Der Klang unserer Dörfer und Städte - Glocken

  • Andere funktionstüchtige Musikinstrumente aus der Zeit sind leider nicht überliefert... Die ältesten bespielbaren Orgeln z. B. stammen allesamt aus der Zeit um 1450, weisen aber auch größtenteils, aufgrund diverser Umbauarbeiten, keinen authentischen Klang mehr auf. Also kann man doch recht froh sein, dass uns wenigstens so alte Glocken im Urzustand erhalten geblieben sind. :)

    Kultur ist der Sieg der Überzeugung über die Gewalt. - Platon

  • Zu Ende des Jahres 2017 bzw. Anfang 2018 wurde an der großen, 5400kg schweren Christus-Salvator-Glocke im Nordturm des Villinger Münsters Unserer Lieben Frau (Baden-Württemberg) ein feiner Riss festgestellt und konnte daher bis März 2021 nicht mehr erklingen. Im August 2020 wurde die Glocke vom Turm genommen und bei der Glockengießerei Eijsbouts in Asten (Niederlande) geschweißt. Die ebenfalls im Nordturm befindliche, zweitgrößte Jakobusglocke wurde im Zuge dessen auch abgenommen, da der Glockenstuhl ertüchtigt werden sollte. Beide großen Glocken erhielten dabei wohl auch neue Armaturen, wodurch sich der Klangeindruck dieser beiden Glocken eventuell verändert hat. Daher sollen hier eine Aufnahme des Geläutes im noch originalen Zustand vorgestellt werden und anschließend das Geläut im jetzigen Zustand. Im ersten Video ist zu Beginn zudem solistisch die ehemalige Sturmglocke (Alphabetglocke) aus dem 14. Jahrhundert aus der Turmlaterne des Südturm zu hören, die heute ausschließlich bei Taufen geläutet wird:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Geschichtliche Eckdaten zum Villinger Münster und seinen Glocken:

    Der Villinger Münsterbau geht in die Zeit des 12. Jahrhunderts zurück. Romanisch begonnen, wurde das Münster nach starken Beschädigungen beim einzigen großen Stadtbrand 1271 infolge im gotischen Stil fertig gestellt. Die beiden gotischen Türme (Nord- und Südturm) wurden im 15. und 16. Jahrhundert errichtet. Sie erinnern formal und durch ihre Anordnung nicht zufällig an die Hahnentürme des Freiburger Münsters. Der Innenraum zeigt heute gotische und barocke Stilelemente. Jüngere Ergänzungen erfolgten im Rahmen der Restaurierung zu Beginn der 1980er Jahren.

    Vom siebenstimmigen Vorkriegsgeläut der Villinger Glockengießerei Grüninger aus dem Jahre 1909 blieb in Villingen nur eine kleine Glocke erhalten, welche inzwischen Teil des separaten Glockenspiels ist. Alle anderen Glocken des Hauptgeläutes wurden vernichtet.

    1954 erhielt das Münster von der Glockengießerei Schilling aus Heidelberg sein neues Geläut aus acht Glocken, ergänzt um eine Glocke im Jahre 1985 von der Karlsruher Glockengießerei Metz. An hohen kirchlichen Feiertagen erklingt das Monumentalgeläut aus neun Glocken besteht. Dieses ist auf auf Nord- und Südturm verteilt. Die beiden größeren Glocken, darunter die bereits genannte und geschweißte Christus-Salvator-Glocke sowie die Jakobusglocke, hängen im Nordturm. Die sieben kleineren Glocken im Südturm zusammen mit der kleinen historische Sturmglocke der Turmlaterne, die jedoch nicht zum Hauptgeläut gehört.

    In Erinnerung an die Tradition der Villinger Glockengießerei Grüninger/ Reble, wurde im Südturm 2006 zusätzlich noch ein Glockenspiel aus 46 neuen Glocken von der Glockengießerei Perner in Passau angeschafft, ergänzt mit genannter Grüningerglocke des Vorkriegsgeläutes von 1909 sowie vier Glocken des Hauptgeläutes, wodurch das Glockenspiel mit bis zu 51 Glocken erklingen kann.

    Der Eindruck des Villinger Münstergeläutes auf dem umgebenden Münsterplatz wird in der Fachwelt als sehr mächtig und feierlich sowie auf Grund der sehr guten Schallabstrahlung von beiden Türmen im allgemeinen als sehr ausgeglichen beschrieben.

    Möge sich jede/r selbst einen Eindruck davon verschaffen - hier das Hauptgeläut des Münsters, seit März 2021 wieder in seiner Gesamtheit. Den Abschluss bildet das Villinger Glockenspiel im Südturm:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Neben dem Klang der Glocken gibt es aber noch andere ländliche Geräusche, nämlich die Lautäußerungen von Nutztieren. Einige Gemeinden haben nach Ortszusammenlegungen und damit verbundenen Neueinstufungen deshalb solche Tierhaltungen per Gesetz verboten.

