Abriss und andere schlechte Meldungen in Kurzfassung

  • Ich mache hier mal einen Thread auf, in dem man kurz über kleine, eher unbedeuntende Abrisse von Altbauten oder ähnliche Trauernachrichten berichten kann. Dieses geschieht aus aktuellem Anlass:

    Hab heute morgen noch eben schnell den Lokalteil der Samstagszeitung durchgekaut da ich am Wochenende bei meiner Freundin war und gelesen, dass in unserem Dorf der Altbau des Josephshauses abgerissen wurde.
    Das Josephshaus ist seit ich denken kann ein Heim für schwer erziehbare Kinder, als was es erbaut wurde weiß ich nicht. Die Kinder wohnen in kleinen Betonbunkern und werden dort auch unterrichtet, während der Altbau seit Jahren leersteht.
    Nun zum Gebäude selber: Es handelt sich um eine um 1902 erbaute Kombination aus Kirche und Verwaltungsgebäude (Schule oder was weiß ich was es war), beides im Stil der Neugotik. Die kleine Kirche hatte einen Turm und Kirchenfenster und ist im Prinzip eine normale neugotische Kirche wenn die Tatsache nicht wäre, dass die beiden untersten Geschosse zu dem Profanbau gehören, alles in allem etwas, was ich zumindest vorher noch nie gesehen habe. Jetzt wurde das Hauptgebäude abgerissen, nur der Seitenflügel mit der denkmalgeschützen Kirche blieb stehen. Damit fiel das zweitletzte größere Gründerzeitliche Gebäude in unserem Dorf und das letzte im Originalzustand erhaltene der Spitzhacke zum Opfer. Die Kirche ohne den Hauptbau sieht jetzt auch ziemlich witzlos aus, habs heute nur aus der Ferne gesehen aber das reichte schon, der Unterschied ist sehr groß.
    Naja, im Oktober werde ich Wettringen, so heißt das besagte Dorf, eh für immer den Rücken kehren. In einem Dorf, das unzerstört aus dem Krieg ging und heute prozentual im Zentrum weniger Altbauten als Dortmund, Duisburg oder Magdeburg hat will ich nicht leben.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Wir leben in Deutschland - und in diesem Land reicht es eben nicht aus, wenn ein Weltkrieg unzählige Bauten vernichtet, man hilft noch kräftig nach... :kopfwand: .

  • Sehr gute Idee mit dem Thema- wird sich sicher leider rasch summieren, hab ich die Befürchtung!
    Jetzt eine kleine Trauernachricht aus Essen:
    ist zwar kein Haus, aber sie sind schon länger dabei in Essen die schönen Gaslaternen, die zwar schätzungsweise aus den 20ern oder 30ern stammen, abzumontieren. Ich fand, sie hatten eine schöne Athmosphäre geschaffen, waren dabei hell genug und erfüllten sogar die heutigen Bestimmungen gegen die "Lichtverschmutzung" (was für ein doofes Wort)
    Und auf der Kettwiger Straße rühmen sie sich mit dem dem Gaslaternenmuseum? Wie passt denn das zusammen?
    Hier ein noch erhaltenes Exemplar:

    http://www.imageshack.us[/img]

  • zwar nichts SO besonderes aber trotzdem hübscher als die deutsche-standard laterne, da fällt mir ein hat jemand paar links oder Bilder zu deutschen historischen Laternen ? find ich eigentlich recht interessant.

    Am Ufer der Sonne wo die wesen vom sehen träumen ist in Echtzeit überall Nacht

  • Hallo,

    da wurde ein "wundes" Thema meiner bisherigen denkmalschutzorientierten Tätigkeiten in Mainz und Dresden angeschnitten und ich möchte den Link

    http://www.industrie-kultur.de/modules/newbb/viewtopic.php?topic_id=29&forum=1\r
    http://www.industrie-kultur.de/modules/ ... 29&forum=1

    nicht unerwähnt lassen.

    Da hier in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] lediglich 5 Laternen (abgesehen von einer privaten Sammlung) in der Stadt tatsächlich noch mit Gas befeuert werden ist mein Engagement etwas gesunken, aber ich beachsichtige immer noch eine entsprechende Dokumentation zu Dresden und der dortigen -noch recht umfangreichen- Gasbeleuchtung zu erstellen.

    Ich freue mich über Mitstreiter zum Thema "Gasstraßenbeleuchtung in Deutschland" und entsprechenden Gedankenaustausch;-))

    Schöne Grüße aus [lexicon='Leipzig'][/lexicon]

    Ralf

    PS.: Falls jemand Interesse hat mir liegt umfangreiches Informationsmaterial zum Thema vor.

