noch Schlimmeres zwischen die Leitbauten gesetzt werden?": Ganz einfach, weil es ein Kompromiss ist. Haben die Rekonstruktionsinitiativen denn die Macht, durchzusetzen, dass 100%-ige Reko-Ensemble errichtet werden? Nein, die Macht liegt in den Händen der Politik. Und die Politik ist zu nicht unerheblichem Maß unter Druck von modernistischen Architekten, Uni-Professoren, Museumsdirektoren und der diesen zugeneigten Journaille. Somit bleibt es den von einigen engagierten Bürgern getragenen Rekonstruktionsinitiativen nur übrig, sich in einen Kompromiss zu fügen, den ihnen die Politik anbietet, um überhaupt etwas erreichen zu können.

  • Ich möchte nur noch einmal ganz still in meiner Ecke bemerken, dass nach glaubhaften Analysen Bauen heute lukrativer als Waffenhandel geworden ist und die Baumafia die dortige Mafia auf Platz 2 verdrängt hat. Dagegen ist kaum ein Kraut gewachsen.

  • ich erkenne nicht den von Dir hier thematisierten Widerspruch zwischen Rekonstruktion und "traditionellem Bauen". Die Forderungen nach traditionsverbundener Architektur beziehen sich ja nicht explizit auf Altstadtensemble, sondern auf Neubauareale (die den Großteil des hiesigen Baugeschehens ausmachen). Die Traditionelle Architektur steht in der Auseinandersetzung mit den Schuhkarton-Siedlungen, nicht aber mit den Rekonstruktionen in Altstadtarealen.

    Wenn es so wäre, dann wäre es ja schön. Es ist aber nicht so. In Hanau z.B. ist die dortige Initiative von vorneherein mit dem Vorschlag "traditioneller Neubauten" in der ehemaligen Hanauer Altstadt und nicht mit dem Vorschlag von Rekonstruktionen in die Arena gestiegen. Ähnliches höre ich aus Magdeburg und anderen Ecken.

    Und warum lassen sich so viele hier immer mit "traditionellen Neubauten" in den ehemaligen Altstädten abspeisen (siehe Lübeck oder den Friedrichswerder in Berlin) statt um Rekonstruktionen zu kämpfen?

    Nun noch etwas zu der Frage, "warum lassen wir es wie in Dresden oder Frankfurt zu, dass `traditionelle Neubauten´ oder noch Schlimmeres zwischen die Leitbauten gesetzt werden?": Ganz einfach, weil es ein Kompromiss ist. Haben die Rekonstruktionsinitiativen denn die Macht, durchzusetzen, dass 100%-ige Reko-Ensemble errichtet werden?

    Ja, es ist ein Kompromiß. Aber warum wehren wir uns nicht bis zuletzt gegen diese Art von Kompromissen? Warum lassen wir uns immer wieder mit zwei Rekonstruktionen abspeisen, wo 20 möglich wären? Warum gehen wir von vorneherein immer wieder mit "Leitbauten+Füllbauten"-Konzepten in die Diskussionen und Verhandlungen statt einfach die Totalrekonstruktion eines Viertels zu fordern.
    Das ist, als würde man bei Tarifverhandlungen schon mit dem Kompromißvorschlag in die Verhandlungen gehen statt mit der Maximalforderung. Wenn ich 5% Lohnsteigerung erreichen will, darf ich auch nicht mit 5% in die Verhandlungen einsteigen - wenn ich das mache, dann lande ich bei 2% oder 3%. Ich muss mit 8% einsteigen, um dann vielleicht 5% zu erreichen.

  • "Philon", zu den spezifischen Entscheidungs-Verhältnissen in Lübeck kann ich wenig sagen. Magdeburg ist allgemein nicht sonderlich rekonstruktionsfreudig. Das hat man ja in der Abstimmung zur Ulrichskirche gesehen. Da ist man womöglich noch nicht so weit und freut sich erst mal an neuen Shopping-Centern. In Hanau sind sie meines Erachtens auch etwas zu zögerlich. Die Gründe werden nachzufragen sein.