  • Besonders gefreut habe ich mich, als ich vor kurzem die Nachricht vernahm, dass der letzte Glockengießer Bayerns seine Arbeit wieder aufgenommen hat (Fa. Perner in Passau, für mich einer der besten Glockengießer), nachdem es vor einigen Jahren noch so ausgesehen hat, als ob er (auch nach eigenem bekunden) den Glockenguß für immer einstellen wollte

    Ein neues Video zur Firma und ihrem Arbeitsprozess:

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Die Glocke im Video ist für die Gemeinde Baierbach, gezeigt werden nur Ausschnitte, die ganze Doku aus dem Jahr 2020 ist aber unter dem Video verlinkt.

  • [...] Vielleicht gibt es jemanden hier, der genauere Infos über die weitere Zukunft der Peterskirchglocken oder auch zu einer optionalen weiteren Ergänzung besitzt. [...]

    Dazu gab es in den Jahren zuvor diverse Berichte von Radio Lausitz, siehe Vollständiges Geläut für Görlitzer Peterskirche und Bald schlagen drei der vier Glocken der Görlitzer Peterskirche in denen sich der aktuelle Pfarrer der Evangelischen Innenstadtgemeinde Görlitz, Dr. Matthias Paul, selbst dazu äußert.

    So war der Stand zumindest bis Mitte 2022.

    Zu dieser Zeit wurde klar, das sich die Gemeinde den Guss neuer Glocken aktuell finanziell und personell nicht leisten kann, da sich dringende Maßnahmen in Millionenhöhe an der Dreifaltigkeitskirche aufgetan haben (zur Info: die Ev. Innenstadtgemeinde Görlitz ist nicht nur für St. Peter und Paul verantwortlich, sondern auch für die Dreifaltigkeitskirche, die Frauenkirche und die Lutherkirche). Siehe Rettung der Görlitzer Dreifaltigkeitskirche rückt näher. Und erst vor kurzem gab es eine neue, unerfreuliche Botschaft dazu: Görlitzer Dreifaltigkeitskirche - Kostenschock und Giftalarm noch ehe Sanierung begonnen hat (leider hinter Bezahlschranke).

    Die kulturhistorisch wichtigste Kirche von Görlitz soll einmal ein Zentrum für das Unesco-Welterbe werden. Doch zunächst muss die Kirchgemeinde sich um einen grünen Farbanstrich kümmern - denn der enthält Arsen.

    Kaum rückt die Sanierung der Dreifaltigkeitskirche am Görlitzer Obermarkt in realistische Nähe, wird etwas entdeckt, das bisher noch keinem bewusst war und die Sanierung teurer macht: Schweinfurter Grün. [...]

    Siehe dazu Wiki: Schweinfurter Grün

    Das Projekt "neues, vollständiges Geläut für die Peterskirche" liegt somit seitens der Gemeinde auf Eis, nach Einschätzung von Pfarrer Paul voraussichtlich für die kommenden 10 Jahre.

    Auf Youtube gibt es aber noch diesen (kaum beachteten) Bericht der "Lausitzwelle", in welchem über die Wiederinbetriebnahme der Betglocke berichtet wird, jedoch auch über das Vorhaben für den Neuguss der Großen Glocke.

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Angesichts der Tatsache, dass die Verstümmelung des Geläuts der Peterskirche von ehemals 6 Bronzeglocken bereits mehr als 100 Jahre zurückliegt, ist das natürlich erst einmal ernüchternd. Aber vielleicht gibt es im Jahr 2024 neuen Schwung in dieser Sache. :wink:

    Hier noch ein Kurzvideo der läutenden Betglocke.

    Betglocke in der Görlitzer Peterskirche
    30 Jahre lang stand sie still, nun kann sie dank der Sanierung durch unsere Schwestergesellschaft Heidelmann und Klingebiel wieder läuten: die über fünf Tonn...
    www.youtube.com

    Sie sieht hier und auf Bildern immer kleiner aus als sie eigentlich ist. Ihr Glockenstuhl nimmt, abgesehen von der Treppe in die obere Nordturm-Glockenstube, die gesamte untere Nordturm-Glockenstube ein. Als ich letztens mal in den Türmen war, habe ich vor lauter staunen ganz vergessen Bilder von ihr zu machen... daher hab ich nur Bilder aus der mittleren Glockenstube. Aber ich komme wahrscheinlich noch das ein oder andere mal da hoch. floet:)

    Mittelbau-Glockenstube heute - die eiserne Paulusglocke (links/ e1) und Petrusglocke (rechts/ cis1) gegossen 1956 von Schilling & Lattermann. Seit 2017/18 kann letztere nicht mehr geläutet werden, da eine Schweißnaht an der Kröpfung des Jochs gerissen ist. Eine Reparatur ist derzeit nicht geplant.

    IMG_20230730_141518.jpg

    Und die Tuchmacherglocke (fis1) darüber, gegossen 1737 von Benjamin Körner.