    PPS.: Der gezeigte Lampentyp herrscht übrigens auch in Mainz

    PPPS.: In Baden-Baden werden die dortigen Gaslaternen als Kulturgut wie der eigene Augapfel gehütet und gepflegt:-)) Es geht also wenn es kreative und innovative Leute in Stadtverwaltung und Denkmalschutzamt gibt!!

    Zitat von "Kindvon2dresdnern"

    Sehr gute Idee mit dem Thema- wird sich sicher leider rasch summieren, hab ich die Befürchtung!
    Jetzt eine kleine Trauernachricht aus Essen:
    ist zwar kein Haus, aber sie sind schon länger dabei in Essen die schönen Gaslaternen, die zwar schätzungsweise aus den 20ern oder 30ern stammen, abzumontieren. Ich fand, sie hatten eine schöne Athmosphäre geschaffen, waren dabei hell genug und erfüllten sogar die heutigen Bestimmungen gegen die "Lichtverschmutzung" (was für ein doofes Wort)
    Und auf der Kettwiger Straße rühmen sie sich mit dem dem Gaslaternenmuseum? Wie passt denn das zusammen?
    Hier ein noch erhaltenes Exemplar:

    http://www.imageshack.us[/img]

    ---
    Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht,
    sondern weil wir sie nicht wagen sind sie schwierig

    Seneca (röm. Philosoph, * etwa 4 v. Chr. † 65 n. Chr.)

  • "was wirtschaftlich keinen sinn macht, kommt weg"

    "wenn die stadt gefangene eigener und zugleich widersprüchlicher interessen wird"*

    "wenn denkmalschutz zur farce wird"

    *durch eine gesetzesänderung wurde die untere denkmalschutzbehörde
    in baden-württemberg, angesiedelt bei den städten und gemeinden, zum
    entscheidenden organ in der handhabung des denkmalschutzes.
    der liebe herr teufel und seine mitstreiter wußten wohl genau, was
    mit dieser novelle alles möglich wird - vor allem deshalb hat man sie
    auch vehement durchgepeitscht im landtag. eine schande für baden-
    württemberg ist diese regelung, wenn man bedenkt, dass baden neben
    bayern einst eine vorreiterolle in sachen denkmalschutz hatte.
    das ausmaß dieser änderungen wird an solchen problemen deutlich.
    zurückstecken muß letztlich immer der denkmalschutz.
    was auch immer anstelle dieser gebäudetypen errichtet wird, es wird
    nicht annähernd den charme dieser siedlungshäuser haben.


    12.10.2005
    Einstimmiges Votum für einen Abriss
    Bauausschuss einig: Denkmalgeschützte Arbeitersiedlung soll neuen Reihenhäusern weichen

    Einhellig hat der Bauausschuss einer Bauvoranfrage
    zugestimmt, die vom Abriss der Arbeitersiedlung an der
    Frohsinn-/Rauensteinstraße ausgeht. Das Liegenschaftsamt
    verhandelt jedoch auch mit Investoren, die an einer
    Modernisierung des Bestands interessiert sind.
    Schon nächste Woche soll der Gemeinderat entscheiden,
    welchen Weg die Stadt einschlagen wird.

    quelle: südkurier
    weiter unter:http://www.suedkurier.de/lokales/ueberl…30,1745952.html

  • Die Leute scheinen nicht zu verstehen, daß unser hauptsächlicher Rohstoff unsere Kultur ist. In solchen barbarischen Aktionen manifestiert sich die Dekadenz nach außen, weil man Kultiviertheit auf dem Altar des schnellen Geldes und individueller Fortkommenswünsche opfert.

  • Das ist doch Wahnsinn... gerade die Arbeitersiedlungen bieten doch heute einen sehr hohen Lebenswert wie ihn Reihenhaussiedlungen nie haben werden. Wofür gibt es den Denkmalschutz denn überhaupt noch wenn jeder, der Geld hat, sich durchsetzen kann?

    Das ist doch wirklich zum k*****

    Hoffentlich kann der Abriss noch irgendwie abgewendet werden... und eine Gesetzänderung, die den Abriß noch begünstigt? Gute Nacht BWÜ...

