Karlsruhe (Galerie)

  • Könnte der von dem nichtssagenden Investorenmonstrum eingezwängte Altbau am Ettlinger Tor sprechen, würde er sagen „Warum habt ihr mir das angetan?“

    In dubio pro reko

  • Immerhin wurde die Altbau-Fassade nicht weggeräumt, sondern halbwegs erträglich "gefasst".

    Zu St. Stephan: Ein großartiger Kuppelraum. Mir gefällt die karge, aber beeindruckend monumentale Nachkriegsgestaltung (siehe nochmals hier) sogar besser als die Fassung vor der Kriegszerstörung (hier).

  • Auf dieser Postkarte sieht man den Karlsruher Schlossplatz mit Schmuckbeeten, Kübelpflanzen (Orangenbäumchen) und Bassins. Es ist auf der Karte allerdings nur die linke Seite zu sehen. Rechts der breiten Straße, in deren Mitte gegen das Schloss zu, befindet sich das Karl-Friedrich-Denkmal. Davon rechts befindet sich symetrisch nochmals dieselbe Anlage, die jedoch auf der Postkarte nicht mit zu sehen ist. Aber immerhin gewährt uns diese Karte ein Bild und die Vorstellung, wie die gärtnerische Gestaltung des Schlossplatzes um 1900 ausgeführt war::


    Prinz Wilhelm von Baden, war das einzige Mitglied eines deutschen Fürstenhauses, das im Feldzug 1870/71 verletzt und verwundet worden war. Er hatte daraufhin zeitlebens eine für jedermann sichtbare Narbe im Gesicht. Sein Denkmal in Karlsruhe steht noch heute. Prinz Wilhelm war übrigens der Vater des letzten Reichskanzlers der Kaiserzeit, Prinz Max von Baden.


  • Ich hatte es gestern leider nicht mehr geschafft, daher mache ich die Galerie jetzt fertig.

    Westseite des Stephanplatzes mit dem Kammertheater

    Eckbau Herrenstraße/Erbprinzenstraße

    Herrenstraße


    Tolle Gründerzeiteckbauten!

    APH - am Puls der Zeit

  • Und dann erreichen wir den Kaiserplatz mit dem bekannten Motiv von Kaiser-Wilhelm I.

    Damit endet meine Galerie zu Karlsruhe.
    Was bleibt als Fazit? Ich war von Karlsruhe extrem positiv überrascht und habe dies zum Anlass genommen, meine Meinung über Süddeutschland vielleicht doch etwas zu korrigieren, gerade weil Karlsruhe bemerkenswert preußisch daher kam. Man hatte manchmal das Gefühl, man wäre in Leipzig oder Potsdam. Dies mag auch an der sehr unterschiedlichen Kultur liegen, mit der Protestantisms und Katholizismus die Gebiete in Baden-Württemberg geprägt haben (danke für den historischen Exkurs an suebicus :tongue::D ).
    Städtebaulich weißt Karlsruhe ein bemerkenswertes Potential auf. Wer mal bei google-maps schaut, der wird sehen, dass weite Gebiete der Innenstadt noch deutlich besser erhalten sind, als die ganz zentrumsnahen Regionen, die ich hier gezeigt habe. Das Gebiet um den Fasanenplatz, alles südlich der Baumeisterstraße und riesige Areale zwischen Karlstraße und Brauerstraße im Süden scheinen ähnlich erhalten wie in Leipzig.
    Aber auch der Zustand im Zentrum ist mit Ausnahme der östlichen Kaiserstraße sehr gutes westdeutsches Niveau. Überall kann man die historische Tiefe der Stadt erahnen, überall findet man auch heute noch diese zwei- oder dreistöckigen Bauten der frühen Karlsruher Stadtgeschichte. Dazu kommen bemerkenswerte Solitäre der Gründerzeit, die ich zu Beginn meiner Galerie gezeigt habe, genauso wie die fantastische Schlossanlage, die besonders elegant daher kommt. Auch der Marktplatz mit einer gefühlten Mischung aus italienischer Bauform gemixt mit sehr nordeuropäisch wirkenden Elementen macht einen ausgezeichneten Eindruck.
    Für eine westdeutsche Stadt dieser Größe ist Karlsruhe extrem urban, deutlich größer im Zentrum als man erwartet und extrem belebt. Ich glaube, Karlsruhe ist eine sehr lebenswerte Stadt, die leider nicht so im Fokus ist, wie es der Stadt eigentlich zustünde.
    Vielleicht komme ich nochmal in die Gegend und kann mit auch die anderen Teile der Stadt mal anschauen. Ansonsten wie immer vielen Dank fürs Anschauen der Galerie. Mit einer neuen Galerie geht es dann im Januar weiter, für mich geht es jetzt in die Weihnachtsferien. Ich wünsche allen APH-lern schöne Adventstage und einen tollen Jahresausklang. :D:D