    IMG_20230730_141524.jpg

    Große Glocke (Vorderseite) - aufgenommen zwischen 1889 und 1917. Gegossen 1696 von Joachim Hannibal Brors, mit einem Gewicht von rund 10,8t, einem Durchmesser von 2,4m und dem Schlagton d0/dis0, die damals viertgrößte und bis zum Guss der Kölner Kaiserglocke tontiefste Glocke Deutschlands. 1917 für Rüstungszwecke eingeschmolzen.

    2F0154DC-99D7-44EC-B279-7911D66FAB2C.jpg

    Quelle: mitteldeutschearchive.de/ Ratsarchiv Görlitz

    Große Glocke (Rückseite) - durch die Öffnung im Hintergrund sieht man die Betglocke im Nordturm.

    2ED511AF-91F2-4A63-8403-0DBCA307D403.jpg

    Quelle: mitteldeutschearchive.de/ Ratsarchiv Görlitz

    Gipsabdruck Große Glocke

    IMG_4499_ANo.jpg

    IMG_4505_ANo.jpg

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Ganz herzlichen Dank! Das ist natürlich das beste, was man sich zu den Görlitzer Peterskirchglocken an Infos nur wünschen kann.

    Die wirtschaftlichen Zeitumstände, die um 1696 nach dem Brand zum Neuguß der Großen Glocke / Susanna (evtl. auch hier eine Verballhornung bzw. Mißverständnis von Hosanna) führten, scheinen wohl ganz gut gewesen sein. Die Große Glocke wurde in ihrem Schlagton von keiner anderen Glocke in Deutschland übertroffen, wenngleich die Gloriosa schwerer war. Erst der Guß der Kölner Kaiserglocke (im 3. Anlauf) stieß Görlitz in dieser Hinsicht vom Thron.

    Natürlich wäre ein Neuguß der Großen Glocke von Görlitz so etwas wie eine historische Wiedergutmachung. Daß man aber mit der Schlesierglocke / Betglocke eine weitere Großglocke besitzt, mag mit Beispielen anderer Kirchen und Großglocken exemplarisch verglichen werden: Hamburg hat mit der Soli-Deo-Gloria in St. Katharinen eine in f°, Lübeck hatte vor März 1942 im Dom die Strahlborn´sche Puls in f° (und damit die tontiefste Glocke, die je an der deutschen Ostseeküste erklungen ist) und in der Marienkirche die Benninck´sche Puls in fis° hängen, Leipzig St. Nikolai hat jüngst mit der Gloriosa erst wieder die tontiefste Glocke der Stadt in g° zurückerhalten, womit auch da erst die Reinhardt´sche Gloriosa in a° von St. Thomas übertroffen wurde. Magdeburg hat mit der Maxima in e° die zweitgrößte Barockglocke des Landes als Bestandteil eines Geläutetorsos hängen. Und obwohl das Magdeburger Domgeläute nun mit dem Neuguß von sechs Glocken schon weitgehend vervollständigt ist, ist der zukünftige Guß der Credamus, auch im Schlagton d° (siehe Peterskirche Görlitz), schon sehr singulär. Sie wird die zweittiefste Glocke Deutschlands sein. Nimmt man das Leipziger g° von St. Nikolai und das Dresdner e° der Dresdner Kreuzkirche und das g° in der Hofkirche zum Vergleich, wäre man in Görlitz mit dem fis° eigentlich schon ganz gut versorgt.

    Eine Komplettierung wird in Görlitz sicherlich erst einmal in der eingestrichenen Tonlage erfolgen, wobei man den Fortbestand der Eisenhartgußglocken der Peterskirche langfristig sicher in Frage ziehen wird und auch ihr Schlagton nicht der Weisheit letzter Schluß sein muß. Ausgangspunkt wird hier wohl das fis1 der Tuchmacherglocke sein, die mit dem fis° der Schlesierglocke eine ideale Ausgangssituation schafft. Dazwischen, sowohl in den Schlagtönen, als auch in den Turmgeschossen, geht da natürlich noch was. Ob man den Neuguß der Großen Glocke wirklich weiterverfolgen und dann auch durchziehen will, wird sich erst in fernerer Zukunft zeigen. Theoretisch vorstellbar wäre es aber auch, daß die Schlesierglocke die tontiefste Glocke bleibt und man zwischen den Schlagtönen der beiden nachfolgenden Glocken noch eine Lücke schließen wird. Vorstellbar wäre, ausgehend von fis°, einen Durakkord zu füllen, also ein Neuguß einer b° und einer cis°, was wiederum gut zur Tuchmacherglocke passen würde. Da auch andere Görlitzer Kirchen berechtigterweise noch Ansprüche besitzen, ist aktuell schon das Projekt der Schlesierglocke ein wichtiger Schritt und Meilenstein. Görlitz hat das Glück, jetzt mit der Schlesierglocke seine Stimme wiederbekommen zu haben; und Glockenprojekte sind immer eine langfristige Angelegenheit.

  • Berlin Rathaus Schöneberg, Glockengeläut und Freiheitsschwur. Aktuell in unserer Zeit.