    Ich kann jetzt nur etwas konkret zu Frankfurt sagen. Es stimmt, dass der BFF-Ursprungsantrag keine 100%-Rekonstruktion, sondern in etwa das heutige Ergebnis forderte. Das lag vor allem daran, dass die Rekonstruktion des Dom-Römer-Areals zu diesem Zeitpunkt (also in der Anfangsdiskussion) noch sehr visionär wirkte. Es war schlicht nicht vorstellbar, dass eine 100%-ige Rekonstruktion in dieser Stadt durchsetzbar gewesen wäre. Zudem war noch nicht klar, wie detailliert die Quellenlage ist, also ob auch jedes Haus überhaupt rekonstruiert werden kann. Später hat sich "Pro Altstadt" für weitere Rekonstruktionen, ja eigentlich ein 100%-Ensemble, eingesetzt. Es gelang immerhin, die ursprünglich von der Stadt genannte Rekonstruktions-Zahl zu verdoppeln. Aber mehr war eben nicht drin. Die Widerstände waren vorhanden, und selbst Professor Mäckler sprach sich für weit weniger Rekonstruktionen aus. Man hat sich gewehrt, und man hat sich nicht "abspeisen" lassen, aber letztlich finden Rekonstruktionen nun einmal in der Ebene der Realpolitik statt, und irgendwann sind bestimmte Entscheidungen, die einen Ausgleich der verschiedenen Kräfte suchen müssen, auch zu akzeptieren.

  • Vielen Dank für den Einblick in die Frankfurter Verhältnisse. Mir ist bewußt, dass ihr in Frankfurt um jede Rekonstruktion gekämpft habt und dafür ist euch auch mein Dank gewiß.

    Das hier bestätigt freilich meine Vermutung, dass hinter so mancher Vorgehensweise auch eine gewisse Verzagtheit steckt:

    Es stimmt, dass der BFF-Ursprungsantrag keine 100%-Rekonstruktion, sondern in etwa das heutige Ergebnis forderte. Das lag vor allem daran, dass die Rekonstruktion des Dom-Römer-Areals zu diesem Zeitpunkt (also in der Anfangsdiskussion) noch sehr visionär wirkte. Es war schlicht nicht vorstellbar, dass eine 100%-ige Rekonstruktion in dieser Stadt durchsetzbar gewesen wäre.


    Dazu kommt noch das hier:

    Die Widerstände waren vorhanden, und selbst Professor Mäckler sprach sich für weit weniger Rekonstruktionen aus.

    Auch das ist ein Punkt, der zu beachten ist. Ich warne schon seit Jahren vor Leuten wie Mäckler, die zwar für "traditionelles Bauen" sind, das aber eben nicht ergänzend zu, sondern an Stelle von Rekonstruktionen wollen.
    Von daher gibt es den Konflikt zwischen beidem durchaus, nämlich bei gar nicht so wenigen Architekten, die "traditionelles Bauen" regelmäßig als Karte ziehen, um Rekonstruktionen zu verhindern. Da wird "traditionelles Bauen" dann eben doch schnell zum "Rekonstruktions-Verhinderer".

  • Hier im Forum, wie auch bei vielen neuen Projektideen sehe ich zunehmend die Tendenz, das Thema "Rekonstruktion" zu Gunsten des Themas "Traditionelles Bauen" hintanzustellen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mir das ganze Thema "Traditionelles Bauen" von Anfang an eher fremd war und ich verstehe bis heute nicht, warum einige Leute hier das so in den Mittelpunkt ihres Denkens und Wirkens stellen.

    Ich denke, wir verpassen den Punkt hier und spalten unsere Kräfte vor der wichtigen Schlacht. Die Situation in Paris ist für die Wiederaufbaubewegung in Deutschland weitaus kritischer als Sie vielleicht denken. Es ist in erster Linie ein Präzedenzfall - und ein Präzedenzfall für GROSSE öffentliche Aufmerksamkeit. Der größte Teil der Welt hat nicht von Rekonstruktionen in Deutschland gehört, aber Paris und Notre-Dame befinden sich in Sicht aller Medienunternehmen sowie für ein sehr lautes Volk von Paris.

    Hier werden Modernisten versuchen, mit aller Kraft und Beharrlichkeit, die sie haben, anzugreifen. Hier werden sie kämpfen, um sicherzustellen, dass jede Alternative zu abstraktionistischem, modernistischem Design verschmiert wird. Sie werden ihr Bestes geben, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, dass sowohl Rekonstruktion als auch Neu-Traditionelles "falsch" sind und nur abstrakt "wahr" ist. Für unsere Sache ist es egal, ob es eine Rekonstruktion oder ein neues traditionelles Design geben wird, denn wenn einer von ihnen die öffentliche Meinung gewinnt, werden wir in Zukunft einen massiven Präzedenzfall haben.