    APH - am Puls der Zeit

  • Karlsruhe ist tatsächlich lebens- und liebenswert! Wir waren im Frühjahr für einen Wagner Ring eine Woche in der Stadt und waren überrascht vom baulichen Reichtum und von der Vielfalt. Grosse Flächen der Stadt haben den Krieg und die Nachkriegszeit sehr gut überstanden. (Nur Leipzig, Halle und Wiesbaden, und vielleicht Augsburg, sind wohl unter den Großstädten vergleichbar!) Vollständig erhalten sind beispielsweise die Oststadt und Durlacher Altstadt. Auch die westlichen Vororte scheinen intakt zu sein. Bahnhofstrasse und Bahnhof sind überaus prächtig. Das Kulturhistorische Museum im Schloss und die Gemäldegalerie sind grossartige Museen vom allerhöchsten Niveau, und das Kunstmuseumsgebaeude selbst wohl das schönste erhaltene Museumsgebäude in Deutschland. Wir waren einfach begeistert!

  • Was bleibt als Fazit? Ich war von Karlsruhe extrem positiv überrascht und habe dies zum Anlass genommen, meine Meinung über Süddeutschland vielleicht doch etwas zu korrigieren, gerade weil Karlsruhe bemerkenswert preußisch daher kam. Man hatte manchmal das Gefühl, man wäre in Leipzig oder Potsdam. Dies mag auch an der sehr unterschiedlichen Kultur liegen, mit der Protestantisms und Katholizismus die Gebiete in Baden-Württemberg geprägt haben (danke für den historischen Exkurs an suebicus ).

    Darf ich fragen, aus welcher Region Deutschlands Du kommst? Denn Süddeutschland hat eigentlich viel zu bieten, weshalb ich interessant finde, welche negative Meinung man über Süddeutschland haben könnte. Das ist keine Kritik, sondern einfach ein Interesse, was andernorts assoziativ mit Süddeutschland verbunden wird.

    Auch ein Link zur dem historischen Diskurs von "suebicus" würde mich interessieren. Ich weiß nicht genau, welches Posting damit gemeint ist. Es sei denn, es war eine persönliche Nachricht. Dann natürlich nicht.

  • Auch ein Link zur dem historischen Diskurs von "suebicus" würde mich interessieren. Ich weiß nicht genau, welches Posting damit gemeint ist. Es sei denn, es war eine persönliche Nachricht. Dann natürlich nicht.

    Es war eine private Diskussion mit dem werten Mitglied suebicus, daher kann ich auf keinen Link verweisen. Im Prinzip ging es über die sehr unterschiedliche architektonische Prägung von BaWü, je nachdem, welche Konfession im jeweiligen Landesteil herrscht, was zu deinem nächsten Punkt überleitet

    Zitat von Heimdall

    Darf ich fragen, aus welcher Region Deutschlands Du kommst? Denn Süddeutschland hat eigentlich viel zu bieten, weshalb ich interessant finde, welche negative Meinung man über Süddeutschland haben könnte.