    Externer Inhalt youtu.be
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • [...] Nimmt man das Leipziger g° von St. Nikolai und das Dresdner e° der Dresdner Kreuzkirche und das g° in der Hofkirche zum Vergleich, wäre man in Görlitz mit dem fis° eigentlich schon ganz gut versorgt. [...]

    Das stimmt natürlich und unter normalen Umständen wäre das eine reine Luxusentscheidung. Aber nun steht dieses Gipsmodell im Maßstab 1:1 da schon seit 106 Jahren und mahnt. Und da sich die Gemeinde in Form des Pfarrers bereits für den Neuguss der Großen Glocke ausgesprochen hat (und Kostenaufstellungen durchführen ließ), ist es meiner Meinung nach nun an der Stadtgesellschaft sie zu unterstützen. Die Wiederinbetriebnahme der Betglocke sollte der Anfang dafür sein.

    [...] wobei man den Fortbestand der Eisenhartgußglocken der Peterskirche langfristig sicher in Frage ziehen wird [...]

    Nach aktuellem Stand stehen diese bereits jetzt in Frage, weshalb die Reparatur des Jochs der Petrusglocke nicht geplant ist. Grund dafür ist unter anderem der Neuguss der Großen Glocke, welche sich bis 1917 im Mittelbau befand, wo heute die beiden Eisenhartgussglocken (und die Tuchmacherglocke) sind und diese entsprechend für ihre Rückkehr sowieso herausgenommen werden müssten.

    Da fallen mir noch zwei Fragen ein: zum einen, woher hast du denn den Namen "Schlesierglocke" für die Betglocke? Wikipedia?

    Und zum anderen, wenn wir schon bei Gedankenspielen für eine Erweiterung sind und du anscheinend bei dem Thema auch mehr Ahnung hast als ich: was hältst du von der Disposition d0 fis0 h0 (cis1*) dis1 fis1 gis1 h1? (* nicht zwingend notwendig).

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Der Name Schlesierglocke und der Name Brorse (nicht: Brors) wurde 2010 auf einem Info- / Datenblatt oben in der Glockenstube genannt und es war auch der Name, der bei Wikipedia angegeben wurde. Mit dem Namen Betglocke werde ich nun erstmals nach der Sanierung und Wiederindienststellung konfrontiert. Mein Latein ist nicht so gut, als daß ich beantworten könnte, was auf den beiden Großen Glocken mit "Brorsii" gemeint war/ ist.

    Die Namensangaben in Görlitz sind etwas verwirrend. Bei der nicht mehr vorhandenen großen Glocken wird von Susanna und/ oder Marie gesprochen, bei der fis° von Schlesierglocke bzw. Betglocke, bei dem Gießer Brors oder Brorse.

    Die beiden großen Glocken wurden vor dem Umbau der beiden Türme in die Glockenstuben gezogen bzw. es wäre zu prüfen, ob die Umbaumaßnahmen um die beiden großen Glocken herum erfolgten. Bei einem Neuguß wird man sich auf jeden Fall mit der Frage beschäftigen, wie man die Große Glocke bei einem Durchmesser von etwa 2,5 m. in den Turm bekommt. Selbst beim Ausbau der Gloriosa vor 20 Jahren mußte ein massives Fenstergewände erweitert werden, da es anders nicht gegangen wäre.

    Ein Neuguß kostet Geld. Nimmt man das Magdeburger Beispiel zum Vergleich (wegen dem gleichen Schlagton), wird man dort mit erheblichen Kostensteigerungen wegen der Rohstoffpreise konfrontiert; und falls es nächstes Jahr wirklich zu einem Neuguß der Credamus kommt, ist nicht gesagt, was der Spaß bis dahin kostet.

    Bei einem Neuguß der Großen Glocke in Görlitz wird man auf jeden Fall den damaligen Schlagton noch einmal nachprüfen müssen, ob es denn ein d° oder ein dis° war. Das 1:1-Modell kann da sehr weiterhelfen. Eine neue d° zzgl. Baumaßnahmen, Statik, Logistik, Glockenstuhl in 10 Jahren? Circa im Bereich zwischen 600.000 - 750.000 € (oder doch noch mehr).

    Natürlich führt solch ein 1:1-Modell sehr anschaulich den Verlust hervor. Die Entscheidung wird schlußendlich von den Görlitzern selbst zu treffen sein. Es sei halt nur daran erinnert, daß Glocken in solchen Größenverhältnissen keine Selbstverständlichkeit sind. Der Salvator im Salzburger Dom mit seinem dis° ist bei etwa 14.256 kg. nach der Pummerin die zweitgrößte Glocke Österreichs. In Deutschland gibt es einerseits die Kölner Petersglocke in einem c°, aber cis°, d°, dis° sind als Schlagtöne aktuell gar nicht vorhanden. Wenn man sich Magdeburg vor Augen hält, wo es mit einer e° (und dann auch noch mit dem Namen Maxima (!) ) bereits ein adäquates Vergleichsbeispiel gibt, fragt man sich dort schon, ob das wirklich sein muß.