    Ehrlich gesagt denke ich, dass New-Traditional im Allgemeinen wichtiger ist als alle außer den wichtigsten Rekonstruktionen. Es mag konterintuitiv erscheinen, aber Rekonstruktionen selbst sind die letzte Verteidigung der Modernisten auf der ganzen Welt. Sie verkünden, dass wir nicht im Hinblick auf traditionelle Ästhetik bauen dürfen. Eine Rekonstruktion ist jedoch von dieser Sünde befreit, weil es eine formale Wiederholung der Vergangenheit ist (denn der Vergangenheit wurde erlaubt, Schönheit zu erleben).

    Natürlich ist die Situation in Deutschland anders - wir haben kulturelle und moralische Zerstörungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß erlebt. Daher sind Rekonstruktionen in Deutschland tatsächlich wichtiger als traditionelle Gebäude. Rekonstruktionen sind aber im Prinzip nicht der einzige Weg. Stellen Sie sich das so vor: Die barocke Pracht der Altstadt von Dresden wurde auf den Grundmauern mittelalterlicher Häuser errichtet. Gleiches gilt für die großen Renaissance-Meisterwerke von Frankfurt oder Bremen. Der größere Kampf ist daher sicherzustellen, dass die zukünftigen Generationen die Mittel haben, um Schönheit um sie herum zu bauen. Damit dies geschieht, muss die Vorstellung, dass traditionelle Ästhetik heute verboten ist, gebrochen werden.

  • Der vorhergehende Beitrag von Oststaatler ist sehr gut geschrieben. Ich stimme dem zu, aber nicht bezüglich der Pariser Kathedrale. Dort sehe ich nicht wirklich die Gefahr eines modernen Wiederaufbaus. Man hat solche herausgehobenen historischen Bauten immer wieder historisch korrekt wiederaufgebaut. Wenn es nicht so gewesen wäre, dann hätten wir nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa fast nichts Historisches mehr. Die bereits weiter oben erwähnte Anna Amalia Bibliothek in Weimar wurde nach dem Brand auch rekonstruiert.

    Bei Philon sehe ich einen Denkfehler. Man kann ein Bauwerk von der Bedeutung der Pariser Kathedrale (künstlerisch, historisch, symbolisch) nicht mit irgendwelchen Altstadthäusern (alten Wohnhäusern) vergleichen. Da bestehen schon erhebliche Rangunterschiede. Notre-Dame ist die "steingewordene Seele Frankreichs", über irgendein altes Haus in der rue xy im soundsovielten Arrondissement wird man das nicht sagen können, auch nicht über das städtebauliche Ensemble der rue xy.

    Die Nürnberger Altstadt als steingewordene Seele Deutschlands? Ich weiß nicht. Den Ausdruck "steingewordene Seele eines Landes" finde ich etwas verquer. Der ist mir vorher auch noch nicht begegnet. Versteinert die Seele?

  • Den von Philon wahrgenommenen Interessenkonflikt "Rekonstruktion" versus "Traditionelles Bauen" sehe ich hier im Forum nicht. Die weitaus meisten Mitforenten würden sich, wenn sich die Frage stellt, "in Dubio pro Reko" entscheiden - das ist aber einer der Vielzahl von Fällen mit verändertem städtebaulichen Grundriss, unpassendem Kontext, unzureichender Dokumentation oder in einem aussichtslosen politischen Umfeld nicht gegeben - vom Bau auf der Grünen Wiese ganz zu schweigen. Die Konfliktlinie verläuf dann typischerweise zwischen Modern und Traditionell. Die Diskussion ist sicherlich spannend und notwendig, dieser Strang wäre dafür aber m. M. n. der falsche Ort.

    Einmal editiert, zuletzt von HelgeK (18. April 2019 um 08:46)

  • das ist aber einer der Vielzahl von Fällen mit verändertem städtebaulichen Grundriss, unpassendem Kontext, unzureichender Dokumentation oder in einem aussichtslosen politischen Umfeld nicht gegeben

    Warum versuchen wir dann nicht, all das zu verändern? Warum treten wir nicht für eine Rück-Veränderung des städtischen Grundrisses ein, warum versuchen wir nicht, die unpassenden Kontexte wieder passend zu machen. Und zuletzt: Warum nehmen wir denn nicht den Kampf gegen das aussichtslose politische Umfeld auf.

    Gerade beim letzten Punkt finde ich bei den Initiativen vor Ort immer so viel Verzagtheit und Defensive: "Nein, wir sollten die Bedeutung von Rekonstruktionen für unsere kulturelle Identität nicht betonen, dann werden wir doch nur wieder zu Ewiggestrigen erklärt und schlimmstenfalls in eine rechtsradikale Ecke gestellt. Wir reden stattdessen lieber abstrakt und geschichtsvergessen über Schönheit, das ist so schön unverfänglich. Damit tun wir niemandem weh, da bieten keine Angriffsfläche und alle außer dem BDA haben uns lieb etc. pp. blablablubb"
    Lasst uns doch endlich aus dieser erbärmlichen Defensive rauskommen!