    Ich komme aus dem leidgeprüften Westen der Republik und bin daher Kummer gewöhnt. Ich muss gestehen, dass mich die süddeutsche Architektur geschmacklich nie angesprochen hat. Ich bin, was meine Präfenrenzen angeht, sehr preußisch bzw. sächsisch orientiert. Ich mag die klareren Formen und besonders die Farben des östlichen Raumes einfach deutlich lieber.
    Fälschlicherweise habe ich aber die meiner Meinung nach typisch süddeutsche Stilelemente wie die teils sehr ausgeprägten barocken Formen in Kombination mit sehr schweren, dunklen Farben und rotem Sandstein auf das gesamte Gebiet südlich von Frankfurt übertragen und das war ein Fehler!
    Ich konnte in Bawü sehen, wie sehr sich der architektonische Stil nach den Konfessionen ausrichtet. Während Heidelberg dem entspricht, was ich als typisch süddeutsch bezeichne, ist Karlsruhe hier völlig anders. Sowohl die Formen wie auch die Farbigkeit entsprechen voll und ganz der preußisch-sächsichen Tradition. Sowohl die Gründerzeitbauten als auch das Schloss könnten problemlos in Leipzig oder Berlin stehen, ohne dass es auffallen würde, während Bauten aus Heidelberg oder aus vielen bayrischen Städten, die katholisch geprägt sind, dies nicht können.
    Somit war der Besuch in Karlsruhe für mich persönlich ein Augenöffner, weil für mich das Interesse an deutschen Städten bislang faktisch am Main aufhörte. Ich denke, suebicus könnte hier noch interessante inhaltliche Vertiefungen zum Thema beitragen, weil er sich hier viel besser auskennt.
    Ich kann nur nochmal sagen, dass ich Karlsruhe extrem urban fand und man hier eine Stadt hat, die nicht nur unterschätzt wird, sondern die auch mit relativ geringfügigen Eingriffen in den aktuellen Bestand ihre Attraktvität immens steigern könnte. Ich hoffe, man packt es in der Zukunft an und macht etwas draus!

    APH - am Puls der Zeit

  • Ich finde, Karlsruhe ist ein gutes Beispiel für ein durchwachsenes westdeutsches Stadtbild. Viel Erfreuliches, aber in der Gesamtheit doch einfach zu wenig homogen um wirklich zu befriedigen. Und daran ist nicht nur der Krieg sondern auch die spätere Stadtentwicklung schuld.

    In dubio pro reko

  • @Stuegert

    ich gebe dir da in Teilen recht. Das war auch eine Diskussion vor Ort. Weil in Karlsruhe noch relativ viel erhalten ist, stören die "modernen" Bauten noch mehr. Sehr problematisch ist, dass sich die 70-er Jahre Bauten so konsequent in den Eckbaubereichen tummeln und so vielfach den ganzen Straßenzug entwerten. Und das nicht nur, weil es moderne Bauten sind, sondern weil sie jede Chance auf eine städtebauliche Verträglichkeit mit Absicht ausschlagen!

    Diese Eckstuation ist beispielhaft. An sich sind hier bis auf den Eckbau fast alle Bauten erhalten, trotzdem ist die Wirkung katastrophal, weil hier alles zerstört wird, was geht, sei es durch die Höhenausprägung, das fehlende Dach und die gesamte Architektursprache.
    Trotzdem sollte man dann in die Details schauen und hier ist die Qunatität an Altbauten für eine westdeutsche Großstadt enorm, mit Städten wie Frankfurt, Köln oder Essen nicht mal im Ansatz vergleichbar. Ich war vor einigen Tagen in Neuss (Neußer wird es mir verzeihen, da Neuss hier im Forum eigentlich in den Galerien gut weg kam) aber vor Ort war es extrem ernüchternd.
    Karlsruhe ist dazu gar kein Vergleichsparameter. Man kann es von der Struktur am ehesten mit Bonn vergleichen. Auch Bonn ist extrem gut erhalten, macht aber durch einige wenige zentrale städtebauliche Fehlentscheidungen ein vergleichsweise schlechtes Bild. Was für Bonn der Bereich um den Bertha-von-Suttner-Platz ist, ist in Karlsruhe die Kaiserstraße. Es sind eben aber auch diese Bereiche, die zentral zum Eindruck der Besucher der jeweiligen Städte beitragen. Und hier müsste man ran gehen.
    Rechnet man auch in Karlsruhe diese 3-4 zentralen Straßen mit ihren Missständen raus, ist Karlsruhe weit weit über dem Durchschnitt westdeutscher Städte, zumindest wenn ich es mit NRW vergleiche, weil ich bis auf drei Städte mittlerweile jede größere Stadt in NRW gesehen habe. Und da kommt maximal Bonn an Karlsruhe heran und selbst Aachen hält dem Vergleich nicht stand.