    Geläutedispositionen brauchen viel Zeit. Hatte die große Glocke wirklich den Ton d°, bietet sich ein Dur-Dreiklang an in d° - fis° - a°, sowie eine Erweiterung zum Salve-Regina-Motiv, also noch eine h°; evtl. zzgl. cis1 - dis1 - e1- fis1 (Tuchmacherglcke) - gis1. Möglichkeiten in der Zwischenlage gibt es viele, solange man die Tuchmacherglocke mit einbindet. Man wird, nach den nunmehr über 70 Jahren voller Fehler in der Lübecker Marienkirche, halt eben die Einhaltung musikalischer Gesetzmäßigkeiten in Görlitz wohl besser und genauer beachten als in Lübeck. Entschließt man sich dazu, die Große Glocke wegen der absurd hohen Summe nicht mehr nachzugießen, sondern es bei der Betglocke als größte Glocke zu belassen, ginge z.B. auch fis° - b° - cis1 - dis1 - f1 - fis1 (Tuchmacherglocke) - gis1 - b1 - (zzgl. evtl. plus noch cis2). Dann hätte man als audivisuelles Vergleichsbeispiel quasi Leipzig St. Nikolai, einen Halbton tiefer (wenn cis 2 außen vor bleibt) (und wenn man Raum und Statik ausreichend geprüft hat). Ein oder zwei Halbtöne müssen da auf jeden Fall mit rein. Eine Alternative könnte sein: fis° - b° - h° - cis1 - dis1 - fis1 (Tuchmacherglocke) - gis1 - b1 - h1 - cis 2 - dis2 - fis2.

    Mensch, Görlitzer, ihr habt mit der Betglocke die viertgrößte Barockglocke Deutschlands und eine der klangschönsten Großglocken der ganzen Republik in dieser Tonlage. Die Weinhold´sche g° der Dresdner Hofkirche kommt klanglich auch nicht im allerentferntesten an die Görlitzer Betglocke heran. (Vermutlich gab es in Dresden 1945 doch auch Zinnausschwitzungen) Leipzig kommt mit einem g° als tiefste Glocke zurecht, Dresden mit e° und g°. Die zweitgrößte Glocke Österreichs ist ein dis°. Frankreich hat wahrscheinlich ein d° nur einmal in Sens, die Heiliggeistglocke / Totenglock/ Grand Bourdon des Straßburger Münsters, für mich die schönste Glocke der Welt, kommt in einer Stadt wie Straßburg mit einem gis° zurecht und ist dabei immer noch das schönste was man je gehört hat. Dies als kleine Anregung. Man wäre mit der Betglocke und ihrem fis° wirklich ausreichend versorgt.

    Das kleinere Gipsmodell im Inneren der Kirche müßte wohl die Körner´sche Vesperglocke sein. Entweder war das eine reine Schlagglocke oder sie hat irgendwann ihre Krone verloren.

    Disposition d0 fis0 h0 (cis1*) dis1 fis1 gis1 h1? (* nicht zwingend notwendig).

    Man müßte jemanden finden, der das unter Verwendung von Aufnahmen der Betglocke und der Tuchmacherglocke simulieren würde. h° - cis1 - dis1 - fis1 - gis1 - h1 ginge wohl. Die vier kleineren wären ein Idealquartett. Aber d° würde sich mit dem dis1 doch sehr beißen.

  • [...] wurde 2010 auf einem Infoblatt oben in der Glockenstube genannt [...]

    Interessant, das merk ich mir mal, vielleicht findet sich da noch was. Da aber die Infotafel neben den Gipsmodellen im Kirchenschiff schon fehlerhaft ist, gibt das erstmal keinen Aufschluss woher das kommt. Laut Pfarrer Paul gibt es in den Unterlagen der Kirche keinen Hinweis auf eine Bezeichnung der Betglocke als "Schlesierglocke", es ist wohl eine reine Erfindung. Der Name "Brorsii/ Brors" (manchmal auch Brosse) soll latinisiert für "Brosch" sein, aber da ich kaum Lateinkenntnisse besitze kann "Brorse" auch richtig sei. Diese Schreibweise wurde aber meistens nur in Quellen verwendet die sich als unvollständig bis fehlerhaft rausstellten (b.z.w. Quellen die von solchen abschrieben).

    [...] Bei einem Neuguß wird man sich auf jeden Fall mit der Frage beschäftigen, wie man die Große Glocke bei einem Durchmesser von etwa 2,5 m. in den Turm bekommt. Selbst beim Ausbau der Gloriosa vor 20 Jahren mußte ein massives Fenstergewände erweitert werden, da es anders nicht gegangen wäre. [...]

    Mal abgesehen davon, dass dies wirklich noch in weiter Ferne ist, glaube ich nicht, dass das ein großes Problem wird. Ich kann mir gut vorstellen das man nur die Streben zwischen den drei Schallklappenöffnungen im Mittelbau entfernen muss um eine ausreichend große Öffnung für den Brummer zu schaffen.