  • @Oststaatler und Rastrelli:

    Dass es die Bruchlinie, ja Frontstellung zwischen "Traditionellem Bauen" und Rekonstruktionen gibt, zeigen doch gerade eure beiden Beiträge.

    Oststaatler schreibt doch explizit, dass ihm traditionelles Bauen wichtiger ist als Rekonstruktionen, es sei denn es würde sich um "wichtige" handeln:

    Ehrlich gesagt denke ich, dass New-Traditional im Allgemeinen wichtiger ist als alle außer den wichtigsten Rekonstruktionen.

    Aber was sind denn "wichtige" Rekonstruktionen. Für mich ist jedes einzelne Haus in den zerstörten Altstädten von Nürnberg, Frankfurt, Braunschweig, Mainz, Würzburg, Dresden, Kassel, Hildesheim, Bremen, Stuttgart, Hannover etc. wichtig, weil nur die Gesamtheit der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bebauung das ist, was diese Städte ausmachte, nicht irgendwelche "bedeutenden Einzelbauten", wie es auch Rastrelli zu meinen scheint.

    Überhaupt diese Fixierung auf das "bedeutende Einzelbauwerk", die eben so oft mit einer Bevorzugung von "traditionellem Bauen" einhergeht:

    Bei Philon sehe ich einen Denkfehler. Man kann ein Bauwerk von der Bedeutung der Pariser Kathedrale (künstlerisch, historisch, symbolisch) nicht mit irgendwelchen Altstadthäusern (alten Wohnhäusern) vergleichen. Da bestehen schon erhebliche Rangunterschiede.


    Nein, das ist gerade kein Denkfehler. Der Denkfehler liegt bei euch, weil ihr einfach nicht begreift, dass das, was das Wesen (oder meinetwegen: die Seele) einer Stadt ausmacht, nicht in irgendwelchen "bedeutenden Einzelbauwerken" besteht, so dass man auf den Rest ja auch gerne verzichten kann und stattdessen da "traditionelle Neubauten" errichten könnte.
    Das zeugt, es tut mir leid, wenn ich das so offen sagen muss, von einem völligen (und übrigens genuin modernistischen) Mißverständnis davon, was eine alteuropäische Stadt ausmacht:
    Die alteuropäische Stadt lebt gerade von und in der Vielfalt der zahllosen scheinbar "unbedeutenden" Altstadthäuser; darin liegt ihr Wesen und ihre Seele: in den schrundigen Fassaden eines mittelalterlichen Bürgerhauses oder dem schiefen Fachwerk eines Handwerkerhäuschens, in der abwechslungsreichen Fassadenabfolge eines engen, gewundenen mittelalterlichen oder barocken Gässchens, in den Abfolgen von Gassen, Höfen und Plätzen etc. mit ihren zahlreichen, immer wieder anderen und doch zusammengehörenden Blickachsen und Bezügen, in den gotischen Dachneigungen der Häuser, die das Emporstreben der der gotischen Kathedralen aufnehmen und vielfältig herunterbrechen.
    Nichts davon hat "traditionelles Bauen" bislang auch nur annäherungsweise irgendwo hinbekommen, vielleicht auch, weil es immer noch viel zu modernistisch gedacht ist. Am Ende wird ja doch immer wieder nur der hunderttausendste fade Aufguß von Neo,-Neo-,Neo-,Neo-Klassizismus produziert. Das ist weder meine Welt, noch mein Anliegen. Meine Welt, das sind die mittelalterlichen Gassen von Genua oder Siena, des alten Nürnberg und des alten Frankfurt, die schiefen Fachwerkhäuser von Tübingen, Straßburg oder vom alten Braunschweig. Nicht dieser fade Neoklassizismus.

    Und noch ein ganz entscheidender Punkt, den auch Oststaatler offensichtlich nicht versteht, wenn er hier sinngemäß schreibt, es komme nicht auf Rekonstruktionen an, sondern nur darum, wieder "schön" bauen zu dürfen:

    Daher sind Rekonstruktionen in Deutschland tatsächlich wichtiger als traditionelle Gebäude. Rekonstruktionen sind aber im Prinzip nicht der einzige Weg. Stellen Sie sich das so vor: Die barocke Pracht der Altstadt von Dresden wurde auf den Grundmauern mittelalterlicher Häuser errichtet. Gleiches gilt für die großen Renaissance-Meisterwerke von Frankfurt oder Bremen. Der größere Kampf ist daher sicherzustellen, dass die zukünftigen Generationen die Mittel haben, um Schönheit um sie herum zu bauen.