    APH - am Puls der Zeit

  • Karlsruhe wurde erst 1715 von Markgraf Carl Wilhelm von Baden-Durlach gegründet. Es handelt sich dabei um eine Stadtgründung des Barock mit einem ganz besonderen Grundriss. Die Straßen gehen von einem Punkt, dem Schlossturm, fächerförmig aus. Auf der Nordseite des Schlosses befindet sich der Schlosspark, der früher Wildpark genannt wurde. Hier verlaufen die Alleen vom Schlossturm ausgehend ebenfalls fächerförmig im Wald. Man sollte nun denken, dass es in Karlsruhe keine älteren Bauwerke aus der Zeit vor der Stadtgründung gäbe. Das ist aber weit gefehlt. In der Oststadt befindet sich das Schloss Gottesaue oder Gottesau, das vom Straßburger Baumeister Johannes Schoch als Renaissanceschloss mit 5 Türmen auf dem Gelände eines einstigen Benediktinerklosters erbaut wurde. Etwa 40 Jahre nach der Zerstörung im II. Weltkrieg wurde das hübsche Schlösschen wieder errichtet, siehe hierzu die Ausführungen zum Schicksal und der Geschichte dieses Schlosses samt Bildern des Karlsruher Stadtwiki:


    Schloss_Gottesau

    2 Mal editiert, zuletzt von Villa1895 (5. Dezember 2018 um 17:07)

  • Ich glaube, in einem Punkt können wir uns einig werden. Karlsruhe ist eine angenehm unaufgeregte Stadt, das habe ich bei jedem meiner Besuche so empfunden. Eine Stadt die eine freundliche Ausstrahlung hat und gut in den Süden Deutschlands passt.

    In dubio pro reko

  • Und Karlsruhe strahlt, nach meinem Empfinden, in weiten Teilen trotz aller Kriegsverluste und späterer Abrisse, immer noch die Aura und Atmosphäre der alten badischen Residenzstadt aus.

  • Ja, lieber Wissen ...ähhhm... Apollo :D

    Süddeutschland besteht eben nicht nur aus dem schweren, theatralischen Barock, mit dem du es zu assoziieren pflegst (bzw. bisher gepflegt hast :D ). Dieser Stil, sich auszeichnend durch kräftige, dunkle Farben, ausufernden Schmuck und wuchtigen Pathos, ist eher genuin katholisch als genuin süddeutsch. In protestantischen Territorien neigte man auch schon im Barock mehr zum Klassischen, diesem Ideal folgend wurde hier vergleichsweise "schlicht", leicht und hell, eher reduziert-elegant gebaut. Frankreich, als (ursprünglich) erzkatholisches Land einem Barock-Klassizismus frönend, ist hierbei die große Ausnahme. Und dieser protestantische Barock lässt sich eben nicht nur in Skandinavien, Großbritannien oder Norddeutschland finden, sondern natürlich auch in den dieser Konfession zugehörigen Regionen des deutschen Südens. Es wird angesichts der architektonischen Traditionen auch nicht verwundern, dass der Klassizismus in protestantischen Gegenden früher und begeisterter aufgenommen wurde als in katholischen, Ausnahmen wie München, das Isar-Athen, bestätigen die Regel.

    Grundsätzlich haben die Konfessionen auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Mentalitätsbildung ihrer Anhänger gehabt, nicht umsonst ist Württemberg, was den Ethos anbelangt, Preußen eigentlich näher als Bayern.