    Deine Vergleiche sind natürlich nachvollziehbar und die Frage nach dem Bedarf ist auch gerechtfertigt, aber ich finde bei sowas stellt sich eher die Frage: "Was will man?". Denn Glocken an sich, egal welcher Größe, sind ja in der heutigen Zeit nichts was man braucht. Angesichts der Historie und Bedeutung der Peterskirche kommt man aber an der Großen Glocke von Brors nicht vorbei. Und wenn man Vergleiche machen möchte braucht man auch nicht weit vom Görlitzer Standpunkt aus gehen, denn direkt unterhalb der Glockenstube hängt mit der Sonnenorgel eine Großorgel die man sich für 3-4 Millionen Euro 'gegönnt' hat. Ich sehe das Problem eher in der Frage, wer sich darum kümmert, denn begeistern kann man dafür bestimmt viele Leute (wie das Magdeburger Projekt zeigt), nur machen kann oder will es keiner.

    Stichwort Magdeburg...

    [...] Wenn man sich Magdeburg vor Augen hält, wo es mit einer e° (und dann auch noch mit dem Namen Maxima (!) )[...]

    Die e0-Glocke in Magdeburg ist doch die Osanna ("Susanne"), die Maxima stürzte im 16.Jahrhundert ab und riss fast alle Zwischendecken mit sich, weshalb der Südturm des Doms bis heute innen hohl und daher nicht begehbar ist.

    [...] Das kleinere Gipsmodell im Inneren der Kirche müßte wohl die Körner´sche Vesperglocke sein. Entweder war das eine reine Schlagglocke oder sie hat irgendwann ihre Krone verloren. [...]

    Korrekt, auch Primariatglocke genannt. Sie wurde definitiv geläutet und die Tuchmacherglocke hat auch eine solche "Krone", keine Ahnung wie sie aber damit am Joch befestigt werden. Ist vielleicht eine Art die im Barock aufgekommen ist, zumindest habe ich schon einige Glocken mit so einer Aufhängung gesehen.

    Man müßte jemanden finden, der das unter Verwendung von Aufnahmen der Betglocke und der Tuchmacherglocke simulieren würde.

    Oder man macht es, so wie ich, einfach selbst. :computer:

    Bonusbild mit Blick auf die fünf Glockenstuben.

    IMG_4285_ANo.jpg

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Die e0-Glocke in Magdeburg ist doch die Osanna ("Susanne"), die Maxima stürzte im 16.Jahrhundert ab und riss fast alle Zwischendecken mit sich, weshalb der Südturm des Doms bis heute innen hohl und daher nicht begehbar ist.

    Merkwürdig, wie sich doch manchmal Angaben verselbstständigen. Kurt Kramer nannte sie 1997 noch "Maxima" (CD: Eine Reise durch Glockeneuropa):

    "Der Dom in Magdeburg besitzt ein Geläute mit Glocken aus verschiedenen Jahrhunderten. Die Maxima, von Johann Jakobi gegossen, hat für eine Barockglocke eine beachtliche Klangfülle. Tonfolge (nominal): e° - b° - h°"

  • Ich vermute mal das auch hier eine Verwechslung wegen der Bezeichnung stattfand, da "Maxima" ja auch kein Name als solcher ist, sondern die lateinische Version von "Große Glocke" beziehungsweise "die Größte (Glocke)" ist - was ja auch auf die Osanna zutrifft. So wie ich es verstanden habe diente die Osanna als Ersatz für die Maxima, welche zum Zeitpunkt des Gusses der Osanna bereits gesprungen war und für Kanonen eingeschmolzen werden sollte. Es würde mich also nicht wundern wenn die Inschrift der Osanna, deren Inhalt eindeutig auf ihre Funktion als Große Glocke/ Festtagsglocke hinweist, ebenfalls das Wort "maxima" enthält und so die Verwechslung verursachte. Die Große Glocke der Peterskirche zum Beispiel hat einen solchen Verweis in ihrer Inschrift:

    D O.M.S CAMPANA. HÆC. ÆDIS HVIVS PETRO=PAULINÆ MAXIMA. ANNO M.D.XVI. [...]

    Einen ähnlichen Fall, wo Infos bezüglich der Namen durcheinander geraten sind, gibt es bei der Peterskirche auch. Siehe deine Verwirrung bezüglich der Susanna, der Maria und der Großen Glocke.

    Gibt es hier eigentlich jemanden der die lateinische Inschrift entziffern könnte? Es würde mich schon interessieren was da konkret steht, aber ich finde nicht für alle Texte eine Übersetzung und Google Übersetzer ist hier nicht wirklich mein Freund...

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • "Susanna" ist nichts anderes als das Problem des ostdeutschen Fehlinterpretierens von Hosanna. Die Susanna ist also in Wirklichkeit eine Hosanna. Es besteht andererseits noch die Möglichkeit, daß Brors(e) bei dem Guß auf das "Patrozinium" der Vorgängerglocke zurückgriff bzw. zurückzugreifen hatte und die Große Glocke wegen der Erinnerung an die Vorgängerin doppeldeutig-veraltet als "Susanna" (= Hosanna) bezeichnet wurde, als auch Große Glocke, wobei sie als neugegossene Glocke in erster Linie die neue, große Peter- und Paulsglocke war.