    Das ist so unfassbar geschichtslos gedacht. tegula hat in seinem Beitrag auf zeilenabstand.net auf ein Interview mit der Kulturwissenschaftlerin Silke Horstkotte verlinkt, die sehr gut auf den Punkt bringt, was die eigentliche Bedeutung alter Bauwerke ist: Sie sind Verbindungsglieder, Brücken in eine andere Zeit (eine Zeit, die, wie ich denke, deshalb so wichtig ist, weil in ihr dem Geist noch Vorrang vor dem Materiellen und dem Nutzen gegeben wurde):

    "Wir aktualisieren Vergangenheit, indem wir Erinnerungstage begehen oder Kränze niederlegen. Notre-Dame ist ein Ort, an dem all diese Dinge zusammenwirken. Das sehr alte Gebäude, das wurde immer wieder betont. Also die Echtheit dieses Dachstuhls, dass da ein gotischer Wald verbrannt ist. Da kann man ganz unmittelbar eine sehr alte Zeit berühren und einen Kurzschluss aus Gegenwart und Vergangenheit erreichen. Auch die Fenster kann man so sehen: Seit dem Mittelalter ist Licht durch diese Glasfenster gefallen, das macht sie zu einem Medium in die Vergangenheit."
    (https://www.faz.net/aktuell/gesell…6143944-p2.html).

    Das bringt auf den Punkt, worum es mir sowohl beim Denkmalschutz, als auch bei der Rekonstruktion geht: Rekonstruktionen stellen unsere Verbindung zur Vergangenheit wieder her, sie bauen die abgebrochenen Brücken wieder auf: "Seit dem Mittelalter ist Licht durch diese Glasfenster gefallen."

    Genau das ist der Punkt, um den es auch bei Rekonstruktionen geht. Sicherlich, ich kann, wenn ich ein Geländer im rekonstruierten Goethehaus in Frankfurt berühre nicht mehr sagen: "Dieses Geländer hat schon Goethe berührt". Das kann uns auch eine Rekonstruktion nicht wiederbringen.Aber ich kann sagen: "Die Räume, die ich sehe, hat schon Goethe so gesehen." Ich kann in einer rekonstruierten Gasse des alten Frankfurt sagen: "Durch diese Gasse ist schon Goethe gegangen, diesen Raumeindruck, den ich jetzt erlebe, hat auch er erlebt."

    Und ich kann, wenn ich eine Rekonstruktion sehe, sagen: In dem Bauwerk, das ich hier sehe, drückt sich der Geist des Spätmittelalters aus, so wie sich dieser Geist in dem zerstörten Bauwerk ausdrückte, das hier rekonstruiert wurde. Insofern kann die Seele bzw. das Wesen einer Stadt, einer Epoche einer Nation natürlich - anders als Rastrelli spottet - durchaus "Stein werden": indem der Geist einer Epoche, einer Stadt, einer Nation sich in einem Bauwerk verkörpert, in der Materie objektiviert.

    Das alles bringt mir kein noch so schöner "traditioneller Neubau", sondern nur die detailgenaue Rekonstruktion com'era e dov'era. Deshalb finde ich Aussagen wie die "Eigentlich brauchen wir Rekonstruktionen ja nicht. Es kommt nur darauf an, wieder schön zu bauen" so völlig geschichts-, kultur- und identitätsvergessen.

    Ehrlich gesagt, frage ich mich zunehmend, ob ich in diesem Forum und im Verein überhaupt noch richtig am Platz bin. Ich habe diesen Verein einmal gegründet, weil es mir um Rekonstruktionen ging, genau aus den Motiven, die ich gerade noch einmal geschildert habe.
    Je mehr das jetzt in die von Oststaatler und Rastrelli und so vielen anderen hier vertretene Richtung "Traditionelles Bauen ist wichtiger als Rekonstruktionen" geht, umso fremder fühle ich mich hier. Ich überlege gerade ernsthaft, dem Forum den Rücken zu kehren und aus dem Verein nach nun 15 Jahren auszutreten und einen neuen zu gründen, in dem es wirklich um Rekonstruktionen geht und nicht um faden, nichtssagenden Neoklassizismus.