    So findet man aufgrund der Konfessionsgrenzen im deutschen Südwesten architektonisch höchst unterschiedlich geprägte Regionen vor. In Altwürttemberg hat sich der Barock nie so richtig durchsetzen können, die Kirchen sind (meist) entweder mittelalterlich oder wurden im 19. Jahrhundert errichtet, in den Städten dominiert Fachwerk. Die Barockschlösser neigen eher der vorhin skizzierten protestantischen Ausprägung des Stils zu, Repräsentationsbauten sind gerne klassizistisch. Karlsruhe war Hauptstadt der protestantischen Linie des Hauses Baden, Baden-Durlach, während Baden-Baden der katholischen Konfession angehörte. Die katholischen Regionen Südwestdeutschlands sind stark vom Barock durchdrungen, besonders hervorzuheben sind hierbei die Gebiete der einstigen Kurpfalz um Heidelberg und das einstmals größtenteils habsburgische Oberschwaben.

    Jetzt aber zu Karlsruhe: Genau das, was "Stuegert" und "Apollo" angemerkt haben, ist mein größter Kritikpunkt an der Stadt. In den Innenstädten von Berlin, Hamburg und München hat man die wirklich üblen Nachkriegsklötze im Laufe der letzten Jahre größtenteils durch modernere, (etwas) ansehnlichere Architektur ersetzt. Auch in Stuttgart findet man an der Königsstraße kaum mehr richtig hässliche Gebäude, der Großteil der Bebauung ist zwar mittelmäßig und belanglos, aber wenigstens nicht abstoßend. Nicht so in Karlsruhe: Da ist es keine Seltenheit, dass erhaltene gründerzeitliche Straßenzüge plötzlich von dem übelsten Nachkriegsschrott, den man sich vorstellen kann, unterbrochen werden. Die zentrale Magistrale der Stadt, die Kaiserstraße, zeigt sich in weiten Teilen von Betonklötzen der 60er und 70er Jahre geprägt. Schade, dass sich diese eigentlich doch recht schöne Stadt an zentralen Plätzen derartig disqualifiziert! Jedoch fallen diese Gebäude nach und nach und der Ersatz kann nur besser werden. Alles in allem bietet Karlsruhe für eine deutsche Großstadt doch noch relativ viel erhaltene historische Bausubstanz. Ich habe Karlsruhe bei dem Besuch auch als wahnsinnig urban empfunden, die Straßen waren ziemlich belebt und das gute Wetter sorgte für ein fast schon südländisches Flair.

  • (Nur Leipzig, Halle und Wiesbaden, und vielleicht Augsburg, sind wohl unter den Großstädten vergleichbar!)

    Hmm. Ich denke, es gibt schon noch einige deutsche Großstädte mehr, die Karlsruhe gleichkommen bzw. übertreffen. München, Hamburg, Freiburg, Erfurt, Bonn und Lübeck haben wohl mehr historische Bausubstanz zu bieten als Karlsruhe. Ansonsten Zustimmung! :thumbup: Den Hauptbahnhof (dessen periphere Lage doch recht eigentümlich ist) fand ich auch total beeindruckend, ein solches Gebäude sieht man auch nicht aller Tage!

  • Ich hatte ganz versäumt, suebicus für seine Ausführungen zu danken. Mir war diese starke kulturelle Prägung, die letztlich auf die Religionszugehörigkeit zurück geht, bisher so nicht bewusst, auch wenn ich es besser hätte wissen müssen.
    Auch wenn es architektonisch nicht so ausgeprägt ist, umso krasser fällt dieser Unterschied aus, wenn man sich näher mit dem Rheinland beschäftigt. Die kulturelle Prägung durch das katholische Köln zieht sich bis in den Westerwald hinein, während das Siegerland in besonderer Weise eine fast antikölsche Kultur ausgebildet hat. Dies zeigt sich durchaus auch architetonsich, ist aber heute nicht mehr so leicht erfahrbar, weil Siegen beispielsweise sehr stark an historischer Bausubstanz eingebüßt hat, ist aber bis heute in massiven kulturellen Unterschieden der Kölner und der Wittgensteiner Seite zu erkennen, die größer nicht sein könnten.
    Daher ist das Beispiel Baden-Württemberg so interessant, weil wir hier nicht nur kuturelle Spuren, sondern auch architektonische Eigenarten finden, die diese Unetrscheide beispielhaft demonstrieren. Ich denke, Karlsruhe und Heidelberg könnten nicht unterschiedlicher sein und das obwohl die Städte recht nah beieinander liegen. In einer Zeit, in der die christliche Religon beinahe marginalisiert ist, vergessen wir manchmal, welch enorme Bedeutung die Konfessionszugehörigkeit bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein hatte.