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Ich war letzte Woche in Hamburg und wollte mir kurz die Hauptkirche St Petri anschauen. Die Gemeinde hat offenbar grosse Pläne: es sollen verschiedene Neubauten errichtet werden (sie ersetzen belanglose Nachkriegsbauten), ABER auch der Innenraum soll verändert werden... Die Arbeiten sind schon im gange, Proteste werden also nichts bringen :(

    Zuerst eine Übersicht der Bauaktivitäten:

    Neues Gemeindezentrum (immerhin Backstein):

    Und nun der Innenraum:

    Die Kirche hat den Krieg übrigens ganz gut überstanden...

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Seufz! Ich frag mich, warum moderne Architekten nur noch Bauklötze bauen können. Haben die ihr Handwerk im Kindergarten gelernt? Da ist es auch ganz egal, ob diese Bauklötze mit Backstein oder Sandstein verkleidet sind, im Endeffekt sind es doch alles Betonklötze. Ist schön billig, hält ewig... und wird bestimmt nach 30 Jahren wieder abgerissen, weil die Leute dann hoffentlich wieder einen besseren Geschmack haben als heute.

  • Zitat von "Däne"

    Ich war letzte Woche in Hamburg und wollte mir kurz die Hauptkirche St Petri anschauen. Die Gemeinde hat offenbar grosse Pläne: es sollen verschiedene Neubauten errichtet werden (sie ersetzen belanglose Nachkriegsbauten), ABER auch der Innenraum soll verändert werden... Die Arbeiten sind schon im gange, Proteste werden also nichts bringen :(
    ...
    Die Kirche hat den Krieg übrigens ganz gut überstanden...

    Donnerwetter, Daene! Dein Bericht ueber die desastroesen Bauvorhaben von Hamburgs Hauptkirche St. Petri ist zwar schon ueber ein Jahr alt, aber mit einem :aufdenkopf: reagieren moechte ich trotzdem. Ich erinnere mich noch an einen uralten Strang aus der APH Forumsversion I (wir sind ja inzwischen bei Version III :D), und Antiquitus weist hier auf ihn hin: http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?…ilit=+Petri#p70">viewtopic.php?f=46&t=70&p=70&hilit=+Petri#p70

    Irgendwie kann ich da eine Seite nicht aufrufen, aber die Idee eines Glaskastenanbaus an die am besten erhaltene der fuenf innerstaedtischen Hamburger Hauptkirchen im Zentrum der Stadt geht ja schon aus der Strangueberschrift hervor, und der Strang ist von 2004.

    Du hast Recht: Von den fuenf Hamburger Hauptkirchen hat St. Petri die Bombardierung des 2. Weltkrieges sehr gut ueberlebt. Der ganz nahe gelegenen Hauptkirche St. Jakobi, auch direkt in der Innenstadt, erging es schlimmer. Sie wurde mit einem modernen Turm (an den sich manche Hamburger bis zum heutigen Tage nicht gewoehnen koennen ;) ) wieder aufgebaut. Nur wenige 100 Meter trennen die beiden Kirchen. Was mich an der St. Petri Seite stoert ist, dass sie so tun als ob sie die einzige Kirche im weitgehend einwohnerlosen Zentrum Hamburgs sei.

    Woher stammen Deine Neubauprojektnachrichten von St. Petri, Daene? Die augenblickliche Webseite der Kirche weist auf keinerlei Bauprojekte hin. http://www.sankt-petri.de/\r
    http://www.sankt-petri.de/ Andererseits bedeutet das natuerlich nicht, dass sie nicht kraeftig am Entstellen ihres historischen Backsteinsakralbaus sind! :augenrollen:

  • Jup, der Turm von St. Jacobi ist echt augenkrebserregend aber mitunter gewöhnt man sich auch dran. Hamburg hat vergleichsweise den Spagat zwischen Moderne und Tradition sowieso besser hinbekommen, als die meisten Großstädte in Deutschland. Das trübt natürlich nicht den Verlust der historischen Substanz. Die Neubauten haben aber auf ihre Art und Weise auch Flair. Beispiel Rödingsmarkt und Umgebung. Gut - da gibt es genauso viele schreckliche Beispiele wie gute, ich denk da nur ans Parkhaus MITTEN neben der Ubahnhaltestelle. Nicht zu fassen .... aber insgesamt kommt die Innenstadt immer noch stimmig rüber. Ich lebe hier - ich muss es wissen. :zwinkern:

    Aber die Vereinsamung der Innenstädte ist Fakt, das stimmt.