    Die beiden Reliefs auf dem Gipsmodell zeigen eindeutig Peter und Paul und daher dürfte die "Große Glocke" in ihrer Entstehungszeit hauptsächlich als Peter- und Paulsglocke geläufig gewesen sein.

    "MVIVS" wäre zu prüfen. Könnte das vielleicht ein "Aedis huius" sein? Es fehlt vermutlich weiterer Text.

    Deo optimo maximo = Gott, dem besten und größten,

    Campana haec = diese Glocke

    Aedis huius = seinem Hause

    Petro = Paulinae maxima = der großen Peter und Paul

    Anno M.D.XVI = Im Jahr 1516 (unter Vorbehalt).

  • Stimmt, hab ich korrigiert und gleich den Text so angepasst, dass er dargestellt ist wie er auch auf der Glocke steht. Willst du dich daran versuchen? Dann würd ich die komplette Inschrift hier mal reinschreiben. Vielleicht sogar die der Betglocke, wenn ich sie (in vollständiger Form) finde.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • [...] Es besteht andererseits noch die Möglichkeit, daß Brors(e) bei dem Guß auf das "Patrozinium" der Vorgängerglocke zurückgriff bzw. zurückzugreifen hatte [...]

    Das wäre im protestantischen Görlitz doch eher unwahrscheinlich, oder?

    [...] die Große Glocke wegen der Erinnerung an die Vorgängerin doppeldeutig-veraltet als "Susanna" (= Hosanna) bezeichnet wurde, als auch Große Glocke, wobei sie als neugegossene Glocke in erster Linie die neue, große Peter- und Paulsglocke war. [...]

    Die Vorgängerin der großen Glocke ist nicht die Susanna, sondern die Maria. Die Susanna ist die Vorgängerin der Betglocke und weder Susanna, noch Maria tauchen als Name im Bezug auf das barocke Geläut irgendwo auf, außer auf der Infotafel aus den 90er/2000er Jahren.

    [...] Die beiden Reliefs auf dem Gipsmodell zeigen eindeutig Peter und Paul und daher dürfte die "Große Glocke" in ihrer Entstehungszeit hauptsächlich als Peter- und Paulsglocke geläufig gewesen sein.

    Die Maria hatte bereits Reliefs der beiden Apostel als Zier und auch die Vesperglocke von Benjamin Körner hat(te) die Reliefs, welche fast genauso aussahen wie die der Große Glocke von Brors. Aber vor allem ist eine "Peter- und Paulsglocke" zu keinem Zeitpunkt nachweisbar, "Große Glocke" hingegen schon.

    Ich habe jetzt mal die Inschriften der beiden Schriftbänder abgetippt, vielleicht steht da ja etwas aufschlussreiches, auch wenn ich nicht daran glaube.

    Inschrift oben an der Schulter

    :engel: IGNI RVPTA IACET CAMPANA HÆC QVINQVE PER ANNOS: SEXTO. LAVS CHRISTO. SVRCIT AT HOCCE NOVA.  :engel: COSS. MICHAEL. STEINBACH :engel: IOH. KISLING  :engel: ET ELIA RICHTER 

    Inschriften unten am Schlag

    :engel: D O.M.S CAMPANA. HÆC. ÆDIS HVIVS PETRO=PAULINÆ MAXIMA. ANNO M.D.XVI. FVSA. POSTQVAM ANNO M.DC.XCI. D. XIX. MART. FERALI INCENDIO LABEM FECERAT

    ANNO M.DC.XCVI. MENS. IVL. IOH. KISLINGII. CONS. ET TEMPLI CVRAT.

    AVSPICIO AB INTEGRO RESRAVRATA EST. OPERA IOACHIM. HANNIBAL BRORSII.

    Ein paar Angaben kann man natürlich anhand der römischen Zahlen und Wissen um die Stadtgeschichte herauslesen:

    Michael Steinbach, Ioh. (Johann) Kisling et Elia(s) Richter waren zwischen 1691-1694 die Bürgermeister von Görlitz

    MDXVI "1516" ist das Gussjahr der Vorgängerin der brors'schen Großen Glocke, die Große Glocke "Maria" (8250kg/ f0).

    Anno M.DC.XCI. d. XIX. Mart wahrscheinlich "im Jahre 1691 am 19.März", der Tag des großen Stadtbrands bei dem die alten Glocken, somit auch die Maria, zerstört wurden.