    APH - am Puls der Zeit

  • Vielen Dank, lieber Apollo, für die Erstellung der Gallerie. Deine Ausführungen zum konfessionellen Gegensatz sind meiner Meinung nach aber immer noch zu sehr schwarz-weiß. Insbesondere der Vergleich von Heidelberg und Karlsruhe hinkt insofern, als Heidelberg im Barock wiederaufgebaut wurde (nach der Zerstörung durch die Franzosen 1689) und Karlsruhe seine entscheidende Entwicklung erst in der Zeit des Klassizismus nach 1800 nahm. Als Vergleich der beiden Konfessionen passen die beiden Städte erst recht nicht, da die Kurpfalz ja ebenfalls protestantisch war!

    Es mag sein, daß die protestantischen Fürsten einen „leichteren“ Barock bevorzugten, wie Suebicus schrieb. Beispiele in Baden-Württemberg wären die Residenzen in Karlsruhe und Ludwigsburg. Wenn roter Sandstein ein Merkmal des „schweren süddeutschen“ Barocks sein soll, wäre das Mannheimer Schloß (Kurpfalz, protestantisch) aber wieder ein Gegenbeispiel. Ebenso die Kleine Kirche in Karlsruhe.

    Es mag auch sein, daß die protestantische Konfession Karl-Friedrichs von Baden ein Grund dafür war, daß er ab etwa 1800 dem Klassizismus den Vorzug gab, wie Suebicus weiterhin andeutete (wobei das bedeutendste Frühwerk in Baden die katholische Klosterkirche in St. Blasien von 1768 ist). Wie der Stil in der katholischen Linie Baden-Baden aufgenommen worden wäre, läßt sich aber nicht sagen, denn diese ist – Villa1895 schrieb es bereits – 1771 ausgestorben. Kurz nachdem sich der Klassizismus Friedrich Weinbrenners in Karlsruhe durchgesetzt hatte, wurde aber das gesamte Land von Mannheim bis Konstanz der Markgrafschaft Baden (nun Großherzogtum) zugeschlagen, darunter protestantische wie katholische Gebiete. Auch in letzteren war der Klassizismus nun führend. Zahlreiche Kirchen beider Konfessionen wurden im Weinbrennerstil gebaut, die Stadterweiterungen dieser Zeit waren überall klassizistisch und die zweite Hauptstadt des Weinbrenner-Klassizismus ist die ehemalige (katholische) Residenzstadt Baden-Baden (vielleicht würde sie Dir auch gut gefallen, Apollo). Folgerichtig spricht man auch nicht vom Baden-Durlacher oder gar protestantischen Klassizismus, sondern vom „Badischen Klassizismus“. Übrigens hielt sich Friedrich Weinbrenner zwar tatsächlich ein Jahr lang in Berlin auf, entscheidend waren aber seine Studienjahre in Rom, das bekanntlich noch weiter südlich als Süddeutschland liegt. :wink: Die Antike war ihm dort freilich weit wichtiger, als der römische Barock, das gebe ich ja zu.

    Wenn wir die Betrachtung noch auf den Rest Süddeutschlands erweitern, verwischt sich das Schwarz-Weiß-Bild noch mehr. Denn Altbayern, dessen Hauptstadt München unter Ludwig I. durch Leo von Klenze klassizistisch erweitert wurde, war katholisch. Und auch das hat Suebicus ja schon angedeutet: Die klassizistische Strömung des Barock, die sich auf Alberti und Palladio berief, war nicht nur in Nordeuropa, sondern auch im katholischen Frankreich und sogar in Österreich beheimatet. Anders als Suebicus würde ich sie daher nicht „protestantischer Barock“, sondern eben „klassizistischer Barock“ nennen.

    Wie man sieht, die Architekturgeschichte ist vielschichtig und es gibt viel zu entdecken – auch in Süddeutschland.