  • Zitat

    Für das älteste Wohnhaus von Neuruppin haben die letzten Stunden geschlagen. Das 1689 errichtete Fachwerkgebäude in der Schulzenstraße 6, das den großen Stadtbrand von 1787 unbeschadet überstand, wird derzeit abgerissen. Ein gegenüberliegendes Gebäude sowie Nebenanlagen hatte der Bagger gestern bereits platt gemacht.


    http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11…-abreissen.html (mit Bild)

    Und das kennt man mittlerweile, da es abgefeimte Methode geworden ist. :boese:

    Zitat

    Ursprünglich hatte das Neuruppiner Rathaus das alte Fachwerkhaus retten wollen. Deshalb hatte die Stadt den Kaufvertrag für das Gebäude rückabgewickelt. Denn der Investor, der das Haus vor mehr als zehn Jahren gekauft hatte, ließ es verfallen. Dabei hatte er sich verpflichtet, das Gebäude bis 2005 zu sanieren. Stattdessen beantragte der Besitzer der denkmalgeschützten Immobilie die Aufhebung des Denkmalschutzes und den Abriss. Aus dem Kulturministerium bekam er grünes Licht. Wegen Unstimmigkeiten über die Antragsunterlagen verweigerte jedoch die Denkmalbehörde des Landkreises ihre Zustimmung. Das Haus verfiel zusehends – vor den Augen der Stadt.


    Warum hat die Stadt dann keine Notsicherung durchgeführt? "Retten wollen" ist doch keine theoretische Angelegenheit!

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • So wie in Neuruppin geschehen, scheint es sich zu einem bewährten Rezept zu entwickeln sich seiner denkmalgeschützten Immobilie per Abriss zu entledigen.

    Noch einmal zu Herne. Ursprünglich wollte man wohl auch das bedeutende historische Haus Königl. Bergrevier (ehem. Sitz der unteren Bergbaubehörde in Herne) mit abreißen. Nun bleibt das Haus leerstehend erstmal bestehen, so dass die Stadt, wenn der Bau weiter vernachlässigt wird, dann später wieder eine Abrissgenehmigung beantragen kann. Wenn der Bau weg ist, dann bleibt nicht mehr viel Material für den Wikipedia-Artikel zu Herne...

    ...

  • Es ist zum Heulen! Wo bleiben die Aufschreie und Proteste des Denkmalamtes, aber auch der Bevölkerung? Ob das Denkmalamt bei einem progressiven 60er Jahre Bau ebenfalls so lasch bliebe. Das Denkmalamt ist ein zahnloses Krokodil, dessen Hirn ab und zu aussetzt (egal ob Kroko im brandenburgischen Sand oder Kaiman in den Wiener Donausümpfen – die Jagdsaison ist eröffnet – Waidmanns Heil!)

    Man müsste versuchen, diese Halunken mit den eigenen Waffen zu schlagen. Ein Angebot an den Dresdner Stadtrat stellen, den Kulturpalast zu übernehmen und die Sanierung wie liegt und steht aus eigener Tasche zu finanzieren. Dann jahrelang hinhalten und beschwichtigen und schlussendlich…der GHND als Bauhoffnungsland mit einer Willenserklärung übertragen! :P

  • Die Sache in Neuruppin ist eigentlich ein Unding. Lässt ein Besitzer trotz denkmalpflegerischer Verpflichtung ein Gebäude verfallen, so können die Denkmalbehörde bzw. die Stadt einschreiten, eine Sicherung auf eigene Kosten vornehmen lassen und diese dann dem Besitzer in Rechnung stellen. So jedenfalls hat es mir mal ein Denkmalschützer erklärt. Daß dies in der Praxis oft nicht gemacht wird, zeugt von Versäumnissen der Verantwortlichen.

  • Ganz genau! Denkmalschutz ist ja keine "unverbindliche Empfehlung" seitens der Stadt. Die Leute müssen entweder zwangsenteignet werden (was im Autobahnbau beispielsweise gang und gebe ist) oder eben bevormundet werden dahingehend, dass die Leistungen von anderen Trägern übernommen werden und dann später per öffentlicher Anweisung zurückgezahlt werden müssen.

    Es ist einfach nicht zu fassen, wie wenig Wichtigkeit dem beigemessen wird. Bei jedem Drecks-Privathausneubau wird einem ALLES vorgeschrieben. Selbst die Farbe der Dachpfannen werden einem beim Neubau vorgeschrieben aber ein 300 Jahre altes Haus kann man so einfach mir nix - dir nix verrotten lassen und niemand fühlt sich verantwortlich.