    M.DC.XCVI "1696" ist das Gussjahr der Großen Glocke

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Der Sinn bzw. der Inhalt der Inschrift der großen Glocke unten am Schlag ist nachvollziehbar und logisch:

    D(eo) O(ptimo) M(aximo) Sacr. = Gott, dem besten und größten geweiht

    Campana haec = diese Glocke

    aedis huius Petro = Paulinae = seinem Hause Peters und Pauls

    maxima (bezieht sich auf die campana) = große (Glocke)

    Anno MDXVI fusa = im Jahr 1516 (erstmalig) gegossen

    postquam anno MDCXCI dies XIX Martii ferali incendio labem fecerat = nachdem im Jahr 1691 am 19. März ein wilder Brand den Fall/ Sturz/ Zusammenbruch herbeiführte

    Anno MDCXCVI mense julii Johann Kislingii Cons. et templi Curat. = Im Jahr 1696 im Monat Juli Johann Kisling, Vorsteher und Kurator des Tempels (der Kirche)

    Auspicio ab integro restaurata est = unter seinem Vorstand/ Vorsitz/ Leitung ganz wiederhergestellt worden

    Opera Ioachim Hannibal Brorsii = Werk / Opus von Joachim Hannibal Brors. (Latinisierte Form von Brors/ Bross/ Brosch.

    Brors stammte aus Reinfeld in Schleswig-Holstein und war Sohn des fürstl. Holstein-Plön´schen Hoftischlers Hans Brors, ab 1680 vier Jahre Lehre in Lübeck, was bedeutet, daß er wohl bei dem sehr großen Albert Benninck in die Lehre ging, der 1668 auch die tongleiche Puls der Lübecker Marienkirche goß (1942 abgestürzt, seitdem Kriegsmahnmal). Wenn Brors in dieser Zeit in Lübeck war, dürfte er sicherlich auch einige Male mit Dietrich Buxtehude zusammengetroffen sein. 1699 Guß der neuen Pulsglocke für den Lübecker Dom, die zu ihrer Zeit die größte Glocke zwischen Lübeck und der ganzen Ostseeküste war und die größte, jemals in Lübeck gegossene Glocke war, aber leider 1745 sprang. Brorse scheint in Lübeck nicht die Lobby gehabt zu haben, um Lübecker Ratsgießer zu werden, oder es war evtl. eine unpassende Zeit für ihn, weil die Karten evtl. schon anders gemischt waren. Nach Gesellenjahren 1695 Bürger in Schweidnitz. 1700: Guß einer c2-Glocke für Mohrungen (Ostpr.), heute Leihglocke in Langendamm. Guß eines Dreiergeläutes für Arnsdorf (nicht erhalten).

  • Es wäre eine Aufgabe für Glockensachverständige, ob das Vorhandensein einer 1:1- Gipsform zusammen mit dem überlieferten Gewicht den Nachguß der Großen Glocke nach diesem Vorbild rechtfertigen würde. Diese gelten sonst i.a. eher als umstritten. Bei dem Gewicht ist der Schlagton von d° doch sehr überraschend, da das Gewicht nicht unbedingt zu einer d° paßt und sie mit großer Wahrscheinlichkeit in einer leichten, barocken Rippe gegossen war, sie also wenig grundtönig, eher mit vielerlei Obertönen erklang. Erschwerend kommt hinzu, daß der Aufhängungsort nach dem Umbau der Türme und wegen dem Vorhandensein dieser steilen Giebelwand der denkbar ungünstigste Aufhängungsort für eine solche Großglocke ist. Wie man hört, ist bereits die Betglocke an verschiedenen Standorten nur schlecht zu hören.

  • Ich dachte zuerst an sanctus, also "dem besten, größten, heiligen Gott".

    Brors stammte aus Reinfeld in Schleswig-Holstein, war um 1680 in Lübeck [...]

    Hast du noch mehr Infos zu Brors? Ich habe nur mal gelesen dass er 1695 in Schweidnitz lebte und kurz nach dem Guss der beiden Glocken für die Peterskirche nach Zittau zog, wo er 1702 gestorben ist. Das liest sich so, als ob er nicht gerade alt wurde...

    Die Inschriften für die Betglocke habe ich jetzt auch, kann sie aber vorerst nicht auf ihre vollständige Richtigkeit prüfen...

    Inschrift oben an der Schulter

    IGNIS EGO SALVA RABIE VITIATA RESVRGO KISLINGI CVRIS ET. WIDEMANNE. TVIS.

    "Ich durch wilde Flut des Feuers verdorben, erstehe wieder durch eure Sorg', Kisling und Wiedemann, neu" - Die Görlitzer Glockenlandschaft in Vergangenheit und Gegenwart' von M. Gürlach

    Inschriften unten am Schlag

    FVSA HÆC CAMPANA ANNO MDXCVIII SED. AN. MDCXCI D. XIX. MART. EODEM. QVO COETERÆ FVNESTO INCENDIO LABEFACTÆ. ÆDIS HVIVS PETRO - PAVLINÆ CVRATORUM. IOHANNIS KISLINGII. CONS. ET L. CHRISTIANI WIDEMANNI. SCABINI. AVSPICIIS. ANNO MDCXCVII. MENSE JAN. RESTAVRATA EST OPERI IOACH. HANNIBALIS BRORSII.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Große Glocke oben:

    Igni rupta = (Durch) Feuer/ Brand gebrochen

    tacet campana haec = schweigt(e) diese Glocke

    quinque per annos: sexto = fünf an Jahren, im sechsten

    Laus Christo = zum Lobe Christi

    Surcit at hocce nova = erhebt sich das neue